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Kartoffel-Geschichte Furche 1.6d. Aufklärung+Kartoffel Württemberg+Baden+Pfalz+Odenwald etc.

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: In Württemberg und Baden, in der Pfalz und im Odenwald und nördlich davon:
https://web.archive.org/web/20070206124600/http://www.kartoffel-geschichte.de/Erste_Furche/Die_Aufklarungszeit/Im_Odenwald/im_odenwald.html

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Aufklärung+Kartoffel Württemberg+Baden+Pfalz+Odenwald etc.
 

Üœber die Feldflure in Erbach im Odenwald berichtet der Arzt Gottfried Ludwig Klein 1754:
    »Die ersten Kartoffeln wurden bei uns vor einem halben Jahrhundert angebaut, und sie waren so selten, daߟ man dort, wo heute Tausende von Scheffeln geerntet werden, damals nur ein Scheffel bekam.«

Die ersten Kartoffeln im Odenwald sind nachweislich 1728 in Strümpfelbach angebaut worden, danach geht es zügig vorwärts mit dem Kartoffelanbau zwischen Rhein, Bergstraߟe und vorderem Odenwald; wie in den anderen Regionen gibt es die üblichen Streitereien mit der Geistlichkeit über die Fällig­keit des Zehnten, wie an anderen Orten wehrt sich der viehbesitzende Grund­besitzer gegen die Einschränkungen seiner Weiderechte.

Aber bereits vor diesem Datum wurden Kartoffeln in der Rheinebene und in Pfalz angebaut: Während der kriegerischen Auseinandersetzungen wegen der Rekatholisierung der Pfalz wanderten protestantische Flüchtlinge aus Heidel­berg, ­Speyer, Worms und Mannheim nach Irland, um den nicht-katholischen Bevölkerungsteil zu stärken; die zweitausend Katholiken unter diesen Pfälzern wurden sofort wieder zurückgeschickt.

Die Flüchtlinge waren zumeist Bauern, die ihre Felder in einem Mehrfrucht-Rhythmus mit Weizen, Hafer, Flachs, Hanf und Kartoffeln bestellten. Ihre Acker­bau-Methoden und ihre Landwirtschaftsgeräte wie zum Beispiel ein Pflug auf Rädern, wurden von ihrer irisch-katholischen Nachbarschaft nicht über­nommen. Ihre Häuser, so der französische Reisende de Latocnaye 1796, waren »Paläste im Vergleich zu denen der eingeborenen Iren.« In Cork, Limerick, auf Castle Island verbreitete sich der Kartoffelanbau durch die eingewanderten Pfälzer, die im Nahrungsüberfluߟ lebten und deren Landwirt­schaften noch Ende des 19. Jahrhunderts vorbildlich waren. Da sie nicht nur Kartoffeln anbauten, wurden sie Mitte des 19. Jahrhunderts von der groߟen Hungersnot weniger getroffen; ihre Auswanderung nach Amerika begann erst in 1880er Jahren.

1719 berichtet der Landschreiber Heyler vom Oberamt Kaiserslautern an die Regierung in Mann­heim , daߟ
    »diese Grundbiren Früchten Vor ongefähr 30 Jahren bey der aller­schwersten Calamitäten Kriegszeiten durch einen Schweitzer in die Gegend Lauthern gebracht, welche unter der Erden wachset, bey feind­licher invasion con­serviert bleiben, und zur Subsistenz der Menschen gedienet, Nachgehends einer dem andern solche abgeben, auch an­derster nicht alߟ pläcklen weiߟ in denen Verschlossenen Gärthen in gar geringer Quantität gepflanzet, mithin der Ursachen Niemahlen gezehend worden, bey etlich Jahren aber in den zehend­­bahren Feldern so häufig angebauet wird, daߟ sich nicht nur die Menschen dieser Früchten bedienen, sondern daߟ Horn- und Schwein Vieh damit erhalten, in Specie aber zur Mastung der Schweinen in abundans ge­brauchen.«

Dieses Schreiben ist -€“ unabhängig vom Nachweis über den frühen Kartoffelbau in der Pfalz -€“ auch insofern bemerkenswert, da hier geschildert wird, wie die Kartoffel aus den Gärten auf die Felder gekommen ist und wie die Verbreitung innerhalb einer Region erfolgte. So wird es an all-€™ jenen Orten geschehen sein, in denen die Knolle angebaut wurde.

Ein Pfälzer Landwirt berichtet 1754:
    »Es gereut mich dahero garnicht, daߟ ich anno 1740 der Erste unter meinen Landsleuten war hiesiger Gegend gewesen, so diese Frucht alleinig in dem Felde, und mit einer Quantität gepflanzet, aber auch anfangs von jedermann tüchtig gespottet wurde.«

Hier in der Pfalz tobte der »Erbfolgekrieg« von 1688 bis 1697 (Frankreich gegen Ö–sterreich und andere), in dem der französische General Louvois die ganze Gegend verwüstete. Hier wie im Vogtland und in Nordböhmen war die daraus folgende Verwüstung und Not der Landbevölkerung die An­triebsfeder für den verstärkten Anbau der Kartoffel.

Die in Abgabeordnungen festgelegten Getreideablieferungen an den Grund­herrn verminderten sich durch den Anbau der Grundbirne und führten zu unerwünschten Mindereinnahmen. Hier, wie anderswo, ent­wickelte sich mit der Kartoffel eine »Gegenkultur« zu den althergebrachten Bräuchen. Zwischen 1750 und 1775 erobert die Knolle die Flure dieser Region.

Die Schaafheimer Bürger, die seit 1740 Kartoffeln anbauen, werden wegen dieser fruchtbaren Handlung mit dem Beinamen »Schefemer Kartofel« belegt, während die Leute aus Nieder-Ramstadt mit »Reschster Bienickel«, einer früheren Kartoffelsorte, vorlieb nehmen müssen. 

In Eberstadt gibt PfarrerMay für das Jahr 1750 den erstmaligen Kartoffel­anbau an -€“ vierzig Jahre später bestehen bereits neun Brennereien, die Kartoffeln zu Branntwein verarbeiten.

Franz Graf von Erbach läߟt 1772 in Würzberg fünfundzwanzig Zentner Kartoffeln an seine Unter­tanen verteilen, um die Folgen einer Hagelkatastrophe zu mindern.

1778 berichtet die »Hochfürstliche Hessen Darmstädter Landzeitung« über Nieder-Beerbach:
    »Die Kartoffeln bauten wir zuerst nahe an das Dorf, ins (erst)beste Feld. Jetzt tut man sie ins Brachfeld.«

Georg Friedrich Lichtenberg, der die damals noch nicht weit verbreitete Knollenfrucht nicht so recht mochte, schreibt in den »Sudelbüchern«
    »Gäbe es nur lauter Rüben und Kartuffeln in der Welt, so würde einer vielleicht einmal sagen, es ist schade, daߟ die Pflanzen verkehrt stehn.«

Andererseits kritisiert Lichtenberg in Heft E, 110-€“111:
    »Denn unsere beiden Preuߟen und unser Schweizer sind bloߟe Original-Köpfe, Leute die bloߟ das subtilere Babel schreiben. Und siebentens, aߟen keine Kartoffeln (hätte ich bald gesagt).«

Es entbehrt im übrigen jeder Grundlage, zu behaupten, Lichtenberg hätte die Kartoffel nicht gemocht. Aber so richtig informiert war er auch nicht, wenn er von »der Kartoffel-Luft in Böotien« schreibt.

Lichtenberg teilt eine angebliche Abneigung der Kartoffel mitKaspar Hauser, über dessen Diät und BefindenGeorg Friedrich Daumer 1828 schreibt:
    »Kartoffeln verursachten ihm anfangs jenes Laufen fast unmerklich. ... Mittags aߟ er abwechselnd Reis- und Griesbrei in Milch gekocht ... und eine oder ein paar Kartoffeln, die er ohne Salz und Butter genoߟ.«

Im August des Folgejahres notiert Daumer, daߟ Kaspar Hauser vor Freude einen Sprung gemacht habe, als er zum erstenmal Kartoffelsalat aߟ. Nun, der Findling, dessen Herkunft immer noch nicht rechtskräftig geklärt ist, aߟ auch rohes Fleisch ohne Salz und Brot, so daߟ man daraus keine Schluߟfolgerungen ziehen darf.

Im selben Jahr (1829) setzt die englische »Royal Agricultural Society« einen Preis von fünf Pfund für die Erfindung eines Schaufelpfluges für die Kar­toffelernte aus. Günter Grass in seinem Jahrhundert:
    »Und schon befinden wir uns auf einem weiten, wenn nicht zu weiten Feld, das zu be­stellen noch zu entwickelnder ­Ackergeräte bedarf.«

Der Organist und Erfurter Bürgermeister Christian Reichardt pflanzt Mitte des 18. Jahrhunderts in seinem Garten Kartoffeln an und berichtet, daߟ es nicht schwierig sei, im Spätherbst Kartoffeln auf dem Markt zu erhalten. Reichardt unternimmt auch einen Versuch, Kartoffeln des Winters über mit Mist zu­zudecken (anstelle der Aufbewahrung im Keller), stellt fest, daߟ die Kartoffeln sich im Frühjahr erhalten hätten und befindet, wegen des Arbeitsaufwandes solle man »lieber bey der Auf­bewahrung« im Keller bleiben. Er beschreibt seine Erfahrungen mit der Landwirtschaft in einem Buch, das er »Land- und Garten-Schatz« nennt.

In den Hungerjahren 1771/1772 traten die meisten Sterbefälle (für Kur­sachsen liegen Zahlen vor) im Erzgebirge und im Vogtland auf, wobei die Sterbe­fälle sich häuften in den Orten mit einer vorwiegend aus Bergarbeitern, Köhlern, Hammerschmieden und Heimarbeitern bestehenden Bevölkerung, wäh­­­rend in den bäuerlichen Orten die Sterberate nicht die normaler Jahre übertraf.

 
Erst die Getreidemiߟernten im nördlichen Europa in den Jahren 1771/1772 führen zu einer merk­lichen Steigerung der Anbauflächen in Deutsch­land. Aber der wirkliche Durchbruch des Kartoffelanbaus kam jedoch mit dem Verfall der Getreide­preise Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Tiefst­stand 1823; die mageren Einkünfte lieߟen die Agrarier auf die mehr Gewinn versprechende Knolle ausweichen. Im »Churbaierischen Intelligenz­blatt« wird 1771 ein Rezept zum Backen von Brot aus Kar­toffeln vorgestellt, das der Am­berger Regierungsrat von Schmauߟ entwickelt hat, um damit den Korn­verbrauch zu vermindern.

