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Kartoffel-Geschichte Furche 2.3. Preussens Schule und Schulwesen

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffelgeschichte: Das Schulwesen und einige Ursachen für Fehlentwicklungen:
https://web.archive.org/web/20120420073042/http://www.kartoffel-geschichte.de/Zweite_Furche/Preussens_Schule/preussens_schule.html

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Das Schulwesen und einige Ursachen für Fehlentwicklungen

 

Die Entwicklung des Bildungswesens und ins­besondere der Schule in Preußen ist nicht denkbar ohne den feldmäßigen Anbau der Knolle. Gerade in Preußen war der Kartoffelanbau ein entscheidender Wegbereiter für die Hebung der Volks­bildung und damit für das Erstarken dieser deutschen Provinz. Zum Ver­ständnis dieser Zusammenhänge ist es erforderlich, einen kurzen Überblick über die all­­gemeine Bildungssituation jener fernen Zeit zu ­geben.

Lesen-Können war bis ins 16. Jahrhundert ­eines der wesentlichen Macht­instrumente der Geist­lichen; erst die den evangelischen Gläubigen auferlegte Verpflichtung, regelmäßig in der Bibel zu lesen, führte in den protestantischen Provinzen des Reiches zu einem Anstieg der Lesekundigen auf etwa dreißig Prozent der Bevölkerung. Diese protestantische Forderung ist abgeleitet aus dem Islam, denn jeder Muslim mußte und muß die Heilige Schrift lesen können (andererseits sperrte sich der Islam anfänglich gegen die Ausbreitung der Buch­drucker­kunst mit beweglichen Lettern, weil beim Ablegen der Lettern auch der Name Gottes zerstört werde).

Ein Rückschlag dieser ersten Bildungsoffensive in Deutschland (bis heute gab es Unzählige solcher Unternehmungen) war der (auch vom indianischen Gold finanzierte) Dreißig­jährige Krieg, in dem ebend nicht nur das Blei in den Setzkästen knapp wurde, sondern wohl auch – verständlich – das Interesse der Bevölkerung an solch nutzlosem Ding wie ­Lesen-Können nachließ. Die Analphabetenrate erhöhte sich im Laufe des 17. Jahr­hunderts wieder auf rund neunzig Prozent. Der Landmann, der Söld­ner, der Geselle in der Stadt kam auch ohne Lesen aus. Analphabetentum hieß nicht unbedingt schreib- und leseunkundig, bedeutete vielmehr eine nicht schulgerechte lateinische Bildung.

Lesen-Lernen bedeutete zugleich das Erlernen und die Be­herrschung einer Fremdsprache, denn das Schriftdeutsch entsprach keines­falls überall der gesprochenen Sprache. Rudolf Schenda schreibt in »Alphabeti­sierung und Literarisierungs­prozesse in Westeuropa«:
    »Die Kulturvermittlung verläuft in dem ... Mehrheitsbereich der Analphabeten auf drei verschiedene Weisen: Die Kulturgüter werden einmal materiell von Generation zu Generation weitergegeben: das Haus, das Vieh, die Gerätschaften gehen von den Eltern auf die Kinder über. Und zum zweiten werden praktische Handlungsweisen tradiert, durch das Vor-Machen der Älteren und das Ab-­Gucken der Jüngeren, die also lernen, wie man den Samen sät, die Kuh melkt, den ­Faden spinnt. Die materielle und die initiative Tra­dierungsweise bedürfen der Sprache nicht, wohl aber der dritte Modus, bei dem es um das Weiterreichen der Subjektivationen: der Meinungen, der Einstellun­gen, der Wertsetzungen geht, kurz um die ›vision du monde‹ und die Regeln gesellschaftlichen Verhaltens.«

Unter diesen Umständen kann man das Überflüssige fallen lassen. Das stört nur, da reicht es – auf die heutige Zeit übertragen – wenn man denn schon eine Zeitung hat, die »Blöd-Zeitung« (Manfred Krug) zu lesen und nicht eine viel teuere (im doppelten Sinne) Zeitung, hinter der ein kluger Kopf steckt. Das Kabel, die Satellitenschüssel ersetzt die höhere Schule.

 
Die Erziehung in der Familie war für die Mehrzahl aller Jungen, und für alle Mädchen vielfach die einzige Form, in der gute Bildung vermittelt wurde. Für jeden Jungen aus einer Handwerkerfamilie war Erziehung und Bildung gleich­zeitig verbunden mit einer Unterweisung in den Beruf des Vaters, für die Mädchen ging es darum, die Fertigkeiten für den eigenen Hausstand zu erlernen. Noch 1839 vertrat der Pädagoge Wilhelm Harnisch, daß die Erziehung und Bildung der Mädchen am besten im Familienkreis erfolge. Bei Kaufmanns­kindern kamen rechnen, lesen und schreiben hinzu.

Allen gemeinsam war die religiöse Unterrichtung, wozu auch die im 13. Jahrhundert ­eingeführte Kinderbeichte und das Bußsakrament gehörte. Aus pragmatischen Gründen wurde bei der Unterweisung in der Religion besonderer Wert auf das ­vierte Gebot gelegt, das notfalls auch mit Prügel ein­gebleut wurde. In England erhielten die»Master of Arts«, die Lehrer, bei ihrer Anerkennung und Zulassung in aller Form eine Birkenrute überreicht, von der man erwartete, daß sie sie auf ihren Schülern (ab)nutzten. Auch die sonntäglichen Spaziergänge nach dem Kirchgang zum Prangerwaren Teil der Erziehung, da die Kinder mit dreizehn Jahren strafmündig wurden und somit auch dem vollen Erwachsenen­strafrecht unterworfen waren. Wie sagte der Philosoph Hegel so treffend:
    »Ein Hauptmoment der Erziehung ist die Zucht, welche den Sinn hat, den Eigenwillen des Kindes zu brechen, damit das bloß Sinnliche und Natürliche ausgereutet werde.«

Einschränkend: »Keiner hat mich verstanden; und der einzige, der mich verstanden hat, hat mich mißverstanden.«

Anders ausgedrückt: »Kartoffeln sind gesund und das Kind hält den Mund!« oder deutlicher ausgedrückt: »Solange du die Füße unter meinen Tisch ausstreckst, wirst du ...« 

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß Kinder und Erwachsene »in einem informellen natürlichen »Lehrlingsverhältnis« (von Hentig) zu­einander standen, Kinder trugen die gleiche Kleidung, spielten die gleichen Spiele, ver­richteten die gleichen Arbeiten. Zwei Unterschiede bestanden: Schule, die die Erwachsenen (offiziell) nicht (mehr) besuchten, Sex, an dem die Kinder (noch) nicht (offiziell) teilnahmen . Im übrigen waren Kinder zum Arbeiten da, hatten einen Beitrag zum Fami­lien­einkommen zu leisten, mußten im Garten, auf dem Feld arbeiten, nicht nur Kartoffeln buddeln.

Der Schulbesuch war ein Luxus, sowohl in der Ansicht der Eltern wie auch in der Realität, da sie ­einer­seits kaum besucht wurde und andererseits nicht viel brachte. Schulbesuch, ob von der Obrigkeit angeordnet oder freiwillig, bedeutete im übrigen einen Einbruch in das soziale Gefüge der Primär­gruppe Familie. Schulbesuch hieß auch Verzicht auf Arbeits­kraft und Unterwerfung fremder Einflüsse, und Ergebnisse zeitigte er auch nicht so bald, denn die Buchstabier- oder Syllabiermethode war ein müh­seliges Geschäft.

Neben Latein als »lingua franca« des Klerus stand im Mittelpunkt der hier vermittelten Kenntnisse die Religionslehre und die Unterweisung in religiösem Gesang, der vielfach mindestens den gleichen Umfang wie der Lateinunterricht einnahm (der hochstilisierte Gregorianische Choral stellte besondere Anforde­rungen an die Schüler). Der Be­such dieser Schulen – für Mädchen und Jungen, Frauen und Männer gleichermaßen – war ursprünglich nur für diejenigen vorgesehen, die ein geist­liches Amt anstrebten. Der Unterrichtsstoff um­faßte anfänglich das »Trivium« (Grammatik, Dialektik und Rhetorik ), an manchen Orten auch das »Qua­dri­­vium« (zusätzlich noch Arithmetik, Geometrie, Astronomie, die auch die Astrologie umfaßte, und Musik für die Chöre). Viele Klosterschulen waren auf das »Trivium« beschränkt, da die volle Bandbreite der möglichen Bildung die Klöster überfordert hätte. Klosterschulen waren vielfach aufgeteilt in eine schola inferior (für den geistlichen Nachwuchs) und eine schola exterior für weltliche Schüler. Latein war die Sprache dieser Schulen: Frauen hatten keinen Zugang zu dieser Ge­heim­­sprache. So einfach konnten die Frauen aus bestimmten Tätigkeiten herausgehalten werden.

