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Die Kartoffel in den Alpen
Kartoffeln in Österreich
Ein paar Wortezur österreichischen Erdäpfelgeschichte. Auf Maria Theresia und Carolus Clusius und seine Wiener Zeit ist schon hingewiesen worden. Insgesamt läßt sich aber für das später »Ostmark« genannte Gebiet feststellen, daß der Erdäpfelanbau äußerst zögerlich sich entwickelte.
Seit den Zeiten Clusius als Vorsteher der kaiserlichen Gärten in Wien ist der Erdäpfel in den botanisch-medizinischen Gärten Österreichs angepflanzt worden. Vielleicht ist Clusius nach seinem plötzlichen Wegzug aus Wien (nach Frankfurt am Main) im Kloster Seitenstetten vorbeigekommen und hat für Speis, Trank und Logis einige seiner wertvollen Knollen dagelassen, aber erst mehr als dreißig Jahre später wird dies in einer Schrift des Abtes dokumentiert.
1621 wird in dem seit dem 12. Jahrhundert bestehenden Kloster Seitenstetten ein Werk in lateinischer Sprache mit 104 Seiten im Kleinfolioformat mit dem Titel »Nova Typis Transacta Navigatio. Novi Orbis Indiae Occidentalis«, »Die neue, in Druck gesetzte Seefahrt« von Honorio Philopono veröffentlicht. Drei Jahre später druckt der Protestant Johan Blancke in Linz mit denselben Kupferstichen »Extract vnd Außzug. Der grossen vn(d) wunderbarlichen Schiffahrt / Buelij Cataloni, eines Abbten deß heiligen Orden S. Benedicti«.
Das Buch wurde sehr wahrscheinlich geschrieben von dem Abt Kaspar Plautz (gestorben 1627) und zwar unter dem Pseudonym Honorio Philopono, ein ehrenwerter und fleißiger Mann. Pater Benedikt Wagner OSB hat Geschichte und Inhalt dieses Werkes zusammengetragen.
Danach war Kaspar Plautz ein vielseitig interessierter Mann, der sich neben vielen anderen Gebieten auch mit Alchemie beschäftigte und sich für den Bau von Sonnenuhren interessierte. »Nova typis transacta navigatio« beschäftigt sich mit der Missionierung in der Neuen Welt und den Sitten, Gebräuchen und Künsten der Bewohner in Amerika und enthält achtzehn Kupferstiche von dem Augsburger Wolfgang Kilian, darunter ein Stich (Tafel 9) mit einer Kartoffel mit Same, Blüte, Frucht und Knollen.
Plautz schreibt zu diesem Bild:»Aber auch noch andere sehr gute, schmackhafte und eßbare Wurzeln haben diese Inselbewohner in Fülle, wovon sie sich Brot und Trunk bereiten. Vor allem gebrauchen sie die Bananaspflanze........ dann die luccas- oder Agespflanze....... und schließlich die Pflanze, welche die Indianer Opanavuck, die Spanier aber Papas oder indische Bacaras nennen. Diese Frucht ist süß nach Art von Mandeln, weiß und fest. Eine Menge davon hat bereits mein Hochwürdiger Herr Abt im Garten unseres Klosters. Er hat sie durch einen belgischen Gärtner aus Antwerpen erhalten. Es ist das eine Pflanze, die vom Erdboden bis zu einer Höhe von zwei Ellen und mehr emporwächst und weißrote Blüten trägt, welche nachher zu Früchten voll ganz kleiner Samen und von säuerlichem Geschmack ausreifen. Die Wurzel aber breitet sich in der Erde in vielen Verzweigungen aus. Aus dieser Wurzel sprossen viele Knollen nach Art großer Kastanien.«
Plautz widmete sein Werk dem Abt des Klosters, also sich selbst, in dem er es unter seinem Pseudonym veröffentlichte. So gelingt es ihm, zu loben, daß der Abt die Kartoffel nach Seitenstetten gebracht hat. Er habe sie von einem belgischen Gärtner erhalten und hätte schon eine ganze Menge davon im Klostergarten. Plautz sieht die Kartoffel zu jenem Zeitpunkt nicht mehr als Kuriosität an, obwohl sie äußerst selten und nur in wenigen Adels- oder Botanikergärten zu finden war. Der Abt gibt sogar Hinweise auf eine praktische Verwendung unserer Knolle»Diese Knollen dienen zu einer sehr köstlichen Speise, wenn du sie auf folgende Weise zubereitest: Siede diese Bacaras oder Papas in gewöhnlichem Wasser oder wickle sie in Papier und brate sie in Asche, bis sie weich werden; dann ziehe ihre rote Haut ab. Wasche es dann rein, dann erhältst du ein sehr weißes Fleisch, zerstoße es dann und mische etwas Zucker und Rosenwasser sowie Zimtgewürz bei, füge noch Butter hinzu, backe es, und wenn du es noch dicht mit Mehl bestäubst, dann hast du eine Torte oder ein Bescheidessen von königlichem Geschmack.
Salat kannst du aber aus den Knollen auf folgende Weise herstellen: Nimm diese Bacaras oder Papas, reinige sie, koche sie weich und schneide sie in Scheiben, füge Öl, Essig, Pfeffer, Salz oder Zucker hinzu und koste! Oder wenn du magersüchtige Menschen oder Schwindsüchtige heilen und dick machen willst, dann reinige diese Papas und koche sie mit dem Fleisch von Kapaunen, Hennen oder Hammeln. Suppe und Brühe davon bilden eine sehr nützliche und heilsame Nahrung.«
Erstaunlich ist, so Pater Bernard Wagner, daß trotz der Aktivitäten des Abtes Plautz die Kartoffel nicht auf dem Speiseplan des Klosters zu finden seien.. In dem Kochbuch des Klosters aus dem Jahr 1640 sei kein Hinweis auf Kartoffeln zu finden. Auch in den sehr sorgfältig geführten Kämmereirechnungsbüchern, die die Küchenausgaben genau aufführen, fehlt jeglicher Hinweis auf die Kartoffel. Für den Nachfolger des Abtes Plautz spielten die Kartoffeln keine Rolle mehr, sie waren nur noch eine Kuriosität des Vorgängers.