Üœber die Hungersnöte und Nahrungsmittelkrisen heiߟt es 1770/1771, daߟ
    »sogar Erdbirn, welche sonsten nur von ­armen Leuten verspieset oder dem Vieh zum Futter gegeben worden, siehet man jetzo zu dieser elenden Zeit, in vornehmen Häusern und von zärtlichen Personen essen.«

F. J. Arand, ein Physikus des Kurfürstlich-Mainzischen Rates für Ober-Eichsfeld, schreibt über die Hungersnot:
    »Kein Wunder also, daߟ die Elenden (die Landleute), um das armselige Leben zu erhalten, auf viehische und naturwidrige Speisen, ich verstehe darunter den Gebrauch des Grases, der Disteln, schäd­licher Köhlen, Kleienbrei, geröstete Haferspreu, Wicken und andere heiߟe Früchte verfallen muߟten.«

Die 1770er Hungersnot führt in Bayern dazu, daߟ ein Mandat betr. der Land-Gärtnerei erlassen wird, in dem es heiߟt:
    »Alle Landleute dürfen einen Teil ihrer Brach und andern öden Plätzen mit verschiedentlichen Früchten anbauen als Erdäpfel, Grundbirnen, Dorsen, Boden-Kohlraben.«

Im »Hannoverschen Magazin« (1771) findet sich als Nachdruck aus den »Strelitzischen Anzeigen« eine Zusammenstellung »Von den Jahreszeiten des vorigen 1770ten Jahres und dessen Miߟwachses«:
    »Aber jene wohltätige und fast jedem Geschmack angemessene und eben befunden Erdfrucht, die im nördlichen America zu Hause­ gehört und nach dem Anfange dieses Jahrhunderts, etwa 1712 aus Frankreich durch das Elsaߟ nach Deutschland, und zwar 1730 und 1740 erst durch Pfälzer und Glasmacher in die benachbarte Mark und in Mecklenburg bekanntgemacht und eingeführt worden, die sogenannten Erdtoffeln oder Tüff­ken (Anm. sonst Tartüffeln, Kartüffeln, und in der Mark Nudeln genannt, auch Potatoes. Im Reiche heiߟen sie auch Grund­birnen, und wohl fälschlich, Erdäpfel), Solanum esc.«

Die Hungersnot 1770/1772 war die schwerste während des Üœbergangs von der Agrar- zur Industrie­gesellschaft. Die in diesen Jahren erlassenen Ver­bote der Branntweinbrennerei aus Korn oder der Ver­fütterung von Kartoffeln an Schweine waren Ausdruck dieser Not. Ulrich Bräker aus Toggenburg notiert in seinem Tagebuch, daߟ der Winter 1770/1771 der »schauervollste« gewesen sei und der Mai 1771 »traurigkeitsvol«:
    »jch brauch wol 4 biߟ 5 fl. In eine wochen meine hauߟhaltung zu ernehren; darzu ist der verdienst auߟ, das gewinnen ist dahin, es ist imernichts dann verspillen: von meinen armen schuldneren kann ich nichts be­komen noch hoffen; u ich hingegen sol u muߟ wo ich schuldig bin immerdar zallen u geben; ich bin dieser zeither in einer grosen gelt-angst.«

Aber auch in vorhergehenden Jahren, in denen die Ernte miߟriet, waren die Bauern gezwungen, Wurzeln und Rüben, Blüten von Haselstrauch und Baum­knospen vermischt mir Mehlresten und sogar das Saatgut zu essen; in Obst­baum­gebieten konnte noch auf Dörrobst -€“ insbesondere Pflaumen -€“ aus­gewichen werden, das dann auch in den Abgabevorschriften gesondert erfaߟt wurde.

Noch 1817, also etliche Jahrzehnte nach der feldmäߟigen Ausbreitung der Knolle auf bayerischem Acker, Johann Evangelist Fürst in einem in Passau heraus­gegebenen»Lehr- und Exempel-Buch«:
    »Wenn nämlich die Kartoffelknollen (Ä„pfel­chen) noch etwas hart und grün sind, so werden sie abgepflückt und zum Einsalzen gesammelt.«

Kartoffeln abpflücken, wenn sie noch hart und grün sind, in eine Salzlake zu legen und dann
    »So lange der Essig etwas warm ist, wird er nebst den eingemengten Kräutern abgeklärt, die Fruchtknollen in ein gläsernes Gefäߟ getan, welches mit Papier wohl überdeckt und zugedeckt wird, um sie zum Gebrauch aufzubewahren, wo dann diese Kartoffelknollen das An­sehen von Oliven haben und wie Gurken gebraucht werden können.«

Wie Gurken zu gebrauchen! Der Mann hatte wahrscheinlich nie eine Kartoffel gesehen, und wenn er seinen Rezeptvorschlag vorher im Eigenversuch geprüft hätte, wäre sein Buch wohl nicht mehr geschrieben worden. Anderer­seits stellt Fürst die Bedeutung der Knolle für die Menschheit dar:
    »Wie billig beginnen wir mit den Kartoffeln, diesem Brode der Armen und wahren Uni­versalgemüse aller Völker. Man müߟte für die Mensch­heit fürchten, wenn ihr die Kartoffel genommen werden würde.«

Um sich die Bedeutung der Kartoffel als Volksnahrung zu vergegenwärtigen, sei an dieser Stelle die Beschreibung des typischen Speisezettels in Nord­bayern (Steigerwald) zitiert (nach Hermann Heidrich):
    »Kartoffeln und Sauerkraut sind fast täg­liche Erscheinungen. Das Haupt­nahrungs­mittel bil­den die Kartoffeln. Der Morgenimbiߟ bringt sie fast regelmäߟig in Schale, dazu Topfen zur Anfeuchtung. Mittags erscheint gewöhnlich Kartoffel- oder Wassersuppe mit Schwarzbrod auf dem Tisch, dazu ein so­genannter Drentsch, ein Gebäcke aus von grobem Mehl, geriebenen, rohen Kartof­feln und Milch. Andernorts wurde der Drentsch oder Dransch auch Baun­zen, ein Art Nudeln aus Kartoffeln, genannt.«
Die Hungersnot 1816 führt zu einem verstärkten Anbau der Kartoffel in Südbayern. Aus Karlsbad im Sudetenland berichtet die »Augsburger Allgemeine Zeitung« am 30. August 1817
    »Die Noth der Gebirgsbewohner in der hiesigen Umgebung war in den letzten Monaten­ vor der Erndte dieses Jahres zu einer schreck­lichen Höhe gestiegen. Kräuter und Gras waren, Monate lang, die einzige Nahrung ­eines groߟen Theils dieser Unglücklichen. Ab­gezehrt und hohläugig fleheten sie, wandelnden Leichen ähnlich, die Barm­herzig­­keit der Durchreisenden an und verschlangen das ihnen gebotene Stück Brot mit der gierigsten Hast.«

Und in einem Anschreibbuch in Mittelfranken steht:
    »Weil aber daߟ Getreyd 1817te Jahr so wenig gewachsen ist und die Erdbirn wohl gerathen sind so sind die Erdbirn häufig in das Mehl gemenget worden und wurde Gutes Brod davon gebacken.«

Der bayerische Kirchenhistoriker Carl Anton Johann Nepomuk Hortig schildert 1835 im »Erd­äpfeljubiläum, im Jahre 1828, die Bedeutung der Kartoffel in der Oberpfalz.
    »In jeder bedeutender Ortschaft und Gemeinde bildet sich ein Erdäpfelverein und zwar schleunigst, sintemal die Feier über den Wein­monat (in welchem die Wein- und Erd­äpfellese schön zusammen­fällt) nicht füglich hinausgeschoben werden kann. Ein solcher Ver­ein hat sodann Verstand, und läߟt sich nicht alles von mir vorschreiben. Ich wette darauf, daߟ am Vorabend das Fest gehörig eingeläutet, der Erdäpfeltriumph durch einen bürgermilitärischen Zapfenstreich an­gekün­digt werde, und daߟ ein Teil des Vereins anti­cipando sich beneble.
Am Fest selbst, welches mit Tagesanbruch angeblasen, an­gepfiffen, angetrommelt, angefiedelt, angeleiert, angesungen, an­geläu­tet, angeschrieben, angeschossen wird, erhebt sich zur bestimmten Stunde Alt und Jung; was bisher angestellt, plaziert oder seߟhaft gewesen, wird mobil und macht sich auf die Beine. Jedes mit seinem schönsten Erdapfel nebst darein gepflanzten Rosmarinstengel in der Hand. Die hübschesten Mädchen, in Erd­äpfelfestons gewickelt, streuen während der Prozession Blätter und Zweige dieser köst­lichen Frucht. ... Mittags ist glänzendes Dinner und jede Speise aus oder wenigstens mit Erd­äpfeln bereitet.«

Bedeutsam für die Preuߟen ist, daߟ um 1750 der Kartoffelanbau im sächsischen wesentlich weiter verbreitet war als in den preuߟischen Gebieten; in­sofern ist es zwar richtig, daߟ Friedrich II. von Preuߟen die Kartoffel in die Mark Brandenburg holte, er lag damit jedoch zeitlich hinter anderen Fürsten­tümern wie Österreich und Sachsen und hatte mit wesent­lich mehr Schwierigkeiten zu kämpfen (die Preuߟen waren wohl schon ­immer etwas dickköpfiger als andere Landsleute oder wie Friedrich 1768 schrieb:
    »Unser Volk ist schwerfällig und träge. Mit diesen zwei Fehlern hat die Regierung immerfort zu kämpfen.«.

Angeblich sollen vergoldete Kartoffeln als Schmuck für den im 17. Jahr­hundert aufgekommenen Weihnachtsbaum hergehalten haben. So soll 1755 der Kauf­mann und Kunsthändler Johann Ernst Gotzkowsky in der Berliner Brüder­straߟe ­einen Weihnachtsbaum mit versilberten und vergoldeten Kartoffeln be­hängt haben, umPreuߟens Friedrich II. bei dessen Bemühungen zu unterstützen; Gotz­kowsky spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau der Gemäldesammlung Friedrichs II. und war unzweifelhaft ein vielseitig interessierter und be­wander­ter Sammler. Aber diese Mitteilung der früheren DDR-Nachrichtenagentur ADN entbehrt einer gesicherten historischen Grundlage, wird der Weihnachtsbaum doch erst 1810 erstmals in Berlin dokumentiert.

 
Eine Erklärung zum Begriff Oekonomie. Oekono­mie bedeutete ursprünglich »Hauswirtschaft«, denn die Grundeinheit des Wirtschaftens ist das Haus. Und hier wiederum der privat-genutzte Hausgarten, nicht das Feld, das den Besitzer schneller wechseln konnte und mit vielerlei Restriktionen be­laden war.

Unter der Überschrift »Neue Soldatenökonomie im Lager und Vestungen« wird 1795 eine Methode erläutert, Kartoffeln zu trocknen, wenn man
    »dieselben bis zum Schälen weichkocht, alsdann zu einem Muߟe abreibt, auf die Schifflein bringt und trocknet, dann in ein gröb­liches Pulver stöߟt oder reibt, und also verpackt.«

Im Norden Deutschlands, in dem die Getreideernte ebenfalls miߟraten war, schreibt W. Borne­mann:

         »Kartüffeln sind die beste Kost,

         Dat weer de härtste Hiobspost

wenn mal Kartüffeln nicht geröden,

         Dat ganze Land keem in den Nöden!

         Kartüffeln treck ick allen vör:

         Wenn man doabie keen Haken weer!

Bereits 1784 schreibt der Mechaniker Benjamin Thompson aus Massa­chu­setts, später Graf Rumford (nach dem Ort seiner ersten Hochzeit):
    »Es hat mich nicht wenig überrascht zu entdecken, ein wie geringes Maߟ fester Nahrung, wenn sie nur ordentlich zubereitet wird, aus­reichend Hunger stillen kann und Leben und Gesundheit erhalten und mit wie wenig ­Kosten selbst ein kräftiger und schwerarbeitenden Mann ernährt werden kann.«

Im München des Jahres 1797 erfindet Rumford eine Gerstensuppe zur Ver­köstigung der Armen, aber da sie mit Kartoffeln angedickt war, wurde diese Suppe von den Armen der Stadt schlecht aufgenommen.
    »Nach einer mehr als fünfjährigen Erfahrung, welche mir die Ver­köstigung der Armen zu München gewährte ... ergab sich, daߟ die wohlfeilste, schmackhafteste und nahrhafteste Speise eine Suppe war, die aus Gersten­graupen, Erbsen, Kartoffeln, Schnitten von feinem Weizenbrot, Weinessig, Salz und Wasser (in gehörigen Verhältnissen) bestand. Die Suppe wird heiߟ aus dem Kessel auf die Brodschnitte gegossen, und dann mit eisernen Löffeln sorgfältig umgerührt, womit sie den Armen im Eߟzimmer ausgetheilt wurde.«

Da die Suppe von der Bevölkerung wegen der Kartoffel abgelehnt wurde, kam anfänglich auch Bier und Brot hinzu, das später wieder durch die Kartoffel ersetzt wurde. 1792 wird Thompson geadelt, als sein Kurfürst Karl Theodor in dem Inter­regnum (von März bis Juli 1792) zwischen Kaiser Leopold II. und Franz II. Vizeregent des »Heiligen Römischen Reiches­ Deutscher Nation« war. Die von Thompson selbst entwickelte Suppe war ursprünglich nur für-€™s bayerische Militär gedacht.