Bis etwa zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, waren die Schulen im Regelfall Dom- oder Kloster- oder Pfarrschulen, die vorwiegend der Rekrutierung des geistlichen Nachwuchs dienten und (in weni­gen Fällen) der Bildung des Adelnach­wuchses. Während die Aristokraten ihren Söhnen das Reiten, Jagen und die Kunst des Totschlagens beibrachten oder beibringen ließen, eröffneten die Bürger in den Städten Buchführungsschulen. Es waren die Kaufleute, die das für Europa sensationelle indische Ziffernsystem von Italien aus verbreiteten. Schreib- und Rechen­meister erhielten städtische Konzessionen und begannen mit dem Unterricht, denn – so heißt 1703 es in der Schulordnung von Oldenburg –
    »bey solchem herkommen auch ferner hin zugelassen wird, daß besondere Schreib- und Rechenmeister frey gestanden, die Jugend im lesen, schreiben und rechnen zu unterrichten.«

Die in den Städten gegründeten Schulen unterschieden sich nur gering in ihrem Lehrangebot von den Dom- und Klosterschulen. Bei den Rechen­meistern wurde das Rechnen nach zwei Methoden gelehrt. Die einfachere Methode war das »Rechnen auf den Linien« unter Zuhilfenahme von Rechenpfennigen auf einer linierten Rechenbank; die schwierigere war das »Rechnen auf der Feder«; der Unterricht erstreckte sich auf die vier Grundrechenarten und die »Regel der Try«, den Dreisatz.

 

In einem Punkt waren sich Bürger und Adel einig: Die Menschen auf dem Land wurden ausgepreßt, da sie nicht als Menschen, sondern nur als Lasttiere angesehen waren. Für noch einen Punkt wird das Landvolk vom Adel ge- und mißbraucht: Für das Nach­spielen einer »Bauernhochzeit«, wenn’s um die Vermählung eines Höflings ging. Da zogen die durchlauchtigsten Herren und Damen durch Dorfs und die Bauernkutten an (die Kleidung müsse »ganz accurat mit der Kleidung derer, die man nachahmt, über­einkommen« schreibt Julius Bernhard von Rohr 1728). Nachempfunden werden auch die vorgeblichen Eßgewohnheiten der Karikierten: Schmatzen und mit Fingern essend die schlechte Atzung. Dabei führte in jener Zeit das Hantieren mit der Gabel auch im Adel und in manchen Verbindungen noch zu Gesichtsverletzungen: »Mit der Gabel hat man die Ehr, aber mit dem Löffel bekommt man mehr.«

Mit dem Anwachsen der Dörfer zu Städten zu Beginn des 13. Jahrhunderts verloren die kirchlich geprägten Schulen ihre dominierende Bedeutung. Einen wesentlichen Teil der höheren Wissens­vermittlung übernehmen die ersten Universitäten, auf die Jungen mit der Mündigkeit, mit etwa dreizehn Jahren (Mädchen wurden bereits mit zwölf Jahren mündig), kamen. Das Mittelalter und die frühe Neuzeit machte keine Unterschiede zwischen den einzelnen Bildungseinrichtungen und Aus­bil­dungs­stufen. Der Unterricht wurde teilweise im Rahmen von»Universitäten« erteilt oder zumindest von ihnen kontrolliert. Das System der Kollegien auf den Universitäten unterrichtete seine Mitglieder bereits vom achten Lebensjahr an (verständlich, wenn heute gefordert wird, das Eintrittsalter an den Hochschulen wieder zu verringern). Gelehrt und gelernt wurde, Texte (der Kirchen­väter) zu kommentieren, wobei sorgsam darauf geachtet wurde, ja immer die richtige Interpretation zu liefern. Erst mit den Einrichtungen in der Reforma­tion ändert sich diese Lehr- und Lernmethode.

Gegen das damals herrschende Unterrichts- und Erziehungswesen wurde allenthalben geschimpft, die klassische Unterrichtsweise als »blindes Tappen ohne Weg und Ziel« charakterisiert. Die Reformer wollten, daß der »Schüler von den einfachsten, faßlichsten Elementen ... ohne allen Zwang zur vollendeten Wissenschaft« geführt werden.

Neue Lehrbücher entstanden, auch und ins­beson­dere für die Lehrer, damit »der Fähige wie der Unfähige gleich gut lehren könne«. Die Neuerungen, so Karl von Raumer in seiner »Geschichte der Päd­agogik« (1898), die Verbindung von Real- und Sprach­stunden und das Polemisieren gegen »dunkle, dumpfige Schulstuben« gingen vielen zu weit. Wenn man sich heute diese Schulreformen ansieht, die insbesondere von dem 1574 in Wilster (Holstein) geborenen Wolfgang Ratich propagiert wurden, so wird man sehr »moderne« Züge an ihr feststellen. Oder umgekehrt, noch immer gelang es, nennens­werte Verbesserungen zu verhindern. Ratich studierte in Rostock (wo die Waldenser die Kartoffel früh anbauten!) Philo­sophie und Theo­logie, in Amster­dam Mathematik und arabisch. 1612 legt er »dem deutschen Reich« auf dem Frankfurter Wahltag einen ersten Vorschlag für eine neue Lehr­methode vor. Ratich schlägt vor, zuerst in der Muttersprache zu lehren, wozu man die deutsche Bibel benutzen solle.

Neben den Universitäten gab es sog.»illustre« Schulen, die nur in höchstens drei Fakultäten ausbilden durften und keinen Doktor­titel verleihen durften. Die ersten preußischen Universitäten waren mit der gleichen Zielsetzung gegründet worden; nun gingen die Bürgersöhne nicht mehr nur spazieren, im gesetzteren Alter dabei auch die Natur betrachtend und den jungen Fräuleins im Reifrock nachschauend.

Die in der Nachfolge neu gegründeten Schulen (außerhalb der Universitäten) waren überwiegend städtische und dörfliche Einrichtungen, »lateinische« Schulen in Städten einerseits, die eine ­höhere Bildung und Lateinkenntnisse beibringen und andererseits deutsche Schulen, die in erster Linie Elementar­kennt­nisse des Schreibens, Lesens und Rechnen und Singen vermitteln: Da begann die Entwicklung der vater­ländischen Gesangsvereine.

Die drei Berliner Lateinschulen im 17. Jahrhundert erreichten, daß zeitweilig zwischen zehn bis zwanzig Prozent der Berliner Bevölkerung lesen und teilweise schreiben konnten. Ein Kind, dem seine Familie eine klassische Ausbildung angedeihen lassen wollte, die für die Ausübung höherer öffentlicher Ämter als notwendig erachtet wurde, ging nach Abschluß der»kleinen« (sprich niedrigeren) Schule auf die Latein­schule; die Voraussetzung für den Besuch dieser Pennale war die Beherrschung von Lesen und Schreiben, aber vielfach mußte den Schülern dies erst auf den»lateini­schen« Schulen vermittelt werden; notfalls half die Fürsprache des zahlenden Vaters. Heute werden Vorschriften erlassen, Kindern mit einem »Migrationshintergrund« (schöne Bezeichnung!) abzuverlangen, daß sie deutsch sprechen können, bevor sie eine hessische Schulbank drücken dürfen.