In »Nova typis transacta navigatio« ist als Tafel 15 ferner eine der wichtigsten Vorläuferpflanzen der Kartoffel abgebildet: Der Topinambur, hier Chrisanthemum Peruvianum genannt.
1624 druckt Johann Plank in Linz im Format von 18 x 30 cm eine deutsche Ausgabe der »Nova typis transacta navigatio«, »Extract u. Außzug der grossen vnd wunderbarlichen Schiffahrt Buelii Cataloni, ... welcher ... mit Almirante Christophoro Columbo in Indiam Americam oder Newe Welt .... geschiffet. Linz, Joh. Plank, 1624«, jedoch nur mit den Kupferstichen und einigen kurzen Erläuterungen.
1682 schreibt der Wiener Commerzienrat Johann Joachim Becher in einem »Tractat« (»Närrische Weißheit und Weise Narrheit«) über die »Erd-Aepfel«; Becher nennt in seinem Büchlein »Concepte«, die »dem äußerlichen Ansehen närrisch« erscheinen, aber sich in der Praxis bewährt hätten und dem äußeren Ansehen nach sinnvoll geschienen hätten, aber »in praxi nicht luccedirten und deretwegen bey dem gemeinen Mann für närrisch und unbedacht ausgeschrieben werden«. Zu den »närrisch« anzusehenden Dingen zählt Becher den Versuch, die Kartoffel in Österreich anzubauen, denn die »Americanischen Potatos« geben »gutes Brod/Wein und Brandwein«. Johann Joachim Becher gibt in seinem Traktat auch Hinweise für einen ertragreicheren Kartoffelanbau.
In einem besonderen Rundschreiben an alle Bezirkshauptmannschaften in Österreich-Ungarn teilt Maria Theresia 1767 ihren Beschluß über den Anbau der Kartoffel mit. Auch hier war das Motiv, die damalige Hungersnot unter der ärmeren Bevölkerung zu mindern, falls – wie häufiger geschehen – die Getreideernte mißriet. In der dazugehörenden Anleitung wird darauf hingewiesen, daß man aus Kartoffeln Brot backen, Schnaps brennen, Vieh- und Geflügelfutter herstellen, Stärkemehl und Haarpuder gewinnen könne.
Viel Erfolg ist ihr mit dieser Anordnung nicht gelungen, da die Bauernverbände insbesondere wegen der Möglichkeit der Alkoholgewinnung vom Anbau der Knolle abrieten.
Es dauerte auch in Tirol eine geraume Zeit, bis die Kartoffel in ihrem hohen Werte für die Ernährung der Menschen erkannt und dementsprechend geschätzt wurde. Der Erdapfel galt nämlich lange als untergeordnete Fruchtgattung, die auf manchem Bauerngut überhaupt nicht angebaut wurde. Sooft man etwas Minderwertiges bezeichnen wollte, mußte der verachtete Erdäpfel herhalten, den man mit allerlei Spottnamen, z.B. »Natschenfutter« oder »Arrestantenzöbl«, belegte. Kurzum: Niemand wollte ein Erdäpfelpatscher sein!
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In den Anfangsjahren des Kartoffelanbaues in Tirol wanderte der größte Teil der Ernte in die Futtertröge, meist für die Schweine. In der Küche wußten viele Bäuerinnen mit den Erdäpfeln nichts rechtes anzufangen; man brachte sie halb gesotten auf den Tisch und löffelt dazu Milch. Als man anfing, sie auch in anderen Speisen, z.B. in Mehlspeisen, zu verwenden, erregte das bei den Dienstboten und Nachbarn Anstoß und böse Reden.
Dazu gab es Anekdoten aus dem Unterland, wo die Abneigung gegen die neue Frucht größer gewesen sein soll als im als konservativ bekannten Oberinntal.
»D’Easchdäpfi«, sagte einmal ein Knecht, als zum ersten Male Erdäpfelnudeln aufgetragen wurden,»d´Easchdäpfi wern a oiwei gschaftiga«.
»Wia so?«
»Wie s’überoi dabei sein müass´n.«
Als in Stans (bei Schwaz) der als Volksdichter bekannte Stögerbauer Hans Obrist (1759–1834) den Anbau der Kartoffel einführte, wollten ihm die Dienstboten nicht mehr bleiben und es sprach sich herum, beim Stöger gebe es eine »Fackenkost«.
War ein schweres, hageldrohendes Gewitter im Anzug, so konnte man sagen hören:»War hoit recht, wenn’s von unt auffa ei’schlaget!«,
d.h. um die Erdäpfel wäre nicht schade.
Aber dieses Unwetter »von unt auffa« ist dann in Schwoich wirklich gekommen, und zwar in Gestalt einer furchtbaren Engerlingplage, die, wie dort die Ältesten des Dorfes zu berichten wußten, einige Jahre nacheinander hauste und fast die ganze Kartoffelernte vernichtete.
Die ältesten statistischen Aufzeichnungen über den Kartoffelanbau in Tirol datieren aus dem Jahre 1836. Bereits aus diesen Aufzeichnungen ist abzulesen, daß die Kartoffelproduktion in den Oberländer Gerichtsbezirken intensiver betrieben wurde als im Unterinntal., obwohl dort von alters her bedeutend mehr Ackerflächen bearbeitet worden waren.
Ab dem Jahr 1874 läßt sich die Entwicklung der Anbauflächen für Kartoffel im Jahrbuch des k.k. Ackerbauministeriums genau verfolgen. Damals betrug sie in Nordtirol rund 3.100 ha, das waren exakt 5,8 Prozent des Ackerlandes. Von den vorhin angeführten 3.100 ha waren im Oberinntal 2.040 ha (das waren rund 15% des Ackerlandes), im Unterinntal nur 1.060 ha (2,6% des Ackerlandes) als Kartoffelanbaufläche ausgewiesen.