Thompson schlug seinem Kurfürsten vor, das gesamte Ver­pflegungssystem der Armee zu reformieren und -€“ auch wegen der hohen Viktualienpreise -€“ Militärgärten (in den trockengelegten Isar­-Auen) an­zulegen.­ Diese Kartoffelparzellen mit einer Gröߟe von je 365 Quadratfuߟ wurden einzelnen ­Soldaten zugewiesen mit der Maߟ­gabe, dortselbst Kartoffeln und Gemüse anzubauen, und zum »Abschied« be­kamen sie noch einen Sack Kartoffeln mit auf den Heimweg. Im Ersten Weltkrieg ver­anlaߟte die Führung des Marine-Stützpunktes in Cuxhaven (und sicherlich auch anderswo), daߟ die Soldaten Gärten anlegten, in denen sie Kartoffeln und Ge­müse anbauen muߟten, um die ­unzureichende Kantinenverpflegung aufzubessern.

In den von Thompson veranlaߟten Werkstätten für Militärkleidung wurden am Neu­jahr­s­tag 1790 die in einer Razzia in München gefaߟten etwa eintausend Bettler, Tandler und Vagabunden eingewiesen und mit dem von Thompson erfundenen Eintopf verpflegt. 1200 Por­tionen wurden täglich ausgegeben. Die Rumford­sche Suppe bestand aus Wasser, Kartoffeln, Graupen, Erbsen, Salz, Wein­essig oder sauer gewordenem Bier; je hundert Portionen Suppe (bzw. 50 Pfund Kartoffeln, Erbsen und Graupen) enthielten drei Pfund Fleisch (Knochen, Innereien), das »fast so klein wie Gersten­körner geschnitten werden muߟte«: »Dem Deiwel mecht son Kleister schmecken.« Die Suppe war nach stundenlangen Kochen so gallert­artig­dick, daߟ sie nicht aus dem Löffel fallen konnte.­ Dazu gab es noch ­einige Stückchen hartes Brot in den Suppen­napf. Veröffentlicht hat Rumford das Rezept seiner Suppe in »Kleine Schriften politischen, ökonomischen und philosophischen Inhalts«.

Rumford hatte einen Vorgänger, den Arzt Jacques Dubois genannt Sylvius aus Montpellier, der zwischen 1542 und 1546 mehrere Schriften über die Ernährung der Armen herausgab. Schon Dubois empfahl dicke Suppen aus Mehl, Hülsenfrüchten und Brot, die mit Fett und Fleisch, in Notzeiten auch Fleischreste wie Knorpel und Sehnen, zu ergänzen seien -€“ notfalls auch mit Mäusen und Schlangen.55

Es erweist sich -€“ wie in Irland -€“ daߟ nach Be­endigung einer Notsituation -€“ die Bevölkerung wieder zur Brotnahrung zurückkehrt. 1810 wird vor­geschlagen, die Rumfordsche Suppe als trockenes Pulver zu fabrizieren,« als Gewinn für die arbeiten­de­ Klasse« und für die »Soldaten im Feld«. Wahrscheinlich ist dieses Pulver nur in der seit 1809 be­stehenden Rumfordschen Suppenanstalt für Bettler und Stromer in Amberg zubereitet worden; von Amberg bis zum fränkischen Ansbach sind es rund zweihundert Kilometer; es ist also denkbar, daߟ das Rezept für das Pulver den ­Fabri­­­kan­ten Riess-Schafft und Unochs bekannt war. Erfolg hatte Graf Rumford jedoch mit der Erfindung einer Thermosflasche, eines Filtergeräts für Kaffee (1809) und der Präsentation eines neuentwickelten, kompakten Herdes, der die bisherigen offenen Feuerstellen ablöste, und mit der ­Errichtung eines bzw. des Englischen Gartens nebst Chinesischen Turm in München.

 
Ein neuer Ofentyp entstand im 17. Jahrhundert auch durch die Weiter­entwicklung des klassischen Mehl-Knödels: der Klöߟhafen, ein Ofen­typ mit zwei Koch­platten, die eine für die Heiߟwasserzuberei­tung ohne Knödel und die andere für einen emaillierten Topf mit Knödel. Man nimmt an, daߟ dieser Ofentyp insbesondere durch die Kartoffel ge­fördert wurde, da seine regionale Ver­breitung korrespondiert mit dem Aufkommen der Kartoffel als Feldfrucht. Rumfords Herd (ursprünglich »Thomp­son-Kamin«) konnte transportiert werden (gut für die Soldaten), besaߟ einen verengten Kaminschlund und eine verkleinerte Heizungsöffnung (schlecht für die feindlichen Soldaten, die sich zuvor an den Lager­feuern orientieren konnten), damit sich die Wärme hielt und wurde sehr schnell populär; zwar wurde die Vorderseite des Menschen schnell ge­röstet und der Rücken blieb eiskalt, aber tränende Augen und das Husten konnten aufhören.

1802 lieߟ der britische Eisengieߟer George Bodley einen Herd patentieren,­ ­der bis ins 20. Jahrhundert hinein zum Prototyp britischer und amerikanischer Herde wurde; auch Benjamin Franklin, 16. Sohn eines Seifensieders und in seiner Pariser Zeit als amerikanischer Botschafter »Papa« genannt, ver­suchte sich erfolgreich an einem Ofen.

Erst in den 1920er Jahren setzt sich der »Sparofen« gegen den »Kochofen« end­gültig durch, er erlaubt eine differenzierte Zubereitung der Speisen. Spätestens zu dieser Zeit verbreitete sich auch auf den Land die Sitte des Getrenntessens der einzelnen Speisen und damit die Übernahme von Tellern und Gabeln. Teller waren zwar vorhanden, wurden aber seltener benutzt. Im Vogtland -€“ aber auch anderswo -€“ wurden noch um 1900 die ganzen Kartoffeln heiߟ auf den Tisch geschüttet, mit dem Topflappen ein wenig auseinander­geschoben und in die entstandene Lücke die Schüssel mit der Zukost (Weiߟkäse oder Suppe) gestellt. Zukost darf hier nicht verwechselt werden mit der in DDR-Zeiten­ üblichen Sättigungsbeilage. Zukost bzw. Zugemüse hatte eine um­fassendere Bedeutung, Beilage zu einer »wichtigeren« Speise wie Fleisch. Noch um 1850 hieߟ im Erzgebirge der Mehlhändler, der auch Graupen, Grieߟ, Hirse usw. lieferte, »Gemüse­mann«.

1763 hatte bereits Friedrich II. einen Preis für die Konstruktion eines Kachelofens mit geringem Holzverbrauch ausgeschrieben; die Leute sollten doch -€˜was »krigen«, denn auf dem Ofen ist gut auf der Bärenhaut liegen und man kann die Kartof­feln schön warmhalten. Aber dieses Preisausschreiben, das die Jury der Königlichen Akademie ein Jahr prüfte, ist auch ein Zeichen für die Folgen der brandenburgischen Brandrodungen: Holzmangel. Auch wegen des Kartoffelanbaus wurde gerodet, denn die ­Bauern wuߟten, daߟ frisch gerodeter Wald­boden ideal für Kartoffel, nicht jedoch für Ge­treide war.

Der Rumfordsche Ofen ist auf den Holzmangel in den bayerischen Wäldern zurückzuführen. Erst der aus Meaux stammende Alexis Soyer (1809-€“1858) erfand Mitte des 19. Jahrhunderts in London einen Gasherd. Wenn man berücksichtigt, daߟ in Bauernkaten, in den Häusern der Bürger und in den Schlös­sern des Adels der Herd immerfort brannte (geschürt wurde), weil über dem offenen Feuer stets ein eiserner Topf hing, in dem eine (die) Suppe­ köchelte, dann kann man sich den ungeheuren Ver­brauch an Holz vorstellen. Es hätte als Verschwendung gegolten, ein Stück Fleisch einfach zu braten und zu essen. Der Fleischgeschmack (der ein Zeichen von Wohlstand bedeutete) konnte doch in einem Topf »gestreckt« werden, wenn man dem Fleisch in einem Suppentopf Getreide und ­Gemüse oder was immer gerade zur Verfügung stand, zugab.

Und wenn-€™s dann wieder -€™mal ein Stück Fleisch gab, dann wurde halt die Gemüsesuppe verlängert. Der französische König Heinrich IV. wünschte sich am Ende des 16. Jahrhundert für jeden seiner Untertanen ein Huhn für den sonntäglichen Tisch, das »poule au pot« war selbstverständlich ein Eintopf. Vom Nährwert dieser Eintöpfe waren die Wohlhabenden fasziniert -€“ es schien eine Möglich­keit zu sein, die Armen zu verpflegen.

Wolfram Siebeck erwähnt, daߟ man noch im vorigen Jahrhundert sich nicht scheute,
    »alles, was eߟbar war, zusammen­ zu kochen. Fisch, Fleisch, Gemüse, Körner, Haut und Knochen -€“ die Suppentöpfe einfacher Wirts­häuser enthielten alles. Sie wurden nie geleert, nie ge­reinigt, immer nur nachgefüllt. Es heiߟt, daߟ in manchen Pariser Gar­­küchen die Suppe jahrlang ununter­brochen ­kochte.«

 Ja, ehrlich, wie ist denn das heutzutage bei manchen Fritten-Buden mit dem Ö–l?

Das Kochbuch »Kochrezepte für Arbeiterfami­lien«, das 1887 in Elberfeld erschien und von Fabri­kanten sehr günstig beurteilt wurde, schlug der Arbeiter­frau für eine vierköpfige Familie einen gut durchdachten Wochenspeisezettel vor.

Danach dürfte es kein Problem sein, bei ordnungsgemäߟer Haushaltsführung mit zwei Mark und 81 Pfennig pro Woche auszukommen; Lohnforderungen, wie sie die vaterlandslosen Gesellen forderten, waren unberechtigt.

1904 wird der Städte­rin in einem Haushaltsbuch empfohlen, sich die Kartoffeln direkt auf dem Land zu beschaffen. Man
    »inseriere zu diesem Zweck in einer in ­einem ländlichen Bezirk erscheinenden Zeitung etwa wie folgt: -€ș10 Zentner gute Winter­kar­tof­feln gesucht. Offerten mit Preisangabe unter N.N. an die Ge­schäftsstelle.-€č Auf Grund der sicher einlaufenden Offerten erbitte man sich einige Proben, die gern kostenlos ge­liefert werden, dann kann man wählen.«

Heutzutage kommt man an kostenlose Proben heran, wenn man namhafte Lebensmittelhersteller darauf aufmerksam macht, daߟ das im Lebens­mittel­­geschäft »Sowieso« von dieser Firma her­gestellte gekaufte Produkt ranzig, fettig, ölig, oder sonstwie verdorben war oder zumindest merkwürdig/ungewöhnlich schmeckte und ob man das Produkt einschicken solle -€“ gegen Portoerstattung

In der »Suppenanstalt für Arme« (im Volksmund »Bellküchen« genannt) im hessischen Nidda wurde die Rumfordsche Suppe, aber auch die Hamburger und die Glogauer Sparsuppe in den Hungerjahren 1845 bis 1847 gekocht. Man vertrat die Auffassung, daߟ es bei »den Armensuppen nicht auf Leckerheit, sondern auf Substanz und Nährkraft ankommt, gepaart mit gutem reinem Geschmack.« Das hätte die Kartoffel bieten können: Die ­Suppen wurden aber leider drei bis vier Stunden gekocht, und waren nach dem Erkalten geleeartig. Da schmeckt dann auch die Kartoffel nicht mehr. Aufgewärmtes Kantinenessen von einem Fern­verpfle­ger kann auch nicht schlechter schmecken. Aber (auch) die Armensuppen waren ja nur für die »armen Teufel«.