Die»deutschen« Schulen wurden mit dem Anwachsen eines autarken Handwerkertums und der Händler in den Städten immer wichtiger. Einen gesonderten Religionsunterricht gab es weder in den»deutschen« noch in den»lateinischen« Schulen, da zum einen das Erlernen der lateinischen Sprache anhand von Bibeltexten erfolgte und andererseits die Schüler für Kirchen­dienste heran­gezogen wurden. Sowohl in den Latein- wie auch in deutschen Schulen wurden die Lehrer vom Magistrat eingestellt und besoldet; es mußte kein ­Kleri­ker sein, aber – zumindest in den größeren Städten, die es sich leisten konnten – »ein maister in den siben freyen künsten«; vielfach wurde der Lehrer auch noch als Stadtschreiber tätig. Arthur Schopenhauer: »... ich habe gearbeitet wie ein verhungerter Abschreiber, und sehe nun, daß es nichts hilft.«

Die Melanchthonische Schulordnung von 1528 zwang bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auch die Kinder des kaufmännischen und handwerklichen Mittel­standes, die»Latein-Schulen« zu besuchen, obwohl sie davon keinen sonder­lichen Gewinn hatten, weil der Unterricht nicht ihren Bedürfnissen entsprach. Nach und nach löste Deutsch das ­Latein im Geschäftsverkehr von Hand­werkern und épice­rie ab. Die Winkelschulen in den ­Städten, die von den Magistraten weder unterstützt noch kontrolliert, sondern von den Eltern unter­halten wurden, waren hier Schrittmacher. Alle Schul­arten – wie auch die weiter­hin bestehenden Kloster­schulen – waren sowohl Jungen als auch anfäng­lich Mädchen zugänglich; unterrichtet wurde in gemeinsamen Klassen (»Ko­eduka­tion ist, wenn Lehrer und Schüler in einer Klasse sind«). Anfang des 17. Jahrhunderts war ein Schulbesuch für Mädchen nur noch an wenigen Orten und auch nicht dauerhaft möglich.

In den Städten wird das Unterrichten in den Elementarkenntnissen auf zünftiger oder freier unternehmerischer Basis betrieben. Vielfach waren es die schon vorher privat tätigen Rechenmeister (Hermann Friesenborch im lofflyken Emden ­nannte sich nach 1605 »Düdtscher Schryfft- und Reken­meister«), denen vom Rat der Stadt vorgeschrieben­ wurde, auch in den anderen Schulen Unter­richt zu geben. Aus dem Kreis dieser Rechenmeister – wie Adam Riese – kamen aber auch Lehrer, die in den Katechismus- und Parochialschulen Unterricht erteilten. Die Kirche betrachtete das Schulwesen als ihre Domäne und als ihr Privileg; im kirchlichen Verständnis hatte die Schule dem rechten Glauben zu dienen. Zwischen dem Magistrat als Initiator und Betreiber eines städtischen Schulwesens auf der einen Seite und der Kirche auf der anderen Seite kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen.

Allein vom Schulgeld und von zumeist im voraus festgelegten Sonderzahlungen zu besonderen Anlässen, das die Lehrer selbst eintreiben mußten, bestritten sie den Unterhalt und finanzierten die Schuleinrichtung. Unter diesen Lehrern finden sich auch manchmal – sehr selten – Lehrerwitwen, denen man die Fortsetzung des Lehr­handwerks ihres verstorbenen Lehrer-Gatten im Ausnahmefall gestattete. Sonst tauchen Frauen nur in unter- bzw. der Schule vorgeordneten Bereichen auf, als Klippschullehrerinnen, die das Still­sitzen, Buchstabieren, einige Bibel­sprüche und Lieder lehren sollten oder als Strick- und Näh­lehrerinnen, die am schulfreien Mittwochnachmittag (wann haben die Ärzte ihre Praxis heutzutage geschlossen?) den weiblichen Schülerin­nen Fertigkeiten beibrachten, deren Ver­mittlung man eher dem häuslichen Unterricht durch die Mutter zugetraut hätte. Solche Nähschulen wurden vielfach geleitet von der Frau oder einer Verwandten des Lehrers und hatten die Aufgabe, in Verbindung mit der sonstigen Schule und mit der Autorität des Lehrers die für eine Frau praktischen (und wirklich wichtigen) Dinge zu unterrichten.
 

Was zu lehren ist, entschied die Geistlichkeit. Grundsätzlich blieb es Sache der Geistlichen, zu deren Parochie, Kirchengemeinde, die Schule gehörte, den Stoff zu bestimmen; der»Staat« verhielt sich»neutral« und erließ keine Vorschriften. Die Schule auf dem platten Land in den reformierten Gebieten befaßte sich mit Religion und allem, was damit zusammen­hing: Der Christ sollte in der ­Bibel lesen können, den Gesang im Gottesdienst ver­stärken und für den täglichen Gebrauch das Glaubens­­­bekenntnis, ­Gebete und Psalme aus der Bibel auswendig hersagen. Selbst diese bescheidenen Lehr­ziele werden oft genug nicht erreicht, einesteils, weil die Schüler nur un­regelmäßig am Unterricht teilnehmen, andererseits aber auch, weil die Schule einfach nicht funktioniert. Die Lateinschulen und Gym­nasien lehren Latein, in unteren oder Vorklassen auch noch Lesen und Schreiben.

Den Unterricht an Schulen in deutschen Landen erteilten Pfarrer oder stellungslose Theologen, die ihre Lehrtätigkeit als einen Teil ihres geistlichen Berufes bzw. als Übergangsstufe bis zum Erhalt einer eigenen Pfarrstelle betrachteten. Die ländliche Bevölkerungs­mehrheit wurde von diesen Schuleinrichtungen so gut wie nicht erfaßt. Erst als sich im 16. Jahrhundert – nach Beginn der Reformation – auch auf dem Lande ein einfaches Pfarrschulwesen auszubreiten begann, kamen auch Teile der unteren Schichten in den Genuß von – wenn auch sehr geringen – Bildungs­maßnahmen.

Die Fertig­keiten, die die Schüler zuweilen er­werben, sind erstaun­lich: Manche schreiben lateinische Aufsätze und Gedichte in griechisch-klassischen Vers­maßen, über­setzen aus dem Deutschen und zurück; insgesamt erreichten aber nur wenige dieses Ni­veau, und auch das nur aufgrund viel­jähriger Beschäftigung mit dem Lehrstoff.

Jeder kann bis ins 18. Jahrhundert hinein Lehrer werden oder richtiger: Er wird es zumeist nicht aufgrund einer formalisierten, irgendwie zentral gesteuerten Ausbildung, sondern er wird von der Gemeinde ernannt, mit der er einen Vertrag über seine Rechte, Pflichten und vor allem Einkünfte abschließt.

Die Dorfgemeinde konnte wählen zwischen einem unlustigen, auf der»Durch­reise« zum Pfarramt befindlichen arbeitslosen Theologen oder einem»streb­samen«, interessierten, aber weniger gebildeten Handwerksburschen oder – bei Friedrich II. – einem ehemaligen Sergeanten. Vorher ging eine Prüfung seines Charakters, Lebenswandels und der Fähigkeiten im Lesen, Schreiben, Singen, die aber nicht allzu streng sein durfte, weil die Hungerleiderexistenz des Lehrers nur von wenigen,­ besitzlosen, einkommensschwachen Hand­werkern oder gestrandeten Subjekten übernommen ­wurde. In der »Helvetischen Schul­meister-Bibliothek« von 1801 (zitiert bei Rudolf Schenda) erzählt der Pfarrer von Gais im schweizerischen Appenzell Johann Rudolf Steinmüller:
    »In einem Dorfe W. wurde einst der Schuldienst vakant. Ein Bauer aus dem Dorfe kam zum Pfarrer und meldete sich um dieses Amt. »Könnt ihr lesen?« fragte der Prediger. »Nein!« antwortete jener »das kann ich nicht, aber es kommen große Buben in die Schule, und diese werde mir das Ding schon zeigen.«

Im Schulgesetz für die Stadt Jever aus dem Jahr 1802 soll es
    »dem Landesherrn und dem Staate gleich viel seyn, woher die Kinder ... gehörige Erkenntnisse erlanget haben. (Deshalb) sollten nicht blos ein angestellter Schullehrer, nicht blos Theologen, sondern auch ein ieder anderer, er sey der lutherischen oder einer ieden anderen hier geduldeten Religion zugethan, (die Freiheit haben) ieden ihm beliebi­gen Unterricht zu ertheilen.«

In größeren Orten mit einer mehr oder weniger langen Schultradition qualifizierten sich künftige Lehrer durch eine»Lehre« bei einem älteren Schul­meister. Es gab seit dem 16. Jahrhundert aber auch erstaunlich vielseitig gebildete und pädagogisch ehrgeizige Schulmeister; dieser Beruf war der einzige, der wissensdurstigen Jungen – nicht Mädchen – aus dem Volk eine gewisse Aufstiegschance bot. Winckelmann ist eines der bekannteren Beispiele.

