[H.
Reaktionen
im Ausland auf die Reichskristallnacht und die
Spaltung der CSSR]
[6.26. Englands Politik: Bis Ende 1939 63-65.000
jüdische Flüchtlinge]
Grossbritannien war bezüglich der Flüchtlinge ein
Spezialfall. Als Folge des November-Pogroms
[Reichskristallnacht Nov 1938] wuchs die britische
Flüchtlingsbevölkerung bis Januar 1939 auf 13.500 an. Aber
die Regierung und die öffentliche Meinung standen beide
unter einem speziellen, moralischen Druck. Bis zu einem
gewissen Grad fühlte sich die Regierung für das Abkommen
von München und für die Ereignisse danach verantwortlich.
Dann war da Palästina, so seit Oktober 1938 klar war, dass
ein pro-arabischer Kompromiss geplant war, der einer
jüdischen Einwanderung ein Ende setzen würde. Anfang
Dezember war die Regierung so weit, dass sie den Antrag
der Jewish Agency für die Einwanderung von 10.000 Kindern
aus Deutschland und Österreich nach Palästina zuliess.
(Endnote 125:
Hansard
Parlamentsdebatten (Hansard Parliamentary Debates),
Oberhaus (House of Lords), Band 111, Nr. 13, Kol. 463,
12/8/38, Rede von Lord Dufferin)
Die Regierung fühlte, dass eine Alternative eröffnet
werden müsste. Die Alternative war ein Kinderheim im
Vereinigten Königreich selbst. Zusätzlich wurde ein
Abkommen angeboten, das jüdischen Frauen erlauben sollte,
in Britannien als Hausangestellte zu arbeiten. Erwachsene
mit guten Empfehlungen konnten ebenfalls Visa erhalten.
(S.270)
[21. Nov 1938:
Britannien: 11.000 jüdische Flüchtlinge bringen Arbeit
für 15.000 Briten]
Am 21. November 1938 präsentierte der Innenminister in der
Debatte über Flüchtlinge im Britischen Unterhaus klar die
Fakten, dass die in Britannien aufgenommenen 11.000
Flüchtlinge aus Hitlers Reich für 15.000 Briten Arbeit
geschaffen hatten. (S.274)
[Ende 1939: 63-65.000
jüdische Flüchtlinge in Britannien]
Bis Ende 1939 hielten sich in Britannien zwischen 63.000
und 65.000 Flüchtlinge auf. Davon waren 9354 Kinder und
15.000 Hausangestellte.
(Endnote 126:
-- R21, 1939 Berichtsentwurf;
-- 12-22, Bericht, 1933-43
Diese grossangelegte Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen
wurde von einem grossen Teil der britischen Öffentlichkeit
begrüsst, lief aber nicht reibungslos ab.
(Endnote 127: Sie z.B.: Sunday Pictorial, 1/20/39 [20. Jan
1939]: Refugees Get Jobs; Britons Get Dole [Flüchtlinge
bekommen Arbeit; Briten bekommen Arbeitslosengeld]
Aber als immer klarer wurde, dass Hitler sein Versprechen,
das er in München gemacht hatte, nicht halten würde so
wurde das Klima in Britannien ab dem Frühjahr 1939 immer
freundlicher, was die Flüchtlinge anging. Viele - 7000 bis
8000 - konnten durch britische Einreisepapiere aus den
Konzentrationslagern befreit werden.
[Ab Nov 1938:
Spendensammlung durch den Rat für das deutsche Judentum
- Hilfe für Flüchtlinge]
Der Rat für das deutsche Judentum [Council for German
Jewry] begann nach dem November-Pogrom [1938] mit einer
Spendensammlung. (S.270)
Bis zum Kriegsausbruch konnten 850.000 Pfund gesammelt
werden. Von dieser sehr grossen Summe wurden 286.000 Pfund
für die Flüchtlingshilfe in England verwendet; 145.270
Pfund wurden erst später während des Krieges verwendet, um
Flüchtlinge in Britannien zu unterstützen. Der Rest floss
in die Unterstützung von Arbeiten in Palästina, nach
Schanghai und an andere Plätze.
[Dez 1938 ca.:
Einrichtung des Baldwin-Fonds für Flüchtlinge]
Auch an anderer Stelle wurden finanzielle Anstrengungen
unternommen. Unter der Leitung von Graf Baldwin wurde der
Baldwin-Fond für Flüchtlinge gegründet, der 400.000 Pfund
sammeln konnte. Schätzungsweise waren für diesen Fond 90 %
der Spender Juden; 50 % des gesammelten Geldes ging in die
Unterstützungsarbeit des Rats des deutschen Judentums.
(Endnote 128: Joseph L. Cohen: Die Rettung des deutschen
Judentums (engl.: "Salvaging German Jewry"); London 1939)
Eine Anzahl kleiner christlicher Komitees wurde unter der
Leitung von Lord Hailey im Christlichen Flüchtlingsrat
koordiniert (Christian Council for Refugees).
[Wechsel innerhalb des
Rats für das deutsche Judentums: Samuel geht - Reading
kommt]
Der Rat für das deutsche Judentum selbst wurde umgeformt;
im Februar trat Lord Samuel zurück, und Lord Reading wurde
neuer Vorsitzender. Mit diesem Wechsel wurde allen
Vorspiegelungen, der Rat würde die amerikanischen
Organisationen repräsentieren, ein Ende gesetzt, speziell
bezüglich auf das JDC. Es wurde nun offiziell, was schon
lange eine Tatsache gewesen war: Der Rat war eine rein
britische Institution, die mit dem JDC zusammenarbeitete,
aber in keinster weise repräsentierte.
[Lager für jüdische
Flüchtlinge und Auswanderungshoffnungen]
Eine der fruchtbarsten Ideen, die in dieser hektischen
Zeit aufkam - durch jene, die die Aufnahme jüdischer
Flüchtlinge in Britannien befürworteten - war die
Errichtung grosser Lager für Erwachsene und Kinder, wo die
Flüchtlinge bleiben konnten, bis bessere Häuser für sie
gefunden wurden. Kahn telegraphierte, dass die Idee
existierte, "für eine vorübergehende Zeit Lager "und)
Ausbildungszentren (zu) errichten, wo immer es möglich
war, für (die) junge Generation."
(Endnote 129: 14-60, Telegramm von Kahn, 11/14/38 [14.
November 1938])
Das grösste solche Lager wurde in Richborough eröffnet
(Kitchener Camp). Natürlich wurde die Aufnahme der
Flüchtlinge in Britannien im Grossen und Ganzen als eine
vorübergehende Massnahme angesehen, und von den meisten,
wenn auch nicht von allen, wurde erwartet, dass sie sofort
in andere Länder weiterreisen würden.
(Endnote 130: Hyman am Executive Committee, 1/26/39 [26.
Januar 1939])
[Jüdische, illegale
Einwanderung nach England auf Schiffen - Schutz von
Bootsflüchtlingen]
Während der letzten Monate vor Kriegsausbruch wurde in
kleinem Rahmen die illegale Einwanderung sogar nach
Britannien versucht. Es ist symptomatisch, dass von
britischen Seeleuten berichtet wurde, sie hätten solchen
Einwanderern die Einwanderung ermöglicht. Britische
Richter neigten zur Empfehlung, dass solche Einwanderer
nicht deportiert werden sollten. (S.271)
(Endnote 131: 31-Germany, Flüchtlinge (refugees), 1939-42,
2/21/39 [21. Februar 1939], Adler an Borchardt)