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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 6. Der Beginn vom Ende
[H. Reaktionen im Ausland auf die Reichskristallnacht und die Spaltung der CSSR]

[6.26. Englands Politik: Bis Ende 1939 63-65.000 jüdische Flüchtlinge]

Grossbritannien war bezüglich der Flüchtlinge ein Spezialfall. Als Folge des November-Pogroms [Reichskristallnacht Nov 1938] wuchs die britische Flüchtlingsbevölkerung bis Januar 1939 auf 13.500 an. Aber die Regierung und die öffentliche Meinung standen beide unter einem speziellen, moralischen Druck. Bis zu einem gewissen Grad fühlte sich die Regierung für das Abkommen von München und für die Ereignisse danach verantwortlich. Dann war da Palästina, so seit Oktober 1938 klar war, dass ein pro-arabischer Kompromiss geplant war, der einer jüdischen Einwanderung ein Ende setzen würde. Anfang Dezember war die Regierung so weit, dass sie den Antrag der Jewish Agency für die Einwanderung von 10.000 Kindern aus Deutschland und Österreich nach Palästina zuliess.

(Endnote 125: Hansard Parlamentsdebatten (Hansard Parliamentary Debates), Oberhaus (House of Lords), Band 111, Nr. 13, Kol. 463, 12/8/38, Rede von Lord Dufferin)

Die Regierung fühlte, dass eine Alternative eröffnet werden müsste. Die Alternative war ein Kinderheim im Vereinigten Königreich selbst. Zusätzlich wurde ein Abkommen angeboten, das jüdischen Frauen erlauben sollte, in Britannien als Hausangestellte zu arbeiten. Erwachsene mit guten Empfehlungen konnten ebenfalls Visa erhalten. (S.270)

[21. Nov 1938: Britannien: 11.000 jüdische Flüchtlinge bringen Arbeit für 15.000 Briten]

Am 21. November 1938 präsentierte der Innenminister in der Debatte über Flüchtlinge im Britischen Unterhaus klar die Fakten, dass die in Britannien aufgenommenen 11.000 Flüchtlinge aus Hitlers Reich für 15.000 Briten Arbeit geschaffen hatten. (S.274)

[Ende 1939: 63-65.000 jüdische Flüchtlinge in Britannien]

Bis Ende 1939 hielten sich in Britannien zwischen 63.000 und 65.000 Flüchtlinge auf. Davon waren 9354 Kinder und 15.000 Hausangestellte.

(Endnote 126:
-- R21, 1939 Berichtsentwurf;
-- 12-22, Bericht, 1933-43

Diese grossangelegte Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen wurde von einem grossen Teil der britischen Öffentlichkeit begrüsst, lief aber nicht reibungslos ab.

(Endnote 127: Sie z.B.: Sunday Pictorial, 1/20/39 [20. Jan 1939]: Refugees Get Jobs; Britons Get Dole [Flüchtlinge bekommen Arbeit; Briten bekommen Arbeitslosengeld]

Aber als immer klarer wurde, dass Hitler sein Versprechen, das er in München gemacht hatte, nicht halten würde so wurde das Klima in Britannien ab dem Frühjahr 1939 immer freundlicher, was die Flüchtlinge anging. Viele - 7000 bis 8000 - konnten durch britische Einreisepapiere aus den Konzentrationslagern befreit werden.

[Ab Nov 1938: Spendensammlung durch den Rat für das deutsche Judentum - Hilfe für Flüchtlinge]

Der Rat für das deutsche Judentum [Council for German Jewry] begann nach dem November-Pogrom [1938] mit einer Spendensammlung. (S.270)

Bis zum Kriegsausbruch konnten 850.000 Pfund gesammelt werden. Von dieser sehr grossen Summe wurden 286.000 Pfund für die Flüchtlingshilfe in England verwendet; 145.270 Pfund wurden erst später während des Krieges verwendet, um Flüchtlinge in Britannien zu unterstützen. Der Rest floss in die Unterstützung von Arbeiten in Palästina, nach Schanghai und an andere Plätze.

[Dez 1938 ca.: Einrichtung des Baldwin-Fonds für Flüchtlinge]

Auch an anderer Stelle wurden finanzielle Anstrengungen unternommen. Unter der Leitung von Graf Baldwin wurde der Baldwin-Fond für Flüchtlinge gegründet, der 400.000 Pfund sammeln konnte. Schätzungsweise waren für diesen Fond 90 % der Spender Juden; 50 % des gesammelten Geldes ging in die Unterstützungsarbeit des Rats des deutschen Judentums.

(Endnote 128: Joseph L. Cohen: Die Rettung des deutschen Judentums (engl.: "Salvaging German Jewry"); London 1939)

Eine Anzahl kleiner christlicher Komitees wurde unter der Leitung von Lord Hailey im Christlichen Flüchtlingsrat koordiniert (Christian Council for Refugees).

[Wechsel innerhalb des Rats für das deutsche Judentums: Samuel geht - Reading kommt]

Der Rat für das deutsche Judentum selbst wurde umgeformt; im Februar trat Lord Samuel zurück, und Lord Reading wurde neuer Vorsitzender. Mit diesem Wechsel wurde allen Vorspiegelungen, der Rat würde die amerikanischen Organisationen repräsentieren, ein Ende gesetzt, speziell bezüglich auf das JDC. Es wurde nun offiziell, was schon lange eine Tatsache gewesen war: Der Rat war eine rein britische Institution, die mit dem JDC zusammenarbeitete, aber in keinster weise repräsentierte.

[Lager für jüdische Flüchtlinge und Auswanderungshoffnungen]

Eine der fruchtbarsten Ideen, die in dieser hektischen Zeit aufkam - durch jene, die die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge in Britannien befürworteten - war die Errichtung grosser Lager für Erwachsene und Kinder, wo die Flüchtlinge bleiben konnten, bis bessere Häuser für sie gefunden wurden. Kahn telegraphierte, dass die Idee existierte, "für eine vorübergehende Zeit Lager "und) Ausbildungszentren (zu) errichten, wo immer es möglich war, für (die) junge Generation."

(Endnote 129: 14-60, Telegramm von Kahn, 11/14/38 [14. November 1938])

Das grösste solche Lager wurde in Richborough eröffnet (Kitchener Camp). Natürlich wurde die Aufnahme der Flüchtlinge in Britannien im Grossen und Ganzen als eine vorübergehende Massnahme angesehen, und von den meisten, wenn auch nicht von allen, wurde erwartet, dass sie sofort in andere Länder weiterreisen würden.

(Endnote 130: Hyman am Executive Committee, 1/26/39 [26. Januar 1939])

[Jüdische, illegale Einwanderung nach England auf Schiffen - Schutz von Bootsflüchtlingen]

Während der letzten Monate vor Kriegsausbruch wurde in kleinem Rahmen die illegale Einwanderung sogar nach Britannien versucht. Es ist symptomatisch, dass von britischen Seeleuten berichtet wurde, sie hätten solchen Einwanderern die Einwanderung ermöglicht. Britische Richter neigten zur Empfehlung, dass solche Einwanderer nicht deportiert werden sollten. (S.271)

(Endnote 131: 31-Germany, Flüchtlinge (refugees), 1939-42, 2/21/39 [21. Februar 1939], Adler an Borchardt)






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