Die Universität im preußischem Halle richtete unter Friedrich Adolf Wolf 1697 ein»Philo­logisches Seminar« ein, das für Studenten gedacht war, die ausschließlich Philo­logie studieren wollten. Aber nicht einmal ein einheitlicher Ausbildungs­gang für Lehrer kam zustande, da die Studierenden mit der Immatrikulation bei einer der höherwertigen Fakultäten eingeschrieben wurden. Der Lehrerberuf wurde nicht als Lebensberuf, sondern – von den angehenden Pfarrern – als leider unvermeidliche Durchgangsstufe angesehen. Bis 1802 hatte die philosophische Fakultät nicht einmal »Inskriptionslisten«, wie sie ansonsten üblich waren.

Das bereits 1613 in Frankfurt am Main gegründete Graduierten-Kollegium umfaßte zum Beispiel nur die Graduierten der juristischen und der medizi­nischen Fakultät, die protestantischen Geistlichen hatten ihre eigene Organisa­tion, die Absolventen der Philosophischen Fakultät (und da kamen – wenn sie überhaupt studiert hatten – die Lehrer her) blieben bis in die 1830er Jahre unorganisiert und ­taten dies erst, als sie wegen mannigfaltiger Schwächen öffentlich kritisiert wurden.

Das theologische Examen war zugleich die Lehramtsprüfung. Der»Beruf« des Schulmeisters galt als Vorstufe und Anhang des geistlichen ­Amtes. Nur die Jesuiten hatten sich im 17. Jahrhundert der Lehrerausbildung systematisch angenommen, ihre Kollegien können als die ersten »Gymnasial-­Seminare« angesehen werden. Weder die Jesuiten-Kollegien noch die in Halle angebotene beson­dere Ausbildung führten zu einem einheitlichem System der Lehrer­bildung. Das 1738 vonGesner in Göttingen eingerichtete »seminarum philo­logicum« wurde mit der Absicht gegründet, »Theologen mit dem Notwendigsten für den vorübergehend verwalteten Schulberuf auszurichten«; es ging also auch hier nicht um Ausbildung für den lebenslangen Lehrerberuf. Möglicherweise wurde durch dieses Göttinger Lehrerseminar der Kartoffel­anbau in dieser Gegend befördert: In jedem Fall wurde rund ein Jahrhundert später ein Gedenkstein zu Ehren der Knolle beim Dorfe Herberhausen errichtet.

Der schon erwähnte Friedrich AdolfWolf trat vehement für die Trennung des »Schulstandes vom Theologenstand« ein. Sein Selbstverständnis, wie später das vonWilhelm von Humboldt, war gekennzeichnet durch ein »Auserwählt­sein­bewußt­sein«, wonach nur wenige zu den »Leitenden«, viele aber zu den »Geleiteten« zu gehören haben. Volksbildung erhält einen doppeldeutigen Begriffs­inhalt: »Bildung zum organischen Volk nach dem Muster der Alten, und Bildung derer, die im Zweckhaften und Nützlichen bleiben« (sollen und müssen). Wolf sah im Hellenentum die Ideale der Mensch­heit (weniger im Christentum). Hellenen­tum: Das war Sklavenhaltung, Päderastie (wegen des Überhandnehmens humanistisch geprägter Men­schen in Armee und Beamten­tum mußte schließ­lich der § 175 ins Strafgesetzbuch eingeführt werden), wiederholte Kriege um Kuhdörfer, Tyran­nei zu manchen Zeiten, Schierling statt Solanin. Die Wiege der europäischen Kultur stand im übrigen in Klein-Asien – was immer gern vergessen wird, weil Troja zu Schliemanns Zeiten im damaligen osmanischen Reich, in der heutigen Türkei, lag.

Wolfs Weltbild und seine Auffassung, Griechisch und Latein müßten Zen­trum philologischer Ausbil­dung sein, prägen Schulmeister bis heute. »Huma­­ni­sti­sche Gymnasien« bilden auch heute noch – im Ansehen ihrer Absolventen – die crème der Ausbildung und damit eine »automatische« Eliten­berechtigung; wie heißt doch so treffend der Wahlspruch jedes verhinderten Hobby-Heimwerkers: »Wer sich mit niederer Handarbeit abgibt, wird nicht zu Höherem berufen.« Dabei ermahnt doch schon im 6. Jahrhundert ein Mönch seine Brüder: »Wer nicht die Erde mit dem Pflug wendet, der soll mit seinen Händen Pergamente beschreiben«.

1810 wurde erstmals die besondere Ausbildung der »höheren Lehrer« geregelt; die erste vom Staat eingeführte Lehramtsprüfung (examen pro facul­tate docendi) bedeutete der Wendepunkt, bei dem»geistliche« und»weltliche« Lehrer sich trennten und die Schulgesellen dem geistlichen Stand entzogen wurden. Aber bis in die 1850er Jahre war die Anzahl der reinen Theologen in den Berliner Lehrkörpern hoch.

Heinrich Heine über seine damals preußische Heimat­stadt Düsseldorf:
    »...seit der preußischen Invasion, wo auch jene Schule den preußisch-griechischen Namen Gymnasium annahm, wurden die Priester all­mählich durch weltliche Lehrer ersetzt. Mit ihnen wurden auch die Lehr­bücher ab­geschafft, die kurzgefaßten, in lateinischer Sprache geschriebenen Leitfaden und Chresto­manthien, welche noch aus den Jesuitenschulen herstammten, und sie wurden gleichfalls ersetzt durch neue Grammatiken und Kompendien, geschrieben in einem schwind­süchtigen, pedantischen Berlinerdeutsch, in einem abstrakten Wissenschaftsjargon, der den jungen Intelligenzen minder zugänglich war, als das leichtfaßliche, natürliche und ge­sunde Jesuitenlatein.«

Der Lehrstoff erweitert sich allmählich in der zweiten Hälfte des 18. Jahr­hunderts. Ganz langsam setzt sich das Rechnen als Fach des Elementar­unter­richts durch; es folgen die Realien, also ­Natur- und Heimat­kunde, zu meist ver­mischt mit den geschönten Lebensläufen des jeweiligen Herrscherhauses. Zu Disputationen in gelehrten Kreisen führte die Frage, wie am besten zu unter­richten sei: Mit Prügel, mit Strafen oder mit anderen Methoden. Fichte forderte die »Erschaffung einer ganz neuen Ord­nung der Dinge«. Dazu ist, zentrales Thema seiner Reden und Schriften, eine »neue Er­ziehung vonnöten«, eine Er­ziehung, die »bis zur Wurzel der wirklichen Lebensregung und Be­wegung durch­greifen« soll. Eine Erziehung, die die »Zöglinge nach Regeln sicher und unfehl­bar bilden und bestimmen muß«. Die neue Erziehung würde, so Fichte, »gerade darin bestehen müssen, daß sie die Freiheit des Willens gänzlich vernichte«. Im übrigen, so meinte Fichte, Charakter zu haben und deutsch zu sein, sei offensichtlich dasselbe.

In seinen Memoiren »Erinnerung und ­Gedanke« schreibt Otto von Bismarck (»des Vaterlands Liebling und der Feinde Schrecken«) über seine Schulzeit in der Plamannsche Anstalt, die nach »Pesta­lozzi’schen und Jahn’schen Grund­sätzen eingerichtet« war:
    »Meine Kindheit hat man mir in der Pla­mann­schen Anstalt verdorben, die mir wie ein Zuchthaus vorkam. (...) Wenn ich aus dem Fenster ein Gespann Ochsen die Ackerfurche ziehen sah, mußte ich immer weinen vor Sehnsucht nach Kniephof. In der ganzen Anstalt herrschte rücksichtslose Strenge (...). Mit der Turnerei und Jahn’schen Remini­scenzen trieb man ein gespreiztes Wesen, das mich anwiderte.«

Nach 1870, mit dem preußisch-deutschen Reichsgründungskrieg, verloren die Jahnschen Turner ihre Distanz zur »obrigkeitlichen Kriegs­maschinerie«; die Faszination des Militärs, der »hoch einher strebende Männergang« mit seiner militärischen Zackig­keit sollte den »schwerfälligen, kniefälligen und hin­fälligen Fallgang« der Gegenwart ablösen, wie Goltermann meinte. Zugleich kommt in diesen Gründerjahren der »Sport« aus England nach Deutsch­land, der Wettkampf um den weitesten Wurf, den schnellsten Lauf und die meisten Hüpfer begann (erste Olympiade 1896). Sportlicher Wettkampf der Gaue und der Nationen war eine Er­gänzung zur Ideologie des damals herrschenden Imperialismus.