 
Lorenz Westenrieder erwähnt 1788, daߟ es in frühe­ren Jahrzehnten erheb­liches »Lermen« gegen den Anbau von Kartoffeln, Tabak, Raps und Run­kel­­rüben in Bayern gegeben habe. Die Verbreitung der Kartoffel sei aber auch behindert worden, weil an ­vielen Stellen die Dienstboten gefehlt hätten. Die An­pflanzung der Kartoffel werde ferner von Grund­herren abgelehnt, da diese sich durch den Kartoffelanbau in ihren Huderechten ein­geschränkt sahen (zu Recht) und zugleich weniger Getreide angebaut werden könnte.

Wegen der Diskussionen über den Einfluߟ der Kartoffel auf die Landwirt­schaft setzt Herr von Erlach und Freiherr von Riggisberg 1775 -€“ nach der gerade überstandenen Hungersnot -€“ ­einen Preis von zehn Dukaten auf die Beantwortung der ­Frage aus: »Hat der Erdäpfelbau den Korn-Bau vermindert oder nicht?«

Die Literatur zur Kartoffel nimmt sprunghaft zu. 1800 veröffentlicht von Kling in München eine »Anleitung zum Kartoffel- oder Erd­äpfel­anbau«, die den Kartoffelanbau in Bayern fördern soll. Bayern und Böhmen wurden die Länder des Knödels: »Vor ­groߟe Knödel«, so sagt man dorten, »hat sich noch nia oaner fürchtet.«

1801 schreibt Pachaly in der »Sammlung seiner Schriften zur Geschichte Schlesiens«: »Die Kartoffeln sind heut die Hauptnahrung des gemeinen Mannes.«

1810 wird in Ingolstadt die Kartoffel in einem »Polizey-Bericht« als »wohltätiges Schutz­mittel gegen Hungersnoth« empfohlen. Zur selben Zeit gelangt die Kartoffel in den Frankenwald (Fichtelgebirge), in den Oberpfälzer Wald und in ihren jeweiligen westlichen Vorlanden. Pfarrer Vincent Zahn aus Hinterzarten stellt im selben Jahr fest, daߟ Milch und Kartoffeln die Grundnahrung der armen Leute im Schwarz­wald sei und nur selten Mehlspeisen auf den Tisch gekommen seien.

Der Kartoffelanbau erfolgt nicht mehr nur in der Brache, sondern auch in den »Moosgründen«, die »im übrigen gleich Gärten genützt und vorzüglich mit Kraut« und anderen Gemüsegattungen bepflanzt werden; der Kartoffelanbau erfolgte zunächst in -€“ aus der Allmende ausgegliederten -€“ parzellierten »Erdäpfelgärten«, analog den schon bei den frühen Botanikern üblichen»Kraut­gärten«.

J. J. Rambach schreibt 1801 in dem »Versuch ­einer physisch-medicinischen Beschreibung von Hamburg«:
    »Kein Gemüse ist aber unter allen Ständen so allgemein verbreitet und so allgemein beliebt wie die Kartoffel. Es gibt Reiche, die sie aus Wahl, und Arme, die sie aus Not täglich essen.«
In einem Lied heiߟt es:
    »Kartoffel, Kartoffel, wer iߟt sie nicht gern, die Armen, die Reichen, die Bauern, die Herrn«.
 
In Südwest­deutschland,in der die Grundherr­schaft nicht so stark am Knollenbau inter­­essiert war (wegen der schlechteren Vermark­tungs- und damit Gewinn­erzielungs­­möglichkeit), ist Knollenbau sehr früh als eine Möglichkeit der Steuer­hinterziehung angesehen worden; vielleicht ­hatte man in den Vorfeldern einer möglichen Steuer­pflicht klärende Gespräche geführt und bei einem Viertel (heute zumeist nur noch ein Fünftele) Trollin­ger Dispens angedeutet.

In einem Bericht über die Zehntrechte in Leimen steht, daߟ die weltliche Herrschaft und die Geistliche Administration zu Heidelberg den Zehnt fordern von den »Sommercrescentien wie Kraut, Rüben, Kartoffeln, Erbsen, Linsen und Magsamen«. Auch ein Bericht aus dem Jahre 1757 an den Kirch­heimer Zehnt­grafen erwähnt die »cartof­feln« -€“ zu einer Zeit, als Preuߟens Friedrich noch gröߟte Mühe hatte, seinen Bauern die »Nudel« nahezubringen.

Der Waldenser Theologe und Kaufmann An­toine Seignoret aus Piemont nimmt 1710 (nach Grimm bereits 1701) rote Kartoffeln (sog. englische potatoes) aus Nürnberg und Augsburg mit ins Württembergische und pflanzt sie dort an. Bemerkenswert ist, daߟ noch in den 1930er Jahren die Firma »Akt.Ges. Ernst Geiser, Landesprodukte« aus Langenthal in der Schweiz Speisekartoffeln mit rotem Fruchtfleisch »lose verladen / gesackt [...]  50 kg« anbietet.

Nach einer anderen Lesart soll die Kartoffeln 1701 aus Italien zu dem Waldenser-Oberen Henry Arnauld gebracht worden, der die Knolle in seinem Garten in Schönberg bei Maulbronn an­pflanzte­ und anschlieߟend in allen deutschen Kolonien der Waldenserverteilt haben soll. Die Waldenser waren nicht dem Zwang der Drei-Felder-Wirtschaft unter­worfen, die an anderen Stellen den Kartoffelanbau stark behinderte. Die Kar­toffel wurde deshalb vielfach »Waldenser Knolle« genannt. Den Wert der »welschen Knolle« hat man zunächst nicht erkannt.

Nach dem Dreiߟigjährigen Krieg waren es in erster Linie Schweizer Mennoniten, die, besonders im Kraichgau, sich als Agrarpioniere hervortaten. Von ihnen stammt die Stallmistdüngung, aber auch der geordnete Anbau von Erbsen, Klee, Futter­rüben und Kartoffeln. Seignoret und Arnauld fanden daher eine auf­nahme­bereite und Neuerungen zu­getanene Landbevölkerung vor, als sie die Kar­toffeln ins Württembergische brachten.

Der pfälzische Agrarreformer Gugenmus schrieb 1770 seinen Landsleuten:
    »Seht, wie eifrig die Mennoniten sind, wie sie ihre Äcker bebauen. Sie werden Euch mit euren Weidevieh und dem unnötigen Brachland ausmachen.«

 

Der im Vergleich mit der Oberpfalz und Franken geringere Kartoffelanbau im Württembergischen hing sicherlich mit dem stärker eingehaltenen Fastengebot zusammen, das bekanntlich die fleisch­lichen Lüste ­zu manchen Zeiten verbietet; in der Kartoffel konnte der schwä­bische Landmann nicht die verbotenen Dinge verstecken, die er in eine Maul­tasche tun konnte. Nur der Tüftler von Geburt an, konnte diesen Ge­danken in die Tat umsetzen. Die Kartoffel evangelisch, die Maultasche hingegen katho­lischen Ursprungs? Kerstin Lohmann aus Dettingen bei Ehingen (um Ulm herum) meint sich zu erinnern, daߟ beim Hochzeitsmahl (und anderen hochfestlichen Mahlzeiten) in glaubens­ver­schie­denen Ehen (sog. Mischehen) häufig als Kompromiߟ Eidäpfl-Mauldäschla auf­getischt wurden.

Der Erzbischof von Mainz (Philipp Karl von Eltz) verfügt 1742 für das Gebiet seines Oberstiftes, da er nicht seine Felle, wohl aber die Gulden den Main herunterschwimmen sah,
    »daߟ an verschiedenen Stellen des Oberstiftes der Anbau der Grund Biere auf den Fluren ein Ausmaߟ angenommen habe, daߟ es nicht länger gerechtfertigt sei, den Anbau nur dem kleinen Zehnten zu unterwerfen.«

1751 heiߟt es ähnlich in einer Resolution des Grafen Karl Christian zu Hohensolms:
    »Wie alle und jede Unterthanen, welche ihre zehendbaren Äcker mit Wurzeln, Rüben und Cartoffeln etc. Besaamen ... den Zehenden ent­weder davon in Natur verabfolgen lassen, oder aber von einem jeden Morgen ein pro­portionierlich Geldquantum abgeben sollten.«

1829 setzt die englische »Royal Agricultural Society« einen Preis von fünf Pfund für die Erfindung eines Schaufelpfluges für die Kar­toffelernte aus. Günter Grass in seinem Jahr­hundert:
    »Und schon befinden wir uns auf einem weiten, wenn nicht zu weiten Feld, das zu bestellen noch zu entwickelnder ­Ackergeräte bedarf.«
 
Der Kartoffelanbauals Garten- oder Feldfrucht kam aufgrund mehrjähriger für die Getreideernte günstiger klimatischer Verhältnisse zur Wende des 17./18. Jahrhunderts in der Schweiz, in Frankreich und in vielen deutschen Gebieten wieder zum Erliegen; die an sich stürmische Entwicklung seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert endete. So ist zu erklären, daߟ um die Mitte des 18. Jahrhunderts neue Anstrengungen für die Anpflanzung der Kartoffel unter­nommen wurden -€“ jetzt aber auf Veranlassung der Obrigkeit und nicht mehr durch Ini­tiative der Kleinbauern. Gebiete, in denen die Kar­toffel vor dieser zweiten Anbauwelle kon­tinuier­lich und erfolgreich angebaut worden war (Vogt­land, Oberpfalz, Franken, Pfalz) blieben von dem Rückgang in der ersten Jahrhunderthälfte verschont.

In mehreren Büchern der sogenannten Hausväter-Literatur, beispielsweise seien hier genannt

Johann Joachim Becher 1682: »Närrische Weiߟ­­heit und Weise Narrheit«, Franz Philipp Florin 1705: »Allgemeiner Klug- und Rechts­verstän­di­ger Haus-Vatter«, Heinrich Wilhelm Döbels 1747: »Geschickter Hausvater und ­fleiߟige Hausmutter«, Otto von Münchhausen 1768: »Der Hausvater«)

-€“ eine Art von Unternehmensberatern ohne Overhead und Folie wird der Kartoffel verhältnismäߟig viel Platz ein­­geräumt, stets verbunden mit einer ausführlichen Beschreibung der Pflanze; es ist daher davon auszugehen, daߟ das Gewächs aus Amerika noch nicht so ver­breitet war und deshalb einer eingehenden Darstellung bedurfte.

Viele dieser nicht­theolo­gischen Lehrbücher belehrten mit Fragen und Antworten, deren Form dem christlichen Katechismus entlehnt war. In dem »Katechismus der Huf­beschlag­kunst Oder: Theoretisch-praktischer Unterricht über den Huf­beschlag und die ge­wöhn­lichsten Krankheiten des Pferdefuߟes« (1825) heiߟt es in der Einleitung
    »1. Was ist der Hufbeschlag?

