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Kartoffel-Geschichte Furche 2.1. Die Bauern und die Kartoffel in Preussen

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Die Bauern und die Kartoffel in Preussen:
https://web.archive.org/web/20120117062659/http://www.kartoffel-geschichte.de/Zweite_Furche/Preussens_Bauern/preussens_bauern.html

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Die Bauern und die Kartoffel in Preußen
 

Pfälzische Bauern brachten die Kartoffel nach Brandenburg und auch den»Saumagen«, der aber in Berlin nicht heimisch wurde, sondern in Oggers­heim verwurzelt blieb:

Zutaten für zehn Personen:
    1½ kg blanchierte Kartoffeln, 1½ kg Mett (zur Bindung), 1½ grob gewürfeltes Schweine­fleisch (je 500 g Schweinenacken, Schweineschulter, Schweins­häxle), drei Spanferkel­magen, Gewürz­mischung und (darauf kommt es an) je kg Masse: 20 g Kochsalz, 1 g Pfeffer, 1 g Muskat, ¼ g Majo­ran, 10 g fein gewürfelte Zwiebeln, 1 g Koriander, 1 Prise Nelken, frische Peter­silie, 1 Prise Thymian, 1 Prise Kardamon, Basilikum, Lorbeerblatt gemahlen.

Zu­berei­tung:
    Mischen, in die Ferkelmägen füllen (nicht zu prall), zu­binden, mit spitzer Gabel zwei oder drei Löcher ein­stechen, alles in Leintuch schlagen und zubinden; bei 70° Grad im Wasserbad etwa zweieinhalb Stunden garen. Rezept von Manfred Schwarz, **Koch in Ex-Kanzler Kohls Lieblingsrestaurant»Schwarzer Hahn« in Dei­des­­­heim.

Dazu der Rheinland-Pfälzer Helmut Kohl: »Im heißen Fett knusprig nachbacken, dazu frisches Bauernbrot und Weinkraut.« Und: »Bloß kein Fich essen.« Im übrigen läßt sich Helmut Kohl den Sau­magen von Metzgermeister Klaus Hambel aus Wachen­­heim liefern: »Butcher by Appointment to Chancellor Helmut II.«

Holländer brachten neben Kenntnissen des Kanal­baus (1662–1668 wurde der Oder-Spree-Kanal gebaut, der den pommerschen und den schlesischen Handel mit Hamburg über Berlin um­leitete und somit Geld brachte), Entwässerung und Blumenzucht die ihnen seit langem bekannte Kartoffel mit, die Franzosen brachten die »feine ­Lebensart« und die»haute­ cuisine«, die Salzburger die»Nockerln«, die Juden die Wissenschaft und den internationalen Handel. Die französische Küche mit Frikassee, Ragout und Kotelett und süße Delikatessen dominierte im Adel während sich das gehobene Bürgertum in Berlin mit dem Serviettenkloß aus der englischen Küche anfreundete.

Kurfürst Friedrich Wilhelm heiratete 1646 die Holländerin Luise Henriette von Oranien. An sich wollte er Königin Christina von Schweden haben, an sich sollte Luise Henriette mit Henri Charles de Trémouille verheiratet werden, aber der Kurfürst war ranghöher und deshalb wurde die Oranierprinzessin umdisponiert, was der Kartoffel guttat. Der Kurfürst schenkte ihr 1650 (auf Lebens­zeit) das»Amt Bötzow mit allen dazugehörigen Dörfern und Mühlen, Triften und Weiden, Seen und Teichen«. Sie ließ ein Schloß im holländischen Stil bauen, das 1652 den Namen Ora­nien­burg erhielt, Häuser errichten, Vor­werke anlegen, Meiereien entstehen und Gärten und Anlagen; ­Bauern aus Brabant kamen und mit ihnen die Abscheu vor Müßiggang. Eine Land­wirtschaft nach holländischem Bild wurde geschaffen. Ge­müse­anbau, Blüten- und Baum­zucht wurden betrieben. Mitte des 19. Jahrhunderts gründete man in Ora­nien­­burg ein Schul­lehrer-Seminar, auf kartoffelträchtigem Boden.

Selbst­­verständlich werden in den Gärten des»Monbijou« Kartoffeln gepflanzt (deshalb Kleinod genannt) – als»Blume« und zur Verschönerung der Beete – 1664 gilt als das Jahr der ­ersten Anpflanzung einer Kartoffel in Preußen, wenn auch nur zur Zierde. Auch die für achtzig Taler aus Holland ge­kauften Saatkartoffeln waren wohl mehr der blauen Blüte wegen angeschafft, viel­leicht aßen ja die Küchenjungen die Knollen.

An anderer ­Stelle ist außerdem geschrieben, daß diese Saatkartoffeln in dem von den Holländer Michel Hanff gestalteten Lustgarten Berlins an­gepflanzt wurden, der zu jener Zeit noch Zier- und Küchengarten des Schlosses war. In ­einem Stich des Malers Wilhelm Knackfuß wird die kurfürstliche Familie gezeigt, die im Lustgarten an­gepflanzten Kartoffeln betrachtend. Wegen ihrer Verdienste um den Kur­fürsten (seit seiner siegreichen Schlacht bei Fehrbellin gegen die Schweden »groß« genannt) und um die Kartoffel wird Luise Henriette von Oranien 1994 mit einer Brief­marke geehrt.

Die Berliner waren weder von den Kartoffeln, die sie nicht kannten, noch von den vielen Fremden, die sie nicht mochten, begeistert.

1720 wird die erste Tabakfabrik in Preußen errichtet und im selben Jahr verordnet der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. den Anbau der Kartoffel als Folge einer verheerenden Mißernte an Getreide; bei Wilhelm Füß steht, daß den wider­spensti­gen Bauern mit dem Abschneiden von ­Nasen und Ohren gedroht wurde. Da die Bauern angeblich nicht die in der Erde liegenden Knollen aßen, sondern die ungenießbaren gelbgrünen oder ­roten Beerenfrüchte (deren etwa einhundert Samen­körner heute nur noch zur Gewinnung von Saatgut für Züchtungs­versuche dienen), konnte anfänglich selbst die Androhung drako­nischer Strafen das Landvolk nicht zum Anbau bewegen.

Nochmals: Die Kartoffel ist eine erklärungs­bedürftige Pflanze. Aber so dumm waren die damaligen Bauern nun wirklich nicht. Natürlich muß man nach­schauen und immer wieder ­nachschauen, ob die Knolle richtig anwächst.

 
An vielen Stellen in Deutschlandbedurfte es strenger obrigkeitlicher Befehle, um den Kartoffel­anbau durchzusetzen, die Brandenburger verhielten sich nicht anders als das Landvolk in anderen Gauen.

Auch die Geschichte der Kartoffel ist eine Geschichte der Mißverständnisse. Eine Ausnahme bildet lediglich Sachsen, aus dem 1786 berichtet wird, der Kartoffelanbau habe dort eine ­freiwillige günstige Aufnahme gefunden. Ver­ärgert stellt Friedrich II. bereits 1783 in einem Schreiben an den Etats-Minister H. E. D. von Werder fest:
    »Ich habe gestern einen großen Wagen mit Meerrettig und Bollen hier einpassieren ­sehen (von der nicht fernen sächsischen Grenze). Der­gleichen haben wir ja im Lande selbsten schon, und kommt es nur darauf an, diese Gewächse in hinlänglicher Qualität gebauet und gewonnen werden. Es ist das auch eine leichte Sache, und erfordert das eben nicht so viele Umstände.«

Die Auffassung, die Kartoffel sei giftig, war nicht aus der Luft gegriffen: Die im 16. und 17. Jahrhundert übliche Kartoffelpflanze war in der Tat giftig. Alle grünen Teile der Pflanze, die Beeren und die am Licht ergrünten Teile der Kartoffel, enthalten das für die Gattung Solanum typische Glyko-Alkaloid Solanin, das eine unangenehme Hautreizung hervorruft, leicht zu verwechseln mit den Skrofeln. Und das neue Gewächs roch in den Blättern anders als die bisher gekannten Pflanzen. Wenn Lager- oder Winterkartoffeln ungeschützt im Freien liegen, so werden sie grün. Nach ein bis zwei Tagen werden sie giftig und können weder gegessen noch verfüttert werden.
    »Ein hübscher Knabe namens Brosi besaß ­einen Raben, der ­hatte aber im Herbst zu viele junge Kartoffeln ins Futter bekommen und war gestorben und ... begraben«, so Hermann Hesse.

Die Blätter und Knollen sind dann stark blausäurehaltig. Insofern ist verständlich, wenn behauptet wurde, der Genuß der Kartoffeln rufe Aussatz, eine der gefürchteten Krank­heiten jener Zeit, hervor. Sicherlich hat eine Rolle gespielt, die Knollen zwar zu kochen, aber nicht zu schälen oder zu pellen. Kartoffeln wurden auch in Preußen-Branden­burg verantwortlich gemacht für Gicht, Bleichsucht, Haut­ausschläge und Rheuma­­tis­mus und für andere Krankheiten.

Dazu paßt die Äußerung von Pfarrer Keppel im Zusammenhang mit den Zehnstreitereien in Pilgramsreuth: Wenn dem Vieh die oberen und solanin­haltigen Pflanzenteile der Knolle in großen Mengen gegeben wurde, dann ist nicht auszuschließen, daß das Vieh verendet. Das ist wohl auch ge­­schehen, denn warum sollte ein Landmann das Grünzeug nicht an’s Vieh verfüttern?

1723 erscheint in Berlin»Das brandenburgische Kochbuch« mit einem Rezept für Kartoffelsalat aus»Essig, Baumöl, Pfeffer und Kartoffeln«. Dazu gab’s»boules berlinoise«, die heutzutage so trocken sind, daß sie (so Harry Schraemli) selbst einem Berliner das Maul stopfen. Kartoffeln müssen demnach in»Spree-Athen« (siehe Edinburgh) bereits ein bekanntes»Gemüse« gewesen sein, zumal es auf dem Markt schon verkauft wurde: Der aus dem Elsaß nach Berlin ein­gewanderte Gustave Genique und seine Frau Claire betrieben bereits 1728 auf dem Gendarmenmarkt einen Stand, auf dem sie zweimal die Woche neben Tand auch ­Rüben und Kartoffeln feilboten.

 
Listige Bauern begriffen sehr frühzeitig, daß man den Zehnt vermindern könne, wenn Kartoffeln angebaut wurden, die auch in Preußen in den ­alten Abgabeordnungen »vergessen« waren. Die Abgabevorschriften für Feldfrüchte (großer Zehnt) kannten nur Getreide, während Brachfrüchte wie Rüben, Kraut, Flachs und Kartoffeln nicht geregelt waren. Sobald die Kartoffel zehntpflichtig wurde, wurde von den Geistlichen häufig anstelle der Naturalien der Silbergroschen eingefordert; damit ist dem Prediger erspart geblieben, mit seiner normalen Krämerseele auf dem Markte hausieren zu gehen oder die Knolle gar selbst zu essen. Anderer­seits ist aus vielen Orten belegt, daß die Pfarrer vielfach eine ausgedehnte Landwirtschaft betrieben und zugleich die Konzession für das Bierbrauen und für den Ausschank besaßen (was eine äußerst gewinnbringende Beschäftigung war). 

Das, was König und Adel einnahmen, ging der Kirche (und damit auch den Parochialschulen) verloren. Der Zehnt für Kartoffel wurde in Preußen, aber auch anderswo, nie einheitlich geregelt (dazu waren die Widerstände der Bauern zu gewaltig); Streitigkeiten hielten bis 1848, bis zur sogenannten Bauernbefreiung, an. Erst mit der Bauernbefreiung kommt in Ostelbien bei den »Junkern« das »Hofgänger-«System, in dem festangestellte Taglöhner nicht nur den Stamm der ländlichen Arbeitnehmer stellten, sondern zudem vertraglich verpflichtet waren, andere (familiäre) Arbeits­kräfte zu stellen. Erst mit der Bauernbefreiung erhielten die Ackersleute das Recht, ihre eigenen Erzeugnisse, ihre Kartoffeln, auf dem freien Markt feilzuhalten; die damalige Knolle – wegen ihrer Empfindlichkeit bei Stoß und Kälte – war jedoch auf die unmittelbare Region angewiesen – weite Transporte waren unmöglich.

J. H. von Thünen legt in »Der Isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und Nationalökonomie« dar:
    »Nun wird der Anbau der Kartoffel ­unstreitig so nah wie möglich bei dem Orte, wo sie konsumiert werden, geschehen, und nur in dem Fall, wenn der Bedarf einer Stadt so groß ist, daß dieser aus der nahe liegenden Gegend nicht befriedigt werden kann, müssen die Kartoffeln aus weiterer Ferne zu Markt gebracht werden.«
und – so schreibt Albrecht Daniel Thaer, der Lehrmeister Thünens –
    »Nicht die möglich höchste Produktion, sondern der höchste reine Gewinn, nach Abzug der Kosten – welches beides in entgegen­gesetzten Verhältnissen stehen kann – ist Zweck des Landwirts, und muß es sein, selbst in Hinsicht auf das allgemeine Beste.«

Nun, das was von Thünen und Thaer seinerzeit festhielten, muß mit Irrtümern behaftet sein: Anders ist es nicht zu erklären, daß in York, einem Ort inmitten des bei Hamburg liegenden Obst- und Kartoffe­lanbaugebiets Marschlande die Knollen aus Chile und Ägypten, die Äpfel aus Australien und die Kirschen aus Südafrika im Supermarkt angeboten (und gekauft) werden. Aber Thünen irrte sich auch bei seinem Experiment, seine Beschäftig­ten am Bauerngut zu beteiligen, denn nach zwei Jahren Mitarbeiter­beteiligung war er konkurs.

Der Adel in der Mark und in den anderen preußischen Landesteilen ließ nicht nur für sich und seinem Gesinde, sondern für einen fremden Markt (auch außerhalb Preußens) produzieren und errang damit eine starke kommerzielle Stellung, die zugleich die Macht des in Berlin residierenden Landes­herrn schwächte. Aber die Kolonisierung (»Peuplie­rung«), die Urbarmachung und die Trocken­­­­­legung des Oderbruchs, einer sieben Meilen langen und etwa zwei Meilen breiten Niederung, und der Altmark stärkte die Potsdamer Zentral­gewalt. Da hat Friedrich II. die Politik seines Vaters erfolgreich(er) fortgesetzt, der 1728 gesagt haben soll:
    »Anfein ist es als wen gott nit haben wollte, das das arme Landt in flohr komen sollte, wen ich die wasserfluthe selber nit gesehen ich es nit geglaubet hatte, den ich meine dage nit so wahs gesehen, dieses wetter ist die leze öllung vor Preußen.«

Bereits 1730 – also vor Friedrichs Kartoffeledikten – fand der erste Kartoffelanbau in Hohen­finow im Oderbruch (in der Nähe von Frankfurt) statt, deren Samen aus Spanien bezogen sein soll. Mit einem Kartoffelbefehl von Friedrich II. im Jahr 1746 wird auch den Bauern im Domänenamt Biesenthal der Anbau auf dem Feld befohlen: 1749 wird vom»erprobten Kartoffelbau« in Stahnsdorf berichtet.

1747 ist Friedrich so weit, die Oder im gesamten Bruch bewallt zu haben und aus der Peuplierung des Landes den entsprechenden Nutzen zu ziehen. Die Kolonisten wurden für zehn Jahre Befreiung (für preußische Kolonisten nur sechs Jahre) von ­allen Abgaben und Freiheit von der Militärpflicht gewährt und außerdem gab es noch eine Gratifika­tion. Aber: Er ordnete auch für diese neuen ­Lande den Kartoffelanbau an, diese Frucht, die doch nur für die Schweine gut war.

Ab 1750 erscheinen in den Altenteils-Verschreibungen der Dörfer auf dem Barnim Verpflichtungen, den Altvorderen»etwas Kartoffelland« zu reservieren.

Wie in anderen Gegenden wurde die Kartoffel zuerst in den Gärten angebaut – der Befehl des fernen, in Potsdam und Berlin residierenden ­König hin oder her – und erst 1786 wurde der Kartoffelanbau auf den Feldmarken im größeren Umfang betrieben. Die Erträge waren – nach einem Bericht aus dem Jahr 1773 – bei Aussaat von sechs Wispel nur dreimal so hoch (etwa siebzehn Wispel). Parallel mit dem Kartoffelanbau auf dem Barnim wurde der schon vom Großen Kurfürsten eingeführte Tabakanbau verstärkt. 1794 werden in Gusow die »gemeinen rothen Winter-Erdäpfel« und die»Vieh- oder Futteräpfel«, die auch »Schweine-Äpfel«»englische«,»ausländische« oder»irische« Erdäpfel genannt wurden, angebaut. Die»Viehäpfel« wurden wegen ihres»herben« oder»geilen« Geschmacks nur an das Vieh verfüttert; wegen der Transportprobleme verblieben die Kartoffeln meist in der Region. Angebaut wurden die Knollen für die Bürger in den wenigen Städten, die doch nur größere Dörfer waren.

Rund ein Jahrzehnt (1802) später schreibt der Hamburg-Flottbeker Gutsbesitzer Voght an Thünen, daß der Kornbau in der Nähe einer ­großen Stadt mit Verlust verbunden sein müsse und nur wegen des Fruchtwechsels und des Klees angebaut werde – ja, da ergibt sich somit zwangsläufig der Kartoffelbau.

Es ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, daß die Hausgärten als die wertvollsten Teile des einem Bauern zur Verfügung stehenden Landes für Viehfutter-Pflanzungen ver­wendet wur­den, zumal die Gärten sicher nur klein gewesen sein werden. Was im Haus­garten ­gepflanzt wurde, diente der mensch­lichen Ernährung, eher sogar noch für die Fest- und Sonntagsessen. Natürlich wurden Überschüsse ans Vieh ver­füttert, aber das war’s denn auch.

 
Der Waldbestand wird in dieser Zeit auch vernichtet wegen der aufkommenden Sitte der Bürger, ihre Fenster mit Glas zu verschließen. Die Glasindustrie in Preußen führte zu einer deutlichen Reduzierung des Waldes. Arbeit in der Glasmacherei gehörte zu den typischen Hunger­leiderberufen, da der Stücklohn erst nach Abschluß der»Hitzereise« (bis zu achtundvierzig Wochen) ausbezahlt wurde, und gar manches Mal in Form von Naturalien. Glasmacher mußten daher nebenbei kleine Landwirtschaften mit Krautacker, Kuh und Graserei betreiben. Jetzt schließt sich auch wieder der Kreis zur Kartoffel; böhmisches Glas und erste Kartoffel­anpflan­zungen lagen geographisch genauso bei­einander wie Glas­macherei und Knollenanbau im ostbayerischen Wald.

Der erhöhte Bedarf an Papier zur Herstellung von Streitschriften (»Der Papier­verbrauch ist ein Maßstab für die Kulturhöhe eines Volkes« hat ‘mal jemand gesagt) während der Reformationszeit und von»Herbarien« führte zum Anwachsen des»neptunischen« Gewerbes« – die Buchdruckerei wird eine der aufstrebenden »Industrien«; es entstanden ausgesprochene Papiermacher­regionen wie in Sachsen und um Nürnberg (schon 1390 gründete Ulman Stromer die erste deutsche Papiermühle an der Pegnitz). Auch bei diesem Gewerbe ist festzuhalten, daß sie sich besonders in den Gebieten entwickelte, in denen der Kartoffelanbau frühe Er­folge zeigte: zu jeder Papiermühle gehörte ein bestimmter Bezirk, in denen Lumpensammler (»Klüngel­kerl« im Ruhrgebiet genannt) das Monopol zur Sammlung von Hadern hatten – eine Arbeit, die ungesund war und schlecht entlohnt wurde; nur der Kartoffelanbau machte es möglich, die mit­arbeitende Familie zu ernähren.

Auch die sonstige Holzverarbeitung nimmt ­einen großen Aufschwung durch die Reformation, denn bis zur Reformationszeit gab es weder Bänke noch Kirchenstühle im Kirchen­schiff. Man stand oder kniete während der Messe, die Frauen von den Männern streng gesondert (also wie heutzutage noch im Islam und in den orthodoxen jüdischen Gemeinden). Vielleicht ist auch die körper­liche Bequem­lichkeit ein Faktor für den Erfolg der Reformationsidee.

Die Förderung des preußischen Handels durch Kanal- und Straßen­bauten und die Privi­legierung von Manufakturen seit Mitte des 17. Jahr­hunderts durch die preußischen Herrscher ­verstärkte notwendigerweise die Macht des Königs. Der forcierte Anbau der Kartoffel auf königlich-staatlichen und neu­gewonnenen Gütern griff die alte ökonomische Macht der Feudalherren an: Aus diesen könig­lichen Domänen (»Chatoulle-Siedlungen«) kommt später der große Teil der zentral­verwal­te­ten Einnahmen. Diese Domänengüter (Anfang der 1740er Jahre gab es etwa 330 Domänen) hatten in Preußen nicht nur die Funktion, den Staatshaushalt anzureichern, sondern sollten zugleich Muster­betriebe sein und den Bauern die neuesten landwirtschaft­lichen Erkenntnisse beispielgebend vermitteln.

Friedrich II. setzt sich insbesondere bei seinem besonders reaktionären pommerschen Adel für die Aufhebung der»Schollenabhängigkeit« der Bauern ein, denn dies sicherte ihm neben seiner Einwanderungspolitik die Menschen dauerhaft für seine Domänen und damit seine Einnahmen. Irgend­­­welche Humanitätsgedanken waren ihm in diesem Zusammenhang sicherlich fremd; zugleich konnte sich in den neuen Dörfern Kleingewerbe entwickeln, das dem König zusätzliche Steuereinnahmen verschaffte, aber auch Preußen wirtschaftlich voranbrachte.

In einem Brief an August Bebel bewertete Friedrich Engels diese Politik:
    »Das Kartoffelstück, die Kuh und das bißchen Ackerbau erlaubt die Arbeitskraft ­unter den Preis zu verkaufen, er zwingt dazu, weil es den Arbeiter an die Scholle fesselt, die ihn doch nur zum Teil ernährt.« 

Die Bauernstellen waren zu Nebenerwerbsstellen herabgesunken. Die nichtlandwirtschaft­liche Arbeit gegen Lohn hielt diese Rest-Bauern und ihre Familien mehr schlecht als recht am Leben. Textilarbeiten, Arbeiten im Bergbau, Heimindustrie aller Art (Weihnachtsschmuck im Erzgebirge, ­Uhren in der Schweiz und im Schwarzwald), Glasbläserei (im Böhmerwald), Uhren­industrie (in Sachsen) wur­den in diesen Gebieten typisch.