Und Hermann Hesse »Unterm Rad«:
    »Während der Lehrer noch weiterschimpfte, sank Hans in die Bank zurück, begann ängstlich zu zittern und brach in einen langdauern­den Weinkrampf aus, der die ganze Lektion unterbrach.«

Martin Luther litt unter seinem Vater, der sich auf den salomonischen Spruch hätte berufen können: »Wer seine Rute schonet, der hasset seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald.« Aber der kleine Martin erhielt die Prügel auch von seiner Mutter; über beide meinte er: »Aber sie meinten es herzlich gut.« Erziehung zum hündischen Wesen, denn einmal lief er davon und war dem Vater »gram, bis er mich wieder zu sich gewöhnte.« Martin Luther haßte die Schule, denn auch dort gab es die üblich Tracht – »unendlich elend« behielt er die »Teufelsschule« mit ihren »Stockmeistern« in Erinnerung, denn sie hätten nur Angst und Jammer erzeugt und nur ­ungelehrte Menschen hervorgebracht. Luther plädierte später für Schulen und Universitäten, an denen mit mehr Liebe und Verständnis unterrichtet werden solle.

Ermahnungen würden dies nicht erreichen, »du mußt ihn machen, ihn also machen, daß er gar nicht anders wollen könne als du willst, daß er wolle.« Generationen von Lehrern haben sich befleißigt, diesem»Ideal« nachzueifern, den Schülerwillen zu brechen, die Schülermitverwaltung (und zum Beispiel in Berlin das RIAS-Schülerparlament) zur Schüler­milchverwaltung verkümmern zu lassen.

In den Schulanstalten vonFrancke in Halle wird die Bunosche Geschichts­lehrmethode, eine besondere Merkmethode, eingeführt, die die biblische Geschichte mit Merkversen und teilweise vollkommen sachfremden Merk­worten einprägen soll; es ist die Methode der Eselsbrücke, die von vielen Lehrern übernommen und als Wunderheilmittel gepriesen wird: Fünf-fünf-drei und Rom kroch aus dem Ei, drei-drei-drei, bei Issos Keilerei oder: Der Heilige Geist ist ganz verwundert, Maria klagt auf dreizehnhundert. Oder: »Werd‘ ich des Lebens nicht mehr froh, dann stürz‘ ich mich ins H2O.«

Noch später wurde – ­so Brigitte Krey in einem kurzen Bericht über alte Erziehungsmethoden – die Lebertran-Pädagogik eingeführt. Der Pädagoge Jo­han­nes Buno publizierte 1673 in Hamburg ein Merk­buch des römischen Rechts (»Memoriale iuris civilis romani«), das mit präzise ausgeführten Kupfer­stichen den Inhalt sämtlicher Rechtsnormen der justia­nischen Gesetzgebung aus dem 6. Jahr­hunderts illustrierte. Diese bildliche Darstellung sollte die wichtigsten Grundlagen des römischen Rechts allgemein bekannt machen und den Studenten das Lernen erleichtern. In Friesland schuf Sybrant Fey­tema um 1680 eine Serie von Kacheln mit Illustra­tionen zum selben Thema und zum gleichen Zweck.

Franckes 1702 veröffentlichte Schrift »Kurzer und einfältiger Unterricht, wie die Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlicher Klugheit anzuführen sind« zeigt seine Auffassung von pietistischer Pädagogik. Die wahre Gottseligkeit wird erreicht durch christliche Lebensführung und das heißt konkret die Vermeidung von Müßiggang durch Arbeit und Katechisation, und dieses alles durch immer­währende Beaufsichtigung. Abwechselnd wurden die Kinder im »Arbeits­unterricht« »zur Arbeit ge­wöhnet« und dann traktiert – eine Gruppe von Kindern war an der Arbeit, während die andere christianisiert wurde; damit wurden – nebenbei – Arbeitsschichtmodelle späterer Jahrhunderte erprobt.

Auf der Grundlage der Franckeschen Erziehungstheorie erfolgte Mitte des 18. Jahr­hunderts eine »Waisenhausreform« in Braunschweig, die wiederum für viele andere Waisenhäuser und Schulen in Deutschland maßgebend war. Zum Beispiel wurde im »Göttingischen Waysenhause« Unterricht mit »Wollespinnen zum behuf hiesiger Manu­­fac­turen« »angeboten«. Das damit für die Schule erzielte Geld wurde zur Ent­lastung des städtischen Haushalts eingesetzt, eine Möglichkeit, die in der heutigen Finanz­misere und dem Drang zur Priva­tisie­rung bei der Partei der Besserverdiener stärker forciert werden sollte, zumal dann auch nicht mehr behauptet werden kann, die jüngeren Sozialhilfe­empfänger hätten noch nie in ihrem Leben ge­arbeitet. Von der Werbung in der Schule zur Lohnarbeit in der Schule.

Dagegen beschrieb bereits Mitte des 16. JahrhundertsMontaigne eine würdigere Unterrichtsmethode:
    »Der Lehrer soll den Schülern nicht nur vom Wortlaut seiner Lektion Rechenschaft geben lassen, sondern von ihrem Sinn und Wesen; und den Nutzen, den er daraus zieht, nicht nach dem Zeugnis seines Gedächtnisses, sondern seines Lebens beurteilen. Eine elende Gelehrsamkeit, die reine Büchergelehrsam­keit.«

Andere Methoden, das Lehren effektiver zu gestalten, bezogen sich auf die Gliederung der Schüler­schaft. Sie erfolgte jahrhundertelang ganz einfach nach den vorhandenen Kenntnissen. Man fand nichts dabei, einen klugen Acht­jährigen zum Hilfslehrer zu machen: Allein sein Wissen entschied.

Der Erfinder des selbstreinigenden Stahlpfluges, der Amerikaner John Deere, unter­richtete mit fünf Jahren in der Sonntagsschule, und mit sieben Jahren erforschte er die Wanderung des Kartoffelkäfers. Im nord­amerikanischen Schul­system war das »Monitorial system« weit verbreitet – die älteren Schüler hörten die jüngeren ab. Wenn bärtige Männer neben Halb­wüchsigen die Schulbank drückten, erregte das keinen Anstoß.

Auf das Vorbild der Pädagogik der Jesuiten oder auf die Abscheu vor körperlichen Strafen gehen andere Methoden, das Lernen zu fördern, zurück: Der Wett­­bewerb zwischen den Schülern wird gefördert.

Schulvisitationen lieferten den Anlaß, gute Schüler durch Prämien in Gestalt von Büchern aus­zuzeichnen, eine Praxis, die so lange anhält, wie Zeugnisse noch keine Rolle spielen. Exakter sollte man sagen: keine amtliche Rolle spielen, denn vom Ende des 18. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein spielen im persönlichen Leben von Schülern und Eltern wöchentliche Zeugnisse, Prüfungs­ergeb­nisse, mehr oder weniger phantasievoll objektivierte Lob- oder Straf­zeichen eine gewichtige Rolle. Aus dem Wildwuchs dieses Lob- und Kritik­wesens – bei Schulprüfungen schloß es den Lehrer noch mit ein, erst später werden Pauker- und Schülerprüfung separiert – entwickelt sich das heutige Noten- und Zeugnis(un)wesen für die Schüler, für Lehrer gilt nur noch die frühzeitige ­Pension als Ziel und Leistungsnachweis.

 
Eine Bemerkung zu den Hilfsmitteln, die den Lehrern zur Verfügung stan­den. Schulbauten oder nur speziell für den Unterricht gedachte Räume gab es erst seit dem 18. Jahrhundert – von Einzelfällen abgesehen. Im niederen Schul­wesen gingen Lehrerwohnung und Klassenzimmer zumeist ineinander über, bis – in Preußen erstmalig eingeführt – jede Klasse in einem separaten Raum3 von einem eigenen Lehrer unterrichtet wurde, wobei das Licht immer von links einfallen mußte, um Lesen und Schreiben zu erleichtern, Schreibmaterial und Bücher­ waren kostbar, von anderem An­schauungs­­mate­rial ganz abgesehen. Es blieben Ordnung und Disziplin als solche, die herzustellen und aufrecht­zuerhalten nicht den geringsten Ruhm eines ­guten Lehrers aus­machte.