    Der Hufbeschlag ist die Kunst

      1) Hufeisen zu verfertigen, welche ...

        c) dem Dienst, wozu ein Pferd gebraucht wird, angemessen sind.«

In manch dieser Schriften ist erkennbar, daߟ die Autoren die Kartoffel aus eigener Anschauung nicht kennen und sie daher mit dem Topi­nambur oder mit der Süߟkartoffel verwechselten.

Heinrich Hesse schreibt in seiner »Neuen Gartenkunst« (1690), daߟ für den Anbau
    »ein gut, mürbe, luftig, sandig Erdreich mit etwas Feuchtigkeit am mittelmässigen Sonnenort«
erforderlich ist.

In den frühen Werken (zum Beispiel Amaranthes im »Frauenzimmer­lexikon« 1715 oder Valentini im »Kräuterbuch« 1719) wird zumeist noch der Begriff »Tartüffeln« («Schwamm oder Pilz in der Erde«) verwendet. Schmotter aus Dresden schreibt in seinem »Schreiben und Rechnen«, daߟ die Tartuffeln ein neues Gewächs aus Peru seien,
    »zu unterscheiden von den Erdmorcheln, die von den Welschen auch tartuffeln genennet werden, sie gehören unter das Geschlecht der Nachtschatten«.

Im »Universal-Lexikon« von Zedler, 1744, steht über die Kartoffel:
    »Tartuffeln, Tartufles, ein Gewächs, so den Alten unbekannt, bey den neuen Botanisten Solanum tuberosum esculentum, oder Papas Peruanorum, weil es aus Peru zu uns gekommen, heiߟet, und eine fremde Art von Erd-Aepfeln70 ist, welche aus der America­ni­schen Land­schaft Peru anfänglich zu uns ge­bracht worden, nunmehro aber auch in unsern Gärten häufig angetroffen. ...

Die Früchte gleichen kleinen Äpfeln, welche erstlich gantz grün, hernachmals aber, wenn sie reif werden, weiߟlicht und voll Saamens sind. ... Das Kraut hat gelbe Wurtzeln und weiߟe Blumen, oder rothe Wurtzeln und purpurfarbene Blumen, welche letzte Art gemeiner ist, als jene.«

Friedrich Timotheus Heim, Pfarrer im Thüringer Effeld:
    »Damit man ihrer nicht überdrüssig werde, weiߟ die gute Hauߟmutter sie auf vielfache Art zuzubereiten, um dadurch immer eine andere Speiߟe zu erhalten.«

Im »Allgemeines Oekonomisches Lexicon«, 1744 herausgegeben von Georg Heinrich Zincke, wird unterschieden zwischen hühnereigroߟen und spät reifenden Kartoffeln und den sog. Jakobsäpfeln, die »sehr groߟ sind und schon Mitte September im Vogtlande reif werden«. 1753 steht in diesem Lexikon unter dem Stichwort »Erd-Aepffel«:
    »Diese nennet man eigentlich die Erd-Aepffel, allhier in Sachsen um Leipzig herum, wie auch im Magdeburgischen, da hingegen aber giebt man an andern Orten diesen Nahmen denen unten berührten und daselbst so genannten Erd-Birnen, und nennet viel mehr die hier berührten Erd-Aepffel die Erd-Birnen. Wie solches im Vogtländischen, Frankenlande und im Oesterreichischen geschiehet. Genug wir meinen hier nicht diejenige Frucht, die man an diesen letzten Orten Erd-Aepffel, sondern die so man Erd-Birnen, die wir aber Erd-Aepffel nennen, und von jenen Erd-Aepffeln, so man hier Erd-Birnen nennt, wird unter diesem Wort gehandelt.«

Das ist alles sehr verständlich dargelegt! Es zeigt die damals hohe Kunst der Abstraktion und den gestelzten Hofstil, denn Zincke meint nicht die Kartoffel, sondern den Topinambur. Georg An­dreas Böckler nennt den Topinambur in seiner »Haus- und Feldschule« (1699) »gemeinen Erd-Apfel«, was von Gottfried August Hoffmann im »Klugheit Hauߟ­zuhalten« (1737) beibehalten wird. Theodor Jakob, im selben Lexikon, unterscheidet zwischen gelben und roten Knollen. In den »Leipziger Samm­lungen wirtschaft­licher Sachen« von 1753 werden weiߟe und gelbe Kartoffeln unterschieden,
    »von denen ein Paar 1 Pfund wiegen und sechzigfältigen ­Wucher geben.«

Carl Julius Weber erwähnt im »Demokritos« die verschiedenen Zu­bereitungsmöglichkeiten der Volksknolle:
    »Ein Landprediger, der sicher nichts von Par­mentiers Kartoffel­schmause zu Paris wuߟte, gab einen Kartoffelschmaus, der Erwähnung verdient -€“ zuerst Kartoffelsuppe, dann Kar­toffelgemüs mit kleinen braun gerösteten Kartöffelchen als Beilagen -€“ Kartoffelpastete -€“ Pfann­kuchen mit Kartoffelsalat, und zum Nachtisch Kartoffelzucker und Kartoffelkäse, der Kaffee war von Kartoffeln, wie Brot, Wein und Likör, und für Tabaksfreunde standen auch gebeizte Kartoffelblätter da. Mich wundert, daߟ er nicht auch auf Kartoffelpfeifchen verfiel, die sich denken lieߟen; er ging wenigstens damit um, seine Lichter aus Kartoffeln zu machen und auf Kartoffelpapier ­seine Predigtkonzepte zu bringen. Das Kartof­fel­­aphrodisiacum ist offen­bar wohlfeiler als indianische Vogelnester, die ohne Gewürz ­fader sein würden als Kartoffeln und sogar ekelhaft sind. ... Unser Kartoffelpfarrer hatte­ zwölf lebendige Kinder, da aber der Herr ­seine Unmittelbaren vorzugsweise zu segnen pflegt, so kann die Kartoffel hier unschuldig sein.«

Da konnte man sich bei und mit der Zubereitung der Knolle von Bürger und Bauer unter­scheiden. Dies nicht erst seit Einführung der Kartoffel, sondern bereits Jahrhunderte vorher war die Tafel (nicht nur bei Artus) ein Ort der Trennung, der Zurschaustellung von Reichtum und des Ausschlusses des gemeinen Volkes (dem man aber bei groߟen Festlichkeiten wie der Landshuter Hochzeit zeigte, was man aߟ).

 
Noch am Ende des 18. Jahrhunderts wird von Wissenschaftlern erörtert, ob der Verzehr von Kartoffeln zum Wahnsinn beitrage. Eine abschlieߟende Be­wertung muߟ hier jedoch unterbleiben.

Im 1798 in Gotha erschienenen »Noth- und Hülfs­büchlein oder lehrreiche Freuden- und Trauer- Geschichten der Ein­wohner zu Mildheim« ist zu lesen:
    »Bey diesem vielfachen Nutzen sind nun die Kartoffeln auch eine so ergiebige Frucht, daߟ sie die Aussaat oft fünfzigmahl und drüber wieder geben, und sie halten sich gut bis zum Anfang des Sommers, wenn man im Herbst die unbeschädigten aussucht und sie in Gruben verwahrt. Für Schweine und Rindvieh sind sie ein gutes Futter.«

Dagegen H. M. Fuchs über den Ackerbau im Sulmtal (bei Graz) 1931 in der »Zeitschrift für Volkskunde«:
    »Sie dienen meist als Schweinefutter. Zu menschlichem Genuߟ wer­den sie heute noch häufig mit innerem Widerstreben verwendet. Sie gelten als -€șkrämpfig-€č. Die bäuerlichen Dienstboten würden einen täg­lichen Genuߟ, wie er doch in vielen Gegenden Deutschlands gang und gäbe ist, unbedingt ablehnen.«

Frühe Ärzte behaupteten, daߟ in der Knolle winzige Mengen des »Mond­schein­­giftes« enthalten seien, das Rachitis und Schwindsucht verursache, Magen­grimmen fördere und im übrigen Gehirnschäden verursache. Ein Ver­gleich sei erlaubt: Damals wurde die Knolle verteufelt, heute wird die Gen-Kartoffel als ultima ratio gefeiert. Die gleiche Medaille, nur umgekehrte Argumentation.

E. Zeiher übersetzt 1756 ein bereits 1742 in Frank­­reich veröffentlichtes Werk »Vollständiger Unter­­richt von Küchen­gewächsen«:
    »Von Erdoffeln. Beschreibung der Erdäpfel.

    Die Pflanze ist ursprünglich aus Amerika, aus dem Lande der Topinambous gekommen, daher man auch im Französischen der Pflanze­ diesen Namen giebt; man nennt sie auch Pomme de terre.«

Pfarrer Elias Friedrich Schmersahl aus Celle ver­öffentlicht 1757 eine Abhandlung über die Knollen­wurzeln:
    »Die Erdäpfel theilen sich überhaupt in zwo Arten. Die eine behält den Namen der Erdäpfel, wegseht unter hohen und harten grünen­ Stan­gen, die inwendig mit einem Pettiche, wie der Holunder, versehen sind, und wech­set so sehr, daߟ auch die zer­stückelte Schale, wenn man sie in den Garten hineinwirft, Wurzeln zu schlagen pfleget. Die andere macht die Tartuffel aus.«

Auch Heinrich Wilhelm Döbel trennt schon 1747 zwischen Kartoffel und Topinambur:
    »Jedoch, wenn man deren Gewächse genau betrachtet; so sind diese meistens rund, wie die Erd-Aepffel. Hingegen hat die andere Art Erd-Aepffel an den Enden fast eine läng­liche Spitze oder Stiel wie eine Birne. Also ­können die letzteren wohl Erd-Birnen, und die ersteren mit Recht Erd-Aepffel genennet werde.«


In der »Hausmutter« (herausgegeben in der Jahren 1778 bis 1781) des Pastor Christian Friedrich Germers­hausen aus dem märkischen Schlach bei Treuenbrietzen wird der Kartoffel andererseits unter den vegetabilischen Nahrungs­mittel nur ein geringer Wert beigemessen, da sie der Gesundheit schade und nicht einmal als Viehfutter zu gebrauchen sei. In einem Be­richt aus Schlesien heiߟt es: »Man kann sie fast nicht wieder ausrotten, ohne wenn man Hanf in selbigen Acker saet«. Dies gilt nicht für die Kartoffel, wohl aber für den Topinambur. In seinem »Haus­vater« 1795 schreibt Germershausen:
    »Diese vor einigen 50 Jahren bey uns gemein gewordene Frucht versteht jeder Bauer oder Tagelöhner nachgerade gut anzubauen.«
In den Küchengärten, so stellt Pfarrer Schwager aus Jöllenbeck im »Westphälischen Magazin« 1786 fest, wurden als »Küchenkräuter« Kohl, Erbsen, Bohnen, gelbe und weiߟe Rüben und Kartoffeln angebaut:
    »Diese Küchengewächse zu ziehen, fordert wenig Mühe und Ge­nauig­keit. Der Bauer be­arbeitet deswegen seinen Garten ebensowohl mit dem Pflug als das Feld.«
Goethe (in Weimar) schreibt am 4. April 1827 an Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck:
    »Auf der vorhergehenden Seite fand ich ­unten pp. Maranta L. und dabey die Anwendung: -€șDie Wurzeln heiߟen Topinambours und wer­den geröstet gegessen-€č. Nun ist mir unter diesem französischen Namen eine Kartoffel oder besser gesagt, erdäpfelige Pflanze gar wohl bekannt, die hier in groߟer Menge gebaut wird, hochstenglicht wächst und alle Winter im Freyen aushält. Soll denn diese Topinambours-Pflanze, die, wie mir bekannt, aus Schweden zu uns gekommen ist und ein treffliches Viehfutter liefert, eine Maranta seyn? und in wahrer Verwandtschaft mit der Maranta indica, welche das Arrow-root, die Pfeil-Wurzel, liefert, stehn?«
 
In den »Neuen Lübeckischen Blättern« wird im Januar 1847 empfohlen, auf den Anbau von Steckrüben, Wurzeln und Hülsenfrüchten auszuweichen. Im übri­­gen habe man
    »vor dem Anbau der Kartoffel alle diejenigen Leute ab­zumahnen, welche durch das Fehlschlagen der Ernte eine empfindliche Ent­­behrung erleiden können.«

Im Hessischen wurden nur fünfzig bis sechzig Pro­zent einer normalen Kartoffel­ernte erzielt, so daߟ selbst angefaulte Kartoffeln gegessen werden muߟten und sich auch dadurch Krankheiten unter den geschwächten Menschen verbreiten. In der Oberpfalz wird im Oktober 1846 empfohlen, die Kartoffel ganz oder geschnitten zu dörren, Kartoffel­mehl zu bereiten oder die Knolle selbst im gesottenem Zustand auf­zubewahren.
    »Es ist hiebei keineswegs zu verkennen, daߟ diese Maߟregeln im Groߟen schwer durchführbar sind, allein den Kleinbegüterten oder Besitzlosen wird es auf diese Weise leicht, sich vor gänzlichem Mangel zu schützen«,
schrieb die Regierung der Oberpfalz.