Die Befreiung der Bauern vom Joch der Feudallasten und Frondienste bot Friedrich II. zugleich die Möglichkeit, einerseits Bauern für neue Be­siedlungs­objekte zu finden (obwohl er für die ­neuen Ländereien keine»eigenen« Bauern nehmen ­wollte und dies sogar untersagte – erfolglos) und in anderen Provinzen des deutschen Reiches anzuwerben, anderer­seits dem Adel ein zusätzliches Einkommen zu sichern. Aber ganz so massiv wollte der König seine »Bauernbefreiung« doch nicht durchsetzen, war doch die gesamte Landwirtschaft auf die von den Bauern zu leistenden Frondienste abgestellt. Und im übrigen mußten vierzig Prozent des Reinertrages der »freien« Höfe an den Fiskus abgeführt werden – ein Steuersatz, der sogar die Deutsche Post und Hertha BSC veranlassen würde, den Wirt­schafts­standort Deutschlands zu verlassen. Zusätzlich mußten die Frondienste geleistet werden (denn ohne diese wäre der Agrarstaat zusammengebrochen).
    »Den Staat gab uns der Alte Fritz

    Dazu die Kartoffel als kluger Mann

    Weil sie allein, merk’ dir den Witz

    in Not das Volk erhalten kann.

 z

Frondienste wurden am ausgeprägtesten in Osteuropa eingefordert; in Polen (zum Beispiel) werden sie 1600 auf sechs Tage je Woche ausgedehnt und im preußischen Schlesien wird 1798 fest­gelegt, daß die Bauern eine unbegrenzte Anzahl Frondienste zu leisten hätten. Auf den Staatsdomänen Friedrichs II. und in Ostpreußen herrschten ­weniger strenge Regelungen, was unter anderem die Attraktivität dieser Neusiedlungen ausmachte.

Die Frondienste waren »notwendig«, damit der Gutsherr landwirtschaftliche Produkte über den eige­nen Bedarf hinaus exportieren konnte und sich seinen eigenen Neigungen, zum Beispiel dem Offi­ziersdienst in der Armee, hingeben konnte. Nach wie vor mußten die Pächter den alten (hergebrachten) Verpflichtungen nachkommen; schlesische Spinner und Weber zahlten nach ihrer »Befreiung« einen Grundzins, an manchen Orten außerdem Spinn- und Webezinsen, Schulgelder und Schutzgelder und mußten außerdem die alten Handdiensttage ableisten

Auch in den von den Brüder Grimm gesammelten Märchen kommen die Frondienste vor »Der kleine Klaus und der große Klaus«:
    »Die ganze Woche hindurch mußte der ­kleine Klaus für den großen Klaus pflügen und ihm sein einziges Pferd dazu leihen. Dafür half ihm der große Klaus mit seinen vier Pferden am Sonntag. Dann freute sich der kleine Klaus und knallte mit der Peitsche über die fünf Pferde vor seinem Pflug, und wenn die ­Leute an seinem Acker vorbeigingen, so schrie er: ›Hüh, alle meine fünf Pferde‹.« Aber der ­große Klaus schlägt ihm das einzige Pferd tot, »da weinte der kleine Klaus bitterlich, denn nun hatte er kein Pferd mehr.«

Aber, am Schluß, da steckt der kleine pfiffige Klaus den großen dummen Klaus zusammen mit Wackersteinen in einen Sack und läßt ihn in den Weiher fallen. So gerecht ging‘s in der Wirklichkeit nicht zu.

Die sogenannte Befreiung der Bauern 1749 in Schlesien, 1752 in Ostpreußen, 1763 in Brandenburg und Pommern und erst 1774 in Westpreußen war für den sich»freikaufenden« Bauern so teuer, daß es de facto noch jahrzehntelang bei der Leibeigenschaft blieb, die erst zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert ihre starke Ausprägung erhalten hatte. Bis dahin hatten sich die Bauern gemein­schaft­liche Regelungen gegeben in der Allmendewirtschaft; Holzgrafen und Deich­grafen (mit dem »Spatenrecht«) waren gewählte Amtsträger in der gemein­samen Nutzung und Verwaltung der um die Siedlungen herum liegenden Flächen.

Erst in der Frühzeit des Feudal­systems kamen die von den Königen und Her­zögen eingesetzten Funktionen hinzu – in den Meierhöfen, in den Freiherrensitzen und in Vogteien:»Lohnabhängige«. Die preußi­sche Bauern­befreiung galt zudem nur für die größe­ren Höfe, die aus­reichend »Acker­nahrung« boten, gewisse Frondienste wurden nicht einmal auf dem Papier ab­geschafft.

Getreide-, Rüben- und Kartoffelanbau auf den Staatsdomänen war notwendig für das Erstarken der königlichen Gewalt. Zugleich band schon derGroße Kurfürst den Adel in das stehende Heer ein, in dem der Soldatenkönig und nach ihm der»Alte Fritz« die Offiziersstellen für den Adel reservierte; Friedrich II. ermöglichte dem adligen Offizierskorps zudem erhebliche Neben­einkünfte, in dem er (wie schon der Soldatenkönig) gestattete, die Soldaten für acht bis zehn Monaten im Jahr auf den Landgütern zu beschäftigen und die Ausrüstung der Soldaten für eigene Rechnung vor­zunehmen.

Aus Anlaß der Hungersnot 1743 oder 1744 (der Scheffel Roggen kostete ein Taler acht Groschen) erhält der pommersche Ort Kolberg aus den ­großen Fried­rich II.»versorgender Güte« ein Geschenk, das noch völlig unbekannt ist: Kartof­feln. Durch Trom­mel­schlag in der Stadt und in den Vorstädten wird bekannt­gegeben, daß jeder Gartenbesitzer sich beim Rathaus einzufinden habe,»um sie mit der königlichen Gnade bekannt zu machen« (so ist es in einer Anekdote über diese Begebenheit formuliert). Die Ratsmitglieder zeigten der ver­sammel­ten Menge die neue Frucht und verlasen die könig­liche»umständ­liche« Anweisung, wie die Kartoffeln gepflanzt, bewirtschaftet und zubereitet werden müsse. In der Aufregung einer solchen Versammlung begriffen die malträtierten Bürger nicht, was es denn mit den Knollen auf sich habe und warfen diese – nach Degustation der rohen Kartoffel – den Hunden vor, die daran schnupper­ten und sie schließlich auch verschmähten; damit war das Urteil gesprochen:
    »Die Dinger riechen nicht, und schmecken nicht; und nicht einmal die Hunde mögen sie fressen. Was wäre uns damit geholfen?«

Zugegeben, die damalige Kartoffelqualität entsprach nicht dem heutigen Supermarkt-Standard, denn die unregelmäßige Knolle hatte große, tiefliegende Augen, und – wichtiger – soll einen kratzigen Geschmack gehabt haben, und auch Brennen im Hals wird nach dem Kartoffelverzehr genannt; dies kann an dem im Vergleich zu heute deutlich höheren Solaningehalt der Erdäpfel gelegen haben.

Da die Bürger die neue Frucht nicht »ordnungsgemäß« anbauten oder sie gleich auf den Kompost warfen, wurde seitens des Rates eine »allgemeine und strenge« Kartoffelschau durch­geführt und den Kolbergern Gartenbesitzern, die die Kartoffel nicht angebaut hatten, eine Geld­buße auferlegt. Joachim Nettel­beck schreibt dazu:
    »Das gab wiederum großes Geschrei, und diente auch eben nicht dazu, der neuen Frucht an den Bestraften bessere Gönner und Freunde zu erwecken.«

Ein Jahr später wurde erneut eine Ladung Kartoffeln nach Kolberg gesandt; diesmal wurde ein schwäbischer »Landreuther« namens Eilert mit­geschickt, der des Kartoffelbaus kundig und den Kolbergern bei der Auspflanzung behilflich und ihre weitere Pflege besorgte. Aber erst 1785 entdeckt Nettelbeck auf einer Reise nach Ostpreußen bei Star­gard Kartoffeln, die auf freiem Felde gepflanzt sind.

Die Kolberger wiesen auch daraufhin, daß die Kartoffel nicht in der Bibel erwähnt sei. Mit ihrer Bibel-Auslegung waren die Kolberger nicht allein: Die pres­byterianische Geistlichkeit Schottlands, die an die vorherbestimmte Gnaden­­­­wahl und ihrem Gegenteil (der Prädamnation) glaubte und wegen fehler­hafter Bibel-Interpretation der Kartoffel keine Chance geben wollte, wider­setzte sich mit dem selben Argument dem Kartoffelverzehr, es sei ein gottloses, ein»amoralisches« Gemüse, denn sie sei ja auch Nahrung der indianischen Heiden. »Du sollst nicht essen, was dem Herrn ein Greuel ist« heißt es im 5. Buch Mose. Aber damit war gemeint Kamel und Klippdachs, Hase und Schwein, Adler, Habicht, Fischaar, Geier, Weihe, Rabe, Strauß, Nachteule, Kuckuck, Sperber, Käuzchen, Schwan, Uhu und Fledermaus, Rohrdommel, (Klapper-)storch, Reiher und Häher, Wiedehopf, Schwalbe, Wiesel und Maus, Kröte, Gecko, Molch und Eidechse, Blindschleiche und Maulwurf. Sowie ­alles, was im Wasser lebt und weder Schuppen noch Flossen hat (Nixen?), ferner alles Kleingetier, das Flügel besitzt und auf vier Füßen geht. Nicht die Kartoffel und nicht die Heuschrecke war ver­boten.

Nun, Johann Adam Jakob Ludwig, Postschreiber in Hof, widerlegt in seiner »Abhandlung von den Erdöpfeln. Historische Untersuchung von den ­ersten Erdäpfeln im Baireutischen und benachbarten Landen«, 1770 in Bern gedruckt, diese theologisch begründete Ablehnung der Kartoffel:
    »Es versichert uns der älteste Geschichtsschreiber Mosesin dem ersten Kap. seines ersten Buches, daß Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das sich besame und fruchtbare Bäume, da ein jeglicher nach seiner art frucht trage, und habe seinen eigenen saamen bey ihm selbst auf ­erden. Und es geschah also. Und die Erde lies aufgehen Gras und Kraut, das sich be­sämete, ein jegliches nach seiner art, und bäume, die da frucht trugen, und ihren eigenen saamen bey sich selbst hatten, ein jeg­liches nach seiner art. Und Gott sah, daß es gut war. Eine ge­naue betrachtung dieser worte gäbe anlas viele blätter damit zu füllen. Mich aber kurz zu fassen, so kann die ge­doppelte wieder­holung einerley sache nicht ohne ursache geschehen seyn. So ich recht denke, so hat der heilige Schriftsteller einmal vor alle zum grunde legen wollen, daß auch im kräuterreiche nichts neues zum vorschein komme, welches nicht an dem dritten tage der schöpfung gemacht worden wäre. Denn dahin zielet er auch zum anfangs des 2ten Kapitels mit den worten: Also ward vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen heeren, das ist, mit allem, was im Himmel und auf Erden ist. Demnach ist sonnenklar, daß die Erdäpfel so alt seyn, als man bis auf gedachten dritten tag der Schöpfung zurückzählet.«

Ludwig gibt aber zu, daß er nicht wisse,»ob sie aber auch eine frucht des Paradieses gewesen«. Vielleicht gibt Ludwig deshalb noch eine Empfehlung:
    »Bey den Schweinen.

    Den Schweinen werden sie gekocht und mit den händen zerdrukt, oder auch gestampft, mit geschrotener gerste oder haber, oder mit kühmilch zu fressen gegeben. Sie machen selbige sehr fett, und geben weissen spek und schmeer, vielmehr und besser als vom getreide und schrote allein.«

Aus der Inka-Göttin»papa-mama« wurde in Europa einer der vielen Teufel; aus seinem Speichel, so hieß es kirchlicherseits, sei die Kartoffel entstanden und deshalb führe ihr Verzehr zu Schwachsinn und Sünde. Aber es wurde auch das »klassische« Argument vorgetragen, Kartoffeln würden Skrofeln ver­ursachen und die Syphilis käme auch daher. Friedrich Engels schreibt noch im Jahr 1876 (in »Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen«):
    »Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wußten nicht, daß sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten.« 

Friedrich Engels hat hier wohl die Schlempe­mauke (Kar­tof­felausschlag), die einen juckenden Haut­ausschlag mancher Tiere nach dem Verfüttern von Kartoffel­kraut und Kartoffeln verursacht, auf den Menschen übertragen. Aber es kann auch sein, daß einige Kartoffelsorten anfänglich nicht schmeck­ten und auch Hautausschlag verursachten; erst durch den Anbau-Verzicht solcher Kartoffeln ­setzte sich die heutige Knolle durch.

Da kann man es der geistlichen Obrigkeit im pommerschen Kolberg über einhundert Jahre ­früher nicht verübeln, daß sie sich auf 1.Mose, Kapitel 30, bezieht, in der Ruben»Liebesäpfel« auf den Felder findet und Rachel um dieser Knollen willen den Jakob für eine Nacht an Lea ausleiht. Hier mischt sich die bekannte aphrodisische Wirkung der Knollen mit der Kenntnis Luthers über die Früchte aus der Neuen Welt.

 
Friedrich II. unternimmt 1750 mit dem ersten der sog. »Kartoffelbefehle« einen erneuten Versuch, die Kartoffel auf den preußischen Äckern heimisch zu machen, mit landesväterlicher Güte und Trommelschlag und ge­ziemenden Zeremoniell: Er droht Pächtern und Bauern an, die sich seiner Empfehlung widersetzen, daß ihnen nicht »die geringste Remission bey Mißwachs und anderen Unglücksfällen angedeihn werde«. Seine Dekrete zur Einführung der Kartoffel ließ Friedrich II. – so wird behauptet – seinen hart­hörigen Landeskindern mit dem Stock einbleuen. Vor den Rathäusern wurden Kartoffeln als Saatgut an die Bauern verteilt: Wenn man vom Rathaus kommt, ist man (manchmal) klüger; Ratsdiener und Feldwächter kon­trollierten Aussaat und Ernte, um die widerspenstigen Unter­tanen zum konti­nuier­lichen Knollenanbau zu zwingen. Doch die Bauern widersetzten sich der königlichen »ordre«; sie gruben die Kartoffeln wieder aus, die Friedrich hatte pflanzen lassen, so daß dieser gezwungen war, die Felder von Soldaten, Feld­wächtern und Ratsdienern bewachen zu lassen. Rund um Berlin lagen die Kar­toffelfelder. Die Soldaten sollen nur zum Schein dagewesen sein, damit die Kartof­felknolle von den Bauern als besonders wertvoll angesehen wird. Über die Ver­suche, die Kar­tof­fel in Frankreich zum Grundnahrungsmittel zu machen, wird eine ähnliche Geschichte von und über Parmentier erzählt, der die Kartoffeln auf den Feldern rund um Paris hatte anbauen lassen.

In ­einer »Circular-Ordre« von Friedrich vom 24. März 1756 an »sämmtliche Land- und Steuer-Räthe, Magisträte und Beamte« heißt es:
    »Es ist von Uns in höchster Person in Unsern andern Provintzien die Anpflantzung der so genannten Tartoffeln, als ein nütz­liches und so wohl für Menschen, als Vieh auf sehr vielfache Art dienliches Erd Ge­wächse, ernstlich anbefohlen. Da wir nun bemercket, daß man sich in Schlesien mit Anziehung dieses Gewächses an den mehresten Orten nicht sonderlich abgiebet. Als habt Ihr denen Herrschaften und Unterthanen den Nutzen von Anpflantzung dieses Erd Gewächses begreiflich zu machen, und denselben anzurathen, daß sie noch dieses Früh-Jahr die Pflantzung der Tartoffeln, als einer sehr nahrhaften ­Speise unternehmen.«

Und weiter heißt es in diesem Kartoffelbefehl für die Beamten im »Breslauer Departement«:
    »Wo nur ein leeren Platz zu finden ist, soll die Kartoffel angebaut werden, da diese Frucht nicht allein sehr nützlich zu ge­brauchen, sondern auch dergestalt ergiebig ist, daß die darauf verwendete Mühe sehr gut belohnt wird.«

    »Übrigens müßt ihr es beym bloßen Bekanntwerden der Instruction nicht bewenden, son­dern durch die Land-Dragoner und andere Creiß­bediente Anfang May revidieren lassen, ob auch Fleiß bey der An­pflantzung gebraucht worden, wie Ihr denn auch selbst bey Euren Bereysungen untersuchen müsset, ob man sich deren Anpflantzung angelegen seyn lasse.«

Im Herbst – so heißt es – soll »gehörig und tüchtig gepflüget. Im Winter oder Früh-Jahr mittel­mäßig gedünget« und zwar mit Schweinemist, notfalls auch mit Küh-Mist, im März soll solches gewendet werden oder zum zweiten­mal gepflügt werden. Im April soll zur Saat gepflügt werden. Auch bei der Anpflanzung von Tartoffeln im Garten sei die Düngung erforderlich, und auch das »Wurtzel-Werck des Unkrauts« sei zu entfernen. Detaillierte Anweisungen als wären es Verordnungen aus Brüssel!

Am 7. April 1757 folgt für Schlesien eine wei­tere »Instruction, wie die Tartuffeln anzubauen und mit Nutzen zu gebrauchen sind«. In einer »König­lichen Verfügung«, einer Anweisung an die Landräte, steht:
    »Es ist Euch bereits am 26. März vorigen und unter dem 3. März dieses Jahres aufgegeben worden, den so nützlichen Anbau der Kartoffeln Euch bestens angelegen sein zu lassen, den Kreis­bewohnern den großen Nutzen davon begreiflich zu machen und sie zu fleißiger Anbauung dieser nahrhaften Frucht anzuhalten. Da wir nun aus den Berichten wahrgenommen, daß es den meisten an Kenntnis fehle, wie diese Kartoffeln an­­zupflanzen, so haben wir eine Anleitung, wie die Kartoffeln anzupflanzen und wirtschaftlich zu nutzen, entwerfen und zum Druck befördern lassen. Ihr empfanget davon Exemplare. Ihr müßt es beim bloßen Bekanntwerden der Instruktion nicht bewenden lassen, sondern durch die Landdragoner und andere Kreisbediente Anfang Mai prüfen lassen, ob auch Fleiß in der Anpflanzung gebraucht werde.«

Weitere Edikte behufs»Beförderung des Kar­toffelanbaus« sollen erlassen worden sein in den Jahren 1764 und 1765 , und stets wurde kostenlos Saatgut verteilt. Und die Kranken in der Ber­li­ner »Charité« erhielten als Kranken­nahrung Kartoffeln, ob zu Versuchszwecken am lebenden Objekt und/oder zur Stärkung ist nicht über­liefert. 1768 wurde vom König verfügt, daß jeder Bauer in Schlesien wenigstens ½ Scheffel, ein Gärtner wenigstens 4 Metzen Kartoffel­knollen im Jahr aus­zulegen habe.

Friedrich II. sei durch Berichte aus Bayreuth, wo seine Schwester, Markgräfin Wilhelmine wohnte (die ein Herz für ihre Bauern gehabt haben soll), und durch seinen dortigen Besuch 1743 veranlaßt worden, eine »Kartoffelorder« zu er­lassen; die Landwirte hätten künftig nicht mehr mit Steuererleichterungen zu rechnen, falls sie nicht Kartoffeln anbauten, was geholfen haben soll. Subven­tio­nen waren für den nichtbuchführenden Land­wirt schon immer ein Anreiz, etwas zu tun oder zu unterlassen. Außerdem soll sich Friedrich nach diesem Besuch Saatkartoffeln aus Bayreuth hat kommen lassen, um seine Pflanz­aktionen zu fördern.
    »Den Staat gab uns der Alte Fritz,

    dazu die Kartoffel als kluger Mann,

    weil sie allein, merk dir den Witz,

    in Not das Volk erhalten kann.«

Unser Goethe schreibt über die Wanderung der Kartoffel nach Schlesien und dann ins Böhmische:
    »In einem schätzbaren Aufsatze über das Vaterland der Erdäpfel und ihre Verbreitung in Europa erörtert Graf Sternberg lichtvoll zuvörderst die allgemeine historische Frage und gibt darauf einige merkwürdige Nachrichten über den Erdapfel in Böhmen, welchen er erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts als einigermaßen ausbreitend ansetzt, und zwar hauptsächlich als durch den König Friedrich II. von Preußen verursacht, indem teils dessen nachdrück­liche Empfehlung des Erd­äpfelbaus in Schlesien von da herüberwirkte, teils dessen sieben­jähriger Krieg die Aus­hilfe wohlfeiler und ergiebiger Nahrungs­mittel zu suchen lehrte; wenigstens heißen im Böhmischen die Erd­äpfel noch immer Brambori, der Angabe nach aus Brandenburg ver­stümmelt, welcher Name damals noch den preußischen bei dem Volke überwog.«

Das einfache, ungebildete Landvolk soll geglaubt haben (Ernährungs­wirtschaft wird erst ­viele Jahrhunderte später Unterrichtsstoff), daß die Knollen an den Bäumen (Grüblings­baum?) heranwüchsen und man sie dann wie Äpfel oder Birnen herabschütteln könne. Andere glaubten, es besser zu machen und vergruben alle Knollen auf einen Haufen, so daß sie mit maul­wurfsblinder Betriebsamkeit im Unterirdischen zu einem dichten Filz heran­wuchsen, sicherlich kein bukolisches Idyll: das muß ein schönes Tummulum, ein Ballawatsch, ein Tohuwabohu gegeben haben.

Am 19. Juni 1775 erläßt der König eine»Cabinets Ordre« behufs des Kartoffelanbaus. Dieses Edikt beweist, daß weder Friedrich noch seine Räte wußten wie der Kartoffelanbau zu bewerkstelligen sei. In der von Friedrich II. eigen­händig unterschriebe­nen Anweisung heißt es, daß nur die»Erdtapfeln« das Brot ersetzen könn­ten und man unbedingt gleich nach dem Ab­räumen des Roggens die Kartoffeln stecken ­solle, damit sie vor dem Winter noch reif werden. Die mit der Landwirtschaft wohl besser vertrauten unteren Beamten der Chur­märkischen Kammer in Berlin, die den Kartoffelanbau»vor Ort« um­setzen sollten, meinten denn auch schon am 22. Juni 1775, daß man anstelle vielleicht fehlender»Cartoffeln« auch Kohlrüben stecken könne.