Bis zum ersten Weltkrieg wuchs die Kartoffelanbaufläche in Nordtirol konstant, so daß sie 1913 schon 4.870 ha betrug. Nach dem ersten Weltkrieg wurden diesbezügliche Statistiken ab 1927 geführt. Darin zeigt sich erstmals eine Reduktion der Anbaufläche auf 3.250 ha. In den folgenden Jahren wurde wieder ein kräftiger Anstieg verzeichnet, beispielsweise 1935 mit 4.830 ha und 1937 6.160 ha. Während des Zweiten Weltkrieges verringerte sich der Anbau spürbar. Nach einer starken Zunahme in der Nachkriegszeit kam es ab den 1870er Jahren wieder zu einer konstanten und teilweise drastischen Reduktion der Kartoffelanbauflächen. Seit 1874 hat sich im Verhältnis der Anbauflächen zwischen Ober- und Unterinntal nichts grundlegend geändert.
Zum einen wird die Ursache in den natürlichen Gegebenheiten gesucht. Es wird in diesem Zusammenhang als mögliche Ursache angeführt: Im Unterinntal regnet es mehr, höhere Niederschlagsmengen begünstigen die Ausbreitung von Kartoffelkrankheiten. Diese Vermutung kann aber nicht als Beweis angesehen werden, angesichts der Tatsache, daß auch in Gebieten mit höheren Niederschlagsmengen Erdäpfel bestens gedeihen und nachweislich sogar höhere Erträge als im Oberland möglich sind.
Die Gründe müssen also wo anders zu suchen sein. Wenn man die Besitzverhältnisse und die Wirtschaftsweise betrachtet, fällt auf, daß die bäuerlichen Kleinbetriebe und die im Oberinntal praktizierte Form der Fruchtwechselwirtschaft günstige Voraussetzungen für die Ausbreitung des Kartoffelbaues bot als der größere Besitzstand und die Egartwirtschaft der Unterinntaler Bauern.
Hinzu kommt noch, daß im Oberinntal eben infolge des Kleinbesitzes die Dichte der landwirtschaftlichen Bevölkerung pro Hektar Ackerland stets viel größer war als im Unterinntal. Dieser Unterschied führte schon zur Zeit der Einfuhr der Kartoffeln nach Nordtirol dazu, daß die Erdäpfel schon vor 160 Jahren als »wahre Brotfrucht« in Oberinntal hoch geschätzt war, während sie zu dieser Zeit im Unterinntal vielfach noch als »Fackenfutter« verpönt war. Unbestritten ist, daß die Oberländer Kleinbauern durch den Erdäpfelanbau den Selbstversorgungsgrad stark erhöhen konnten.
Wie andernorts haben in Österreich die Geistlichen dazu beigetragen, den Kartoffelanbau zu fördern.
Slowenien
1789 erscheint in slowenischer Sprache ein Büchlein von Marko Pohlin, in dem verschiedene Rezepte über die Zubereitung der »Bramburka« genannt werden. Ein erstes Kochbuch in slowenischer Sprache erscheint im Jahr 1799 von Valentin Vodnik, in dem »Kartoffeln mit Käse« und Knödel vorgestellt werden. Interessant, verwunderlich, bemerkenswert ist, daß in Österreich noch heute festverwurzelter Glaube ist, ungeschälte Erdäpfel dürften nicht zweimal gekocht werden (dies gilt auch für Suppen); Stefan Nöbauer, ein Chemiker aus Wien, erklärte ergänzend, daß diese Behandlung in der Eiweißabsonderung begründet sei. Deshalb – so seine Köchin Helga – würden Bratkartoffeln in Österreich auch immer aus rohen Erdäpfeln hergestellt. Nun, es mag sein, daß die Österreicher ihre Erdäpfel nur einmal kochen dürfen, eine Kartoffelsuppe (nördlich der Alpen) schmeckt jedoch erst nach dem zweiten Kochen.
K.u.K.-Kaiserreich
Im Hungerjahr 1772 ordnet Kaiserin Maria Theresia für Österreich an, Kartoffeln anzubauen und verteilt zu diesem Behufe eine entsprechende Menge Saatkartoffeln: »Wir sind auf dieser Welt, damit wir anderen Gutes tun«. Schon zehn Jahre später, am 13. Hornung 1782, beeinflußt von der Kartoffelverbreitung in seinen Landen, erläßt Kaiser Josef II. das »mährische Toleranzedikt«, das den Juden Bürgerrechte gewährt und ihnen auch den Ackerbau erlaubt. Preußen folgt erst 1812 als Folge der napoleonischen Kriege und der Stein-Hardenbergschen Reformen mit der »bürgerlichen Verbesserung der Juden«.
Von Süddeutschland aus dürfte der erste Impulse für den Kartoffelanbau in Tirol gekommen sein. So ist zum Beispiel für das Jahr 1788 der Kartoffelanbau im Lechtal belegt, im Inntal hingegen noch nicht. Auch im Jahre 1802 wurde ihr Anbau noch nicht in allen Landesteilen praktiziert. In Südtirol war der Kartoffelanbau damals noch unbedeutend, im Lechtal hingegen übertraf um diese Zeit die Kartoffelanbaufläche schon die Anbauflächen der einzelnen Getreidearten. Im Oberinntal gewannen die Erdäpfel im ersten Quartal des 19. Jahrhunderts stark an Bedeutung. Auslöser dieser beschleunigten Entwicklung war das Katastrophenjahr 1816.