1853 hieߟ es in derweitverbreiteten »Allgemeinen Deutschen Real Encyclopädie für die gebildeten Stände«:
    »Die Kartoffel hat auߟerordentlich günstigen Einfluߟ auf das Wohlsein der Bevölkerung gehabt, weil sie die häufige Wiederkehr ­jener Hungers­noth verhinderte, die ganz ­Europa heimsuchte, sobald die Ge­treide­ernte mis­rathen war.«

Aber für die besseren Stände war nicht die verfaulte Kartoffel schuld, son­dern »das durchs Verbrennen der Streichzündhölzer entstehende Phos­phor­gas«.

Der Nationalökonom und damalige amerikanische Botschafter in Deutsch­land Friedrich List berichtet 1844 in der »Augsburger Zeitung« über die würt­tem­bergischen Zustände:
    »Kartoffeln ohne Salz, eine Suppe mit Schwarzbrot, zur höchsten Not­durft ge­schmälzt, Hafer­brei, hier und da schwarze Klöߟe. ... Ich habe Reviere gesehen, wo ein Hering an einem an der Decke befind­lichen Faden mitten über den Tisch hängend unter den Kartoffel­essenden von Hand zu Hand herumging, um jeden zu befähigen, durch Reiben an dem ge­meinsamen Tafelgut seiner Kartoffel ­Würze und Geschmack zu geben.«

Im Spessart (und sicherlich auch anderswo) wurde beim Kauf von Heringen (nur für die arbeitenden Familienmitglieder) darauf geachtet, daߟ möglichst viel Tunke dabeigegeben wurde, damit die nichtarbeitende Familienmitglieder wenigsten den Ge­schmack von Hering zu den allgegenwärtigen Kartoffeln bekämen. Und Georg Büchner im Zusammenhang mit den europaweiten Getreide­miߟernten 1847:
    »Der materielle Druck, unter welchem ein groߟer Teil Deutschlands liegt, ist ebenso traurig und schimpflich als der geistige; und es ist in meinen Augen bei weitem nicht so betrübend, daߟ dieser oder jener Liberale seine Gedanken nicht drucken lassen darf, als daߟ viele tausend Familien nicht imstande sind, ihre Kartoffeln zu schmälzen.«

Über die schlesische Hungersnot 1844 heiߟt es bei Alexander Schneer, der einen Vorschlag zur Linderung der Not der Leinen-Arbeiter in Schlesien unterbreitet:
    »Seit sieben und mehr Jahren haben sich die Unglücklichen nicht mehr irgendein Kleidungsstück beschaffen können, ihre Bedeckung besteht aus Lumpen, ihre Wohnungen verfallen, da sie die Kosten der Herstellung nicht mehr aufbringen können, die miߟ­ratenen Ernten der Kartoffeln, namentlich in den beiden letzten Jahren, haben sie auf die billigeren wilden oder Viehkartoffeln und auf das Schwarz- oder Viehmehl angewiesen; Fleisch kommt nur bei einigen zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten ins Haus, und dann für eine Familie von fünf bis sechs Personen ein halbes Pfund! Schenkt der Bauer ihnen ein Quart Buttermilch, oder tauschen sie es für die Kartoffelschalen bei ihm nach langem Aufsammeln ein, so ist dies ein Festtag.«

Der Berliner Arzt Rudolf Virchow, der sich mit den Ursachen des Hunger­typhus befaߟte, berichtet aus den Jahren 1846 und 1847 über die Er­nährungs­situation der armen Leute im Spessart, deren Nahrung deutlich schlechter war im über­regionalen Vergleich als (zum Beispiel) die der Berliner Arbeiter:
    »Die Kartoffel miߟrieten so vollständig, daߟ an manchen Orten es nicht der Mühe wert schien, sie auszunehmen. Die Schweine, der gröߟte Reichtum des Spessarts und seine Haupteinnahmequelle, muߟ­ten frühzeitig ver­kauft werden, als die Kartoffelernte nicht einmal den Menschen Nahrung sicherte.«

1848 schreibt er in den »Mittheilungen über die in Oberschlesien herr­schende Typhusepidemie«, daߟ
    »selbst in den Kreisen der Gebildeten die gewöhnliche Phrase (sei), daߟ sie (die Oberschlesier) sich einzig und allein von Kartoffeln genährt hätten. ... Die Kartoffeln haben seit Menschengedenken den Hauptbestandteil der Nahrung ausgemacht. ... Als die Not immer drückender wurde, blieb nur noch das Kraut übrig. Danach griff man zu Surrogaten und nahm grünen Klee, Quecken, kranke und faule Kartoffeln.«

Über die Situation in der Ostschweiz heiߟt es in der »Beschreibung der schweizerischen Alpen und Landwirtschaft« von Johann Rudolf Steinmüller von Glarus:
    »Sehr viele Weibsleute sehen blaߟ im An­gesicht aus, und ein groߟer Teil von diesen hat einen zwergartigen unvollkommenen Wuchs, letzteren ihrer beinahe lebenslänglich dauernden sitzenden und vorwärts eingebogenen Spinnerlebensart und ersteres sowohl dieser als aber auch ihren gewöhnlichen Nährmitteln zuzuschreiben, die an vielen Orten darin bestehen, daߟ die ganze Haushaltung drei bis viermal Kaffee trinkt, das heiߟt nebst einem Stück Brot eine elende Brühe von Zichorien, Bohnen, Eicheln, Erdäpfeln und dergleichen, worunter einige Kaffeeböhnchen vermischt werden, genieߟt und zwar noch sehr oft aus Mangel an Milch diese dabei entbehrt und diese ihre Eicheln- und Erbsenbrühe unvermischt verschlingt. Stockt der Verkauf des Baumwollgarns und wird der Spinnerlohn klein, so erreicht hier die Armut einen unbeschreiblichen Grad.«

Am 21. April 1847 beginnt in Berlin die sog. »Kartoffelrevolution«, weil alle Preise aufgrund der Miߟernten stark ansteigen, Die Berliner Arbeiter stürmen die Marktstände und holen sich die Nahrung für ihre Familien. In einem zeitgenössischen Gedicht heiߟt es dazu:
    »Da zürnt das Volk und will gesättigt sein,

    Und stürmt den Markt und ein-€™ge Wucherläden;

    Der König trinkt indessen seinen Wein

    und sammelt sich zu neuen Landtagsreden.«

Aber dennoch eilte das Volk jederzeit zur ­Fahne, wenn der König resp. das Vaterland rief.

Michael Spehr (in »Maschinensturm«) zeigt in einer Übersicht, daߟ im Hungerjahr 1848 nicht nur das Bürgertum versuchte, sich politisch zu ­befreien, sondern daߟ Handwerker, Hausindustrielle und Arbeiter gegen die Einführung von Maschinen besonders heftig protestierten: 32 Maschinenzerstö­rungen, sechs Volksunruhen, acht Demonstrationen, vier Streiks und eine nicht mehr feststellbare groߟe Anzahl (vergeblicher) Petitionen und Bittschriften -€“ lieber hungerten die Arbeiter als gegen die Obrigkeit »tumultuarisch« vorzugehen. Immer wenn im 19. Jahrhundert die Kartoffel knapp wurde, kam es zu Protestaktionen gegen die Maschinen, insbesondere bei den (relativ hoch bezahlten) Baumwollweber, bei den Buchdruckern und bei den Kattundruckern (in Böhmen etwa 300 ­Taler Lohn im Jahr gegenüber 100 Taler für Schullehrer und etwa 150 für Bäcker, Sattler und Drechsler).

 
Auch wenn Einiges falsch war: Zur Verbreitung der Kartoffel als Nahrungs­mittel hat die »Hausväter«-Literatur beigetragen, obwohl nur in deren umfangreicheren Werken die Kartoffel erwähnt bzw. behandelt wird. Die Kartoffel hat ihren festen­ Platz im Küchengarten -€“ zumeist hinter Kohl, Zwiebeln und Lauch wie Bettina Niemeck fest­gestellt hat. Erst 1747 im »Geschickter Hausvater und fleiߟige­ Hausmutter« von Döbels wird die Knolle auch in ­einem Abschnitt über den Ackerbau berücksichtigt. Im 18. Jahrhundert wandelt sich ­diese Literaturgattung von einer mehr deskriptiven Sicht der Dinge zu einem moderneren Ansatz, der insbesondere Reformen der land­wirtschaftlichen Struktur vorschlägt. Goethe, der Geheimde-Rat, (1812 in Jena) in einem Brief an Thomas Johann Seebeck:
    »Die Oeconomen sind nun schon dahinter her, welche Kartoffel die stärkereichste und zugleich an Menge der Knollen die ergiebigste ist.«

Noch 1817, also etliche Jahrzehnte nach der feldmäߟigen Ausbreitung der Knolle auf bayerischem Acker, Johann Evangelist Fürst in einem in Passau heraus­gegebenen»Lehr- und Exempel-Buch«:
    »Wenn nämlich die Kartoffelknollen (Äpfelchen) noch etwas hart und grün sind, so werden sie abgepflückt und zum Einsalzen gesammelt.«

Kartoffeln abpflücken, wenn sie noch hart und grün sind, in eine Salzlake zu legen und dann
    »So lange der Essig etwas warm ist, wird er nebst den eingemengten Kräutern abgeklärt, die Fruchtknollen in ein gläsernes Gefäߟ getan, welches mit Papier wohl überdeckt und zugedeckt wird, um sie zum Gebrauch aufzubewahren, wo dann diese Kartoffelknollen das An­sehen von Oliven haben und wie Gurken gebraucht werden können.«

Wie Gurken zu gebrauchen! Der Mann hatte wahrscheinlich nie eine Kartoffel gesehen, und wenn er seinen Rezeptvorschlag vorher im Eigenversuch geprüft hätte, wäre sein Buch wohl nicht mehr geschrieben worden. Anderer­seits stellt Fürst die Bedeutung der Knolle für die Menschheit dar:
    »Wie billig (gemeint ist »recht« d.A.) beginnen wir mit den Kartoffeln, diesem Brode der Armen und wahren Uni­versalgemüse aller Völker. Man müߟte für die Mensch­heit fürchten, wenn ihr die Kartoffel genommen werden würde.«

Zwischen dem Lesen eines Rezeptes bis zum Kochen vergeht viel Zeit, da die wenigsten Hausfrauen die Speisefolge länger vorausplanen und ihnen beim Krämer immer nur wieder ihre vertrautes, schon von der Groߟ­mutter her bekanntes, Küchen­repertoire einfällt. Aber es gilt auch: »Es ist selbst­­verständlich, daߟ man kocht, wie die Männer es wünschen.« Utz Jeggle schreibt:
    »Es braucht auch mich nicht mehr zu wundern, daߟ mein Groߟvater alles gerne aߟ, was auf den Tisch kam, wie er immer wieder betonte. Das, was er nicht mochte, kam eben erst gar nicht auf den Tisch. Die Groߟmutter beschützte durch Vorauswahl der Rezepte den Groߟvater vor Neuerungen und vor dem peinlichen Eingeständnis seiner Mäklig­keit.«

Unter diesen Umständen war es sicherlich besonders schwer für die Kartoffel als Nahrungsmittel anerkannt zu werden, wo Groߟvater -€“ Herr über Küche und Köchin (»Wie dr Koch, so d-€™ Küch-€™« sagt man im Schwäbischen, wenn man »Griebe­schneckle« macht) -€“ doch an Buchweizen und Hirsebrei gewöhnt war (»So schmeckt-€™s ja ao wiadr«).