Interessant an diesen verschiedenen Kartoffelbefehlen ist auch der Namenswechsel von Tar­tof­feln zu Cartoffeln, wobei auch die Erdtäpfel synonym verwendet werden. Dabei haben die Schlesier von der »Knu­del« gesprochen, wenn sie die Kartoffel meinten und die Brandenburger bzw. Altmärker von der »Nudel«. Die frühere Potsdamer Arbeitervorstadt Nowawes (die böhmische Bezeichnung für Neuen­burg), 1751 gegründet, wurde von den Berliner »Nudelberg« gespottet, da die kleine Anhöhe des heute zu Babelsberg gehörenden Dorfes von den böhmischen Bauern und armen Webern mit Kartoffeln bepflanzt war; der vorher auf diesem Hang bestehende Weinbau erforderte wesentlich mehr Mühe und Aufmerksamkeit und der Ertrag war zu sehr von Witterungseinflüssen abhängig. Noch 1952 wurde in einem im »Deutschen Bauernverlag« erschienenen Buch »Landwirtschaftlicher Pflanzen­anbau« die Sorte »Frühnudel« als ertragreiche ­Speise- und Wirtschaftskartoffel für geringe und mittlere Boden- und Klimaverhältnisse genannt.
    Am 5. Juli 1775 wird ein weiterer Kartoffelbefehl erlassen:

    »den 5ten July 1775

    An die Kurmärkische Kammer

    ex officio

    Friedrich Königs, Unseres Erhabenen und unserem allerunterthänigsten Berichte vom 22ten des Vormonats dort mehrere Verfahren welcher gestalt drin höchstselbst mittels der an Euch erlassenen Cabinets Ordre vom 29ten des Monats Allergnädigst resolviert haben dass bei dem sichtlichen Anschein zukünftiger Erndte auf den Felder wo Roggen gestanden, sogleich nach dessen Abbringung Ertapfel gestochen werden können, und dass von Euch sämt­lichen Land- und Steuerräte, der hiesige Magistrat, wie auch die Beamten danach instruiert, nicht minder die Altmärki­sche Deputation davon Nachricht gegeben werden.

    Wie nun diese von Euch hinunter getroffenen Einfügungen hiermit überall approbiert werden. So habet Ihr auch eurerseits die Herausstaltung zu treffen; und dahingehend zu planen, dass an diejenigen Orthen wo die Ertapfeln zur Saat nicht mehr vorräthig sind, oder die Saison nicht mehr zuträglich ist, dergleichen noch zu pflantzen, anstatt dieselben Kohlrüben oder gemeiner Kürbis welcher zur Fütterung nicht allein, sondern auch zur Nahrung zu gebrauchen zugezogen werden.

    Berlin den 5ten July 1775«

Zu bedenken sei aber auch: Der forcierte Anbau der Kartoffeln in Preußen (und in Österreich durch Maria Theresia) führte nicht zu einer Ver­besserung der Ernährungssituation der ländlichen Bevölkerung. Natürlich war die Gefahr des Hungers geringer, weil die Kartoffel nicht so anfällig war gegen die schlechte Witterung. Aber die Kartoffel wurde nur ausgetauscht gegen das vorher verzehrte Getreide. Die Kartoffel verdrängte auch – wie schon dargelegt – andere Nahrungsmittel wie den Buchweizen (auch »dunkle Blende« genannt im Gegensatz zum Mais als »Helle Blende«; in der Schweiz auch »Plenten«). Es kam durch die Kartoffel zu einer Verringerung der Anzahl Nahrungsmittel (Irland ist später das beste schlechte Beispiel). Gleichzeitig verschlechtert sich das Brot durch Beimischung von Kartoffelmehl. Es ist ein qualitativer Rückschritt der Ernährungssituation der unteren Schichten zu registrieren, der sich verschiedentlich auch in Bürger­protesten Geltung verschafft.

Das Brot der Bauern hatte immer minderwertiges Korn enthalten; was in den Städten als Hungerbrot galt, war auf dem Lande – selbst für die reicheren Bauern – das allgemein übliche; es wurde ergänzt mit Hülsen­früchten und Kastanien. Der Brei in vielen Varianten, Polenta, Mehl­speisen, Suppen, spielte eine wichtigere Rolle als das Brot. Kartoffelbrei hieß aber auch, sich dem Mühlen- und Backofen-Monopol der Grundbesitzer zu entziehen.

 
Hanf, das schon damals in der Mark Brandenburg angebaut und staatlich gefördert wurde, und Kartoffelanbau wechselten sich ab. Von Branden­burg gehen die Kartoffeln nach Schle­sien und von da (und aus Sachsen) nach Böhmen; die böhmisch-tschechische Bezeichnung»Brambury« für den Erdapfel, die auch weiter südöstlich sich einbürgerte, bedeutet»Branden­burger«. So kam die Kartoffel (und das Nachtbackverbot) durch die»Piefkes« über Böhmen nach Österreich und wurde dortselbst als»Bramburi« bezeichnet. So schimpfen aber auch alte Österreicher heute noch (aus alter Erbfeindschaft wegen Schlesien, das heute weder dem einen noch dem anderen gehört) Kartoffeln, die nichts taugen. Ansonsten gibt es dort »Erd­äpfel« statt Kartoffeln.

Bei einer Reise Friedrichs von Stargard nach Graudenz soll sich in Neustettin der Bürgermeister wegen Baugelder an ihn gewendet haben, die der König anfänglich verweigerte:
    »Die dicken Bäuchge der Bürgermeister beweisen ihre guten Ein­künfte, sie bedürfen also nicht der Baugelder.«

Der Bürgermeister Lehmann soll geantwortet haben: »Majestät, unsere dicken Bäuche beweisen nur, daß wir viel Krüll­toffeln (Pellkartoffeln) essen müssen, wenn wir nicht verhungern wollen.« Darauf, so die Anekdote, bewilligte der König die Baugelder, wohl weil er nicht wußte, daß Kartoffeln nicht dick machen und Bürgermeister Leh­mann ihn beschwindelte: Jeder Bissen bleibt höchstens zwei Minuten im Mund, zwei Stunden im Magen und drei Monate auf der Hüfte (wenn’s keine Kartoffeln sind).

1748 läßt Friedrich II. an den Oberamtmann Wilke im Amt Storkow (Mark) schreiben:
    »Nachdem Se. Kgl. Majestät bei Höchstderselben letzten Anwesenheit in Pommern in Erfahrung gebracht, daß man daselbst in einigen schlechten und fast unfruchtbaren Districten, woselbsten man den Unter­­­tha­nen wegen ihrer subsistence fast jahraus jahrein hat helfen müssen, man mit sehr gutem Nutzen das pflanzen der Tartüffeln bei den Unterthanen eingeführt habe, davon sel­bige sich dann sehr wohl befunden und im Stande gekommen wären, nicht nur sich zu unterhalten, sondern auch ihre praestande weit besser als vorher abzutragen; Und da Se. Kgl. Majestät allerhöchst resolvieret, das Pflanzen der Tartüffeln in dero chur­märki­schen Landen gleichfalls einzuführen, so hat das Amt Storkow zur Befolgung des Kgl. Befehls den Bau der Tartüffeln sich angelegen sein zu lassen, auch die Unterthanen gleichfalls dazu zu encouragieren und ihnen den daraus zu hoffenden Nutzen recht begreiflich zu machen.«

Friedrichs Kartoffelpolitik hängt aber stärker damit zusammen, daß er Getreide magazinieren ließ; im politischen Testament von 1752 steht:
    »Wir haben zwei Sorten Getreidemagazine. Die einen sind für die Armee bestimmt.«

    »Wenn man eine Armee bauen wollte, müßte man vom Bauche anfangen«, so Friedrich der ­Große: Auf den Märschen erhielten preußische Soldaten wöchentlich dreimal ½ Pfund Fleisch und täglich zwei Pfund Brot, das die Feldbäckerei lieferte. Die preußische Getreidehamsterei (1752 enthielten sie achttausend Wispel Korn) trug tatsächlich dazu bei, daß in schlechten Zeiten (und die kamen häufiger vor) der Not abgeholfen werden konnte. Über den schwedischen Karl XII. schreibt er: »Wie kann man einen Feldherrn loben, der von seinen Truppen Unermüdlichkeit, unsterbliche Taten verlangt, ohne daß er ihnen Nahrungsmittel verschafft.«

Die seit 1748 eingeführte getrennte Maga­zinie­rung von Getreide in »Kriegsmagazine« einer­seits und für die zivile Versorgung andererseits ­führte dazu, daß die früheren extremen Preis­schwan­kun­gen für Getreide innerhalb eines Jahres von 1:7 auf 1:2 absanken. Das war antizyklische Wirt­schafts- und Finanzpolitik, wie sie Keynes nicht hätte besser definieren können.

In seinem Testament von 1752 schreibt Friedrich:
    »Der Zweck der anderen ist, das Gleich­gewicht zwischen den Städten und dem ­flachen Lande zu erhalten, in den Städten zu verkaufen, wenn das Korn zu teuer ist, und auf dem Land einzukaufen, wenn der Preis dafür niedrig steht. Sie dienen auch den Vorschüssen an die Edelleute und Bauern, die irgendwelche Not erlitten haben und zugrunde gerichtet wären, wenn man ihnen nicht auf diese Weise umgehend Erleichterung verschaffte. ... Als Regel gilt, daß das Korn in Berlin nicht über einen Taler steigen und auf dem Land nicht unter den von der Kammer angesetzten Preis sinken darf.«

Nach 1756 wurde auch die Verteilungspraxis ge­ändert: Wurde vorher nur in extremen Teuerungsfällen (aufgrund einer Mangel­versorgung) ­Getreide verteilt, so erfolgt nun die Ausgabe von Brotkorn nach der Feststellung der Menge, die ein Armer benötigte. »Die überhand nehmende Theurung des Getreides« habe »kein anderes Mittel mehr übriggelassen«, als ein Verbot des Branntwein­brennens heißt es beispielsweise in einem Edikt für das Fürst­bistum Paderborn vom 14. November 1771, nachdem die für alle Kirchen angeordneten Bittgebete nicht den gewünschten Erfolg hatten. Für Paderborn ist dokumentiert, daß nach früheren Bren­ne­rei­verboten von September 1770 und Oktober 1770 (»aus Fürst-vätterlicher Vorsorge und mit Hintan­setzung Unseres eigenen Cameral-Interesses«) eine Lockerung im Dezember 1770 erfolgte und eine erneute Verschärfung im Mai 1771, und da hatte das furchtbarere Hungerjahr 1771/1772 noch gar nicht richtig begonnen.

Zwangsabgaben auf Getreide und sogar Zwangs­durchsuchungen auf den Kornböden der Bauern (und gegebenenfalls Zwangsverkäufe) zwangen diese indirekt zum Kartoffelanbau, wollten sie denn Nahrung genug haben und das Vieh füttern. Kartoffeln waren für die Soldaten nicht gut genug. Beim Soldaten­könig, bei dem sich die Soldaten in den Garnisonstädten (in Friedenszeiten) selbst verpflegen mußten, kamen dagegen Kartoffeln als preiswertes Nahrungs­mittel gleich mehrmals in der Woche auf den Tisch.

Angeblich habe»Fridericus Rex« sogar im Teehaus – in der Nähe des Pomona-Tempels (1801 vom jungen Schinkel erbaut) unterhalb des Belvedere – von Sans Souci (»Herr Friedrich saß auf Sanssouci, den Krückstock, den vergaß er nie«) demon­strativ Kartoffeln gegessen, um damit das Volk zu überzeugen; nach einer anderen Legende hätte er auf dem Balkon – vor staunendem Berliner Volk – des Schlosses Kartoffeln gegessen. Aber zu diesem Zeitpunkt war allseits bekannt, daß der »Alte Fritz« keinen Geschmack hatte und diese Demonstra­tion somit vergebene Mühe war. Und außerdem wird wohl nicht viel»Volk« in der Nähe seines Tee­hauses gewesen sein. Andererseits soll Friedrich II. bei seinen Inspektions­reisen durch seine brandenburgischen Lande stets im jeweiligen Dorfgasthaus gegessen haben und sich und seiner Begleitung die Kartoffeln habe schmecken lassen.

Jeden Abend kontrollierte Friedrich II. den Speise­­zettel des kommenden Tages. Wenn ein Vorschlag des aus dem Périgueux stammenden Chefkochs Noël oder ein Mittagessen von Joyard aus Rouen (des anderen Chefkochs) besondere Zustimmung fand, vermerkte er es. Es wird behauptet, der ­König hätte im Laufe der Jahre Geschmack an der Ber­liner Küche gefunden, in der bis heute die von (Graf von der Schulenburg angeworbenen) flämischen Tuch­machern in den Spreewald (auf den Recklin) gebrachten sauren Gurken («sore Jorke« ist ‘was anderes), der von Noël de Marinière erfundene marinierte Hering und das Kotelett mit Kartoffeln besondere Beachtung finden; seine ­Lieblingsgerichte seien Polenta und Aalpastete gewesen. Auf dem Küchen­zettel des Königs für den 5. August 1786 wie auch an fast allen anderen Tagen befanden sich Kartoffeln, an jenem Tage in Form von »Croquetten«: Patriae in serviendo consumor – im ­Dienste des Vaterlandes wurden sie auf­gezehrt.

Friedrich II. hätte wohl ohne die Kartoffel­kost nicht sagen können: »Meine Methode, mich nicht zu menagieren, bleibt immer dieselbe. Je mehr man sich verwöhnt, desto empfindlicher und schwäch­licher wird der Körper.« Noël hat dem alten Fritz weitaus Köstlicheres als nur pommes zubereitet. Besonders Macaire-Kartoffeln liebte der König, diese Kartoffeln, die in der Schale gebacken werden.

Wenn sie gar sind, wird oben ein Deckel ab­geschnitten, das Innere herausgenommen, mit Butter und Gewürzen (Salz, Pfeffer, Muskat) ver­arbeitet und wieder in die ausgehöhlte Kartoffel gefüllt und dann serviert. Knödel(n) kannte der König nicht. Aber Friedrich mochte Bier- und Weinsuppen und Kartoffelsuppe so wie Goethe keine Mahlzeit ohne Suppe zu sich nahm (darunter natür­lich auch Kartoffel­suppe). Günter Grass behauptet, daß des Königs Besuch in Zuckau am 16. Oktober 1778 stattfand und – wichtiger – die dort wohl gemundete Kartoffelsuppe der Amanda Woyke zum könig­lichen Leib­gericht erhoben wurde.

Friedrichs Interesse für die Kartoffel stand im krassen Gegensatz zu dem in Brandenburg schon weit verbreiteten Rübenanbau. Die an der Ber­liner Akademie der Wissen­schaften von Andreas Sigismund Marggraf 1747 gemachte Entdeckung eines kristallisier­baren Zuckerstoffes in der Runkelrübe (die bis dahin vorwiegend als Viehfutter verwendet wurde) soll ihn nicht interessiert haben; aber vielleicht lag das Desinteresse des Königs mehr darin begründet, daß er Marggraf als Phlogistiker wie allen Alchimisten mißtraute (Boswell: »So ist der Mensch – schwach und unvollkommen«).

Marggraf schuf damit die Voraussetzung für die Entstehung einer europäischen Zuckerproduktion. Um 1880 wurde mehr Zucker aus Rüben als aus Zuckerrohr hergestellt: Deutschland erzeugte bis 1914 mehr Zucker als Kuba; als die Rübenbauer in den Krieg ziehen mußten, ging ­diese ­beherrschende Stellung verloren. Die von Goethe gerühmten wasser­armen, auf sandig-kalkig Boden gezogenen »Teltower Rübchen« (aus Teltow bei Berlin) bzw. »Märkische Rübe« (von den Feldern bei Stolpe) kamen dem König nicht auf den Tisch, obwohl sie sich auszeichnen durch einen relativ hohen Stickstoff- und Stärkemehlgehalt (das muß man nicht wissen) und besondere Geschmackseigenschaften.

 
An dieser Stelle ein Hinweis auf die Veränderungen der Mahlzeiten, die durch die Kartoffel und durch andere neuartige Speisen und Getränke bewirkt wurden. Die wichtigste Änderung betraf die Bestandteile. An die Stelle der morgendlichen Biersuppe bzw. des Hirse- oder Buchweizenbreis trat die Knolle in verschiedenen Zubereitungsarten. Eine weitere Änderung betraf die Zusammen­­setzung der Vesper – auch hier ersetzte die Kartoffel vielfach die üblichen Breispeisen. Gleichzeitig – im frühen 18. Jahrhundert – verbreitete sich der Genuß von Tee und Kaffee. »In vornehmen Häusern sei die Gewohn­heit eingeführt worden, daß des Morgens und Nachmittags Caffé oder Thee muß getrunken werden« schreibt Marperger 1716 in ­seinem Dictionarium.

Ein neuer Typ von Besuchsmahlzeiten entstand, die »Caffé-Visiten« (nach dem Mittagessen kommend und vor dem Nachtmahl gehend), die sich bis heute erhalten haben und der Hausfrau die Gelegenheit bieten, den »Russischen Zupf­kuchen« aus der Tüte vorzuführen. ­Heutzutage haben diese Kaffeepausen auch den Vorteil, daß sie den gestreßten Er­wachsenen eine Möglichkeit bieten, die Kinder fortzuschicken, denn diese sind noch nicht auf den Geschmack gekommen – im Sinne eines Initiationsritus‘. Und in Büros werden die An­gestell­ten in solchen Momenten von quengelnden Vorgesetzten in Ruhe ge­lassen. Und jetzt schließt sich der Kreis wieder zur Kartoffel: Daniel Wilhelm Triller schreibt 1730 über den Kaffee
    »Er strenget Nerv

    und Sehnen an

    dass er das ehlich Geschäffte

    mehr fördern als verhindern kann.«
Die Geschichte der meisten Nahrungsmittel (und der Menschheit) scheint eine Geschichte der Verbes­se­rung der »ehelichen wercke« oder »Ge­schäffte« zu sein. David Pilbeam und Richard Wrangham von der Universität Harvard (in »Cur­rent Anthropo­logy«): »Nichts hat größere Macht, sexuelle Bindung zu för­dern, als gekochte Wurzelknollen.« In vornehmen Häusern entstand zwischen Schlafzimmer und Salon das Boudoir als besonderer Raum für den Kaffeegenuß, für den Porzellan­manufakturen kostbare »Services à deux« mit allerlei phallischem Dekor her­stellten. Und später zeigte die Dame des Hauses, daß sie nicht nur guten Kaffee kochen ­konnte.

Die »Tante Voss«, die »Vossische Zeitung« in Berlin, gab derweil ein Rezept für Kaffee aus Kartoffeln wieder:
    »Man schneidet gekochte Kartoffeln in winzige Stücke, legt diese auf den Ofen und läßt sie bis auf die Hälfte eindörren, dann brennt und röstet man sie in der Pfanne wie Rohkaffee. Beim Mahlen und Aufbrühen verfährt man wie bei gewöhnlichen Kaffee. Das so zubereitete Getränk ist vom ordinären ­Kaffee weder in Farbe noch Geschmack zu unterscheiden. In einem Lande wie dem unsrigen würden so jährlich viele tausend Taler erspart werden.«

Also führte das Verbot Friedrichs, Kaffee aus Kaffee­bohnen zu konsumieren, über den Umweg ­eines dunklen Getränks aus Kartoffeln zu einem stärkeren Bevölkerungswachstum. Es wurde zwar der Kaffee verboten, nicht jedoch ein Ersatzgetränk. Ob Kaffee oder Zichorienbrühe: Die Gewohnheit, ein heißes Getränk zu sich zu nehmen, führte zu einer Erhöhung der Lebenserwartung, denn bis dahin wurde Wasser so getrunken wie es aus dem Brunnen oder dem Bach kam. Das jetzt notwendige Aufkochen dieses Wassers tötete die überall vorhandenen Bakterien ab.

Anfang 1748 schreibt der roi philosophe Friedrich II. an François Marie Arouet:
    »wegen der toffels, sehe ich wohl, ist ein Mißverstandt. Schike mir mehr rezeptionen, dann will ich es den bauern deutlich sagen.« Unterschrift: »Frederic«

Und Voltaire antwortet prompt:
      »... ich sende Euch hiero ein Rezept aus der Dauphiné, das Euch wohlschmecken wird.«

Es muß sich wohl um »pommes chamonix« gehandelt haben. Die beiden alten Herren konnten noch nicht wissen, daß Kartoffelscheiben unter den heute üblichen IKEA-Preßspan-Schränken den Umzug innerhalb einer Wohnung wesent­­lich erleichtert. Es ist nicht auszuschließen, daß auch dieser Schrift­wechsel zu den »Sagen« der Kartoffelgeschichte gehört, denn Voltaire schätzte ein leichtes, schmackhaftes Essen höherer Provenienz, mit Fasan, Wachtel, Champagner: »Ich verzichte auf hun­dert Jahre meines Nachruhms für eine gute Verdauung bei Lebzeiten.«

Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges, 1756, ist der Kartoffelanbau durch die Obrigkeit in großen Teilen Brandenburgs durchgesetzt; es ist jedoch eher anzunehmen, daß sich die Kartoffelfelder trotz der Anordnungen der Domänen-Verwaltung, mehr durch die Initiative der Bauern, vermehrten, Aber erst (schon) 1765 zeigen sich die Erfolge der fride­ricianischen Kartoffelpolitik: Sie wurde als mensch­liche Nahrung akzeptiert. Trotz der starken Widerstände in Stadt und Land: 1785 war die Kartoffel eingeführt, von den Brandenburgern (so steht es geschrieben: liebevoll) »Toffeln oder »Töffelen« ge­nannt.

Nicht nur die brandenburgisch-preußischen Bauern, die Kar­toffeln pflanzten, erlebten, daß die Kartoffelernte auch dann gut war, wenn die Getreideernte mißriet, der Rhythmus der biblischen sieben Jahre konnte durchbrochen werden, die regel­mäßigen Hungerjahre gehörten (fast) der Vergangenheit an. Bauern, die Kartoffeln an­bauten, sahen, daß sie ihre vielen und hungrigen Kinder leichter durchfuttern konnten; »Hat man Kartoffeln, so hat man alles«, sagte das Vreneli zum mutlosen Uli.

1861 wird in dem »Handbuch des preußischen Staates« von Carl Friedrich Wilhelm Dietericis für die preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg, Rheinland und Westfalen »eine unglaubliche Verbreitung der Kartoffel« angenommen. Die Knolle war immerhin ein rundes Jahrhundert nach den Kartoffelbefehlen von Friedrich II. in diesen Provinzen zum Hauptnahrungsmittel geworden und ernährte vor allem die Familien der armen Lohnarbeiter: Je geringer das Haushaltseinkommen und je größer die Kinderzahl, desto höher war der Kartoffelverbrauch.