Mit der größeren Verbreitung der Buch­druckerei und damit mit der Ver­billigung von Büchern ­kamen auch für breitere Volksschichten Kinder- und Lehrbücher, Fibeln, auf. Das »Bilderbuch für Kinder« von Friedrich Justin Bertuch, gedruckt ab 1802, Johann Gottlieb Ziehnerts »Kleines ABC- und Lese­buch ...« von 1815 und der »Struwwelpeter« vonHeinrich Kinderlieb(Hoffmann) von 1844 sind Höhe­punkte dieser Kinder- und Lehrbücher, die nicht nur »die Kleinen amüsiren«, sondern auch im richtigen Geiste belehren sollen. Die Trennung zwischen unterhaltender Kinderliteratur einerseits und dem Lehr- oder Schulbuch andererseits kam erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Davor sollte das Lehrbuch auch immer Unterhaltungswert und das belletristische Kinderbuch stets der Belehrung dienen. Nach 1945 waren in Berlin »Peter Pim and Billy Ball« ein erster Versuch, den Englisch­unterricht durch Abenteuer aufzulockern. »Der Kampf der Tertia« (nur für die huma­nistisch gebildeten Stände) war spannender, lehrreicher.

Kinder-Bücher, die neben der reinen Wissensvermittlung oder der geist­lichen Erbauung zum »Vergnügen« und zur Belustigung gedruckt wurden, hängen eng mit dem Kartoffelanbau zusammen: Erst eine ausreichend große Nahrungsmenge erlaubt es, die Zeit mit Spielen oder anderem»unnützen« Tun zu verbringen; wird das Nahrungs­angebot knapp, werden auch»Spielereien« unterlassen. Das erklärt auch den Erfolg der Lego-Spiel­steine, die in einem Gebiet entwickelt wurden, das seit mehr als einhundertfünfzig Jahren ausreichend mit »nye« Kartoffeln versorgt und in dem deshalb Zeit vorhanden war (und ist), ein solches Spielsystem zu entwickeln. Deutschland kann dagegen nur Kreisel, Murmeln und Hopse anbieten.

Einschulungsalter (ab fünf bis etwa 12 Jahre) und Schulzeit (bis zu zehn Jahren) lagen im Ermessen (und den finanziellen Möglichkeiten) der Eltern. Im Berlin des 16. und 17. Jahrhunderts wurde am Gregoriustag, dem 12. März, eingeschult. Zur Einschulung gab es Brezeln; Zuckertüten wurden am Beginn des 19. Jahrhunderts erstmals in die kleinen­ Patschhände gedrückt: Bei den Armen mit nütz­lichen Sachen wie Tafel und Kreide, bei den Bürgern außerdem Süßigkeiten wie schon bei den ­Römern. In Berlin sind Schultüten erst seit 1920 üblich.

Schulferien waren nicht vorgesehen, aber mehr als einhundert Feiertage führten zu»schulfrei«, nicht zu»kirchfrei«. Der Schulunterricht für den Abece­darius begann mit Tagesanbruch und um­faßte etwa drei bis sechs Stunden am Tag. Dazu kamen die kirchlichen Aufgaben wie das Singen (lateinisch) als Meß- und Chorknaben bei Taufen, Hochzeiten, Geburten und Begräbnissen. Pausen gibt es nicht, auch keine Ferien, es sei denn, die auf dem Lande der Obrigkeit eher abgetrotzten Ernteferien, entstanden aus dem »Schulchenlauf«.

Selbst­verständ­lich war der Vor- und Nachmittagsunterricht auch im niederen Schulwesen. Der Ineffektivität des Lehrens begegnete man durch Zeitaufwand und häufige Wiederholung des Immergleichen; mit der Wiederholung wurde die alt­kirchliche Technik der »ruminatio«, wörtlich »Wieder­käuen«, auf das Schul­wesen übertragen, da man sich hiervon eine besondere Merkfähigkeit ver­sprach: Wenn ein Schüler heute den Lehrstoff ein zweites Mal hören will, muß er »sitzenbleiben«. Das höhere Schul­wesen zehrt vom Lehrer­vortrag, vom Frontal­unterricht, den zu unter­brechen oder mit kritischen Einwänden zu diskreditieren, die Lehrer­autorität unter­grub, denn zum Erklären, zum »Nahe­bringen« oder gar Motivieren war man nicht vor­gedrungen, wollte und will man zumeist auch nicht.

Der Unterricht der»Erstkläßler« begann mit dem Lernen einzelner Buch­staben, dem Lesen von Texten, die die Kinder bereits durch mündliches Einüben kannten wie zum Beispiel das»Vaterunser«, mit dem vielfach das Abenteuer Lesen begann; danach begannen – teilweise anhand gedruckter Fibeln – die Schreib­übungen (auf Wachstafeln). Bibellektüre war das Ziel des Lesenlernens, nicht die neuesten landwirtschaftlichen Ratgeber oder die Hausväter-Literatur. Da hat sich aber bis heute nicht viel geändert, wie Hans Magnus Enzens­berger kritisch bemerkt:
    »Nur für die Minderjährigen unter unseren Mitbürgern hat das Recht auf freie Lektüre keine Geltung. Sie, die ohnehin täglich in Beton­bunkern gefangengehalten werden, welche das Gemeinwesen eigens zu diesem Zweck errichtet hat, zwingt man fortgesetzt, Gedichte zu lesen ...«

Diese Hausväter-Literatur richtete sich besonders an Einfältige und Frauen und ähnelte der Er­bauungsliteratur der nachlutherischen Protestanten. Parallel zu der Hausväter-Literatur entwickelten sich in England und Deutschland die später sogenannte »Moralischen Wochen-Zeitschriften« (»The Tatler«, im alten Englisch hieß das »vernünftig«), »The Spectator« oder »The Guardian« – im deutsch­sprachigem Gebiet »Discourse de Mahler«, »Die ver­nünfti­gen Tadle­rin­nen« oder in Hamburg 1713/1714 »Der Vernünftler« als Übersetzung des englischen »Tatler«.

In dem »Lese-Institut« von Friedrich Eßlinger in Frankfurt konnte man ­blättern und lesen: im »Archiv für Schwärmerei« oder im »Ehe­stands­magazin« oder im »Magazin für Frauen­zimmer«, und dahinter waren auch die Pikan­terien jener Zeit versteckt.

Der Pfarrer Georg Jakob Schäblen aus Oettingen meinte denn auch 1772 zu einem »Hausvater«, der seinen Dienstboten das Zeitungs­lesen lehrte:
    »Wenn ihr sie nur dahin bringet, daß sie ihre Bibel, ihr Gesangbuch, eine Predigt oder ein anderes erbauliches Buch verständlich zu lesen im Stande sind.«

Der preußische Beamte Julius von Massow meinte 1800, daß der pommersche Landmann sich auf die Lektüre von Bibel und Gesangbuch beschränke solle, denn solches sei für den Beruf nicht nachteilig.

Johann Rudolf Gottlieb Beyer meint 1796 »Über das Bücherlesen, insofern es zum Luxus unsrer Zeiten gehört«:
    »Entsteht nun daraus gerade nicht immer Auf­­stand und Revolution, so macht’s doch Unzufriedene und Mißvergnügte, die zu den Unter­nehmungen der gesetzgebenden und exekutiven Gewalt immer scheel sehen, und ihrer Landesverfassung nicht hold sind.«

Das kommt bekannt vor. Das paßt doch auf die heutige Zeit – bevor wir unsere Analphabetenrate erkannten.

 
Großen Anteil am Unterricht nahm der Gesang ein, nicht zuletzt deshalb, weil die Schüler zu den Kirchendiensten herangezogen wurden und dies zugleich eine Einnahmequelle der Lehrkräfte war. In Königsberg hatte die drei Lateinschulen je ein eigenes Pauperhaus, in dem zwanzig bis vierzig mittellose Schüler untergebracht waren, die sich ihre Bildung schwer verdienen mußten als Dienstboten und als Bettelgänger, die zweimal täglich vor den Türen der Wohlhabenden Geld und Lebensmittel einsammelten. Hier gab es Zeiten, in denen der Zeitaufwand für Begräbnisse höher als der für den Unterricht war, denn keine Stadt in Europa war im 17. Jahrhundert so pestverseucht wie Königs­berg im Herzogtum Preußen.

 
Pauker blieb man, solange man den Rohrstock schwingen und damit die renitenten Schüler unter Kontrolle halten konnte. Harald Jaguttis berichtet in seinen Erinnerungen, daß die Schulaufsicht festgelegt hatte, männliche Schüler nach dem Erreichen des 15. Lebensjahres nicht mehr zu ­schlagen. Das galt wohl mehr dem Schutz der Lehrer vor Reaktionen als einer repressions­freien Erziehung. Heute darf ja überhaupt nicht mehr geschlagen werden deshalb flüchten mancherorts LehrerInnen in subtilere Formen der Bestrafung: Alberne, aber schädliche Schulakten­vermerke oder falsch ver­standener Feminismus.