Die Sommer in den Katastrophenjahren 1816/1817 waren kühl und verregnet, die Ernten überall in Europa waren unergiebig – die Folge einer naßkalten Witterung. Im fernen Indonesien war der Vulkan Tambora ausgebrochen und hatte so viel Asche in die Atmosphäre geschleudert, daß die Folge davon in den beiden Jahren danach zu spüren waren. Die Eruption des Tambora war um ein Vielfaches größer als die des Krakatao (1883), die immerhin die französische Revolution auslöste; sie zog den größten Ascheregen seit mehr als 2000 Jahren nach sich. Ganz Europa war in einem Dunstschleier gehüllt, glutrote Sonnenuntergänge und langanhaltendes Dämmerlicht und die bemerkenswerten Bilder von Caspar David Friedrich und William Turner folgten.
Nach Roman Sandgruber ist der Erdäpfel am frühesten heimisch geworden in Vorarlberg. In einer Lingauer Chronik heißt es über die Herkunft:»Erst im Jahre 1735/36 sollen die Handwerksburschen im Herbst aus dem Elsaß solche Erdäpfel in ihrem Felleisen als etwas Seltsames und hier ganz Unbekanntes mit nach Hause in unserem Wald gebracht haben, die aber nicht viel geachtet, doch aber wegen ihrer Seltenheit von einigen hie und da angepflanzt wurden.«
Eines der frühesten Anbaugebiete in Vorarlberg war das Gericht Jagdberg, das den größten Anteil an »Schwabengängern« zu verzeichnen hatte und wo die Leute von Jugend an gewöhnt waren,
»aus abmangel des gelds und früchten sehr schmal zu leben«.
Westlich von diesem Gebiet, im österreichischen Rheintal, blieb es aufgrund anderer Bauernhofstrukturen bis weit in 1780er Jahre beim traditionellen Getreideanbau und beim Maisanbau. In Tirol begann der Erdäpfelanbau zuerst im Oberinntal, im Außenfern, im Trentino (Etschland) und im (damals) salzburgischen Zillertal. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts soll der Erdäpfelanbau im Zillertal dominierend gewesen sein; der 1744 geborene Schelmenromanschreiber Peter Prosch war schon mit der Knolle großgezogen worden. Daraus läßt sich ableiten, daß der Knollenanbau hier – wie in Vorarlberg – spätestens in den 1730er Jahren eine wichtigere Rolle als Nahrungsmittel gespielt haben muß. 1773 wird aus dem Oberinntal der Erdapfel im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen das Verbot des Tabakanbaus als wichtiges Nahrungsmittel bezeugt:
»Überdies sei das Tabakrauchen hierorts bei so schlechter, mehrstenteils in Erdäpfeln bestehenden Kost eine notwendige und fast unentbehrliche Sache.«
Österreich: Waldviertel
Im Waldviertel war Erdäpfelbau bereits in den 1740er Jahren beträchtlich, wie man insgesamt feststellen kann, daß die Zentren des Anbaus mehr im Osten des Reiches lagen.
Während Friedrich II. schon den Kartoffelanbau beförderte, zögerte die österreichische Regierung noch in den 1760er Jahren, da die staatlichen Stellen sich über den Wert der neuen Frucht noch nicht schlüssig waren. Wenzel Graf von Breuner, der Direktor der Agrikultursozietät, meinte, daß Erdäpfel sicherlich eine ausgiebige und gesunde Nahrung darstellen würden, aber eine Kommerzialisierung wohl nicht infrage käme. Im übrigen dürfe die Getreideproduktion keine Beeinträchtigung erfahren,
»da die Erdäpfel vor den übrigen Getreidefrüchten weder in Rücksicht des innerlichen Consumo, weder in Anbetracht des Verschleisses extra einen Vorzug verdienen.«
Erst 1768/1769 beginnt die Regierung, weitere Maßnahmen zur Verbreitung des Erdapfelanbaus zu treffen. Aber die für das Waldviertel 1769 vorgesehene besondere Förderung stieß auf den Widerstand der Bauern-Funktionäre; in Niederösterreich sei die Teuerung und Hungersnot nie so gewesen, daß sie den Genuß von Erdäpfeln hätten notwendig gemacht, die ja schlechter als Getreide seien. Außerdem werde durch den Niedergang der Buchweizenkultur die Bienenzucht beeinträchtigt. Es könne auch nicht irgend jemand zum Anbau der Knolle verpflichtet werden.
Diese Opposition war – so Sandgruber – möglicherweise der Anlaß für das 1770 ergangene »Patent«, die Getreideproduktion keinesfalls zugunsten des Erdapfelanbaus einzuschränken. Nur in Ländern, in denen Getreidemangel und Hunger häufiger vorkomme, solle der Anbau der Brambury propagiert werden.
1788 wird in einer Urkunde im Lechtal für die geringe Ernte»der schlechte Samen, die schlechte Bearbeitung des Bodens und die mangelhafte Pflege der Feldbestände«
verantwortlich gemacht, nicht »die Gegend« oder »das Erdreich«
Der liechtensteinische Herrschaftsinspektor Johann Wiegand weist daraufhin, daß die Erdäpfel in Niederösterreich sich nur langsam und gegen die Widerstände der Getreidebauern durchsetzen konnte:»Endlich nach und nach wagten es einige, die entweder in Militärdiensten oder durch andere Gelegenheiten etwas weiter als ihr Dorf gekommen waren, solche (Kartoffeln) an den Rainen der Weinberge zu pflanzen ... und nunmehr sich in Niederösterreich ziemlich verbreiten, daß sogar einige Kornjuden über deren Anbau murren, in der eigennützigen Furcht, es möchte dem Preise des Getreides hierdurch Abbruch geschehen, wie wohl nur die Brachfelder hieraus anempfohlen worden sind.«
Es war wie in den anderen deutschen Gebieten; die Kleinbauern begannen, ihr kleinen Stückchen Land mit der Knolle zu bepflanzen, und von da gelangte die Knolle auf die Felder der Großbauern. In einer Beschreibung des Staatsgutes Kasten aus dem Jahr 1802 heißt es:»Zum Erdäpfelbau verwendet der Untertan gewöhnlich nur ein viertel oder ein halb Joch, und die gewonnene Fechsung verzehrt er meist selbst, teils verwendet er sie für sein Vieh.«
Aus Innsbrucker Gerichtsakten (1802) geht hervor, daß in der Umgebung »Cartoffeln zu eigenem Bedarf genüglich erziegelt« wurden, aber erst in den 1830er Jahren sind sie, so schreibt J. J. Staffler 1839»zur wahren Brotfrucht und überall zum sichersten Schutzmittel gegen eine Hungersnot geworden.«
Staffler führt in seiner Landesbeschreibung an, daß die Kartoffelanbaufläche sich in den 1830er Jahren um mehr als die Hälfte vergrößert habe, in einigen Gegenden Tirols, vor allem im Oberinntal, sei sie zur »wahren Brotfrucht« geworden.