Groߟmutter -€“ wie auch andere Frauen aus der Arbeiterklasse -€“ kochten im übrigen das, was am schnellsten und einfachsten herzustellen war, denn ihr Tag (auch wenn sie nicht in der Fabrik arbeiteten) war wahrlich anstrengend und zeitaufwendig. Kartoffelkochen bedeutete für Groߟmutter, sich zwanzig Minuten ausruhen zu können, anders als beim Herstellen von Getreidebrei, der ständige Aufmerksamkeit erforderte.

Eߟkultur, so hat Julie A. Mennella aus Philadelphia festgestellt, beginnt bereits bei der Säuglingskost; wenn-€™s da keinen Kartoffelbrei gibt, wird auch der Erwachsene keine Knollenpräferenz entwickeln. Men­nella stellte fest, daߟ in fast allen Kulturen bestimmte Regeln (teilweise tabuisiert) für die Ernährung der Säuglinge bestehen; verschiedentlich erhalten Neu­geborene -€“ selbst wenn sie später lange gestillt werden -€“ zunächst ausschlieߟlich oder zusätzlich andere Kost. Mexikanische Frauen essen während der Schwangerschaft und der Stillzeit übermäߟig ­groߟe Mengen Chili, dadurch lernt das Kind, die natürlicher­weise bestehende Abneigung gegen das scharfe Zeug abzulegen. Die ersten Spanier interpretierten bei der Eroberung Mittelamerikas diesen Brauch als ein Zeichen von Kannibalismus, weil sie dachten, die Kleinkinder würden mit Blut eingerieben (was vielleicht auch möglich gewesen ist).

Es muߟ ernsthaft bedacht werden, daߟ erst der Konsum gekochter Gemüse­knollen den Austra­lo­pithecus in die Lage versetzte, sein Hirn auf knapp 1400 Kubikzentimeter zu entwickeln und damit als homo sapiens sapiens die Welt be­herrschen lernt. Der Harvard-Anthropologe Richard Wrangham weist in ­einer neuen Theorie daraufhin, daߟ die Zugabe von gekochten Knollen zu einer Diät, die vor­wiegend aus Nüssen, Beeren und ungekochten Knollen be­stand, die Brennstoffzufuhr (25 Prozent des Sauer­stoffs sind für das Zentralnervensystem) um rund vierzig Prozent gesteigert hätte; die Er­findung und Beherrschung des Feuers war der entscheidende Schritt, weil Kochen und Erhitzen die Nährstoffe aufschlieߟt und giftige Bestandteile der Pflanze unschädlich macht, mit denen diese sich vor dem Gefressenwerden schützt.

Und auߟer­dem setzt die Bräunungs-Reaktion eine Fülle von appetit­­anregen­den Aromastoffen frei (ein Rückverweis: Hat Columbus Amerika auch deshalb entdecken dürfen, weil im holzarmen Spanien das lau­warme Mittagessen dem Hidalgo nicht mehr schmeckte?). Wir werden später -€“ im Zusammenhang mit Nebenwirkungen der Kartoffel -€“ auf die Folgen der Bräunung zurückkommen.

 


Anmerkungen

 

48             Vor der Neuaufteilung Deutschlands in Folge der Napoleonischen Kriege setzte sich die spätere bayerische »Rhein-Pfalz« (1818 bis 1919) aus siebenundvierzig verschiede­nen Territorien zusammen. Die »Kurpfalz« reichte nach Heidelberg, Mannheim, in den Odenwald und zum Kraichgau. Das Herzogtum »Pfalz-Zweibrücken« war ein eigener Herrschaftsreich mit dem Stammgebiet um Zweibrücken herum und mit Besitzungen im Hunsrück, an der Mosel und im Elsaߟ.          zurück

 

49             Christoph Lichtenberg 1777: »Die Wälder werden immer kleiner, das Holz nimmt ab, aber was wollen wir anfangen? Oh, zu der Zeit, wenn die Wälder aufhören, können wir sicherlich so lange Bücher brennen, bis wieder neue auf­gewachsen sind.«        zurück

 

50             Im November 1996 wird endgültig anhand eines »genetischen Fingerabdrucks« festgestellt, daߟ Kaspar Hauser nicht der letzte Zähringer ist und somit die Erbfolge in Baden nicht neu geschrieben werden muߟ. Wahrscheinlich war der Kaspar nur eines der damals regelmäߟig ausgesetzten unehelichen Kinder einer bäuerlichen Dienstmagd aus dem heutigen Polen. Es ist dem Autor nicht bekannt, ob der 1799 in Aveyron entdeckte Wolfsjunge »Victor« Kartoffeln mochte.           zurück

 

51             1815 brach der Vulkan Tambora auf Indonesien aus, was dazu führte, daߟ das Jahr 1816 als »Jahr ohne Sonne« in die Geschichte einging.           zurück

 

52             Als Gotzkowsky mit seiner königlich privilegierten »aechte porcelaine fabrique« vor dem Ruin stand, griff Friedrich II. ein und erwarb sie für 225.000 Taler mit allen 146 Beschäftigten. Gotzkowsky hatte mit seinem Privatvermögen dafür gesorgt, daߟ die Russen aus Berlin gingen.           zurück

 

53             Es ist belegt, daߟ bereits 1494 in Straߟburg »Weih­nachts«­-Bäume (wahr­schein­­lich Buchsbäume) mit Süߟigkeiten und Obst geschmückt wurden und 1561 im elsässi­schen Ammerschweier bzw. 1556 in Schlettstadt das weih­nacht­liche Abholzen unter­sagt wurde und 1605 berichtet ein unbekannter Chronist von »Dannenbäumen«, aber der Kaufmann Gotzkowsky wird für seine Kinder keinen Baum verziert haben, mit einem Gemüse, das nicht -€˜mal die ­Schweine mochten -€“ bei aller Verehrung für seinen König (sooo wichtig waren für den »Alten Fritz« die Kartoffeln nun auch wieder nicht!). Das Schmücken von Bäumen war nur im hochmögenden Adel und einzelner reicher Bürger­familien bekannt.  

Der geschmückte Baum zu Weihnachten ist das einzige Fest, das uns an die vorchristlichen »heidnischen« (die »Heiden« waren doch gläubiger als die »Christen« heute, nicht wahr?) Zeiten erinnert; nur ein einziger Baum in europäischen Breiten strahlt im Winter Licht und Wärme aus -€“ der Weihnachts­baum. 1441 soll in Estland der erste Weihnachtsbaum öffentlich aufgestellt und geschmückt worden sein. 

Auߟerdem: Der Adventskranz (der mit den vier Kerzen) ist etwa 1870 von dem Ober­kirchenrat Johann Heinrich Wichern im Hamburger »Rauhem Haus« erstmals auf­gestellt worden und nach kurzer Zeit auch in Berlins damals gröߟtem Waisenhaus in Tegel üblich geworden. Kranz und Krone sind uralte heidnische Symbole (zu Ostern); von Norddeutschland verbreiteten sich die vier Kerzen als Symbole der Macht des Lichts über die Dämonen der Finsternis in den Süden. Der Ringzauber soll Segen bringen und Unheil abwenden; die roten und goldenen Bänder sollen die Dämonen abschrecken.           zurück

 

54             Ludwig Tieck: »1. Abscheuliches Nest, 2. Schlimmes ­Klima, 3. Schlechte Wohnungen, 4. Rohe Nation.«          zurück

 

55             Gerd Paczensky und Anna Dünnebier stellen in »Leere Töpfe, volle Töpfe« die Frage, ob die Vorschläge Dubois-€™ vielleicht Anregungen für den Wohlhabenden sein sollten hinsichtlich der Ernährung ihres Gesindes. Wir haben bereits im Zusammenhang mit der Hausväterliteratur darauf hingewiesen, daߟ die Bauern, Tagelöhner und Manufakturarbeiter wohl weder lesen konnten noch Geld übrig hatten, um solche gedruckten Ratschläge zu kaufen.           zurück

 

56             Natürlich ist eine Biographie über Graf Rumford erschienen -€“ aber einen ersten Ein­druck von/über diesem Menschen vermittelt Günter Grass im »Butt«.           zurück

 

57             Rumford meinte, daߟ das Kaffeewasser stets frisch sein solle und nahe am Siedepunkt, Kaffee und Wasser sollten auch nie zusammen aufgekocht und gekochter Kaffee solle niemals mehr aufgewärmt werden. Stimmt: Nur kalter Kaffee schmeckt zu Kartoffelpuffern.          zurück

 

58             Dennoch blieb es noch lange dabei: »Der Beck-€™ gehört ans Eck«. Und der Schmied auch.          zurück

 

59             In Venedig hieߟ es über diesen Ofen 1791: »Beschreibung des Ofens aus Penn­sylvanien, erfunden vom amerikanischen Herrn Franklin, durch dessen Einführung in Italien die Menschen von Erkältungen und verschiedenen anderen Leiden verschont bleiben, die sie sich durch Zugluft zuziehen, welche durch Ritzen und Türen im Zimmer eindringt, die mit gewöhnlichen Kaminen ausgestattet sind«           zurück

 

60             Urbarmachung bedeutete im Ergebnis an vielen Stellen Brandrodung und damit die Vernichtung jahrhunderte­alten Baumbestandes. Nach vielen Kriegen -€“ am schlimmsten der Dreiߟigjährige -€“ hatten die Leute nicht mehr die Kraft, Land unter ökologischen Ge­sichts­punkten urbar zu machen. Die Kolonisierung in Ostdeutschland war zugleich der Beginn einer weiteren Waldzerstörung, da mit der Rodung der Wälder kein Aufbauplan verbunden war.  

Fehlender Waldbestand führte zu fehlendem Holz, was wiederum zu Heizungs­problemen führte. Es zeigen sich an diesem ein­fachen Beispiel die Inter­dependenzen, die mit Eingriffen in die Natur verbunden sind. Im ausgehenden 20. Jahrhundert müߟte man wissen, daߟ die »ungeordnete« Brandrodung in Südamerika oder auf den Philippinen auch auf anderen Erdteilen Auswirkungen zeigt Die Brandwirtschaft ist auch bekannt unter den Bezeichnungen Hauberg-, Schwend- und Egartenwirtschaft im Siegerland und in den Alpen, als »écoubage« in Frankreich und als «slash-and-burn« in England. 