Lehrer wurde man, wenn man einen Vertrag erhielt und sobald man in der Lage war, die größeren Schüler zu disziplinieren. Unter solchen rabiaten Umständen konnten die Schüler das Lernennur aus der nicht sonderlich attraktiven Perspektive eines Kartoffelsacks be­trachten; Michel de Mon­taigne: »Nicht fürs ­Leben, für die Schule lernen wir«.

Zum ­System des Schulwesens gehörte das Prügeln; in vielen Schulordnungen wurde vor­geschrie­ben, daß der faule Schüler »nach dem Abtun der Kleider« auf dem entblößten Körper mit der Rute bestraft werden muß. In der Schulordnung von Wien aus dem Jahr 1446 heißt es über die Strafen an den Schülern:
    »Item es sullent auch die kinder messiklichen gezuchtigt werden mit sechs oder mit acht messigen gertenslegen und nicht umb die heubt noch mit den feusten, und ob vielleicht ein schuler grosser straf schuldig wer umb diebhait oder ander grozz schuld, das sol man an den schulmaister pringen, das er gestraft wird in seiner gegen­wurtigkait, das sich die andern vor solhen dingen hüten.«

In einer württembergischen Ministerialver­fü­gung für die Schulen von 1880 heißt es:
    »Die geschärfte körperliche Züchtigung besteht 1. In Schlägen mit einem dünnen, etwas biegsamen, knotenfreien Stöckchen von mäßiger Länge auf die ­innere Fläche der Hand oder 2. In Schlägen mit einem ebensolchen Stöckchen auf das nicht entkleidete Gesäß mit Vermeidung des Kreuzes, deren An­zahl nicht über acht betragen darf.«

Aber auch die Eltern prügelten, was das Zeug hergab.Abraham a Santa Clara: »Wenn man die Ruthe spart, so kommt Schand und Schad über die Kinder.« Schon im alten Ägypten hieß es:
    »Das beste Ohr des Jungen ist auf seinem Rücken, und er hört nur, wenn er geschlagen wird.«.

Die Leute hatten alle ohrfeigenkundige Hände. Das heutige Verbot elterlicher Prügel­strafe ­verleidet einem ja den ganzen Erziehungsprozeß und wird sicher­lich dazu beitragen, daß noch weniger Beitragszahler die Ren­ten finan­zie­ren müssen. Leonhard Meister 1790:
    »Es soll Dorfschulen geben, engen Pferchen gleich, und Schulmeister gleich bellenden Bullen.«

Ein Schulmeister verfügte über ein breites Sortiment an Züchtigungs­möglichkeiten: Peitsche, Prügel, Riemen, Lineal – alles was Schläge aushielt. Anfang des 17. Jahrhunderts stellten Schul­reformer in einem »Katalog« die Forderung auf, daß der Unter­richt ohne Zwang erfolgen solle; und:

»Der Lehrmeister soll nichts thun als lehren. Zucht halten, gehört den Scholarchen zu ... daß der Lehr Junge kein Widersinn auf den Lehrmeister kann schöpfen, sondern je mehr und je mehr liebet, welches sehr viel im lernen thut.«

Das Lehr­programm reduzierte sich im wesentlichen auf die Geschichte der Heiligen und der Heiligen ­Geschichte, Lesen von Bibeltexten und frommen Sprüchen, Schreiben, Rechnen; von Mädchen wurde noch weniger verlangt – das Beherrschen von Nadelarbeiten, das Putzen von Gemüsen oder das Schälen von Kartoffeln rüstete für’s Leben, denn:
    »Ein Pferd, das ausschlägt, und eine Frau, die Latein kann, finden kein gutes Ende.«
Dazu paßt auch:
    »Wenn das Huhn frißt vor dem Hahn 

    und die Frau spricht vor dem Mann,

    so soll man das Huhn sieden und braden

    und die Frau wohl mit Schlägen beladen.«
Oder:
    »Einer Frauen Romfahrt und einer Henne Flug über den Zaun ist beides gleich nütze.«
Sofern Handwerker- oder Händlerkinder am Unterricht teilnahmen, wurde gerade in den Niederlanden besonderer Wert auf kommerzielles Rechnen gelegt.

 
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts begannen »Wohl­tätigkeitsvereine« und »Armen­kommissionen«, der »Verein zur Beförderung des Schulbesuchs armer Kinder« und mehrere Schul- und Lehrervereine Einfluß auf die Unterrichts­gestaltung bzw. auf den Unterrichtsstoff zu nehmen.Wilhelm von Humboldt prägte mit seinem elitären Bildungsbegriff die Schulen: Eine Schicht der Un­gebildeten wurde konstruiert, Handarbeit behinderte eine unabhängige geistige Existenz, jedenfalls soweit es Jungen und Männer betraf. Von Humboldt muß es bei diesem Bildungsideal conveniert haben, was ihm Caroline von Dacheröden schrieb: »Laß mich hin­gegossen vor Dir Deine Knie umschließen und mit nassen Blicken zu Dir hinaufsehen und bitten.« Das Idealbild des humanistisch gebildeten Menschen faßte Fuß und prägt bis heute die höheren Schüler. Daher der Kampf der Gymnasial­absol­venten und ihrer Lehrer gegen Gesamtschulen und anderer»gleichmacherischer«, die Bildungs­chancen breite­rer Schichten erhöhende, Schulbildung. Das wird sich auch nach PISA-E nicht ändern.

Die wichtigste Bedingung für die Einschulung war, daß die Eltern das Schulgeld entrichten konnten. Das Schulgeld betrug in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zwischen zweieinhalb und fünfzehn Silbergroschen im Monat, der Lohn eines Manu­fakturarbeiters belief sich auf höchstens sieben­einhalb Groschen pro Arbeitstag. Etwa ein Fünf­tel der an sich schulpflichtigen Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren erhielten allein wegen der ­Kosten keinen schulischen Elementarunterricht, da die ­Eltern die Schulgebühren nicht auf­bringen konnten und auch die etwa fünfzig Armenkommis­sionen nicht ein­sprangen. Ende 1834 belief sich der Anteil der nicht zur Schule gehenden Kinder sogar auf rund ein Drittel.

In vielen Orten ordnete die jeweilige Stadtregierung an, daß nur jene Kinder in Fabriken arbeiten dürften, die lesen und schreiben konnten. Dadurch sollte verhindert werden, daß allzu ­kleine Kinder schon zur Fabrikarbeit eingeteilt waren, aber es sollte auch ein Mindestmaß an Bildung gesichert werden.

Die Sonntagsschulen, die vielerorts eingerichtet waren, mußten nur diejenigen besuchen, die in der Zichorien- und/oder Kartoffelernte unabkömmlich waren und durch die Feldarbeit ihre Bekleidung für den ­Winter erwerben konnten. Diese Kinder erhielten in der Regel von dem Schul­aufseher die Erlaubnis, die Tagesschule zu»schwänzen«, und mußten und durften statt dessen in eine Sonntagsschule gehen, was ihre »Freizeit« noch mehr verringerte.

Auch wenn seit Beginn des 19. Jahrhunderts für alle Eltern und Vormünder die Verpflichtung bestand, ihre Kinder nach vollendetem sechsten Lebens­jahr in eine Schule zuschicken, so konnten Erziehungsberechtigte ihre Kinder wieder von der Schule nehmen, wenn der Pfarrer bescheinigte, daß sie die für ihren»Stand notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten« erlangt hätten; ansonsten endete­ die Schulpflicht mit dem 14. Lebensjahr, mit der Konfirma­tion – unabhängig von den für den Stand notwendigen erlangten Kenntnissen und Fertigkeiten. Die dänische Schulordnung für Delmen­horst und Oldenburg verlangte 1706, daß niemand
    »sich gelüsten lasse, seine Kinder aus der Schule ehender weg­zunehmen, bis sie vor­hero dem Pastore des Ortes aus der Information gelassen werden, nach fleissgem Exa­mine im Grunde des Glaubens, Schreiben (und nach Bewandniß der Woerter) im Rechnen für tüchtig befunden wurde.«

Der Schwerpunkt des obrigkeitlichen Interesses am Schulwesen lag auf der Kontrolle der religiösen Erziehung und der Stabilisierung der Herr­schafts­ord­nung. Graf Anton Günther von Oldenburg im Anfang des 17. Jahrhunderts: »Die Schule macht gute Christen; daraus werden gute Unter­tanen.«

In vielen Fällen widersetzten sich die Eltern ­einer Ausbildung ihrer Töchter, da Schreiben- und Lesenkönnen eine unnütze, auch gefährliche ­Sache sei; deshalb wurde den Mädchen eine andere Beschäftigung zugeteilt, wenn sie denn schon zur Schule gingen: Stricken und Häkeln als geräuschlose und dabei nützliche Arbeit. In größeren Schulen, in denen Mädchen und Jungen getrennt ­waren, wurden dann während dieser Textilarbeiten von der Lehrerin vorgelesen oder erzählt, damit sich die Mädchen weiterbildeten. Einerseits schmälerte die Schulpflicht den Arbeitsertrag der Kinder. Andererseits mußten die Kinder für den Schulbesuch passend gekleidet und ausgerüstet werden, zumal die Schulbildung an Prestige gewann. Der schulische Bildungsprozeß selbst beschleunigte den kulturellen Wandel.