 
Es mag ja sein, daß manche Bauern die dicksten Kartoffeln haben: Aber nur zwanzig Prozent der rund achtzig Milliarden EU-Landwirtschaftssubventionen gehen an die Bauern, den Rest erhält die Industrie. Alle zwei Minuten stirbt in der EU ein Bauernhof und widerlegt damit ein weiteres Sprichwort. Damit ist auch die eingangs gestellte Frage nach dem Zusammenhang von Dummheit und Kartoffelgröße be­antwortet: Die dümmsten Bauern mögen zwar die dicksten Kartoffeln haben, aber sie können als Landwirt auch mit großen Kartoffeln nicht überleben ohne die helfende subventionierende Hand des Staates. Nur die Bauernfunktionäre wollen es noch nicht gemerkt haben.

 
War erst einmal in einer Region der Kartoffel­anbau (wenn auch nur in den »Gärten«) eingeführt, so stand seinem, allgemeinen Anbau nicht mehr viel entgegen – die schon erwähnte »invisible hand« machte es. Dann war es auch nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kartoffel die soziale Stufenleiter nach oben kletterte und vom »Arme-Leute-Essen« zur Beilage auf den Tischen der Begüterten avancierte – insbesondere nach Hungerperioden wie 1770/1773; aber es wurde – nicht nur in Deutschland – verhältnismäßig schnell wieder von der Speisen­karte abgesetzt, wenn sicher war, daß die Hungersnot vorbei war; es war das »charakteristische« Essen der »lütten Lüd«: Aus diesen Hungerjahren ist aus Österreich überliefert, wenn die Nahrung so schlecht sei, so wäre es besonders dringlich, zum Ausgleich Tabak zu rauchen. Sobald die Menschen sich wieder getreide leisten konnten, hörten sie auf, dieses »inferiore«, dieses minderwertige, Lebens­mittel zu kaufen:
    »Der Geschmack der Kartoffel ist wunderlich, die Leute essen sie nur zur Zeit der Not, und das Vieh ist nur durch Hunger dazu zu bringen, kurz, bei einem Landwirte, wo sonst genug Arbeit und gute Wirt­schaft sich befindet, darf dieses Gewächs nicht geduldet werden.«

Hier paßt ein klassisches ­Zitat – diesmal von Franz Moor aus den »Räubern«
    »In meinem Gebiet solls so weit kommen, daß Kartoffeln und Dünn­bier ein Traktament für Festtage werden, und wehe dem, der mir mit vollen, feurigen Backen unter die Augen tritt! Blässe der Armut und sklavischen Furcht sind meine Leibfarbe: in diese Liverei will ich euch kleiden!«

Unser Johann Wolfgang von Goethe in »Wil­helm­ Meisters Wanderjahre« (1807) will die Welt nicht mit der Kartoffel traktieren:
    »Keinem Kinde da droben soll es an einer Kirsche, an einem Apfel fehlen, wonach sie mit Recht so lüstern sind; der Hausfrau soll es nicht an Kohl oder sonst einem Gemüse im Topf ermangeln, damit dem unseligen Kartoffelgenuß nur einigermaßen das Gleichgewicht gehalten werde.«

aber unser Dichterfürst hat hier nicht bedacht, daß Girolamo Benzoni 1620 über die Süßkartoffel geschrieben und Samuel Engel 1777 in der »Encyclo­pédie« dies auf die Kartoffel übertragen hat und sich deshalb irrt mit den Winden.

Raoul Tranchirer nennt im Vergleich mit der Runkelrübe »die schwere heiße, fast unverdau­liche Kartoffel«. Stanislaw Lem (im »Sterntagebuch«) meint, die Kartoffel besäße eine »typische Sanftmut und Trägheit«, die »durch fürsorgliche Obhut und Zucht« hervorgerufen wurde. Die Menschen besitzen die Fähigkeit, viel und sogar extrem viel zu essen, aber auch mit sehr wenig Nahrung zu überleben, mit einer relativen Vielfalt von Nahrungsmitteln, aber auch mit einer sehr einseitigen Ernährung vorlieb nehmen zu müssen, zu können. In der Geschichte wechseln regelmäßig Phasen der Völlerei (nicht nur für die »Besser­­verdienenden«, sondern für weite Teile des Volkes) mit Hungersnöten ab

 
Eine kleine Abschweifung zu den Nahrungsvorstel­lungen des mittel­alter­lichen Menschen, die auch nach der Entdeckung Amerikas weiter­bestanden. Den Luxus, der Nahrung besondere Wertigkeiten zu­zumessen, konnten sich nur Leute leisten, die mit Nahrungsmitteln aus­reichend versorgt waren und zugleich eine Wahlmöglichkeit hatten. Lebewesen (Pflanzen und Tiere) waren Glieder oder Stufen ­einer vertikalen Kette. Im zwischen Mineral- und Tierreich angesiedeltem Pflanzen­reich standen die Knollen und Wurzeln auf der niedrigsten Stufe, da sie mit dem Element der Erde am engsten verbunden waren.

Auf der nächsthöheren Stufen befanden sich die Kräuter, die Sträucher und dann die Bäume, deren Früchte mit Zweigen und Laubwerk in den Himmel stießen. Baumfrüchte besaßen einen größeren Adel, waren edel. Die größere Nähe zum Himmel war jedoch nicht nur metaphorisch, man glaubte tatsächlich, daß die »Verdauung« der Nahrung bei den Pflanzen um so intensiver ist, je höher die Pflanze wachse. Piero de Crescenzi schrieb noch 1784 in seinem »Trattatodella agricoltora«, daß »der Nährsaft der Pflanze in der Wurzel fader ist und je mehr er sich von der Wurzel entfernt, desto mehr gewinnt er vorteilhaften Geschmack.« Corniolo della Cornia, ein anderer Italiener jener Zeit, schreibt, daß »viele Früchte auf dem Wipfel des Baumes Geschmack haben, aber nahe am Boden fade sind wegen der Vorherrschaft der wäßrigen Substanzen.«

Über den Pflanzen standen die ­Tiere und hier wieder ganz oben die Vögel; Fasane und Rebhühner waren das Maximum feiner Eßkultur. »Weißes« Fleisch – so ein italienischer Arzt im 16. Jahrhundert – sei auch sehr bekömmlich für die­jenigen, die »mehr auf die Übungen der Seele als auf die des Körpers bedacht sind.« Natürlich kann diese Rangordnung auch damit zu­sammen­hängen, daß die Wälder verschwunden waren und damit das Wild von der Tafel. Kalbfleisch ist heutzutage angesagt (wenn‘s doch nicht so gemästet und gespritzt wäre). In die deutsche Dienst­leistungs­gesellschaft paßt kein rotes Fleisch (»Vot vuz zat ven it vuz live« – was war das, als es noch lebte – hätte der ungarische Mathematiker Paul Erdös gefragt), bestenfalls für Sportler, die den circensischen Teil der Gesell­schaft über­nommen haben, und für die wenigen Arbeiter, die unsere Luxusgegen­stände herstellen.

In der französischen Küche im 18. Jahrhundert gehörten Hühner zu den wichtigsten Bestand­teilen. Rebhühner galten als besonders bekömmlich und gut geeignet für Rekonvaleszenten. Da der Pfeffer bereits für Gefängnisinsassen verwendet wurde, kam gewürztes Fleisch in Verruf. In der »Hausväter-Literatur«, bestimmt für die lesefähige bürgerliche Hausfrau, wurde anstelle des (für den Adel reser­vierten) Wildbrets auf die jeweiligen verwandten Haustierarten verwiesen, wenn’s darum ging, Fleisch zuzubereiten. In den Gemälden dagegen war Wild stark vertreten – wenn schon nicht auf dem Tisch, dann wenigstens an der Wand.

Vegetarische Speisen, Knollen und Wurzeln wie auch die niedrigen Kräuter (wenn sie keine Gewürzfunktion besaßen) überließ man den Bauern; an den Tafeln der Leute von Stand aß man Äpfel. Eine Ausnahme bildeten die Kastanien, die – an sich – hochrangig waren, aber aufgrund ihrer Masse beim Volk Verwendung fanden.

Und noch ein Punkt, der die Kartoffelverbrei­tung anfänglich behinderte. Der Kartoffelbau ­hatte keine Ähnlichkeit mit »richtiger« Landwirtschaft, beim Kartoffelbau standen die Pflanzen nicht in ordentlichen Reihen wie es zum Beispiel Getreide tat. Weizen und Bäume wuchsen nach oben – zum Himmel, zur Sonne, zu Gott. Weizen war Gold. Die Kartoffel und sein nutzloses Kraut dagegen wuchs nach unten, zur Unterwelt. Kartoffeln waren unordentlich, deshalb meinten die Engländer, daß die Kartoffel zu den papistischen Iren paßte. Kartoffeln waren braun. Kulturell und politisch paßten die Kartoffeln also zu den unteren Schichten. Weizen und anderes Getreide bedeutete auch Zivilisation. Weizen mußte gesät, geerntet, gedroschen, gemahlen, geknetet, geformt und gebacken werden. Kartoffeln: Ins Wasser und kochen lassen (was keine besondere kulturelle Leistung ist) oder direkt ins Feuer – fertig war die Mahlzeit. Kartoffel war Urmaterie, Getreide jedoch der christliche Geist.

 In dem 1985 erschienenen Roman «Simon och ekarna« von Marianne Fredericksson, wird die Ge­schichte eines in Göteborg aufwachsenden Adop­tiv­kindes (vor dem Zweiten Weltkrieg) geschildert:
    »Sie ließ sich das alles durch den Kopf ­gehen, als sie spät an diesem Abend wieder unter sich waren und das Essen auf dem Tisch stand. Alls sie sich ein Stück Kartoffel in den Mund steckte, konnte sie endlich zugeben, wie sehr sie Kartoffeln verabscheute – ob gekocht, gebraten, gerieben, gratiniert, in der Schale –, es blieben gekochte Kartoffeln. Damit war jetzt Schluß, dachte sie, die Sorge ums Essen würde bald nur noch Erinnerung sein, genau wie die Kohle und das kalte ­Örtchen im Hinterhof.«

Andererseits stellt F. W. Schubert, ein Königs­berger Professor, Anfang des 19. Jahrhunderts über die Provinz Preußen fest, daß die Bevölkerung des platten Landes fast ausschließlich von Ackerfrüchten lebte und ein Drittel der gesamten ländlichen Bevölkerung ausschließlich Kartoffeln aß:
    »Sie hat auf Brot als gewöhnliche Tagesnahrung verzichtet.«

Bei den sog. hochfestlichen Mahlzeiten kam die Kartoffel außerordentlich langsam voran. ­Günter Wiegelmann weist daraufhin, daß noch 1800 die Kar­toffel auf bürgerlichen Tischen nicht üblich war. Johann Heinrich Voss läßt die Hausfrau in der ­»Luise« sagen:
    »denn es wäre ja schimpflich, wenn wir mit Fischen allein und Vögelschen diesen Abend feierten, und, ich schäme mich fast, mit gebrühten Kartoffeln.«

In Gebieten mit ausreichender Getreide­­ver­sor­gung aufgrund fruchtbarerer Böden hatte die Kartoffel es besonders schwer, als menschliches Nahrungs­mittel akzeptiert zu werden. Beispielhaft sei Fehmarn, die Provinz Holland oder das schwedische Öland genannt. In Schleswig-Holstein ging mit dem Kartoffelanbau zugleich eine Verringerung von Buchweizen und anderem Getreide einher. Die etwas süßlich schmeckenden Knollen der Pastinake oder Hammelmöhre (Pastinaca sativa) mußte ihre über eintausend Jahre währende Dominanz als Nahrungsmittel an die Kartoffel abgeben, obwohl weder ge­schmacklich noch von der Textur her zwischen beiden die geringste Ähnlich­keit besteht. Der Kartoffel gelang es jedoch lange nicht, eine besondere Bevorzu­gung während der Fastenzeit ein­zunehmen: Hier blieb es bei Pastinake und bei breiten Bohnen, wie es schon der Botaniker Hyronie­mus Trager 1552 beschrieb; erst zum Ende des 18. Jahrhunderts löste die Kartoffel die fleischige Pastinake ab.

Unter prinzipieller Beibehaltung der alten, klassischen Drei-Felder-Wirtschaft konnten Kartoffeln auf der jeweiligen Brache angebaut werden, und mit der Anhäufelung wurde der Boden gut durchlüftet. Kartoffeln waren auch viel­seitiger einsetzbar: Als Viehfutter (wenn es eine gute Getreideernte gab) und als Nahrung für die Menschen (wenn es an Getreide mangelte). Ein weiterer Vorteil der Kartoffel gegenüber Getreide war, daß Kartoffelfelder geringeren Schaden bei kriegerischen Aktionen erlitten. Eine Armee – so Braudel – kann im Sommer auf dem Kartoffelfelde kampieren, ohne daß die Herbsternte gefährdet wurde.

Aus dem Elsaß wird berichtet, daß die Kartoffel geschätzt werde, »weil sie den Verheerungen des Krieges nicht ausgesetzt ist.« In der Tat, die Ge­treide­felder (auf dem »Felde der Ähre« gestorben) wurden zertrampelt, die in der Erde liegende Knolle ertrug die darüber hinweg marschierenden Kriegsmänner leichter. In den »Wöchentlichen Zeitungen« aus Darmstadt steht 1677:
    »Der erbärmliche Zu­stand des Landes nimmt durch die Verheerung täglich zu / in dem alle Früchte abgemäht / und Schlösser und Dörffer rasiret werden«.

Die Kartoffel­produk­tion stieg mit und wegen den Kriegen; nachzuweisen ist dies ins­besondere im Elsaß in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in Flandern während des Pfälzischen Erb­folge­krieges am Ende des 17. Jahrhunderts und während des Öster­reichischen Erbfolgekrieges, der mit der Getreidekrise 1740 zusammen­fällt und an dem Parmentier auf französi­scher ­Seite teilgenommen hatte.

Aber Kartoffeln wurden im stärkeren Maß noch als Viehfutter verwendet denn als menschliche Nahrung. Nur langsam setzt sich die Kartoffel als Nahrungs­mittel des Landvolks im nördlichen und westlichen Europa durch. Eine Behinderung der schnelleren Durchdringung der Kartoffel als Nahrung für den Menschen war sicherlich auch, daß Essen und Trinken als eine Möglichkeit der sozialen Differen­zie­rung angesehen wurde und sich diese Auffassung gerade im 17. Jahrhundert wieder stärker verbreitete. Die bürgerlichen Herr­schaf­ten sahen in den Ritualen des Essens und Trinkens eine attraktive Möglich­­keit für Prestigegewinn, aber auch für eine neue Gruppen-Identität gegenüber den Unterschichten.

Es entstanden Bauernregeln, nach denen sich der noch immer im heidnischen Glauben bewanderte Landmann richtete:
    »Kartoffeln sollen bei abnehmenden Mond im Zeichen des Fisches gesetzt werden. Bei zunehmenden Mond gäbe es zu hohe Stauden und kleine Kartoffeln. Beachtet man das Zeichen des Fisches nicht, so haben die geernteten Kartoffeln Auswüchse und keine glatte Fläche. ...

Ernten soll man Kartoffeln bei abnehmenden Monat im Zeichen der Waage; sie keimen dann im Keller nicht so schnell.«

Im lettischen Volkslauben wurde diese aus dem Rübenanbau kommende Auffassung auf die Kartoffel übertragen: Kartoffeln werden zur Zeit der Apfelblüte und bei bewölktem Himmel (damit sie kräftig wachsen) und bei abnehmenden Mond (damit das Kraut nicht so hoch wird) in die Furchen gelegt.

Wenn sich die jetzt fällige Reform des astrologischen Kalenders mit dem neuen Tierkreiszeichen Schlangenträger durchsetzt, werden wohl ­manche Bauernsprüche neu formuliert müssen: Kartoffeln sind frostempfindlich, und die Triebe erfrieren, wenn sie vor dem letzten Frost die Erddecke durchstoßen. Die Saat darf also nicht zu früh durch­geführt werden. Also muß, schon wegen der Kartoffel, diese Kalenderkorrektur zügig durchgeführt werden.
    »Legst du mich im April,

    komm‘ ich wann ich will,

    legst du mich im Mai,

    komm‘ ich glei.«
 
Kartoffelanbau war eine biologisch-ökonomische Notwendigkeit: Das Hand­haben einer Sense, die Arbeit auf der Tenne, war zwar so schwer wie das Ausbuddeln von Kartoffeln aus dem sandigen, märkischen Boden, aber man konnte (und mußte auch) für die Kartoffellese Weiber und Kinder einsetzen. Kartoffelsetzen und -lesen war harte, schwere, ermüdende Arbeit. Das war wahrlich ­keine Tee­zeremonie mit abgespreiztem kleinen Finger.

Heinrich Seidel, geboren in Perlin (Mecklenburg) und gestorben in Berlin:
    »Die Trüffel wächst in Frankreichs Gauen,

    verborgen in der Erde Schoß,

    allein für mich, auf märk’schen Auen

    wächst die Kartoffelknolle bloß.«

Damit die Kinder richtig motiviert wurden, die Kartoffelernte fröh­lichen Herzens und guten ­Mutes zu beginnen, stand im Lesebuch für die Schul­anfänger:
    Und lustig wandern im Verein

    Die Kinder auf das Feld hinaus,

    Und graben die Kartoffeln aus

    Und füllen sie in Säcke ein.

Die Handsichel wurde etwa Mitte des 12. Jahrhunderts durch die Sense abgelöst; bis zu diesem Zeitpunkt hatten Frauen und Männer gleicher­maßen Feldarbeit und Viehwirtschaft erledigt. Die mit dem Kartoffelanbau zusammen­hängenden Auf­­gaben konzen­trier­ten sich wegen der angeblichen leichten Arbeit fast ausschließlich auf die Frauen; die Männer kümmerten sich um Korn und Vieh und um die handwerk­lichen Sachen: »Die ­Schwielen der Arbeit schützen vor Schmerz.« Die in manchen Berufen schon vorhandene Arbeits­teilung zwischen Mann und Frau wird auf die Landwirtschaft übertragen, perfektioniert und in althergebrachte Tradi­tionen eingebettet.


Auf die Rolle der Frau in der Geschichte der Kartoffel soll hier kurz hingewiesen werden.

Der frühere Berliner SenatorHarry Ristock schildert in »Kindheit und Jugend in Ostpreußen« die Arbeitsteilung zwischen seinen Eltern:
    »Vater hatte zu säen, zu mähen, zu pflügen, Dung und Jauche zu fahren, das Vieh auf die Weide und in den Stall zu bringen und zu versorgen. Mutter erledigte fast alles ­andere: Kartoffeln setzen, Rüben verziehen, das gemähte Getreide in Garben binden und in Hocken auf­stellen, Haus und Hof zu versorgen, abends füttern, wieder melken, das Abendbrot zubereiten.«

Dreihundert Jahre nach Einführung der Kartoffel in Ostpreußen: Eine klare Verantwortung der Frau für die Kartoffel. Adriano Sofri (»Der Knoten und der Nagel«):
    »Bei allen bekannten primitiven Völkern ist das Jagen Sache des Mannes, das Sammeln Sache der Frau. In kleinen Gruppen, mit den Kindern auf den Schultern, einen Korb auf dem Kopf und einem an­gespitzten Holzpflock in der Hand graben die Frauen jeden Tag Wur­zeln und Knollen aus, sammeln Grün­zeug. Sie kennen die Pflanzen­welt bestens. Ein unbedeutendes grünes Blättchen ist das Indiz für eine nahrhafte Knolle.«

Und deutlich schreibt Jeremias Gotthelf 1848 in »Uli der Pächter«:
    »Dann gibt es noch eine Menge Neben­sachen, welche zugleich zufällig sind, Obst zum Beispiel und Erdspeisen, das heißt Speisen, die in der Erde wachsen: Erdäpfel, Kohl, ­Rüben usw., Hanf, Flachs, in unsren Gegenden auch Ölpflanzen, welche anderwärts zu den Haupt­produkten gehören. Je besser nun ein Gut bewirtschaftet wird und je besser nament­lich die Frau ist, desto mehr wird auf diese Weise gleichsam so nebenbei gewonnen. Es wird gar manche Frau hoch gerühmt über ihr Geschick, aus der Stümpelten ein bedeutend Geld zu machen, indem sie alles zu Ehren zu ziehen weiß und es zu Nutzen bringen kann, während andere Weiber nichts zu machen wissen, das Entbehrliche weder bemerken noch an Mann zu bringen wissen, es brauchen, wenn und wie der Gebrauch es mit sich bringt, oder es sich selbst überlassen, wenn sie es nicht selbst brauchen können. Das sind die Weiber, denen das Denken eine Pein ist oder die ihre Gedanken ­allenthalben haben, nur nicht bei ihrem Haus­wesen. Dies macht natürlich einem Mann einen bedeutenden Unterschied, ob seine Frau die Kleinigkeiten alle zu verwerten verstehe oder nicht. Auf größern Gütern kann es in die hundert Gulden gehen.«

Tomek Tryzna in »Fräulein Niemand«:
    »Ich gehe hinter Mama her und ziehe mit der Hacke Erde in die Löcher mit den halbierten Kartoffeln. Mama ist gut. Sie sagt nie etwas, wenn ich die Kartoffeln nicht richtig ­zudecke. Sie schaut mich nur an, und ich weiß gleich, daß ich es besser machen muß. Die Erde ist weich. Papa hat sie mit dem Spaten um­gegraben. Jetzt arbeitet er am Zaun, und Tad­zio läuft hinter ihm her. ... Es ist Frühling. Den ganzen Tag scheint wunderschön die Sonne. Im Moment nicht mehr so stark, weil sie schon tief steht. Unser kleines Feld grenzt an den Wald. Der Wald ist dunkelgrün und das Feld dunkelgrau. Wenn die Kar­tof­­feln erst mal wachsen, wird es auch grün sein.«
Der Kartoffelanbau mit der Hacke bewirkte eine deutliche bessere Durchlüftung des Ackerbodens, und die Humusbildung wurde durch Pflanzen­rückstände gefördert; davon profitierte wiederum in der Drei-Felder-Wirtschaft das nachfolgend eingesäte Getreide. Der Anbau konnte ohne Pflug und Pferd erfolgen, die Hacke genügte für die Pflanzung, für die Bearbeitung während der Wachstumsphase und für die Ernte. Die Einführung des Pfluges auf Rädern und die heute üblichen schweren Landwirtschafts­maschinen führen zur Aus­trock­nung des Bodens, bei dem das Wasser nicht mehr in der Erde versickert, sondern an der Oberfläche abfließt und damit die Gefahr der Erosion zunimmt.