J. A. Schultes stellt bei einer (zweiten) Reise zum Schneeberg 1807 innerhalb weniger Jahre eine so starke Zunahme des Anbaus fest, daß er meinte, vor einer möglichen Überschätzung warnen zu müssen. 1810 – zum Beispiel – wird die Kartoffel in der Steiermark als Feldfrucht erwähnt. Nach dem Hungerjahr 1814 nimmt der Erdäpfelanbau in Österreich deutlich zu.
Wie in zum Beispiel in Frankreich (Nîmes) oder Wales nahm der Kartoffelanbau insbesondere in den Regionen zu, in denen sich die Industrie stärker und schneller als anderswo entwickelte. Kartoffel-Nahrung für die Arbeiter waren Voraussetzung für die Industrieansiedlung. Nun kann man hieraus vielleicht auch wieder den Umkehrschluß ziehen: Der Niedergang des Kartoffelkonsums in Deutschland als Ursache für die Entindustrialisierung ganzer Regionen und dem Wechsel zur sogenannten Dienstleistungsgesellschaft?
Und noch eine Folge zeigt der verstärkte Erdäpfelanbau in Alt-Österreich: Familiengründungen nehmen zu. 1832 heißt es:»Der Vorteil, Brachäcker an besitzlose Häuzsler und Inwohner gegen Gegenleistung zum Kartoffelbau abgeben zu können und die Möglichkeit, darauf auf kleiner Strecke mit eigener Hände Arbeit die Hauptnahrung für die ganze Familie zu erzeugen, gleichen einigermaßen den drohenden Übelstand aus, der sonst durch die in großem Mißverhältnisse überhand nehmende Zahl von Häuslern, welche die Herrschaften, um die Zahl ihrer Robottage und die Summe ihrer Grundzinsen, sowie den Ertrag ihrer Grundbuchgefälle zu erhöhen, sich rücksichtslos vermehren zu lassen, verderblich hätte werden können.«
Vorarlberg
Um 1800 waren die Erdäpfel in ganz Vorarlberg das entscheidende Grundnahrungsmittel geworden. Der Pfarrherr Franz Weizenegger meint 1839 dazu:»Viele Leute nähren sich bloß von Grundbirnen, obwohl die Ärzte ihren häufigen Genuß nicht für zuträglich erklären; sie wecken sehr früh den Geschlechtstrieb und stumpfen – vielleicht in Folge dessen – die Geisteskräfte ab.«
Der Erdäpfel erreichte seine Vorrangstellung in Vorarlberg durch die Teilung der Gemeindeweiden – zumeist schlechtere Böden –, die den Klein-Bauern zur Verfügung gestellt wurden. Erdäpfelbau verdrängte die Leinsaaten. In der Graswirtschaft (Egartwirtschaft) verlor auch Getreide einen Teil seiner ehemaligen Fläche zugunsten der Erdäpfel.
Johann Burger, ein damals hoch angesehener Agrarwissenschaftler, schreibt über den Anbau im Jahr 1816:»Daß die Erdäpfel das ergiebigste und wohlfeilste Erzeugnis des Ackers und Menschen und Tier gleich gedeihlich seien, darüber ist nun kein Zweifel mehr.«
Burger führt aus, daß erst die Mißjahre 1804/1805 und die Not in den Jahren 1815 bis 1817 den Bauern die Überzeugung verschafft hätten, daß Gott die Erdäpfel nicht bloß für die Schweine, sondern wohl auch für Menschen erschaffen habe:»Der Erdapfelacker, ein treuer Freund, uns nie verläßt und in der äußersten Not Rat schafft.«
Die Landesregierung unter Kurfürst Ferdinand III. von Toscana stellt für die »Kultur der Erdäpfel« in einem Zirkular an »sämmtliche« Schul-Lehrer für das Kurfürstentum Salzburg im August 1805 fest:»Der Zeitpunkt ist nun gekommen, dem noch immer zu wenig geachteten Produkte die allgemeine Aufnahme unter die Gegenstände unserer Landwirthschaft zu verschaffen. ... Sie werden, da fast jeder derselben in unserm Lande einen Garten, und ein Feldstück besitzt, selbst die ersten Verfolger ihrer Lehren seyn.«
Für die Bauern ging es alles ein wenig langsamer. Erst 1830, in Frankreich die »Goldenen Tage der Bourgeoisie«, beginnt auch auf größeren Bauernhöfen der Knollenbau einen stärkeren Stellenwert einzunehmen. Hier ragt vor allem das Wiener Umland heraus – die Nähe zur Hauptstadt und damit die Verpflegung der dortigen Bevölkerung machte es lukrativ, die Knolle anzupflanzen und auf den nahen Markt zu schaffen.
Es lag nahe, neue Märkte für den Kartoffelverzehr zu schaffen. 1802 wird deshalb der Vorschlag gemacht, den Erdäpfelbau in den Zuchthäusern, Spitälern und öffentlichen Versorgungsanstalten einzuführen sowie die Schulkinder und das Militär darüber zu belehren und sie an die Erdäpfel »anzugewöhnen«.