Um der drohenden Vernichtung der Wälder zu begegnen, wurden zum Beispiel von den Herzögen von Mecklenburg mit die ersten deutschen Umwelt­schutz­bestimmungen erlassen:
    1562 Anordnung zum Bau von Stuben in den »Hallenhäusern«, um Brennholz einzusparen und Genehmigungspflicht für Bäume­fällen

    1660 Einsetzen von Forst- und Wildmeistern und (erneut) eine Genehmigungspflicht für Bäumefällen

    1690 Verbot des »Plaggenhauens«, das heiߟt der Verwendung von Waldstreu zw. Abbau der Humusschicht auf Heideflächen

    1700 Anordnung, daߟ anstelle einer gefällten Eiche oder Buche sechs junge Eichen oder Buchen zu pflanzen sind

    1707 strenges Verbot der Ziegenhaltung und Beschädigung von Nuߟsträuchern 


Wegen des knappen Holzes wurden -€“ nicht nur in Mecklenburg -€“ immer wieder Forst- und Waldordnungen auf­gestellt: 1502 in Tirol, 1514 in Württem­berg, 1531 in Ansbach, 1532 in Hessen, 1536 wieder in Württemberg, 1547 in Braunschweig-Wolfenbüttel, 1557 Vorderösterreich, 1639 das münstersche Edikt »wegen des schädlichen Holz­hauens«, 1666 in Westfalen, 1669 in Paderborn, 1771 wieder in ­Münster. Der Holzmangel bei der armen Landbevölkerung war um 1800 so schlimm, daߟ die Hecken nicht hochkamen. Bereits 1339 bestimmte das Markweistum von Bevern, daߟ zum Verfeuern nur Weichholz, aber nicht Buche oder Eiche (wegen der Bedeutung für die Schweinemast) genommen werden dürfe. In Todtnau im Schwarzwald wird in der Waldordnung von 1464 beklagt, daߟ »wie wäld vnd höltzer ungewöhnlichen gewiest, erhauwen vnd vnzimblichen gepraucht werden.« In Westfalen galt, daߟ der Hofhörige nur soviel vor sich hauen, als er hinter sich pflanzt; oft sollten für jeden gefällten Baum sechs neue gepflanzt werden. Die Strafen gegen Forstvergehen waren drastisch -€“ aber das galt für fast alle Strafen.  

1805 werden von Jaߟnüger Kartoffelknollen als Mittel gegen den Holzmangel empfohlen:
    »Bei dem allenthalben überhand nehmenden Holzmangel und bei der groߟen Theuerung der übrigen Brennmaterialien verdient der holzige Faserstoff der Kartoffelknollen um so viel mehr Aufmerksamkeit, da die Menge desselben im Durchschnitt über 10% beträgt, eine Quantität, welche den Verbrauch der Brenn-Materialien in einer solchen Stärkefabrik -€“ sie mag sogar mit einer Branntweinbrennerei oder Essigsiederei verbunden sein -€“ weit übersteigt.« 

Holz­knappheit führte zur Entwicklung neuer Öfen (übrigens auch neuer Hausbau-Methoden). Aus neuerer Zeit kommen die Baumsatzungen in den Gemeinden, die das Abhacken bestimmter Bäume verbieten. In China förderte Mao Tse-Tung 1956 das Projekt der »groߟen grünen Mauer« und in den 1970er Jahren gab-€™s die Parole von den »vier Drumherum«: Baumpflanzungen um die Häuser und Dörfer, um die Straߟen und Kanäle.  

Die Dis­kussion über die sicher bevorstehende Erdöl-Knappheit führt zur Entwick­lung neuer Energieträger und spar­samer Energie­verbraucher. Hermann Löns: »Pitzel­kram ist der Naturschutz, so wir ihn denn haben.« dabei übersieht Löns, daߟ die von ihm so geschätzte Lüneburger Heide das Ergebnis menschlichen Wirkens ist und keineswegs aus »natür­lichen« Ursachen das wurde, was sie heute (und damals) ist.  

Zwischen Nordsee und Alpen bestand bis vor etwa 5000 Jahren ein geschlossenes Wald­land; die Aus­breitung der Viehwirtschaft in diesem Wald führte zum Verbiߟ der jungen Bäume und Sträuche, so daߟ es zu einer erheb­lichen Auslichtung des Waldes im Umkreis von Dörfern kam. Die fortschreitende Bodenverarmung -€“ insbesondere durch das im Mittelalter eingeführte» Plaggen« -€“ führte zur Ausbreitung des Heidekrauts. Ohne regel­mäߟige Schafweide ­würde der urtümliche Wald die Lüneburger Heide wieder in Besitz nehmen -€“ und daran kann kein niedersächsisches Touris­musbüro und kann kein Ein­wohner von Hundeklo interessiert sein. Campe meinte 1785 über die Lüneburger Heide bei seiner Durch­reise, daߟ diese »eine der verödetesten, unfrucht­barsten und unangenehmsten in Deutschland« gewesen sei, was dem Urteil anderer Zeit­genossen entsprach. 

Die häufig zu findende Ortsbezeichnung »Galgenberg« verweist auf die Rodung der Bergkuppen, denn (so Pastor Ram­dohr aus Schönhagen) »als ob unsere Vorfahren, besonders auf den Dörfern, weiter nichts zu tun gehabt ­haben, als Menschen auf­zuknüpfen«. »Galgenberg« sei sicherlich entstanden aus »Gallberg« und das käme vom altslawischen »golu« wie »kahl« und also sind die Galgenberge alles »kahle Berge«.          zurück

 

61             Suppenanstalten gab es in vielen Städten und Zeiten: Zum Beispiel in Göttingen 1805 und wieder 1817 oder in Mainz ab dem Jahr 1817 und in München im selben Jahr.           zurück

 

62             Ergänzende Ratschläge: Nicht immer die selbe Firma anschreiben (also eine Liste machen), nicht ausverschämt wirken, sondern hilfsbereit (ich bin seit vielen Jahren Verwender/Genieߟer Ihres Produktes und habe noch nie erlebt, daߟ ...), kein Produkt reklamieren, bei der die an­geschriebene Firma Ihnen einen Fehler nachweisen kann (ich hatte das Eiscreme auf dem Ofen gelegt und plötzlich schmolz es ...), kein Ersatz-Produkt erwarten, das von ­Verona Feldbusch beworben wird (weil der Blubb nicht mit der Bundespost transportiert werden kann). Wenn-€™s was gibt, ist es zumeist mehr als man haben wollte.         zurück

 

63             Suppenanstalten gab es in vielen Städten und Zeiten: Zum Beispiel in Göttingen 1805 und wieder 1817 oder in Mainz ab dem Jahr 1817 und in München im selben Jahr.           zurück

 

64             Dienstboten waren zu jener Zeit so zahlreich und an sich so unterhalb jeglicher Beobachtungsschwelle, wie es heutzutage elektrische Haushaltsgeräte sind.        zurück

 

65             Auf dem Tisch lagen hölzerne Teller und Löffel, Leder­schuhe (anstelle der Holz­pantinen im Alltag) wurden nur an Fest­tagen getragen und nur dann auch die Tracht, die im Winter aus Leinen und Flachs gesponnen war. Bollenhüte (wegen der rotschaligen Erdäpfel) kamen auf.          zurück

 

66           Weil das gemeine Volk die romanischen Sprachen nicht verstand, redete es von den »Welschen«, die Kauderwelsch sprachen. Die Deutschen sprachen die »Volkssprache«, denn »deutsch« kommt von »diot«, was Volk bedeutet. Weiter östlich werden die Deutschen »Niemecki« genannt, die die man nicht versteht.

 

67             Dagegen hatte sich zur selben Zeit schon eine Tradition der Nordamerikaner ausgebildet, die das Korn in den Trog und die Kartoffeln auf den Tisch brachten.           zurück

 

68             Zeitweise war an über einhundertfünfzig Tagen im Jahr der Genuߟ von Fleisch und tierischen Erzeugnissen ver­boten -€“ kleine und groߟe Fastenzeiten regulierten den Nahrungsverbrauch. Deshalb kam es immer wieder vor, daߟ die Menschen auߟerhalb der Fastenzeit und auߟerhalb einer Hungersnot aߟen, soviel sie fassen konnten; im Karne­val fanden die kulinarischen (und sexuellen) Ausschweifungen statt, besonders am Dienstag vor Aschermittwoch, der die Fastenzeit einleitet: »Mardi gras« -€“ fetter Dienstag.  

In Theaterstücken wurde der Kampf zwischen »Karneval« (verkörpert durch Figuren mit den Namen Riesen­-appetit, Spieߟlecker oder Speckdieb, bewaffnet mit Würstchen und Ochsenzungen) und Fastenzeit dargestellt. 

Ein »fetter« Mensch war auch ein »reicher» Mensch. Fastenzeit war ein wichtiges Regulativ für den Fleisch­konsum. Ohne Fastenvorschriften hätte das Wild in den Wäldern nicht für den Adel »reserviert« werden können. Und es hätte­ erhebliche Aus­wirkungen auf die heutige Zeit, denn ­manche (heute noch frei lebenden) Tierarten wären zwischen­­zeitlich aus­gestorben.          zurück

 

69           Andere Länder, andere Sitten: Wenn bei deutschen Hochfesten die Kartoffel als Delikatesse galt, so ist es für die Kung ein besonderer Leckerbissen, den Mageninhalt einer Antilope vorgesetzt zu bekommen. Araber lieben das Fett von Schafsschwänzen, Chinesen eingelegte Bärentatzen, Vogelnester und Haiflossen. Im alten England waren die Schwäne dem Königshaus vorbehalten, während der chinesische Kaiser allein berechtigt war, Kamelhöcker zu verzehren. Und die japanische Braut ist besonders entzückt, wenn ihr ein Pferdekopf zur Hochzeitstafel geschenkt wird.          zurück

 

70             Mit der Formulierung »eine fremde Art von Erd-Aepfeln« kommt auch zum Ausdruck, daߟ die Bezeichnung Erdäpfel schon vor der Einführung der Kartoffel verwendet wurde. Im übrigen: Alles, was unten wächst, sind Kartoffeln, oben sind-€˜s Blumen.          zurück

 

71             Es ist denkbar, daߟ Weber hier den Regensburger Superintendanten Jacob Christian Schäffer meint, der die Kartoffel bei seinen Pfarrkindern propagierte und als einziger Theologe aus Kartoffeln auch Papier herstellte.           zurück

 

72             Virchow war in der Berliner Stadtpolitik sehr aktiv und setzte sich für die Ver­besserung der Bildungssituation und für eine gute gesundheitliche Versorgung der unteren Schichten ein.           zurück

 

73             Mit »Geheimrat « war seinerzeit nicht gemeint, daߟ der Rat im Geheimen wirkte, sondern daߟ ein solcher zum persönlichen Hof des Landesherrn gehörte und dort als Be­rater tätig war. Goethe wurde 1804 zum »Wirk­lichen Geheimen Rat« ernannt, was er bis zur preuߟisch beeinfluߟten Ver­fassungsreform von 1815 blieb.        zurück

 

74             Buchweizen (Fagopyrum esculentum, Heidekorn) ist eine anspruchslose krautige Pflanze aus der Gattung der Knöteriche, die in Europa auf Heide- und Sandböden an­gebaut wurde; die Früchte sind dunkel­braune kantige ­Nüsse, die den Bucheneckern ähneln. Buchweizengrütze dient heute­ nur noch als Viehfutter. Buchweizen hat mit »normalen« Getreidesorten, die alle zur Familie der Gräser ge­hören, nichts zu tun.           zurück




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