 Wenn Friedrich II. (es muß nicht immer darauf verwiesen werden, daß es sich bei Friedrich II. um den preußischen König handelt) in seinem schmuddeligen mit Tabaksflecken übersäten Rock (er selbst meinte, er sehe»ein bißchen wie ein Schwein aus«) übers Land fuhr in seiner über dreißig Jahre alten ­Kutsche, so ließ er – wie Joachim Fernau fabuliert – in den Dörfern halten und beschimpfte die aufwartenden Bauern:
    »Kerls, ihr sollt mehr Kartoffeln anbauen, Preußen soll Kartoffeln essen, das ist was Gutes.«

Günter Grass im »Butt«:
    »Als Er nach Zuckau kam, regnete es. Es regnete schon seit Tagen, so daß die Bulwen raus mußten. Das königliche Domänengesinde hackte vor, wühlte nach, sammelte in Körbe, buckelte die triefenden Körbe zum Ackerrand: traurige Riesenkrähen, zwischen denen gewöhnliche Krähen ihren Anteil suchten, während die lehmverdreckte ­Kut­sche des Königs vierspännig, ungefedert, aus­gedient, schon Legende, aber immer noch unterwegs war. Diesmal kam er von Karthaus her über die Landstraße mit ihren Schlag­löchern, bis die Kalesche rechts einbog, den Feldweg nach Zuckau langstolperte, wo das Gesinde in den ver­regneten Äckern den ­Buckel streckte, während das königliche Ge­fährt zwischen Birken aufkam, in einem Hohlweg verschwand, größer wie­der da war, ein Ereignis, dann über Regenpfützen stillstand, worauf hinter den dampfenden Rappen der rechte Kutschenschlag von innen geöffnet wurde und mit dem Hut zuerst, den alle kannten, fürchteten und grüßten, der alte König, zweite Friedrich, Fridericus Rex, die Majestät, der Olle Fritz mit Stock im Rock, wie er später auf Bildern in Öl gemalt ­wurde, ausstieg und in den Kartoffelacker ­stiefelte.«

Es sollte unstrittig sein: Friedrich II. der Große hat für den Anbau der Kartoffel in seinem Lande gesorgt. Rudolf Breitenbach schreibt: »Meine Mutter sorgte dafür, daß die Kartoffeln bei uns ge­gessen werden.« Er leitet daraus das »Kartoffel-Theorem« ab: »Nun sind die Kartoffeln da, nun wer­den sie auch gegessen.« Oder anders: »Gegessen wird, was auf den Tisch kommt.«

Rudolf Warthmüller zeigt 1886 in einem seiner Bilder (»Der König ist überall«) Friedrich II., wie er den Kartoffelanbau im Oderbruch inspiziert; die fleckige Weste des Königs ist leider nicht erkennbar.

Friedrich II. sandte darüber hinaus »Herren vom Rathe« in die neuen Dörfer, die den angeordneten Kartoffelanbau überwachten, aber auch »Kar­toffel­marketing« betrieben. Angeblich hätten die Bauern in der Uckermark – wie die Kolberger – über die ihnen vorgeführten Kartoffeln gesagt, sie würden nicht riechen und nicht schmecken, was zum einen stimmt und zum anderen nicht der Wahrheit entspricht.

Der Anbau der Kartoffel in der Mark führte dazu, daß die Kinder in den von ehemaligen Soldaten und Feldpredigern geführten Schulen Sprüche und Rätsel um die Kartoffel auswendig lernen und später auch am Goethe das Lesen und Schreiben üben mußten:
             Morgens rund,

             mittags gestampft,

             abends in Scheiben

             dabei soll’s bleiben.

             Es ist gesund.
Ein Rätsel aus jener frühen Zeit lautete: »Hat einen Haufen Augen und sieht nichts«, womit die Kartoffel und nicht der König gemeint war. Wei­tere Sprichwörter und Redensarten:
    »Ein wenig Fleiß, ein wenig Glück, dann werden alle Kartoffel dick«

    »Wer Kartoffeln ißt, wird eher satt, als wer Braten essen sieht«

    »Eine trockene Kartoffel in Ruh’,ist besser als Pasteten mit Hader dazu«

    »Eine faule Kartoffel im Korbe steckt alle gesunden an«

Rainer Brambach dichtet im 20. Jahrhundert

    Im Schulzimmer singen Dorfkinder ein Volkslied.

    Ein tintenfleckiger Wald wächst aus den Pulten,

    eine einsame Lichtung, ein Blaubeerenhang.

    In der Rechnungsstunde nachher liegt wie immer

    das verläßliche Kartoffelfeld vor dem Fenster,

    während ein künstliches Gestirn die Erde umkreist.

 
Albrecht Daniel Thaer aus Celle, Leibarzt des Königs Georg III. von Hannover, erschien die »schönste, segensreichste Heilkunst der Acker­bau«. Konsequent trat er für die Förderung des Kartoffel­anbaus ein und wies (wie schonAdam Smith)daraufhin, daß die
    »Irländer die stärksten und ältesten Kar­­­tof­fel­­esser seien und zugleich, unter allen euro­pä­ischen Rassen, vielleicht die gesundeste, kräftigste und schönste seien.«

Angefangen hat Thaer mit seinen Forschungen über den Pflanzenbau, als er ein Haus mit Garten erwarb, hier versuchte er schon, die Zusammenhänge von Pflanzenwachstum und Bodenfrucht­barkeit festzustellen. Er schränkte seine ärztliche Praxis immer mehr ein und erweiterte ein kleines Versuchsgut am Stadtrand von Celle zu einem landwirtschaftlichem Musterbetrieb. Aus England, das fortschrittlicher war als die deutschen Landwirte, holte er sich die Kenntnisse über einen besseren Ackerbau. 1798 veröffentlichte er die »Ein­leitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft«, und ein Jahr später begann er mit der Herausgabe der »Annalen der niedersächsischen Landwirt­schaft«.

Dem preußischen Außenminister, Heinrich Graf Podewils, der die Kartoffel ablehnte, entgegnete Thaer: »Der Herr Graf ist mein sehr verehrter Freund, aber der Kartoffelanbau ist mein Kind.« 1804 zog Thaer auf Einladung König Friedrich Wilhelms III. nach Preußen, erwarb das Rittergut Möglin im Oder­bruch und gründete dort ein landwirtschaftliches »Institut«, das im Rahmen der von ihm propagierten Fruchtfolge wesentlichen Anteil an der Steigerung des Kartoffelanbaus in Preußen hatte und die bisher dahin als unabdingbar an­gesehene Brache über­flüssig machte. Thaer1842 in einem Werk der National­ökonomie, das sich im wesentlichen mit den Folgen der Kartoffel be­schäftigt:
    »Da nun in der Mark Brandenburg schon seit einer Reihe von Jahren auf vielen Gütern der Kartoffelbau in einer solchen Ausdehnung be­trieben wird, daß ganze Schläge der Feldmark mit Kartoffeln bestellt werden ... Soviel ich weiß, ist in der Mark erst mit oder nach der Einführung des ausgedehnten Kartoffelbaus das Mergeln der Felder im ­großen betrieben worden. Die Wirkung des Mergels ist aber auf dem dafür geeigneten Boden so enorm, daß dadurch auch ohne Kartoffel­anbau – wie in Mecklenburg der Fall gewesen – eine an das Wunder­bare grenzende Steigerung der Ertragsfähigkeit des Bodens hervor­gehen kann.«

Bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts ­waren die Erträge an Kartoffeln nicht so reich wie heute; man kannte noch nicht die entwickelte Saatzucht, man wußte noch nicht um die Bekämpfung von Krankheiten, man düngte nur mit dem, was der Stall hergab.

Albrecht Daniel Thaer unterstützte Anfang des 19. Jahrhunderts Versuche zur Herstellung von getrockneten Kartoffeln:
    »Man kann sie (die Kartoffeln) also liegen lassen, bis sie an einem heite­ren Tage ­trocken genug sind, um auf den Boden gebracht zu werden.«

Es wäre nichts weiter zu tun, als sie lange genug liegen zu lassen, dann die Schale zu ­entfernen und den stärkehaltigen Kern zu trocknen. »Man könnte ihn aufbewahren, so lange man wollte, und nun dieses leichte aber nahrungsreiche Produkt« wie Getreide oder Getreidemehl aufbewahren. Thaer machte sich verdient um die Verbesserung des Häufelpfluges und bekannte: »Ich schäme mich, ein Kartoffelbauer und Nachahmer der kleinen Gärtner« zu sein, was ja wohl nichts anderes bedeuten kann als die Existenz eines verbreiteten Kartoffel­anbau ohne staatliche Einwirkung, undenkbar in der heutigen Zeit.

Der aus Ostfriesland stammende ­Agrarreformer (und 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung gewählte) Johann Heinrich von Thünen, der auf seinen Gütern Tellow und Rubkow bei Anklam, aber auch auf dem väterlichen Gut Wassow selber Kartoffeln anpflanzte und auch von Thaer stark beeinflußt war, illustrierte am Beispiel der Kartoffel­ernte seine Volkswirt­schaftstheorie: Ein Landwirt werde nur so lange Knechte einstellen, wie der da­durch erzielte Mehrertrag noch höher sei als der zusätzlich zu zahlende Lohn (für den zuletzt ein­gestellten Arbeiter). Thünen schreibt 1826:
    »Eine Frucht, die im Verhältnis zum Roggen von derselben Fläche das Dreifache an Nahrungsstoff liefert, und die die Arbeit des Menschen mit dem doppelten Quantum an Nahrungsstoff liefert, ist in der Tat so merkwürdig, und ihre Verbreitung ist so sehr geeignet, eine gänzliche Revolution in dem Betrieb der Landwirtschaft hervorzubringen, daß wir der Betrachtung dieser Frucht notwendig einen Platz in dieser Schrift widmen müssen, wenn wir auch nicht durch die Bestimmung der Grenzen des ersten Kreises unseres isolierten Staats dazu auf­gefordert wären.«
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 In den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« (geschrieben etwa von 1859 bis 1890) von Theodor Fontane wird bei den Beschreibungen der Dörfer und Landschaften auf die Kartoffel nicht mehr besonders hingewiesen: Sie muß so ­verbreitet gewesen sein, daß ein besonderer Hinweis auf die Kartoffelfelder nicht mehr erforderlich erschien. Die Kartoffel liebt ja bekanntlich die sandigen Böden Nord- und Nordostdeutschlands. Fontane notiert auf einer Spree­wald­reise, daß
    »unsere verschrieene Mark ein wahres Eldorado für Feinschmecker ist. Ich verweile nicht bei der mehligen, geplatzten Kartoffel, die in der ganzen Welt nur einmal in ihrer Vollendung vorkommt – das ist auf den Sandbergen der Mark.« 

Es ist in der Tat ein weites Feld, ach Luise, hätte der alte Briest gesagt.

Und märkischen Sandboden gab’s wahrhaftig genug in Berlin und Umgebung, in der Streusandbüchse des Reiches; westlich von Oranienburg, im Ruppiner Land, verdrängte die Knolle die bis dahin dominierenden Bärenklau-Stauden.
    »Ein ­Boden, der fast nichts hervorbringt als Kartoffeln und Kraut­junker«,
schreibt Engels 1876. Und Stendhal über Berlin:
    »Überall, wo nicht gepflastert ist, watet man bis an die Knöchel im Sand; der Sand macht die ganze Umgebung zur Wüste.«
Jean Giraudoux zur Umgebung von Berlin
    »Die letzten Roggen- und Kartoffelfelder von Brandenburg stoßen un­mittelbar an die ... Siedlungen«.

Im altmärkischen Küchenkalender ist als »tägliches Abendbrot« empfohlen: Heiße Pellkartoffeln, serviert in einer umgebundenen Schürze, aus der die Kartoffeln auf den Tisch rollen; auf dem Tisch eine Schüssel, in die die gepellte Kartoffel oder der Kloß gestippt wird, in Salz oder in Mehlsoße mit Dill oder in ausgelassenem Speck: »Mîn Mutter gaff mî Schocke on lêt de dôdge Sû räwer renne«. Fontane: »Mutters Kloß ist der beste«. Aber dieses Gericht war auch eine Notwendigkeit für die Bedürftigen.

Ringelnatz, der berühmte Cuxhavener Dichter schrieb:

    »Hört«, rief die Kartoffel
    »ich weiß eine tolle
    Geschichte von einer Zauberknolle.
    Die einen Regenwurm in ein Blatt
    und dann in ein Heupferd verwandelt hat.«
    Und die Kartoffel wollte beginnen
    da war kein Wasser im Topf mehr drinnen
    So platzte ihr schönes Kartoffelkleid
    »Ach«, jammerte sie, »es tut mir so Leid
    Ich würde euch gern die Geschichte erzählen.
    Doch ist es zu spät – ich muß mich jetzt schälen.«

    So sprach die Kartoffel und drehte sich um
    Und blieb von dieser Minute an stumm


Der Magistrat der Stadt Berlin begann Anfang des 19. Jahrhunderts »charak­ter­lich geeigneten« Per­sonen, deren »Tauglichkeit« auch daran ge­messen wurde, ob sie den rechtmäßigen Erwerb der notwendigen Gartengeräte und Sämereien ­nachweisen konnten, »Armengärten« bzw. »Armen­äcker« zu geben. Vor Berlin hatte Lübeck 1801, die Engländer etwa gegen 1810, die Städte Kiel 1830 und Leipzig 1832 Armengärten eingerichtet. Im Prinzip einheitliche Bedingungen galten für alle diese Wohlfahrtseinrichtungen: die bedürftigen ­Familien mußten staatstreu sein. In Berlin konnte die jeweils etwa 300 qm große Parzelle jederzeit ent­schädigungslos entzogen werden, wenn sie nach Ansicht der eigens von der Armenaufsicht ­bestellte »Aufseher« vernachlässigt war oder wenn man der Person Diebstahl von Garten­früchte unterstellte oder wenn die Bewohner politisch mißliebig wurden.

Die Armengärten dienten vorrangig dem Anbau der wichtigsten Grund­nahrungsmittel: Kartoffeln und Kohl. Die Kartoffel stand im Mittelpunkt. Noch 1891 – so schreibt die »Gartenlaube« – ist diese Praxis üblich:
    »Die Berliner Armenverwaltung verteilt die nicht unbedeutenden Landstrecken, welche sie in unmittelbarer Nähe der Stadt besitzt, an Bedürftige behufs Kartoffelanbaus. Das Land wird immer nur für den Zeitraum ­eines Jahres abgegeben.«

In der deutschen Hauptstadt kursierte über die »charakterlich geeigneten« Personen der Spruch. »In Berlin regiert der Kaiser, in den Lauben König Alko­hol.«. Die Neigung, zur Flasche mit dem Selbstgebrannten zu greifen, war in den Unterschichten (etwa zwei Drittel der Kleingärtner waren Arbeiter) weit ver­breitet, die Laubenpieper-Gemütlichkeit förderte darüber hinaus den Alkohol­­konsum, der fidele und trinkfeste Kleingärtner war außerhalb der Kirschblüte-Zeit der Schreck des Bürgers. Ab­gelehnt wurde das Leben in den Lauben-Kolonien­ bis in die 1930er Jahre durch Kommunisten und Sozial­demokraten: »Wer auf der Laube gärtnert, fällt für die Parteiarbeit aus.« Noch in den 1990er Jahren rangierte unter den Gartenbesitzern an ­erster Stelle der Wunsch, daß im Garten »Ordnung« herrsche.

Wegen der jederzeit drohenden Gefahr der ent­schädigungslosen Enteignung werden Strauchbeeren oder Obstbäume, die eine lange Pflegezeit benötigen, nicht angepflanzt; das war im übrigen auch nichts Neues, denn im 17. und 18. Jahrhundert erfolgte die »Bemeierung« eines Hofes, d.h. die Übertragung eines Gutes auf einen Meier, stets für drei oder sechs Jahre – jeweils mit dem Beginn der Frucht­folge in der Drei-Felder-Wirtschaft, was auch dazu führte, daß der »Meier« nur Pflanzen anbaute, die unmittelbar Früchte trugen. Es führte aber auch dazu, daß der Bauer sich wie ein Mietling betrachtete und sich hütete, ein Loch im Dach zu verstopfen oder die Türen mit einem Balken zu flicken, denn es hätte daraus eine Verbindlichkeit gegenüber seinem Gutsherrn entstehen können.

In den Laubenkolonien wurden alle Garten­­arbeiten werden von städtischen Bediensteten reglemen­tiert, sie setzen die Termine aller ­Arbeiten fest, ordnen Pflanz- und Ernte­zeiten an. Die Aufseher kontrollieren ferner, daß die Pflanz­kartoffeln, die meist erst nach der Ernte zu be­­­zahlen waren, nicht schon vorher auf dem Mittags­­tisch landeten. Die »Zeitung für die deutsche Land- und Hauswirtschaft«:
    »Übrigens darf die Familie bei der Bearbeitung in Hinsicht auf die Zeit nicht zu sehr beschränkt werden, sondern die Kultur ist als Nebengeschäft in den Feierstunden zu betrachten. Die Arbeit muß aber jede Familie selbst übernehmen, um ihren Fleiß in Tätigkeit zu erhalten. Der Verein sorgt nötigenfalls für einen Raum, wo die Armen ihre Kartoffeln gegen Verderbnis schützen können. Notwendig ist auch eine genaue Aufsicht, daß die gewonnenen Kartoffeln auch gehörig verwendet und nicht etwa verkauft oder verschwendet werden.«

1880 gab es in Berlin rund zweitausend Armengärten dieser Art. Ein besonders reizvoller Armengarten befand sich in Fried­richshagen bei Berlin, zu dem auch die Familie des Autors Zutritt hatte und in dem die Grundlagen der tuberosum-Manie gelegt wurden. Aus diesen Armen­gärten entwickel­ten sich die von dem Leipziger Schuldirektor E. J. Hauschild als Schrebergärten bezeichneten Garten­kolonien. Die sehr beliebten Sommerfeste (»Baum­blüte in Werder«) erhielten bald die Bezeichnung »Lauben­pieperfeste«.

In der gleichen Zeit wurden auch in Frankreich Kleingärten angelegt, die von Arbeiterfamilien gegen geringe Gebühren angemietet werden konnten; zumeist handelte es sich um Gärten, die von (staatlich registrierten) Wohltätig­keits­vereinen or­ga­nisiert und kontrolliert wurden. In Bordeaux lehnte es 1901 das der Stadtverwaltung unter­stehende »Bureau de bienfaisance« ab, für diese Kleingärten öffentliche Mittel bereitzustellen und verwies auf die private Wohlfahrt in anderen Städten. Auch in Frankreich war der Leumund und »christliches« Verhalten Bedingung für die Zu­teilung eines dieser Kleingärten.

Achim von Arnim in »Dies Buch gehört dem König« über die »Erfahrungen eines jungen Schweizers im Vogtlande«:
    »Die Armenverwesung hat taube Ohren, sie läßt lange vergeblich sich anschreien vom Armen, was er ihr abringt, das Leben zu fristen, läßt ihn nur langsamer sterben. Die Armenverwesung spart die milden Spenden zum Kapital und legt es auf Zinsen. Die ­Armen sind Verschwender: Heute essen sie – morgen nicht – übermorgen essen sie wieder, und in den Zwischentagen geben sie dem noch ärmeren Nachbar, was sie sich abhungern. Kreuzweis wird durch die Stube ein Seil gespannt, in jeder Ecke haust eine ­Fami­lie,­­ wo die Seile sich kreuzen, steht ein Bett für den noch Ärmeren, den sie gemein­schaft­lich pflegen.

An Feiertagen hält der Mäßigkeitverein eindringliche Reden im Vogt­land, wo für fünf Dreier fünfe ein Mahl sich bereiten. Ist euer Magen zu schlaff, daß ihr den Verein zum Vogtland nicht hinausbellt? So wie der Bettelvogt mit Flüchen den wieder hineinbellt, der mit List durch­schlüpft, um für Vater und Mutter ein Stück Brot zu erbetteln. Soll der Adel euch adeln, den mit Wucherglück der Bürger seiner Abkunft zum Hohn im adligen Gute sich ankauft, so macht er, statt Luxusanlagen von Tempel und Grotte und tanzenden Wassern – Anlagen für Heimatlose, und sein Sommer­pläsier, die english cottage, macht er zur deutschen Hütte, worin deutsche Armut sich erholt; den englischen Rasen teilt er aus zu Feldern für Kartoffel und Brot, und er ist Edelmann, wer wird widersprechen?«

1924 schlägt Gustav Nagel aus Arendsee vor, Siedlungen mit höchstens achttausend Einwohnern zu schaffen, in denen jede Familie ein einstöckiges Eigenheim erhält mit »for und hintergarten und draußen etwas akkerland«, damit Kartoffeln angepflanzt werden können. Nagel wurde als »Spinner« abgetan und landete zeitweilig in der »Schutzhaft« der Nazis.

Während der Nazi-Zeit wurden zur Vorbereitung des »Ernstfalls« die Schreber­gärten im Rahmen des Vierjahresplanes 1936–1940 eingesetzt, um die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln sicherzustellen; die Laubenpieper auf kommunalen Äckern wurden verpflichtet, ihre Kartoffelernte vollständig abzuliefern; wer sich der »Erzeugungsschlacht« nicht unterwarf, wurde in vielen Orten öffentlich angeprangert und der Sabotage an den Zielen der NS-Staatsführung beschuldigt.

Aus der aus Armut und Not geborenen ­Situation der »Armengärten« ent­wickelte sich die Idylle »Haus mit Garten«, aus der Laubenkolonie die Gartenstadt-Idee mit Reihenhaus und vorgeschriebenem »guten Geschmack«, also leider Tropfsteinruinen, imitierte Vierwaldstädter Seen und Garten­­zwerge. Der Rückzug aufs Land und in die Dörfer, wo die Welt mit ihren überkommenen ­Hierarchien noch in Ordnung und der Bauer der Scholle verhaftet war, sollte zugleich eine Ablehnung der Großstadt mit seiner »degenerierten« Kultur sein. Hier trafen sich Wohlmeinende mit den konservativ ­reaktio­­nären Schichten.

Wesentlich fortschrittlicher urteilte das Amts­gericht Reckling­hausen (Az: 9 II 65/95), daß Gartenzwerge auch gegen den Beschluß einer Eigen­tümer­versammlung auf einer als Sonder­eigentum genutzten Grün­fläche aufgestellt werden dürfen, sofern sie vollständig und mit klassischer roter Zipfel­mütze bekleidet seien; es handele sich nicht um einen Verstoß gegen den guten Geschmack, der Wohn­wert werde dadurch nicht erheblich be­einträchtigt. Im übrigen gilt in deutschen Kleingärten das»Drittel-Prinzip«: Ein Drittel der Fläche dürfen Haus und Terrasse einnehmen, ein Drittel Rasen, auf dem letzten Drittel aber muß angebaut werden.