1803 begannen unter diesem Gesichtspunkt daher auch einige »hellerdenkende« Bauern im Pongau mit dem Anbau der Erdäpfel und 1830 kann festgestellt werden:
»Die Cultur der Erdäpfel breitet sich immer mehr aus und werde allmählich zu einem Hauptbestandteil der Nahrung des Gebirgsländers.«
A. E. I. O. U.
Alte Erdäpfel inspirieren Oesterreich-Untertanen.
Nach der Hungersnot 1814 starten Getreidebauern eine Aktion gegen den Kartoffelanbau, weil dieser dazu geführt habe, daß die Getreidepreise verfallen seien. Noch 1833 klagte Baron Bartenstein, Vertreter der Getreideproduzenten,»Der jährlich sich in immer mehr in ungeheuren Verhältnissen ausdehnende Erdäpfelbau hat einen vollständigen Umschwung des Getreidehandels herbeigeführt. Gebirgsländer bedürfen bei weitem nicht so wie einst der Hilfe des Flachlandes, um ihr Leben zu fristen.«
Nach einer solchen Klage würde heute mittels besonderer Agrarsubventionen sicherlich ein Ausgleich geschaffen werden, denn dazu ist Brüssel schließlich da. Bei der seinerzeitigen Volksabstimmung in Österreich über den Beitritt zur Europäischen Union warb der Wiener Bürgermeister und Landeshauptmann Helmut Zilk auf Plakaten mit »Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat«. Da konnten die Österreicher nicht mehr NEIN zur Europäischen Union sagen.
Wie in anderen Regionen sind auch für Österreich die Berichte über die Einführung der Erdäpfel widersprüchlich. Einerseits wird darauf verwiesen, daß die Knollen nur für das Vieh geeignet seien, andererseits wird es als Festessen, als Delikatesse, angepflanzt und gelobt. Da wird zu der einen Zeit an einem bestimmten Ort Kritik der Dienstboten laut, die sich gegen das Viehfutter aussprechen, andererseits hat es sich einen festen Platz auf den bäuerlichen Tischen erobert:.»Die ehedem an eben diesen Festen und besonders im Fasching üblichen, aus dem schönsten Weizenmehle bereiteten großen und häufigen Krapfen haben die letzten Mißjahre abgebracht, und dafür die lange nur als Viehfutter bekannten Kartoffeln als Nahrung für den Menschen zu Ehren gebracht.«
Erst in den 1830er Jahren gewinnt die Knolle auch in Österreich – parallel zur gegenüber England verspäteten Industrialisierung – eine wichtige Stellung in der täglichen Nahrung. Die Anbauflächen sind jedoch insgesamt immer noch so niedrig, daß von daher von einer Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Wirtschaft nicht gesprochen werden kann. Nur etwa zwei Prozent der gesamten österreichischen Ackerfläche war mit Kartoffeln bestellt – mit regionalen Schwerpunkten in St. Eiermark und Niederösterreich (mit Wien), dahinter Oberösterreich und dann erst Tirol; Salzburg ernährte sich schon damals von Mozartkugeln und Kärnten von alpinen Touristen.
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In der Schweiz tauchten die ersten Knollen 1590 über Schweizergardisten zuerst in Glarus und später im Botanischen Garten von Basel auf. Erste Kartoffelrezepte sind in der Schweiz für das Jahr 1596 belegt. Fünfzig Jahre später wurden in Überstorf im Kanton Freiburg die ersten feldmäßigen Kulturen angelegt.
Wie in vielen anderen Ländern ist die Einführung der Kartoffel im 18. Jahrhundert mit erheblichen Auswirkungen auf das Bevölkerungswachstum verbunden.
Für das Ansteigen der Bevölkerung in der Schweiz (aber das gilt sinngemäß auch für andere Regionen in Mitteleuropa) werden drei Erklärungen vorgebracht: Ein ernährungsspezifischer Ansatz, der die quantitativen und qualitativen Verbesserungen der Ernährungsweise für ausschlaggebend hält, die sich durch die Einführung der Kartoffel und den Aufschwung der Milchproduktion im Gefolge der Agrarmodernisierung ergaben. Aber auch administrative Hygienisierungsmaßnahmen wie den Kampf gegen stinkende Substanzen und stehendes Wasser und eine damit verbundene umwelthygienische Sensibilisierung der Bevölkerung in den Vordergrund haben einen Anteil an der längeren Lebenserwartung und der geringer werdenden Kindersterblichkeit.
Auch die beginnende Industrialisierung habe einen Anstieg der Bevölkerung bestärkt. Der Schweizer Christian Pfister weist in einer Untersuchung über das Berner Oberland auf Adam Smith hin, wonach die Bereitstellung von Arbeitskraft in einer vor- und frühkapitalistischen Wirtschaft vollständig elastisch erfolgen würde. Eine zusätzliche Nachfrage nach Arbeit hebe die Löhne an und schaffe dadurch Anreize zur Vergrößerung der Kinderzahlen pro Familie.
Veränderungen in der Ernährung scheinen jedoch die Hauptursache für das Bevölkerungswachstum zu sein. Das Anwachsen der Bevölkerung in dem Walliser Bergdorf Törbel soll direkt mit der Einführung der Kartoffel zusammenhängen; der amerikanische Anthropologe Robert Netting verweist in diesem Zusammenhang auf Studien in Tibet und Nepal (beides ebenfalls Länder mit hohen Bergen!), die für das 19. Jahrhundert denselben Zusammenhang feststellen. Im Kanton Bern sprächen die demographischen Eckdaten des Bezirks Oberhasli im frühen 18. Jahrhundert ebenfalls zugunsten dieser Annahme. Die Kartoffel war dort seit dem frühen 18. Jahrhundert verbreitet. In dieser Zeit, Jahrzehnte vor den meisten übrigen Gebieten des Kantons, setzte die lange Welle des Bevölkerungswachstums in diesem Bergtal ein. In keinem anderen Bezirk wuchs die Bevölkerung zwischen 1764 und 1850 so kräftig wie im Oberhasli. Allerdings, so behauptet Christian Pfister, sei eine fruchtbarkeitssteigernde Wirkung der Kartoffel bis heute nicht nachgewiesen worden, ein schlüssiger physiologischer Beweis für den Zusammenhang stehe noch aus. Wie wir an anderer Stelle (Medizin und Aberglauben) nachlesen konnten, zeigen neuere Forschungen und neuere Erkenntnisse jedoch einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Knollenverzehr und Bevölkerungswachstum.
Fest steht, daß 1803 in der Schweiz aufgrund gesetzlicher Regelungen eine Aufteilung der bisherigen großflächigen Allmende erfolgte und in vielen Gemeinden Knechte und Häusler einen Allmendanteil zur freien Bewirtschaftung erhielten. Da diese neuen Äcker jedoch nur äußerst begrenzt für die Ernährung einer Familie ausreichten, wenn Getreide gepflanzt wurde, förderte die Allmendeaufteilung in sehr starkem Maße den Anbau der Kartoffel (deren Ertrag je Acker deutlich höher war). Hier ist ein deutlicher Bezug auch auf die preußische »Bauernbefreiung« zu sehen.
Ein langfristiger Einbruch in der landwirtschaftlichen Produktion brachte das demographische Faß in den 1840er Jahren zum Überlaufen. Er wurde eingeleitet durch die kontinentweit auftretende »Kartoffelpest«, die sich in manchen Gegenden für fast ein Jahrzehnt einnistete. In den Amtsbezirken Ober- und Niedersimmental und Oberhasli riß die Auswanderung schon zwischen 1846 und 1850 ein, was auf die große Abhängigkeit vom Ausfall der Kartoffelernten hindeutet.
Die Kartoffelpest wurde in den frühen 1850er Jahren überlagert von einer Reihe kühl-nasser Hochsommer mit kalten Frühjahrsperioden, welche die Erträge in sämtlichen Zweigen der Landwirtschaft über mehrere Jahre hinweg empfindlich schmälerten.
Nicht nur in Bern war dies der letzte, starke, durch den regionalen Ernteausfall hervorgerufene Ausschlag der Getreidepreise in der Schweiz nach oben. Er zog – schon an der Schwelle zum Zeitalter der Eisenbahn – noch einmal demographische und soziale Folgen nach sich: Die Geburtenrate ging für mehrere Jahre deutlich zurück, die Sterblichkeit schnellte hoch, die Reallöhne fielen, und in der Folge schlitterte eine breite Unterschicht unter die Schwelle des Existenzminimums.
1853 erreichten die Agrareinkommen ihren Tiefpunkt. Im darauffolgenden Jahr mußten ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung wegen Bedürftigkeit unterstützt werden.
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Anmerkungen
1 In Linz bestand eine Druckerei von Johann Plank (Blancke, Blanck, Planck) aus Erfurt (oder Nürnberg) von 1615 bis zu ihrer Zerstörung durch Brandlegung der Stadt am 30. Juni 1626 (bereits 1624 begann die Gegenreformation, Bauernunruhen waren an der Tagesordnung). Plank war von Johannes Kepler (seit 1612 als Mathematicus in Linz) berufen worden und druckte viele Schriften des Astronomen von 1615 bis 1623. Kepler war aber mit Planks Leistungen nicht zufrieden. Es ist erstaunlich, daß der glaubenseifrige Abt Plautz (Plautius) bei Keplers Drucker arbeiten ließ, so 1624 die Schrift »Nachfolge Christi« von Thomas à Kempis. G. A. Crüwell schreibt in einem Beitrag über die Linzer Druckgeschichte: »Die konfessionellen Gegensätze scheinen in den gebildeten Kreisen um diese Zeit nicht so schroff gewesen zu sein, wie der lebhafte Verkehr Keplers mit den Linzer Jesuiten....«. zurück
2 Nun Keplers Unzufriedenheit mit seinem Drucker ist nachvollziehbar. In dem von Blancke 1624 herausgegebenem Nachdruck der Kupferstiche behauptet er auf der Titelseite, daß der Bericht von einem Benediktiner sei, »welcher Anno 1423, mit Almirante Christophoro Columbo in Indiam Americam« gewesen sei. Und damit’s dem Absatz fördert, verweist er auch auf die »Blutdurstige hungerige Menschenfresser«. Seinen Auszug aus dem Werk widmet Blancke der Äbtissin Margaretha vom Kloster Göß in der Steiermark. zurück
3 Unser Goethe begann aufgrund dieser Klimaverhältnisse sich mit der Wolkenbildung zu befassen. Zusammen mit seinem Freund Carl Ludwig von Knebel begann er, tägliche Wetteraufzeichnungen zu führen. Ein Bauer am Niederrhein schrieb im Juli 1816:»Das Korn ist noch grün, Erdäpfel und dicke Bohnen wegen dem vielen Regen noch zu jung. Korn ist keines mehr in Kölln, deswegen war einige Tage lang kein Brodt im Dorf zu haben.«
Die schwere Hungersnot dieser Jahre hatte aber auch andere weitreichende Folgen. Die widrigen Straßenverhältnisse wurden verbessert, denn in den beiden Hungerjahren waren die von Pferden gezogenen Fahrzeuge mit Getreide im Morast steckengeblieben. Die preußische Regierung beschloß, die Binnenzölle innerhalb des Königreiches aufzuheben (1816). Die Regierungen des Deutschen Bundes begannen, die Landwirtschaft nach Kräften zu fördern und zu erneuern. Diese Hungersnot, so schreibt Manfred Vasold, hat den Anbau und den Konsum der Kartoffel vorangebracht – stärker als alle königlichen Verfügungen. zurück
4 Das war keine Berufsbezeichnung, sondern kennzeichnete Arbeitsmigranten, die nach Schwaben, aber auch bis ins Elsaß hinein sich als Knechte und Mägde verdingen müßten. In den zu Österreich gehörenden vier Waldstädten Rheinfelden, Säckingen, Laufenburg und Waldshut war Bettelei so weit verbreitet, daß – so Campe 1785 – »viele deiner [Kaiser Joseph II.] angeerbten Unterthanen im Elende seufzen, und unter der Würde der Menschheit so tief erniedriget sind«. 1892 schrieb eine württembergische Zeitschrift für Kinderschutz und Jugendfürsorge: »Es ist für das Land Württemberg beschämend zu sehen, wie einige wohlhabende Bauern in ihrem Geiz, bloß um einen Knecht oder eine Magd zu ersparen, die Kinder von armen Eltern schinden und plagen.« Noch in den 1930er Jahren wurden, kaum nach der Schneeschmelze, Kinder von ihren Familien auf die Gesindemärkte in Ravensburg, Friedrichshafen und Überlingen geschickt, wo man sie wie Sklaven feilbot. Gegen ein »leinenes Kleitle und ein wenig Gelt« arbeiteten die sieben- bis vierzehnjährigen Kinder dann einen Sommer lang auf den Höfen. Im Herbst wurden die dann unnützen Esser wieder zu ihren Eltern zurückgeschickt. Die deutschen Arbeitszeitschutzgesetze sehen traditionell auch heute Ausnahmen für die Landwirtschaft vor: Wo sonst kann man schon Kinder von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang zu schwerer körperlicher Arbeit einsetzen?