Mit der Kartoffel setzen sicherste bürgerliche Freiheiten und – zum Teil – vor-industrielle Gesellschaftsordnungen in Europa durch. Diese Ordnungen führen Menschen und Produktionsmittel zusammen, er­schließen (deutlicher als in den vorangegangenen Jahrhunderten) neue Märkte, versahen sich mit einem starken Zentralstaat – auch wenn dies in Deutschland erst 1871 mit der Reichsgründung deutlich wird.

Die Kartoffel war die Voraussetzung für das Betreiben von Seiden- und Porzellan-Manufakturen, für das Anwachsen der Städte (Cölln-Berlin zum Beispiel wuchs innerhalb weniger Jahrzehnte von 15.000 Einwohner auf über 50.000) und schuf die wirtschaftliche Grundlage für eine prächtigere Haus- und Hofhaltung, 1679 läßt derGroße Kurfürst die Straßen in Cölln und Berlin mit Steinen aus dem schwedischen Småland pflastern, Straßen­beleuchtung, Feuer­wehren werden geschaffen, Müll­abfuhr kommt auf.

Und jeder Bauer, der zum Markt kam, wurde verpflichtet, auf der Rückfahrt eine Fuhre davon mit­zunehmen: Das Prinzip war einfach und in allen beginnenden Städten ein­heitlich: Mit Milch im offenen Wagen oder lose gelegten Fleischstücken kam der Bauer aus dem Umland durchs Stadttor und zog mit Hadern für die Papierfabriken, Küchen­abfällen und ande­ren Abfällen zurück (Bakterien wurden erst später in Holland entdeckt). Die Verunreinigung der Flüsse (nicht nur Spree, Panke, Lanke und Krumme Lanke, Bäke, die Dahme und Heinrich Heines Knatter) und der über vier­hundert privaten und öffentlichen Brunnen Berlins wurde hart bestraft.

Der Ackerbürger, der sein Vieh allmorgendlich auf die ­Weide jenseits der Stadtmauer trieb, dann seinem handwerklichen Beruf in Berlin und Cölln nachging und abends Ziege und Schwein und Kuh und Schaf wieder in den Schutz der Mauer holte, verschwand. Aufkommt der städtische und adlige Gartenbesitzer, der schön anzusehende, aber ziemlich nutzlose Pflanzen aufzieht – wie man es beim ­Großen Kurfürsten und seiner Luise ­Henriette erlebt.

Ulrich Bräker, ein Schweizer Bauernsohn, schildert:
    »Die Stadt Berlin – doch viele sagen, sie bestehe aus sieben Städten – Berlin, Neustadt und Friedrichstadt. Alle drey sind in der Bauart verschieden. Jn Berlin – oder Cöl[ln], sagt man auch – sind die Häuser hoch, wie in den Reichsstädten, aber die Gassen nicht so breit, wie in Neu- und Friedrichsstadt, wo hin­gegen die Häuser niedriger aber egaler gebauen sind; denn das sehen auch die kleinsten derselben, oft von sehr armen Leuthen bewohnt, doch wenigstens sauber und nett aus. An vielen Orten giebts es ungeheuer grosse läre Plätze, die theils zum Exerciren und zur Parade, theils zu gar nichts gebraucht werden; ferner Aecker, Gärten, Alleen, alles in die Stadt eingeschlossen.«

Schweinehaltung innerhalb der Stadtmauern wird vom Großen Kurfürsten verboten. Damit wird zugleich eine klare Trennung zwischen Stadt- und Landbevölkerung in die Wege geleitet. Die von Karl Marx in der»Deutschen Ideologie« definierte Utopie einer kommunistischen Gesellschaft
    »morgens jagen, nachmittags fischen, abends Viehzucht treiben, nach dem Essen fern­sehen, wie ich gerade Lust habe, ohne je ­Jäger, Fischer, Hirt oder Fernseher zu werden«,

also je nach Gusto, wird jetzt (noch bevor sie formuliert wurde) damit endgültig begraben.

Thünen behauptet gegen Anfang des 19. Jahrhunderts:
      »... und so liegt in der größeren Verwendung der Kartoffeln zur menschlichen Nahrung ein Hemmnis gegen die Anhäufung der Menschen in sehr großen Städten.«

Zur Kennzeichnung der allgemeinen Wohn- und Stadtverhältnisse – nicht nur in Halle – sei hier die »historischtopographische Beschreibung der Stadt Halle« von 1788 wiedergegeben:
    »Fast alle Häuser sind aus Lehm, von innen und außen schlecht, und nur sehr wenige durchaus entweder aus Ziegelsteinen oder aus Felsensteinen. Alte Häuser, welche sehr baufällig sind und den Vorübergehenden über den Kopf zu stürzen scheinen; enge, krumme und schiefe Straßen, schlecht gepflastert.«

Der Merkantilismus und der Bau der Miets­kasernen in der Nähe der ent­stehenden Fabriken wäre ohne ausreichende Versorgung der Manu­­fak­tur­arbeiter mit Nahrung – mit der Kartoffel – nicht möglich gewesen. In den »Schiffsmeldungen« steht:

    »Früher hieß es: ›Ein Mann hat sein Leben ein­gerichtet, wenn er eine Kuh, einen Kahn und einen Kartoffelacker hat‹.«

Die Bürger in den Städten (und erst recht auf dem Land) lebten armselig – gemessen an heutigen westeuropäischen Maßstäben; aber man ­hatte ein Dach über dem Kopf, man hatte Arbeit in den Manufakturen, und man hatte seine Pell­kartoffeln mit Speckstippe und sonntags soll’s Bohnen mit Hammel gegeben haben. Alles wurde gut und ­meistens besser. Nicht nur in Dith­marschen gab es bereits zum»Frühstück« Kartoffeln (ein Leut­nantsfrühstück – Cognac und Zigarette– war das wahrlich nicht). Und mittags wieder. Und erst recht am Abend. Von gesalzenen Hering lebten in ­guten Zeiten nicht nur die abhängigen Bauern auf den Gütern Ostelbiens. Aber insgesamt ging es den Bauern und den ­armen Städtern miserabel.

Nach ländlichem Vorbild suchten sich die Einwohner größerer Ortschaften durch eigenen Anbau von Kartoffeln ernährungswirtschaftlich unabhängiger zu machen. Auf dem Lande war es üblich, daß diejenigen, die über kein oder nur geringes Land verfügten, gegen Lieferung von Dünger aus ihrer Kleintierhaltung (Hühnerhöfe) oder gegen Mitarbeit bei Saat- und Erntearbeiten bei den grund­besitzenden Bauern Ackerland pachteten, um Kartoffeln für den eigenen Bedarf anzupflanzen. Diese Gewohnheit bürgerte sich ab etwa 1800 auch in den größe­ren Städten ein, deshalb war die»Erfindung« der Armengärten für die Stadt­armen nicht etwas Unbekanntes. Ein Beweis dafür, daß die Kartoffel auf den Tischen der Stadtbürger an­gekommen war. Spätestens in den erster Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Kartoffel in die städtisch-bürgerliche Kost eingezogen.

In Plauen im sächsischen Vogtland beherrschte die Kartoffel bereits vor 1850 in vielerlei Anwendungen den bürger­lichen Mittagstisch. Im Vogtland bestand Anfang des 19. Jahrhunderts die Nahrung der Spinner nahezu ausschließlich aus Kartoffeln, die »wohlfeile« Kost der Erdäpfel war Ursache der wohlfeilen Spinnerei (also der niedrigen Löhne) und dem Wachsen der Manu­fakturen sehr dienlich.
    »Zufrieden mit seinem Schicksal ißet der Landmann die Frucht seines eigenen ­Ackers, des Morgens mit einer Suppe, Mittags frisch gesotten, und des Abends in einem Brey oder eingeschnitten mit einer Brühe, ohne Überdruß, und würde sie, stolz auf eines der vorzüglichsten und ihm so wohl behagenden Produktes unseres Vogtlandes schwerlich gegen Ananas vertauschen.«

heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1792 – Franz- Josef Strauß hätte mit seiner Ananas-Farm in ­Alaska kein Glück gehabt.

Wie ein Aktenhelfer in der preußischen Verwaltung bei einem Jahres­einkommen von fünfzig ­Taler (um 1800) oder ein Lehrer mit einem Einkommen von etwa fünf­undsiebzig Taler – auch wenn sie sich von Brotwassersuppen und Kartoffeln ernährten – ihren Lebensunterhalt sichern konnten, ist – so Wilhelm Abel – »nicht zu erkennen«, denn selbst in den billigsten Kammerorten Preußens konnte man sich gerade viertausend Pfund Roggen dafür kaufen. Nach einer Untersuchung von Johann Heinrich Schütz, Leiter der Hamburger Handels­akademie, benötigte ein Student in Halle in der zweiten Hälfte des 18. Jahr­hunderts bereits 150 Reichstaler jährlich, was in etwa dem heutigen Bafög-Satz entspricht; davon entfielen zehn Reichstaler auf die »Aufwartung« und 16 bis 32 Taler auf Kolleggelder. Zusätzliche Einnahmen für die Lehrer kamen durch zusätzlichen abend­lichen Unterricht, den sie erteilten; in Ostfriesland mußte der Rechenunterricht ge­sondert entlohnt werden, der im übrigen erst für »rechenfähige« Kinder (ab dem 12.Lebensjahr) vor­gesehen war.

Im November 1800 ordnete König Friedrich Wilhelm III., um den Ideen der französischen Revolution60a entgegenzuwirken, für Berlin die Ausgabe von Lebens­mittel­karten für Bedürftige an, die das Brot auf etwa den halben Preis re­duzierten. Als Empfänger, als Arme, wurden definiert
    rund eintausend Almosenempfänger, die bereits in Armen­häusern verpflegt wur­den,

    die»armen Stuhlarbeiter« (fünf- bis sechstausend Textilarbeiter am Webstuhl),

    etwa zweitausend»ärmere Professionisten«, d.h. Handwerker und Krämer und andere Selb­ständige des damaligen»Mittelstandes«, deren normales Einkommen nicht aus­reichte, sich zu ernähren

    etwa eintausendfünfhundert Beschäftigte im Staatsdienst: Unter­offizianten und Lehrer, Boten und Kopisten.
Einschließlich der Familienangehörigen betraf die Verbilligung des Brotes zwischen dreißig- und vierzigtausend Berliner Bürger, ein Fünftel der Zivil­bevölkerung.

Nach Friedrich List bestand in den 1820er Jahren die Verpflegung eines Landlehrers aus:
    »Kartoffeln ohne Salz, einer Suppe mit Schwarz­brot zur höchsten Noth­durft ge­schmälzt, Haferbrei, hier und da schwarze Klöße ... Die, welche sich besser stehen, ­sehen kaum einmal in der Woche ein bescheidenes Stück frisches oder geräuchertes Fleisch auf den Tisch und Braten kennen die meisten nur vom Hörensagen.«

Selbst noch 1829 beträgt das Salair eines Hauptschullehrers in Berlin nur achtundsechzig Taler und sechzehn Silbergroschen jährlich zuzüglich einem Mietzuschuß von zehn Taler, Hilfslehrer erhielten vierundzwanzig Taler. Armut (so Wilhelm Abel) war kein Kennzeichen der Arbeiter, sondern ­wurde »selbst im Aktenstaub königlicher Behörden« gefunden. Die wirtschaftliche Lage der Schul­gesellen hatte sich gegenüber den Zeiten Friedrichs II. nicht nur nicht ver­bessert, sondern sogar absolut verschlechtert. »Armut«, so hieß es im 18. Jahrhundert erklärend »kommt von der pauverté«.

Auf das (nach dem damaligen Anstand übliche) nicht datierte Gesuch des Berliner Prediger Pels um Erhöhung seines Einkommens schreibt Friedrich II. in einer Rand­verfügung:
    «Die apostelen Seindt nicht gewinn Süchtig gewisen Sie haben umb Sonst gepredigt, der Herr Pels hat keine apostolische Sehle und denket nicht das er alle güther in der Welt vohr nichts ansehen mus.«

Die»Bauernbefreiung« in Preußenbrachte den Fortfall vieler Bindungen und Leistungen, aber auch für den Gutsherrn kam dieser Fortfall einer Befreiung gleich: Er brauchte nicht mehr für sie zu sorgen, jetzt erhielt er die Chance, seine finanziellen Möglichkeiten, seine unternehmerische Kraft und seine ständischen Vorrechte (denn die blieben unangetastet) zum aus­schließlich eigenen Nutz und Frommen und zur Verbesserung und Erweiterung seiner Besitzungen einzusetzen. Die Auf­lösung der althergebrach­ten Bindungen brachte den»Fabricanten« und den Lohnabhängigen hervor.

Der Gegensatz von arm und reich wurde nicht mehr gemildert durch die Einbindung in die Familie – er brach offen aus. Die Ökonomisierung und Technisierung der Landwirt­schaft (Liebig, Thaer, Thünen und andere) ließ dennoch in deutschen Landen die Einheit von Staat und Gesellschaft be­stehen, die »ständische« Ver­antwortung des Staates für die Benachteiligten bestehen, durch Schaffung von Sozialkassen der viel­fältig­sten Art und in­sofern ist die heutige Diskussion über den Abbau des Sozialstaates eine Folge dessen, was zweihundert Jahre früher in England begann.

Die Kartoffel wird in Europa zum wichtigsten Nahrungsmittel; daneben wird sie als Viehfutter und Rohstoff für land­wirtschaft­liche Neben­betriebe wie Brenne­reien und Stärkemittelfabriken eingesetzt. Aber entscheidend war ihr Einfluß auf die kulturelle Entwicklung in den Ländern, in denen sie frühzeitig als menschliche Nahrung akzeptiert wird. Entscheidend werden die Aus­wirkun­gen der Kartoffel auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Stadt und Land. Über England wird gesagt, daß der frühe Kapitalismus nicht so erfolgreich ge­wesen wäre, hätte dort die Kartoffel gefehlt.­ Staaten und Gebiete, in denen die ­Kartoffel nicht oder nur gering angesehen war und in ­denen die Knolle keine­ bedeutende Rolle spielen durfte oder konnte, blieben wirtschaft­lich-industriell zurück; erst die Inter­nationa­lisierung der Nahrungs­gewohn­heiten im 20. Jahrhundert nivelliert diese Unter­schiede. Beispielhaft für die Rückständigkeit sei Portugal und Spanien, der Mahgreb, der Orient genannt. Das kann man nicht, das darf man nicht auf Kolonialmächte oder Imperialismus zurück­verfol­gen; das ist auf den Un­verstand der ­heutigen Herrschenden und der Regierten zurückzuführen, das ist auf die Mißachtung der Knolle zurück­zuführen.

In Preußen ist die Bedeutung der Kartoffel früh erkannt worden. Preußen hat dieses aus der ­Neuen Welt kommende»Gemüse« zu nutzen verstanden. Aber in Preußen entstand auch der deutsche Unter­tanengeist und das moderne Bildungswesen. Durch die Kartoffeln. Brillat-Savarin: »Das ­Schicksal der Völker hängt von dem ab, was und wie sie essen.« 

Preußen ißt die Kartoffel – die Kartoffel ist Preußen.



Anmerkungen


 

1  1510 starben in Berlin auf dem Marktplatz 37 Juden und zugleich befiehlt ein kurfürstliches Edikt den noch lebenden Juden, Brandenburg zu verlassen. Als Friedrich Wilhelm 1640 seine Regierung antritt, lebt in Brandenburg kein einziger Jude. Anders in Cleve und Ostpreußen und in den anderen Landesteilen, die im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts erworben wurden. 1650 erhielten polnische ­Juden – natürlich gegen staatlich-stattliche Gebühren – das Recht, in Brandenburg umherzureisen. 1663 verbietet der Landtag in Königsberg den Aufenthalt von Juden in ­Preußen, aber schon ein Jahr später erhält Moses Jacobson ein Handelsprivileg für Memel. Der vierzehnjährige Moses Mendelssohn kam 1743 – so schreibt Eike Geisel – »mit nicht mehr Rechten als denen eines Haustieres am Schlesischen Tor in Berlin« an.

1744 erläßt Friedrich II. eine Judenordnung für Schlesien, wonach das »in Dero Hauptstadt Breßlau überhand genommene unütze Juden-Volck binnen zwey Monathen gedachte Stadt räumen« solle. Siebenhundert jüdische Bürger ver­ließen die Stadt, während den verbleibenden erstmals seit dem Spätmittelalter wieder erlaubt wurde, eine Gemeinde zu bilden. 1744 beschuldigt Maria Theresia die Juden in Böhmen, mit Preußen zusammengearbeitet zu haben und verweist sie den Landes, obwohl der böhmische Adel und der Prager Magistrat dagegen protestieren. 1748 dürfen die Juden zurückkehren, weil der Adel in langwierigen Verhandlungen und nach diplomatischen Interventionen Englands und der Niederlande die Rückkehr erlaubt wurde.               zurück

 

2  Nach jahrhundertelanger Zweckentfremdung (Lehrer­seminar, Chemiefabrik, SS-Kaserne, NVA-Kaserne, Kreisverwaltung) wird das Schloß Oranienburg seit 1998 restauriert; An­leitung für diese Instandsetzungsarbeiten ist die »Reyse­beschrei­bung durch Teutsch­land, Holland ...« des herzoglich-sachsen-weißenburgischen Architekten Christoph Pitzler, der von einem »feinen Landhaus« sprach, der über die Fenster schrieb, daß man sie »in der helffte in die höhe schieben (kann), daß sie stehen blieben denn in der mauer wahren sie an der seite her und mit einem gegengewichte« be­festigt. Insgesamt sei aber das Haus »von schlechtem mauerwerk und bedünscht« in beige und hellem Grau und die Gitter drumherum in grün und vergoldet. Das Schloß wurde im übrigen wohl auf den Fundamenten eines Jagdschlosses von Kurfürst Joachim II. aus dem 16. Jahrhundert auf­gebaut. Der Bötzow wird 1216 als »Bothzowe« erstmals erwähnt, nach 1375 im Landbuch des Kaisers Karl IV. als »Bützow«               zurück

 

3  Die Immigrantenkamen aus ganz Europa: Neben Holländern kamen im Laufe der Jahre Protestanten aus Österreich, Franzosen aus dem Languedoc, aus der Dauphiné, aus Lothringen, Wallonen, Elsässer, Bretonen und Gas­cogner, Juden aus ganz Europa, Schweizer, Italiener, Böhmen und Polen, schottische Presbyterianer, Mennoniten, Waldenser, sogar Katholiken aus protestantischen Ländern. Der Anteil der »Ausländer« an der Gesamtzahl der Berliner Bevölke­rung betrug fast fünfzig Prozent. Zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert wandern Hunderttausende von Menschen quer durch Europa. Bauern wie auch Handwerker zogen an jene Orte, die ihnen die besten Aussichten versprachen oder die geringste Unterdrückung; erinnert sei beispielhaft an die Deutschen, die nach Rußland oder nach Ungarn gingen, an die Franzosen und Holländer, die nach Deutschland kamen oder an die Holländer, die nach Schweden oder Rußland auswanderten, an die Polen im Ruhrgebiet (Johannes Bobrowski: »Die Deutschen heißen Kaminski, Tomaschewski und Kossakowski und die Polen heißen Leberecht und Germann.«) und an die DDR-Bewohner, die nach hüben machten. Heute wird diese Geschichts­phase als ein leuchten­des Vorbild der Liberalität der Berliner hingestellt, gleichzeitig wird über den heute weit ge­ringeren Anteil ausländischer Bürger lamentiert.  

Unter dem Großen Kurfürsten kamen rund zwanzigtausend Franzosen nach Branden­burg-Preußen. Nicht nur in Berlin bildeten sich französische Kolonien, auch Magdeburg, ­Halle und Frankfurt an der Oder profitierten von den Zu­gezoge­nen. Die Luthe­raner wehrten sich gegen die Reformierten (in Holland wegen ihrer dunklen Kleidung heutzutage »Schwarzstrümpfe« genannt – Ist es deshalb im Management man­cher holländisch beeinflußter Unternehmen üblich, dunkel gewandet zur Arbeit zu erscheinen und den sich überall wie die Pest verbreitenden »casual day« abzulehnen?), die das »calvi­ni­stische Gift« mit­brachten. »Bohnen­esser« nannte man die Franzo­sen, weil sie Bohnen und Erbsen in die Berliner Küche einführten. 

Im 1652 gegründeten Dorf »Neu-Holland«, am rechten Ufer der »Schnellen Havel« gelegen, wohnte jeder der Neubauern auf einem zweihundert Morgen großen Besitz. Alle ­Gehöfte waren einheitlich angelegt; Wohnhaus, Stall und Scheune standen um einen rechteckigen Hof, in dessen Mitte sich das Käsehaus befand; Milchwirtschaft war der Haupterwerbszweig dieser Siedler.  

Das Studium von Kurfürst Friedrich Wilhelm in Holland und die Heirat mit Luise Henriette waren die Grundlage für die engen Bindungen von Brandenburg zu den Niederlanden dem damals wirtschaftlich und geistig fort­schritt­lichsten Land in Europa. Der holländische Einfluß war zu finden in Kunst und Wissenschaft und selbst in der Kleidung bevorzugte der Große Kurfürst holländische Mode. Künstler, Baumeister und Ingenieure zog der Kurfürst ins Land, während Luise Henriette für die Bauern sorgte. Als Friedrich II. im Januar 1750 anläßlich der Überführung der Särge der Hohenzollern in den Berliner Dom den Sarg des Großen Kurfürsten öffnen ließ, soll er gesagt haben »Messieurs, der hat viel getan.« 

Vielleicht ist der »Große Kurfürst« deshalb ein Großer, weil er – nicht uneigensüchtig – am 21. März 1671 ein Nieder­lassungsedikt für fünfzig Wiener jüdische Familien »daferne es reiche und wohlhabende Leute sind« unterzeichnet, »jedoch, daß sie keine Synagogen halten«. Aber bedrängt wurden die Juden dennoch und darüber hinaus in Preußen: 1700 wurden durch Kurfürst Friedrich III. die sog. Schutzgelder erhöht, der Leibzoll wieder eingeführt und die ­Kosten für Werbung und Montur einer Kompanie Fuß­soldaten mußte von den jüdischen Bürgern getragen werden. Unter dem Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm I., war die Aufnahmegenehmigung an einen Vermögensnachweis über zehn­tausend Taler ge­bunden. Bei Friedrich II. erhielten sie die Heiratserlaubnis nach 1769 nur, wenn sie das Hochzeitsgeschirr in seiner Manufaktur kauften und im Ausland verkauften, und stets hafteten sie kollektiv für die Schuld ­eines der ihrigen. 

Das waren Völkerwanderungen, die da stattfanden. In ­Preußen – aber auch generell – wurden Einwanderer und Alteingesessene geeint durch die Person des Landesfürsten. Die Integration der Fremden erfolgte durch deren Wissen und Wollen, in der neuen Heimat, an diesem Platz zu bleiben und Aufbauarbeit für spätere Generationen ­leisten zu können und zu müssen. Das unterscheidet damals vom ­Heute: Asylbewerber und Arbeitsmigranten »wissen«, daß sie nur befristet geduldet sind und da betrachtet man das neue Domizil nicht als dauerhafte Heimstatt, sondern als einen Ort, an dem möglichst schnell möglichst viel Geld gemacht werden muß – und wenn’s sein muß, auch mit kriminellen Methoden. Ein Einwanderungsgesetz (wie auch immer) liegt aber bei deutschen Konservativen (in Nordrhein-Westfalen des Jahres 2000 lautet ein Wahlslogan der CDU: »Inder statt Kinder«) außerhalb der Überlegungen, denn das Blutrecht hat Vorrang. 

Aber es sind nicht nur »Ausländer« in deutsche Gebiete gekommen, umgekehrt gingen Deutsche nach Rußland ­(­unter Katharina II. an die Wolga und anderswo), nach Ungarn und Rumänien (und weil sie die Donau mit den »Ulmer Schachteln« befuhren nannte man sie Donauschwaben, obwohl sie zumeist aus der Rheinpfalz und von der Mosel kamen), nach Nordamerika. Noch Ende der 1920er Jahre sind deutsche Arbeiter zum Beispiel zur Arbeit in die Sowjetunion gegangen.  

Auswanderung sei – so Sebastian Haffner 1939 – eine spezielle Form des Widerstands der Deutschen; sie läge den Deutschen als jahrhundertelange Erfahrung im Blut; immer wenn politischer und/oder wirtschaftlicher Druck zu groß werde, würden die Deutschen aus­wandern (und die Franzosen eine Revolution machen). Wohl wahr für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Und für die DDR.               zurück

 

4  Hanff erhielt vom Kurfürsten den Auftrag »allerhand außländische frömbde Bäume und raritäten und gewechße« einzukaufen, und zu diesen Raritäten zählte natürlich auch die Kartoffel, die bis dahin in Brandenburg nicht all­gemein bekannt war.             zurück

 

5  Der Lustgarten war öffentlicher Platz, auf dem die Bürger Berlins und Cöllns lust­wandelten und die kurfürstliche Familie grüßen konnten; 1650 ließ sich der Kurfürst ein Lusthaus (nach einem Entwurf vom Memhardt) daselbst errichten. Später wird der Lustgarten Exer­zier­platz für Napoleons Truppen und für die Nazis ein ­Paradeplatz. Noch später (Mitte der 1990er Jahre) wird eine neue Gestaltung versucht, aber die Berliner Dorf­politiker (und das sind sie fast alle) lamentieren wegen der Pappeln (seit der französischen Revolution als Symbole der bürgerlichen Freiheit bekannt) und die Royalisten wegen des feh­len­den Stadt­schlosses. Und folgten dabei Walter Ulbricht, der die funk­tions­­­lose Schloßruine ab­reißen ließ, und nicht anders umging mit wert­vollen Bauten wie Kaiser Wilhelm II. mit dem Schlüterschen Postpalais und Schinkels »Palais Redern«.              zurück

 

6  Knackfuss hat 1895 über die damals sehr bedrohliche »Gelbe Gefahr« (an sich ging’s nur um die deutsche Kolo­nien in China) auch ein sehr helden­haftes Bild mit mehreren Germanias und Bavarias und einem Cherub auf einem Felsen über ein rhein­ähnliches Flußtal gemacht, das ­Kaiser Wilhelm II. bestellte und dem Zaren Nikolaus II. schenkte.               zurück

 

7  Richtig und vollständig hieß dieser König: »Friedrich von Gottes Gnaden, König in Preußen, Markgraf zu Brandenburg, des Heiligen Römischen Reichs Ertz-Cämmerer und Churfürst, Souverainer Printz von Oranien, Neufchâtel und Valangin, in Geldern, zu Magde­burg, Cleve, Jülich, Berge, Stettin, Pommern, der Cassuben und Wenden, zu Meck­len­burg auch in Schlesien zu Crossen Hertzog, Burggraf zu Nürnberg, Fürst zu Halberstadt, Minden, Cammin, Wenden, Schwerin, Ratzeburg, Ost-Frießland und Moers, Graf zu Hohenzollern, Ruppin, der Marck, Ravensberg, Hohenstein, Tecklen­burg, Lingen, Schwerin, Bühren und Lehrdam, Herr zu Ravenstein, der Lande Rostock, Star­gard, Lauenburg, Bütow, Arley und Breda«. Dazu kam noch das Fürstentum Orange (bei Avignon) – 1740 insgesamt 118926 qkm.               zurück

 

7a   Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden erste systematische Züchtungsversuche unserer Kartoffel unternommen; die Knollen verloren ihren mehligen, reizlosen Geschmack. Die Methode der Züchtung neuer Pflanzen in der damaligen Zeit erfolgte ausschließlich nach »Versuch und Irrtum« und war entsprechend langwierig.               zurück

 

8  Im Universallexikon von Zedler (herausgegeben ab 1744) werden ­mehrere Arten von Kartoffel­zubereitungen genannt: in Baumöl, mit warmem Öl, mit Öl und Essig, mit einer Zitronensoße und Kardamom, Brühe und Wein drüber (was besonders apart war).              zurück

 

9  Um 1700 trank man in Deutschland obergärige Biere mit Namen, die drastisch an die Wirkung oder an die Herkunft erinnern: »Hällischer Puff«, »Delitscher Kuhschwanz«, »Hadeler Sähl den Kerl«, »Eislebische Krabbel an die Wand» und »Jenischer Dorfteufel«.              zurück

 

10   Und außerdem natürlich auch die sexuellen Nötigungen durch den Grundherrn, bei denen es neben der Lust auch um die Wiederaneignung von gutsherrschaftlicher Macht geht – wie Bernd Kölling in »Archiv für Kulturgeschichte« feststellt. In Frankreich war das berühmt-berüchtigte »droit de seigneur« weitaus weniger verbreitet.              zurück

 

11   1826 erschien der erste Teil von Thünens Hauptwerk »Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und National-Ökonomie ....«; darin ging es um einen fiktiven »isolierten« Staat, bestehend aus einer fruchtbaren Ebene gleichmäßiger Bodenqualität, in deren Mitte eine einzige Stadt gelegen ist, die ihr Umland mit Gewerbeprodukten versorgt. Thünen gelangte – gestützt auf statistisch abgesicherte Berechnungen – zu seiner Lehre von den Standorten der landwirtschaftlichen Produktion, nach der Art und Intensität des Anbaus von Agrarprodukten von den Preisen am Konsumort (Stadt) und den Transportkosten bestimmt werden: Eine hochaktuelle Problematik, liegen doch die heutigen Transportkosten durch staatliche Subvention unter ihren Gestehungskosten. Im zweiten Teil (»Der natürliche Arbeitslohn und dessen Verhältnis zum Zinsfuß und zur Landrente«) entwickelt Thünen eine Theorie des »naturgemäßen«, d.h. des »gerechten« Lohnes. Thünen wies nach, daß die Arbeiter weniger, aber besser ausgebildete Kinder aufziehen sollten, um ihren »naturgemäßen« Lohn zu erzielen. Auch diese Themenstellung ist heute aktuell; Bildung garantiert jedoch keinen naturgemäßen Lohn – weder für die Eltern noch für die Kinder.               zurück

 

12   Thünen ist nicht der einzige Idealist, der mit der Mitarbeiterbeteiligung keinen oder nur geringen Erfolg hatte – erinnert sei hier nur an den Engländer Owen. Es wirft sich in diesem Zusammenhang auch die Frage auf, ob denn die Mitarbeiter-Options- bzw. Aktienpläne in der heutigen Zeit nicht ein besonderes Risiko für Arbeitgeber und Arbeitnehmer beinhalten, wenn man sich Thünens Erfolglosigkeit ansieht.              zurück

 

13   Anläßlich der Oder-Flut 1997 meinte doch der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl: »Wir müssen den Flüssen ­ihren Raum lassen«. Die Restitution der Oder auf den Stand 1740 führt auch zu blühenden Landschaften.               zurück

 

14   Schon Ende des 15. Jahrhunderts traten die einzelnen Sparten – die Buchdrucker (Typographi), die Buchhändler oder Buchführer (Bibliopolae), die Buchbinder (Biblio­pägae) und die Schriftgießer – getrennt auf. 1612 gelang es den Buchdruckern in Jena, in die Reihen der civis academici aufgenommen zu werden, was mit etlichen Privilegien verbunden war. In Jena, weil doch die Buchdrucker großer Trinker waren, hieß das Bier »Jänischer Dorfteufel«, was für die Qualität des Getränks spricht.              zurück

 

15   Andererseits behinderte die Zoll-Politik Friedrichs II. eine vernünftige Ausnutzung dieser Kanäle und Handelsstraßen, da hierfür – wie schon bei den früheren Raub­rittern – Durchfahrtzölle verlangt wurden.               zurück

 

16   Kann diese Feststellung Engels auf die 1990er Jahre übertragen werden? Wären die Maßnahmen »zur Sicherung des Standortes Deutschland« möglich, wenn die Arbeiter ihren Wohnort ohne Verlust ihres Reihenhauses wechseln könnten? Und: Die Umsätze an Saatgut für den Kleingarten sind seit Mitte der 1980er Jahre deutlich angestiegen!               zurück

 

17   Die Erfahrungen mit den Frondiensten nahmen die imperialistischen Länder mit in ihre Kolonien; im französischen ­Afrika mußte die Ur-Einwohner unter der ­Trikolore dienen, Steuern zahlen und der Administration zwölf Tage im Jahr ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen.               zurück

 

18   Im »preußischen Schlesien«: Fünfzig Jahre früher war‘s noch österreichisch. Aber weder Österreicher noch ­Preußen, weder Polen noch Deutsche nahmen Rücksicht auf die ursprünglichen Bewohner: auf die Schlonsaken: »Jo nie jest ani Polok, ani Niemicc. Jo est Slonzok.« Über die ­europäische Anerkennung als »nationale Minder­heit« wird wohl der Europäische Gerichtshof in Straßburg entscheiden müssen.              zurück

 

19   Leibeigenschaft bedeutete unter anderem, daß Heirat und Ortswechsel vom Gutsherrn genehmigt werden mußten, jedes Kind von der Geburt an ebenfalls leibeigen war und persönlicher Besitz über Kleidung und Hausrat hinaus nicht zugelassen wurde. Hinzuweisen sei auch darauf, daß sich »Schutz und Schirm«, den die Bauern von ihrem Grundherrn erhielten, sowohl nach außen – gegen fremde Herren – als auch im Innenverhältnis – gegen die Übergriffe der eigenen Herrschaft – gerichtet war. Leib­eigenschaft hieß aber auch, daß die Menschen »Teil« des Grundstücks waren und nicht vertrieben werden durften. Anders in der Sklaven­haltergesellschaft, wo die Menschen dem Sachenrecht unter­worfen waren, aus dem sich später das deutsche Arbeitsrecht entwickelt. Unter den immer wiederkehrenden Fehden litt zumeist die bäuerliche Land­bevölkerung, nicht der adlige Gegner – schließlich wollte man die ­soziale Ordnung nicht gefährden!               zurück

 

20   Die Prädestination von Calvin geht davon aus, daß alles im Leben eines Menschen vorher­bestimmt ist – also ist kein Versicherungsschutz und keine Pensionskasse er­forderlich. Außer­dem wird an Adam und Eva als historisch reale Menschen geglaubt, an Himmel und Hölle als (fast) geographisch fest­zumachende Orte und an ein Leben nach dem Tod. Der Papst ist der verkörperte Antichrist, Beelzebub sitzend in Rom.              zurück

 

21   Hätte Moses Gottes Stimme aus einer Kartoffelstaude und nicht aus dem Dornbusch gehört, so wäre die Heils­geschichte vielleicht anders verlaufen. Nach dem Talmud gab Gott dem Moses 365 Gebote und 248 Verbote: In keinem dieser 613 Vorschriften wird die Kartoffel erwähnt – aber auch nicht die Möhre, deren Verzehr von diesen Bibel-Auslegern nicht untersagt war. Hätten die Assyrer die Kartoffel gekannt, so wären die »Hängenden Gärten« der Samuramat sicher­lich mit violetten Kartoffelblüten verziert gewesen, denn »Blau« galt als ein besonderes Zeichen von Reichtum und Schönheit.  

Da die Kartoffel nicht in der Bibel erwähnt wird und in Assyrien unbekannt war, sind die Behauptungen eines Erich von Däniken oder eines Velikowskys, es hätte »früher« eine ständige Ver­bindung zwischen Europa und Amerika (sog. Pyramiden-Beweis) gegeben, offensicht­licher Unsinn und nicht das Papier wert, auf dem sie ge­druckt werden. Schade um die Bäume. Neuer­dings entwickelt sich eine afro­zentristische Diskussion, nach der die (Riefenstahlschen) Nubier die Heils­bringer waren und zwar von Afrika nach Amerika. Doch auch die für diese Theorie benutzten botanischen »Indizien« halten keiner näheren Prüfung statt: Der ursprüng­lich in der ­Alten Welt beheimatete Flaschenkürbis ist bereits vor mehr als einer Million Jahren nach Amerika gelangt wie auch bestimmte Baum­wollarten.               zurück

 

22   Engels mag sachkundig über den »Ursprung der Familie« referiert haben, aber für den Ursprung der Kartoffel fehlte ihm das erforderliche Wissen.              zurück

 

23   »Damals tat sich« – so Lichtenberg 1773 – »eine Gesellschaft zusammen, die man Sachsenhäuser nannte, die pflanzten ihr bisgen Gemüs hinter einer Mauer, weil es aber ­Leute waren, die sehr gereist taten, so gesellten sich manche aus andern Gärten zu ihnen, die nur des Nachts (anonym) hingingen und ihre Kartuffeln hüteten.«              zurück

 

24   Das rächt sich 1946/1947, als Adenauer vorschlägt, die neue Hauptstadt Deutschlands soll »in der Gegend des Mains« liegen. Der Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb und Carlo Schmid ließen zu gleicher Zeit verlauten, die Hauptstadt müsse zwischen Rebenhängen liegen und nicht zwischen Kartoffeläckern. Frankfurt am Main war – kann man hinzufügen – jedoch schon von 1815 und 1866 Verwaltungssitz und Tagungsort (quasi Hauptstadt) des »Deutschen Bundes« gewesen und jahrhundertelang vorher wurden in dieser freien Reichsstadt die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt.              zurück

 

25 Auf Vorschlag Parmentiers ließ König Ludwig XVI. auf dem Palastgelände einen Kartoffelacker anlegen und stellte seine Garde tagsüber zur Bewachung ab. Jedoch jeweils um Mitternacht schickte der die Gardisten nach Hause, was die Bauern veranlaßte, die so streng bewachten wertvollen Knollen auszugraben, sich damit davon zu machen und sie selbst anzupflanzen. Auch wenn die Verbreitung der pommes de terre in Frankreich sich so nicht abgespielt hat, ist es doch eine schöne Geschichte.              zurück

 

26 Für den Abdruck dieser »ordre« ist eine gebühren­pflichtige Genehmigung des Thüringisches Hauptstaatsarchivs in Weimar zu beantragen und zweitens ist ein kostenfreies Belegexemplar des ganzen Buches (für wen?) »un­aufgefordert« abzuge­ben. Die gebührenpflichtige Genehmigung für den Abdruck eines im Prinzip öffentliches Staats­dokument ist – vorsichtig formuliert – ungewöhnlich. Doch: Schon Herzog Johann Ernst von Sachsen-Saalfeld ordnete 1714 an, daß von jedem Druck seines privi­legierten Hofdruckers Gottfried Böhmer drei Exemplare der Hofbibliothek kosten­los zur Verfügung zu stellen ­seien. Insofern hat sich seit damals nicht viel geändert.               zurück

 

27 Das »Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz« ­­teilte dem Autor am 2. Oktober 1996 mit: »Die von Ihnen gesuchten ›Kartoffelbefehle‹ aus dem 18. Jahrhundert ­haben sich in den Beständen des Geheimen Staatsarchivs nicht ermitteln lassen.« Angefragt wurde wegen der Edikte der Jahre 1720, 1754, 1764 und 1765. Es war wohl mehr Bequemlichkeit der Bürokratie, die diese Antwort er­forder­lich machte.              zurück

 

28 In Malchow am Flessensee gibt es »Knuddel«-Brot, was auf die Ansiedlung von katholi­schen Schlesiern nach dem Siebenjährigen Krieg verweist.               zurück

 

29 In Nowawes sind noch heute die Straßen, in denen Weber wohnten, und Straßen, in denen Bauern wohnten, festzustellen: In »Weber«-Straßen besteht ein großer Abstand zwischen Wohnhaus und Straße, weil die Weber ihre Tuche in diesem Zwischenraum auslegten und deshalb Platz benötigten, während in »Bauern«-Straßen die Bäume dichter am Wohnhaus gepflanzt wurden, da für den Viehtrieb auf der Straße mehr Platz benötigt wurde. Und manchmal trieben die Bauern ihr Vieh durch die »Weber«-Straßen.               zurück

 

30 Diese Magazine schufen auch Arbeitsplätze: In jedem Magazin in Preußen war ein Rendant, ein Proviantmeister, ein Calculator, ein geschworener Aufmesser und mehrere Kornschüpper beschäftigt (zitiert nach Teuteberg), Friedrich schreibt 1740 an Voltaire: »Was mich am meisten ­kostet, ist die Einrichtung von Magazinen in sämt­lichen Provinzen, die groß genug sind, daß überall im Lande ein Kornvorrat für anderthalb Jahre vorhanden ist.« Eine späte Nachfolge dieser Magazinierung war in Berlin die sog. Senats-Reserve, die nach dem Fall der Mauer verscherbelt wurde, aber die Finanzprobleme dieser Stadt (24.000 Mark Schulden pro Kopf) auch nicht löste.               zurück

 

31 Es gibt noch ein politisches Testament aus dem Jahr 1768 sowie einem »Grundriß der preußischen Regierung«, in dem Friedrich II. 1776 den Inhalt beider Vermächtnisse zu­sammenfaßt.               zurück

 

32 An sich waren die herrschenden Kreise an einer freien Preisbildung für alle Produkte auf dem »Markt« interessiert. Diese bereits von den Scholastikern herrührende Ideo­lo­gie fand ihre Grenze dort, wo die »Reproduktion« der Arbeitskraft betroffen war. Daher waren Grund­nah­rungs­mittel von der freien Preisbildung über einen ge­wissen Punkt hinaus ausgenommen oder wurden/werden durch Subventionen relativ niedrig ge­halten. Die­ses Prinzip ist auch noch wirksam und erkennbar an dem gespaltenen Mehr­wert­­steuer­satz in der heutigen Bundesrepublik. Das Prinzip der freien Preis­bildung war übrigens die ideologische Grundlage für die frühen Verbote der Arbeiter, sich zu organisieren, denn eine »Gewerkschaft« hätte die freie Preisbildung be­einträchtigt.               zurück

 

33 Nach einer Hungersnot in Preußen plante Friedrich Wilhelm I. 1738 in Amsterdam Getreide zu beschaffen, kauft dann aber zugunsten der Märkte in Litauen und Ost­preußen das Getreide im eigenen Land. Hungersnöte in der sog. Dritten Welt werden, so lautet eine ernst zu nehmende ­These, am wirkungsvollsten dadurch bekämpft, daß man den Hungernden Geld gibt und nicht die Überschüsse der europäischen Landwirtschaft.               zurück

 

34 »Chymische Versuche, einen wahren Zucker aus verschiedenen Pflanzen, die in unseren Landen wachsen, zu ziehen«. »Wahren Zucker« (also ähnlich dem Rohr­zucker) ­hatte Marggraf aus den Wurzeln des Weißen bzw. Roten Mangold und der Zuckerwurzel scheiden können, anfänglich nur 1,6 Prozent; langwierige Züchtungen erhöhten den Zucker­gehalt. Die Veröffentlichung blieb fast unbemerkt, da sie auf Latein erfolgte; 1767 erfolgte eine Ver­öffent­lichung in deutscher Sprache.  

Der Sklaven­­aufstand auf der Antillen­insel San Domingo 1791 verknappte das Zucker­angebot, so daß Marggrafs Nachfolger als Direktor der Physikalischen Klasse der Akade­mie der Wissen­schaften, Franz Carl von Achard, 1797 ein (nicht-exklusives) Privileg für eine inländische Zucker­fabrika­tion beantragte und auf Gut Kunern in Schlesien (oder in Kaulsdorf bei Berlin) die erste Zuckerrüben­fabrik der Welt errichtete. Achard würde sich heute ganz schön wundern, wenn er erführe, daß die Erbanlage für Fructane aus der Erdartischocke in seine Zucker­rüben übertragen werden, damit diese den Rübenzucker in niedermolekulare Fructane umwandelt, was die Zahnärzte nicht erfreut. Durch die Raffinade der Runkel­rübe wurde der Zucker »demokratisiert«, war plötzlich erschwinglich für die Massen, kein Pri­vi­leg mehr. Heute liegt der Anteil des Rübenzuckers an der Welt­erzeugung bei 35 Prozent.  

Zucker, so lautet eine kubanische Redewendung, sei aus Blut gemacht. »Es gibt wegen dieser Zuckermühlen so viele Afrikaner auf der Insel, daß das Land wie ein Abbild Äthiopiens aussieht, schrieb Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdes.  

Zwischen Achards ersten Zuckerraffinerien im preußischen Schlesien (1801) und den Anfängen der heute so ausgedehnten bäuerlichen (hoch subventionierten) Zuckerrübenfelder liegen einhundert bis einhundertfünfzig Jahre. Heute erscheint es schier undenkbar, daß man 1393 für ein Kilo Zucker den Wert von zehn Ochsen zahlte.                zurück

 

35 Bier war allgegenwärtig. Johann Bretschneider stellt 1551 fest, daß »einige mehr von diesem Getränk leben als von richtigem Essen; alle brauchen es, Männer und Frauen, Kinder und Gebrechliche«. Bier und Wein, so meinten die damaligen Mediziner, besäße wichtige therapeutische Eigenschaften. Je schwerer die Krankheit, desto exzessiver ­wurde Alkohol gereicht, denn bis in das 20. Jahrhundert hinein war es in Europa schwierig, unbedenkliches trinkbares Wasser zu beschaffen. Die Beimischung von Wein oder Bier galt als Antiseptikum, und außerdem – in jener fernsehlosen Zeit – förderte Alkohol die Geselligkeit.               zurück

 

36 Der erste »Koch«, so die Amerikaner Pilbeam und Wrang­ham von Harvard, sei ein Buschfeuer gewesen, das einige Wurzelknollen grillte. Und dann nahmen die Menschen (vor fast zwei Millionen Jahren) die Sache selbst in die Hand und rösteten Eicheln und anderes. Gekochtes und Gebratenes­ aus dem Erdofen war verdaulicher; die Früchte waren eine sicherere Nahrungsquelle als die zumeist erfolglose Jagd.            zurück

 

37Qahwa ist übrigens das altarabische Wort für Wein, die Kaffeebohne leitet sich aus arabisch bunn, Beere, her. 