Im Westerwald, in dem durch das Erbrecht die Höfe und Felder durch Teilung so klein wurden, daß sie eine Familie nicht mehr ernähren konnten, gingen die »unternehmenslustigeren« nach Amerika, zumindest aber bis nach Schleswig-Holstein, wo sie – wie Helmut R. Lang nachweist – den Touristen Weißwäsche und Westerwälder Steingut verhökerten, als »Landgänger« deshalb häufig zu Reichtum kamen und dann in ihre Heimat zurückkehrten und auf den gekauften, nunmehr größeren, Äckern Kartoffeln bauten. zurück
5 Damit war Siebenbürgen, Tirol, Krain und Litorale gemeint; in Mähren, in Ober- und Niederösterreich und in Ungarn sei Kartoffelanbau entbehrlich. zurück
6 Robottage sind Arbeitstage, robota bedeutet in slawischen Sprachen Frondienst, Diener, Sklave.
Den Begriff »Roboter« für ein Maschinenwesen verwendet 1922 erstmals der Tscheche Carel Capek in seinem sozialutopischem Drama »R.U.R.«. Der US-Biologe Isaac Asimov schafft mit seinen Science-Fiction-Romanen den ultimativen menschenähnlichen Robotertypus mit einem »positronischem« Gehirn und den drei Robotergesetzen, an denen kein anderer SF-Autor mehr vorbeikommt. zurück
7 Umgekehrt kann also festgestellt werden, daß die Verringerung der Nachfrage nach Arbeit, wie es in Deutschland und anderen Industrieländern am Ende des 20. Jahrhunderts begonnen hat, zu einem geringeren Wachstum der Bevölkerung führen mußte.
Adam Smith, der von den Wirtschaftsliberalen immer als Stammvater ihrer Vorstellungen zitiert wird, hat jedoch mit seiner Begründung eine unzulässige Schlußfolgerung gezogen: Wenn es wirklich so wäre, müßten in den »halbentwickelten« Ländern die Bevölkerungszahlen drastisch ansteigen, was aber nicht der Fall ist. Das »Reproduktionsverhalten« einer Bevölkerungsgruppe hängt doch viel stärker mit der Qualität des Fernsehprogramms zusammen (auf die Bekleidung haben wir anderer Stellen schon hingewiesen). Je häufiger die deutsche Volksmusik im Fernsehen dargeboten wird, desto höher ist das Bevölkerungswachstum in Deutschland. Je betäubender die Disco-Musik, desto geringer die Lust. Am Anfang des 21. Jahrhunderts ist man – zumindest in Deutschland – auch so auf die Schnäppchen-Jagd eingestellt, daß keine Zeit für andere schönen Dinge des Lebens übrigbleibt. zurück
8 Christian Pfister hat schweizer Statistiken über die Folgen der Hungersnot aufgrund der Kartoffelpest ausgewertet und schreibt:»1851 wurden die Gemeinden in der Schweiz ermächtigt, unbemittelte Auswanderungswillige zu unterstützen, und entsprechende Subventionen für arme Gemeinden zur Verfügung gestellt. Dieser Kredit wurde in den folgenden Jahren immer wieder erneuert. In der Folge fand ein wahrer Schacher seitens der Gemeinden statt, welche die Gelegenheit benutzten, sich die Armen auf Kosten des Armenguts und des Staates möglichst billig vom Halse zu schaffen und im Sinne einer ›sozialen Entlastung‹ über den Atlantik abzuschieben. Allein aus Melchnau wanderten zwischen 1851 und 1855 96 Personen nach den Vereinigten Staaten aus, ›mehrtheils ganz arm, zum kleinern Theil mit wenigem Vermögen‹, wie der Zeitgenosse Jakob Käser berichtet. Im Amt Büren mußten ›weitaus die größere Zahl (der ausgewanderten Personen) mit dem nöthigen Reisgeld versehen werden‹. Die Güter für arme Bürger, die nach 1831 den sogenannten Rechtsamelosen als Ersatz für den Verlust ihrer kollektiven Nutzungsrechte an Allmenden und Wäldern zugesprochen worden waren, dienten nun dazu, ihre Auswanderung zu finanzieren. Dabei stammten die meisten Auswanderer – wie eine Untersuchung der Periode 1867–1877 belegt – nicht aus den wirtschaftlich schwächsten Bezirken oder jenen mit der höchsten Armenbelastung ..., sondern aus jenen, die in ökonomischer und sozialer Hinsicht im Mittelfeld lagen ... Im ärmsten Bezirk Schwarzenburg fehlte es nicht nur an Mitteln zur Unterstützung von Auswanderungswilligen, sondern auch an der nötigen Initiative und Unternehmungslust.« zurück
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