Friedrich II.: »Ein jeder Bauer und gemeine Mensch gewöhnt sich jetzt zum Kaffee. Wird das ein bißchen eingeschränkt, so müssen sich die Leute wieder an Bier gewöhnen, denn das ist zum besten ihrer eigenen Bierbrauereien. Ihr Väter kannte nur Bier, und das ist das Getränk, das in unser ­Klima paßt.« Sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., hob die Kaffeebeschränkungen 1787, schon ein Jahr nach dem Tod seines Onkels, auf. 

In einer Beschreibung des zu Preußen gehörenden Fürstentums Ansbach 1787 sagt Johann Bernhard Fischer, daß auch Bauern und Handwerksleute gelegentlich Kaffee zum Frühstück tranken. Doch sie verwendeten dazu sicher nicht ­echte Kaffeebohnen. Ersatzweise, um dennoch der Mode zu genügen, wurden Kastanien, Roggen- und Maiskörner, ­Nüsse, Bohnen Brot, Bucheckern geröstet, gemahlen und auf­gebrüht. Man experimentierte mit anderen Pflanzen, die kaffeeähnlich schmeckten, aber in der eigenen Klimazone selbst angebaut werden konnten wie die Zichorienwurzel.              zurück

 

38 1674 wurde in der Londoner »Women’s Petition against Coffee« geklagt: »Nie hatten die Männer so sehr die Hosen an und weniger Feuer in sich.« Schuld daran sei der »übermäßige Gebrauch dieses neumodischen, abscheulichen, heidnischen Getränks namens Kaffee, welches unsere Ehemänner solcherart zu Eunuchen gemacht und unsere Kavaliere verkrüppelt hat. Wenn sie vom Kaffeetrinken zurückkehren, ist an ihren Körpern nichts feucht außer ihren Rotznasen, nichts steif außer ihren Gelenken, nichts steht ihnen ab außer den Ohren.« Da war das friderizianische Kaffeeverbot doch frauenfreundlicher und dem Bevölkerungswachstum tat es gleichfalls gut.               zurück

 

39 Im Jahr 1900 stellt der Berliner Physiologe Max Rubner durch Laborexperimente fest, daß ein erwachsener Mensch im Höchstfall 1300 g Kartoffeln täglich zu sich nehmen könne.              zurück

 

40 In ­einem amerikanischen Lied der Farmer­organisation der »Granger« aus dem Jahr 1867 heißt es über die Bauern, daß diese einen Freibrief schon im Paradies erhalten hätten und deshalb müßten sie bevorzugt behandelt werden. Subventionen für die Land­wirt­schaftler sind also nicht auf Europa und dieses Jahrhundert beschränkt.              zurück

 

41 »Gedämpfte Leit hen die dicksten Schucken«. Oder etwas schwieriger auszusprechen, wenn man nicht aus dem Ermland kömmt: »De dömmst Lait haë de schönste Schucke.« Und in Sachsen-Anhalt heißt es. »Die Dummen und die Toffeln haben die größten Kartoffeln.«              zurück

 

42 Englische Bauern im 15. Jahrhundert nahmen im Durchschnitt jenes Jahrhunderts etwa 3200 Kalorien täglich zu sich; Schüler des Studiums Papale in Trets Südfrankreich bekamen nur 2600 Kalorien, die verhältnismäßig gut verpflegten venezianischen Seeleute verdrückten 3900 Kalorien. Etwa 90 Prozent der gesamten Kalorienmenge im Mittelalter wurde durch Getreide (Brot, Hafergrütze, Bier) abgedeckt, an Fetten und an Vitamin A mangelte es.               zurück

 

43 Über die Eßkultur in Deutschland schrieb Enea Silvio Piccolomini (der spätere Papst Pius II.), der Mitte des 15. Jahrhunderts durch »Deutschland« reiste und dabei auch bei Johannes Gutenberg vorbeischaute:
    »Und glaub nur nicht, daß man dir silberne oder gläserne Becher vorsetzt. Bei jenem fürchtet man, daß es gestohlen, bei diesem, daß es zerbrochen wird. Du mußt aus einem Holzbecher trinken, welcher schwarz, alt, stinkend ist, an dessen Grund der Weinstein fest geworden ist und in den die Herren sonst zu pissen pflegen. Auch benützt du diesen Becher nicht allein, um nach Belieben Wasser zuzugießen oder den Wein pur zu trinken, sondern er wird von Hand zu Hand gereicht, und du mußt deinen Mund oft da ansetzen, wo sich eben der verlauste Bart oder die schwärenden Lippen oder die stinkenden Zähne eines anderen befanden.«               zurück


 

44 Wenn es in der Küche der armen Landbevölkerung Fleisch gab, dann war es meistens Fleisch von »ausgedienten« Nutztieren: Das Huhn, das keine Eier mehr legte oder die Kuh bzw. Ziege, die keine Milch mehr gab. Diese Tiere waren so zäh, daß sie nur durch langes Köcheln im Topf genießbar gemacht werden konnten. 

Heute hat das Huhn und die Pute wieder eine besonders starke Stellung im Haushalt des Bürgers, wenn er denn auf »seine Linie« achtet.              zurück

 

45 Ingeborg Müller nennt für das Vogtland Festgebäcke: Weih­nachtsstollen (schon um 1600), Pfefferkuchen, Pfannkuchen zu Aschermittwoch und Fastnachtbrezeln. Im übrigen gab es bei besonderen Gelegenheiten (Mehl-)Klöße, Rindfleisch in Brühe, Hirsebrei und Saure Flecke. Weizenklöße waren Festspeisen für Wohlhabendere; der vogtländische »Bambes« (in der Pfanne gebackener Kartoffelbrei) entspricht im bayerischen dem »Pampf«, aber nicht dem Berliner »Pamps«.              zurück

 

46 Schon Clusius schrieb 1601 im »Rariorum«, daß die Kartoffel in Italien an die Stelle von Rettich und Pasti­nake getreten sei. Die wilde Pastinake enthält übrigens lichtempfindliche Substanzen, die bewirken, daß Schädlinge nach dem Verzehr an Sonnenbrand sterben.  

Im übrigen wurde in Deutschland gegessen: Grüner Blattkohl, Kopf- und Krauskohl, Kohlrüben, Rote Beete, Rüben, Mangold, Meerrettich, Mohrrüben, Mangold, Portulak, Gurken, Knoblauch, Küchenzwiebeln, Porree und Spinat, Spargel und Zuckerwurz, Pferde- und Saubohnen, Erbsen und Linsen und dazu alle möglichen Kräuter, die auch gegen manche Gebreste halfen. »Produziert« wurde für den eigenen Bedarf im Garten hinterm Haus; manche »Bauerngärten« zeigen noch heute (oder schon wieder) die Vielfalt der Nahrungsmittel.               zurück

 

47 Die Kartoffel hieß im Elsaß – wie in der Pfalz – »Grum­biere«. Nach 1918 hieß sie auf­grund Pariser Bürokraten-Anordnung »pomme de terre« und auch Grumbiere, und als nach 1940 wieder deutsch als Amtssprache vor­geschrieben wurde, sollte die Knolle Kartoffel heißen. In Eugène Heisers »La tragédie lorraine« heißt es hierzu: »Kartoffel hin, Kartoffel her, am End vum Jahr heeschts doch wieder pomme de terre.«              zurück

 

48 »Fische« ist bisher vom 20. März bis 20. April; das Sternbild»Waage« ist vom 24. September bis 23. Oktober. Bei Berücksichtigung des neuen Sternbildes»Ophiuchus« (30. November bis 17. Dezember) verschieben sich»Fische« auf die Zeit vom 12. März bis 18. April und»Waage« auf die Zeit vom 31. Oktober bis 22. November.             zurück

 

49 Andererseits verbietet ein Pariser Gericht noch zwischen 1730 und 1787 mehrmals die Ablösung der Sichel durch die Sense.              zurück

 

50 1812 hielt Thaer Vorlesungen an der Berliner Universität zum Thema: »Der Frucht­wechsel und die landwirtschaft­liche Bedeutung des Kartoffelbaus«. Fontane schildert, daß Thaer einmal seine Vorlesung hielt, ohne auf die »Kapitula­tion« von Yorck in der »Konvention von Tauroggen« ein­zugehen, »weil das Vorlesungsthema keine recht pas­sende Anknüpfung gestattete«.              zurück

 

51 »Eine Knolle auf Ackers Mergel, Es stand unter Unkraut und dergl.« – so ähnlich hat Julius Stinde im A.D.R gereimt.                zurück

 

52 Viermal die Woche soll Fontane Kartoffeln auf dem Tisch gehabt haben: mit Weißkohl und Kümmel und Hammelfleisch, Kapern und Bohnen, Zwiebeln und weißen Rüben und mit Entenklein und Entenleber. »Man war übereingekommen, sich jeder ein Setzei zu spendieren, dazu Bratkartoffeln.« heißt es bei »Mathilde Döring«             zurück

 

53 Im »Stechlin« schreibt Fontane: »Jedes höher gesteckte Ziel, das über den Kartoffel­sack hinausgeht, findet kein Verständnis, sicherlich keinen Glauben.«            zurück

 

54 Inzwischen sind Forscher an der Arbeit, die Kartoffel soweit umzuzüchten, daß sie auch in heißen und feuchten Klimazonen wächst.               zurück

 

55 1894 schrieb Fontane an seine Tochter Mete: »Die Ver­pflegungsfrage ist für den Kulturmenschen eigentlich das wichtigste.«               zurück

 

56 Der Naturforscher Johann Christian Senckenberg berichtet 1769: »Kartuffeln oder Grundbeeren geraten in meinem Garten in fetter Erde gar nicht, schmecken seifig«.               zurück

 

57 Vom Kartoffelbau-Erwartungsland über Land für den Kartoffel-Anbau zum Bauern-Erwartungsland (»Wir er­warten, daß die Leute aus Westberlin etwa 330 Mark auf den Quadratmeter zahlen werden«). Die Erwartungen wurden erfüllt.             zurück

 

58 König Georg II. von England verunglimpfte Preußens Friedrich I. als »den König der Landstraßen und des römischen Reiches Erzsandstreuer« und nannte ihn abschätzig »seinen Bruder Korporal«.               zurück

 

59 Das einheimische Wiesenbärenklau ist nicht zu verwechseln mit der »Heracleum mantegazzanum«, der sog. Herkulesstaude oder »Riesenbärenklau«, die erst Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Kaukasus eingeführt wurde und extrem giftig (Furano­cu­marine) ist; nur das Ausgraben der Wurzeln gilt als wirklich sichere Methode der Aus­rottung – mit anschließender Verbrennung aller Teile dieses Dolden­gewächses. Die Pflanze ist mit Möhre, Sellerie und Peter­silie verwandt. Mehr dazu im SPIEGEL 30/1996. Genesis besang 1971 die Herkulesstaude: »Turn and run, nothing can stop them«.               zurück

 

60 In Berlin hießen die Hütten in diesen Gärten »Laube«. Wegen der Wohnungs­not in Berlin waren viele Arbeiter gezwungen, in diesen Lauben ganzjährig zu wohnen, obwohl die (Holz-)Buden dafür nicht geeignet waren; mangelhafte (vitaminarme), einseitige Ernährung verbunden mit einer unzureichender Unterkunft, führte vielfach dazu, daß die Bewohner dieser Lauben an Tuber­kulose erkrankten, was sich auch durch »Rasseln« (= »Piepen«) der Lunge bemerkbar macht. In der »Laube« wurde früher das Winterfutter (Laubheu) gelagert (daher der Name), denn alle Kühe fressen lieber Laub als Heu und lieber Heu als Schafproteine mit BSE. 

Ähnlich war es mit den sog. »Trockenwohnern« in den 1920er Jahren. An Tuberkulose und/oder Schwindsucht Erkrankte wurden »Lungenpieper« ge­nannt und da viele Lauben­­besitzer erkrankt waren, ergab sich der Begriff »Laubenpieper« fast von selbst. Eine Ergänzung: Im Mittelalter ­ließen nach Pestepidemien aufs Land geflohene wohl­habende Franzosen arme Witwen zur Probe in ihre Stadt­häuser einziehen; erst wenn diese eine Zeitlang gesund blieben, fühlten sich die Reichen sicher und kamen vom Land zurück. Eine weitere Ergänzung: Als der Saal der Pariser Oper nach dem Brand von 1781 wieder errichtet wurde, lud der Architekt Le Noir zu einer öffentlichen und kosten­losen Aufführung alle Pariser Schuhputzer und Savoyarden (rund 6000 Menschen) ein, um die Tragfähigkeit und Sicher­heit des Gebäudes zu prüfen; erst am folgenden Tage kam »tout Paris«. Heutzutage wird ein sog. »Tag der offenen Tür« veranstaltet, wenn ein neues Bauwerk getestet werden soll, und erst danach kommt der Bundeskanzler.  

Die allgemeine »Berufskrankheit« der kleinen Leute war die Schwindsucht: Gerhard Beier (in »Schwarze Kunst und Klassenkampf«) weist daraufhin, daß Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien siebzig Prozent und in Berlin sechzig Prozent der Todesfälle im graphischen Gewerbe auf Schwindsucht zurück­zuführen gewesen seien; der Blutsturz im Setzer­saal gehörte zu den alltäglichen Er­eignis­sen im Buch­druckerleben.  

In den »Technischen Mitteilungen« der »Zentral­­kommission der Maschinensetzer Deutsch­lands« vom 10. Mai 1932 wird eine Statistik veröffentlicht, wonach das Durch­schnitts­alter dieser Berufs­gruppe nur 42 Jahre beträgt und nur 45 Prozent aller Maschinen­setzer das 50. Lebensjahr erreichen würden; mit 19,65 Prozent würden Lungenleiden über­durchschnitt­lich häufig den Tod ver­ursachen. Dr. K. Silberstein schreibt 1912 (»Die Berufs­krankheiten der Buchdrucker«): »Zweifellos wäre es das beste, wenn ein tuber­kulöser Setzer nicht wieder in die Buchdruckerei zurückkäme; dem stehen freilich in den meisten Fällen ökonomische Gründe hinderlich im Wege.«  

In Hamburg litten insbesondere die Zigarren­dreher in den »Pipen­macherbuden« an den »Motten« (»Ach, du kriegst die Motten«). Das Fehlen der »tuberosum« führt(e) auch hier zur Tuber­kulose. Im selben Jahr 1912 macht Adolf Levenstein in Deutschland eine große Umfrage über die Lebensweise der Arbeiter: »Gehen Sie oft in den Wald? Was denken Sie, wenn Sie auf dem Erdboden liegen, ringsherum tiefe Einsamkeit?«. Eine englische Untersuchung ergab 1904, daß unter den arbeitenden Klassen chronische Verdauungs­störungen, schlechte Zähne, Blutarmut und allgemeine Schwäche weitverbreitet war; schon die Kinder bekamen fast ausschließlich Büchsenmilch mit unzureichendem Fettanteil und fehlenden Vitaminen A oder D, so daß ein Sechstel der Kinder bereits im ersten Lebensjahr starb. Die meisten Engländer waren unterernährt, so daß während des Burenkrieges über vierzig Prozent, an manchen Orten sogar sechzig Prozent, der Rekruten zurückgewiesen werden mußten.               zurück

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61 Während der Bismarckschen Sozialistengesetze (1878–1880) organisierten sich die sozialdemokratischen Ar­beiter in den inzwischen freien Kleingarten-Kolonien und unterliefen so die Einschränkungen der Versammlungs- und Organisationsverbote. Während der Nazi-Zeit hielten insbesondere die Kommunisten in den Laubengärten-Ver­einen den Kontakt untereinander.              zurück

 

62 Daniel Gottlieb Moritz Schreber, Arzt in Leipzig und Direk­tor einer heilgymnastischen Anstalt, setzte sich für die Volksgesundheit ein, insbesondere für die körperliche Ertüchtigung der Stadtjugend und für kindgerechte Spiel­plätze. Er gilt als einer der geistigen Vorläufer des Nationalsozialismus und seine Erziehungsmethoden sind zu Recht vergessen. Mit den nach ihm benannten »Schrebergärten«, hatte er nichts zu tun. Hauschild war Mitarbeiter von ihm, der 1864 den ersten Garten einweihte. Schreber bezeichnet die Knolle als »Tartüffel, welche der gemeine Mann mit dem corrumpierten Namen Kartüffeln, Artoffeln, Erdtoffel bezeichnet.«               zurück

 

63 In Hamburg heißt es: »An de Eck steiht ‘n Jung mit’n Tüdelband ... rasselt mit ‘n Dassel geg’n Kantsteen«.               zurück

 

64 Das Anwachsen der Berliner Bevölkerung führte zu ­einem Niedergang der ursprünglichen Sauberkeit in den Straßen. Als 1831 auch in Berlin die Cholera ausbrach, ähnelten die sanitären Verhältnissen denen des heutigen Kalkuttas; die Fäkalien wurden nachts von mit Laternen ausgerüsteten Frauen (Frauen der nächtlichen Arbeit und Nachtemmas genannt) in Eimern aus den Häusern geholt und in die Spree geschüttet.               zurück

 

65 Eine Untersuchung aus den frühen 1990er Jahren zeigte, daß die Menschen, die in Berlin-Köpenick wohnten, ­weniger Allergien hatten als die, die in Spandau lebten: Vor Berlin war das Spreewasser noch nicht so häufig getrunken. Im übrigen: Wenn die Pumpen in der Lausitz ab­gestellt werden, wird die Spree wohl trocken fallen oder sogar rückwärts fließen.              zurück

 

66 Da hatte sich etwas gewandelt: In den Jahrhunderten zuvor war Krieg und Fehde allgemein üblich, aber außerhalb dieser von der Obrigkeit veranlaßten Gewalttätigkeit und abgesehen von der Gewalt gegen Frauen und »Ketzer« ging’s im Alltagsleben verhältnismäßig gewaltfrei zu. Gab es dennoch zwischen einzelnen Bürgern Gewalt, so wurde nicht unbedingt mit dem scharfen Schwert gerichtet – ­Schläge mit dem Knüppel oder Geldbußen taten’s auch. Die Beziehungen zwischen Staatsgewalt und Untertan verrohten erst im 14. und 15. Jahrhundert.              zurück

 

67 Der Merkantilismus war ein Wirtschaftssystem des Ab­solutismus vom 16. bis 18. Jahrhunderts; in Deutschland war der Merkantilismus verknüpft mit dem Kameralismus. Die merkantilistische Wirtschaftsauffassung löst teilweise die Zunft- und Stadtwirtschaft ab, von der jedoch heute noch etliche Reste des Wirtschaftsstandort Deutschland prägen (Meisterzulassung, Anwaltskammern und andere Kammern, Apotheken-Regelung). Zur Erhöhung des Reichtums wurde die Ausfuhr gefördert, die Einfuhr behindert.              zurück

 

68 »Eine gebratene Kartoffel ist besser als eine unreife ­Ananas oder ein halbreifer Pfirsich.« Mit »Ananas« ist hier die Erdbeere gemeint.               zurück

 

69 Suppen spielten ein große Rolle bei der Ernährung der Bevölkerung; Suppe war – siehe Goethe und Friedrich II. – nicht nur das Essen der »kleinen Leute«, sondern all­gemein verbreitet. Noch in den 1960er Jahren aßen die ärmeren Leute in der Gegend von Mâcon in Frankreich zweimal täglich im Winter Kohlsuppe und im Sommer sogar nur einmal Suppe und zwar als ausschließliche Mahlzeit.               zurück

 

70 Die Angst vor der französischen Revolution saß tief. Doch gegen die Unbilden der Natur ist auch kein Kartoffelkraut gewachsen. Die französische Revolution wird darauf zurückgeführt, daß seit 1783 schlechte Ernten die Regel und ausreichende Nahrung die Ausnahme waren. 1783 flogen durch die Eruption des Spaltensystems am Berg Laki auf Island über einhundert Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Atmosphäre. Ein Teil gelangte in die Stratosphäre, die Abkühlung in Europa hielten jahrelang an und verursachten in West-Europa mehrere Mißernten.              zurück

 

71 Nach Wilhelm Abel erhielt ein Kopist einer Kriegs- und Domänenkammer um 1800 ein Jahres­gehalt von 50 Taler. Ein Postbeamter erhielt im ersten Jahr nichts, dann in der Regel freie Station und etwa 5 bis 6 Taler monatlich. Nach vierjähriger Dienstzeit wurde nach Ablegung eines Examens einer Salär zwischen 300 und 350 Taler jährlich gezahlt. Nach dem zehnten Dienstjahr oder dem 29. Lebensjahr wurde eine Gehaltszulage von 40 Taler, nach weiteren zehn Jahren eine von 100 Taler gezahlt. Erst dann konnte ge­heiratet werden, vorher war es finanziell überhaupt nicht möglich. Es handelte sich hier um eine Art »Kulturpubertät«, die dazu diente, die Kasernen und Heerlager zu füllen – falls man nicht unterstellen will, die damaligen Kriege ­seien nur geführt wor­den, um die unverheirateten Kerle an­gemessen zu beschäftigen und zu dezimieren. Es ist leider festzustellen, daß in den Gesellschaften, in denen junge Menschen wesentlich stärker vertreten sind als alte, also in den sog. Dritte­-Welt-Ländern, (Bürger-)Krieg und Totschlag an der Tagesordnung sind.  

Schon bei den Römern erhielten Lehrer nur etwa die Hälfte des Entgelts eines normalen Legions­soldaten.              zurück

 

72 Heinrich Heine hat in der »Harzreise« ein passendes Beispiel für die wirtschaftliche Situation:

»Die andere Dame, die Frau Schwester, bildete ganz den Gegensatz der eben beschriebenen. Stammte jene von Pharaos fetten Kühen, so stammte diese von den magern. Das Gesicht nur ein Mund zwischen zwei Ohren, die Brust trostlos öde, wie die Lüneburger Heide; die ganze ausgekochte Gestalt glich ­einem Freitisch für arme Theologen.«               zurück




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