Im (gediegenen) Bürger­tum setzte sich zwar die Idee einer Bildung für Mädchen durch, doch diese Bildung beschränkt sich auf die praktischen und für’s Leben einer Frau wirklich wichtigen Dinge: Säuglingspflege und Kindererziehung, Kochen, Hausmedizin. Und natürlich die sog. Handarbeit, die insbesondere zur Disziplinierung ein­gesetzt wurde. Selbst die »höhere Töchterbildung« in den diesbezüglichen Schulen verzichtet auf einen Unterricht, der für Jungen als angemessen und notwendig galt wie Latein und Griechisch. Wilhelm Harnisch 1839:
    »In der Regel hat das Mädchen mit dem vierzehnten Jahre seine Schulbildung beendigt, und sollte es in diesem Alter noch einer höheren Bildung bedürfen, so erreicht es solche am zweckmäßigsten im häuslichen Kreis in einzelnen Lehrstunden oder in besonders dazu eingerichteten Bildungsvereinen und Kunstkreisen.«

Ernst Moritz Arndt empfiehlt 1819 in seinen Briefen »Über die weibliche Erziehung«: »Ein Weib soll ja dem Kinde gleich sein und auch so gehalten.« Auf der anderen Seite wird Schulehaltenfür Frauen im 19. Jahrhundert wieder ein Erwerbsberuf, der erste Beruf für Frauen nach den Hexenverfolgungen. Wilhelm Harnisch stellt aber fest:
    »Die Leitung öffentlicher Mädchenschulen muß von Männern besorget werden, und Män­ner und Frauen (Jungfrauen) erteilen Unter­richt an derselben. Ein bloßer Unterricht von Frauen in den Schulen ist nirgends hin­reichend. ... Zu wünschen bleibt dabei aber, daß Schulen für größere Mädchen nie zu groß werden, ... weil es wider das weibliche ­Wesen ist, in großen Haufen zusammen zu sein.«

Bis weit in die 1860er Jahre war das Berliner Schulwesen geprägt von der Vielfalt und der Vorherrschaft niederer Privat- und Vereinsschulen. Nach 1865 wuchsen die Schülerzahlen in den Gemeindeschulen zulasten der Privaten an, die aber erst gegen 1910 fast völlig verschwanden.

Bis ins 18. Jahrhundert hinein ist das Schul­wesen verhältnismäßig einfach strukturiert. Entsprechend der Forderung der Schulreformer wandte die Obrig­keit ihre Aufmerksamkeit den niederen ­Schulen zu, die eigentlich Religionsschulen waren, und außer­dem natürlich den Latein­schulen, die künftige Theologen oder Juristen auf die Universität vorbereiten sollten.

Die Jesuiten gründeten seit dem Ende des 16. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Gymnasien, die Unter­richt und streng katholische Glaubensausübung pädago­gisch und sozialpolitisch effektiv miteinander verbanden. Der Adel versuchte sich in den Ritterakademien (von 1598 bis 1842 fast zwanzig Gründungen) eine ihm gemäße höhere Bildungseinrichtung zu schaffen, wo technische Fächer (Festungsbau und Kanonenguß), Sprachen und Körper­training vor allem die künftige militärische Elite für ihre Aufgaben befähigen sollten. In einer Ankündigung zur Gründung der Berliner Ritterakade­mie 1705 heißt es:
    »In dieser Akademie sollen nicht allein die gebräuchlichen Exerzitien, als Reiten, Fechten, Voltigieren und Tanzen, getrieben und gelehret werden, sondern es haben Se. Königl. Majestät allergnädigst verordnet, die vornehmsten und berühmtesten Professores zu berufen, welche der vornehmen Jugend in allen anständigen und nöthigen Wissen­schaften unterweisen sollen, nämlich in Studio morali, Politico, Jure Naturae et Gentium wie auch in Principalis Juris Civilis, in Historia, Jure publico, Arte Heraldica Noticia Genea­logiae und Praetensiorum Illustrium, item in Philosophia, neben welcher man die Experi­menta Geometria, Mechanica, Optica, Gno­mo­nica, Fortifikation und Archi­tektur, dabei auch im Zeichnen und in der Perspektiv, auch das Exer­cieren in der Mousquit und Pique nebst denen Evolutionen. Auch sollen alle Sprachen genügend ausgelehret werden, als die lateinische, französische, italienische, spanische, auch die deutsche in ihrer Reinig­keit, worauf sonderlich an der Tafel soll acht gegeben werden.«

Kein Wunder, daß bei einem solchen Lehrstoff der junge Adel kein großes Interesse an dieser Ritterakademie hatte.

In den Dörfern, in denen die Schule ein Anhäng­sel der Kirche war, versahen Küster das Amt.Linné auf seiner»Lappländischen Reise« zu Besuch in Jokk­mokk:
    »Die geistlichen Herren, Herr Malming, ­welcher zugleich auch der Schul­meister ist, ... inkommodierten mich mit ihren starr­sinnigen Pfaffen­grillen.«

Nicht anders hätte er wohl über die meisten Pastoren-Lehrer in Branden­burg geschrieben.

Schulehalten fand statt auf dem Lande in irgend­einem Raum, der (gerade) nicht für andere Zwecke benutzt oder benötigt wurde: Stall oder Scheune oder die»gute Stube« im Haus des Lehrers. In einem Bericht einer Schulvisitation 1782 heißt es:
    »Die Schulstube war die einzige im Haus; zwar geräumig genug: aber für das, was sie alles fassen sollte, doch immer zu klein. Als wir hereintraten, schlug uns widriger Dampf entgegen, der uns das Atmen eine Weile sehr beschwerlich machte. Das erste, was wir erblickten, war ein Hühnerhahn, und weiterhin zwei Hühner und ein Hund. Am Kamin stand ein Bett, worauf ein Spinnrad, ein Brot, und allerlei zerrissene Kleidungsstücke lagen. Zunächst am Bette stand eine Wiege; da­neben saß die Hausfrau und besänftigte ihr schreiendes Kind. An der einen Wand war eine Schneiderwerkstätte aufgeschlagen, woran ein arbeitender Geselle saß. An der anderen war ein großer Kasten, ein Speiseschrank, Kleidungsstücke und andere Sachen an­gebracht. Den übrigen Raum nahmen die Schulkinder an einem Tisch und auf mehreren Bänken ein. Es waren ihrer 50 von verschiedenem Alter und Geschlecht, aber alle untereinander und dicht zusammen­gepfropft. ... Am Ende des Schultisches ... der Lehrer.«

Aus dem Jahr 1804 wird berichtet:
    »Elende, enge, niedrige Schulzimmer, denn nicht selten ist das Haus des Schulmeisters das schlechteste im Dorfe, eine verdorbene, ver­pestete Luft, der höchste Grad der Unreinlichkeit, der nicht selten dadurch, daß die Schulstube zugleich Wohnzimmer, Werkstätte­ und Stall für das Federvieh ist, herbeigeführt wird.«
Da heißt es 1811 in Ravensburg am Bodensee – in einem anderen deutschen Staate:
    »Heil dem König, Heil dem Staat,

    Wo man gute Schulen hat.«
Die Möglichkeit, die Bildung unter Berücksichtigung der individuellen Neigungen eines Kindes besonders zu fördern, blieb den wohlhabenderen Kreisen vorbehalten. Das Leben der (in der Regel) unverheirateten Hauslehrer und Gouvernanten war erheblichen Einschränkungen unterworfen. In jedem Fall kam mit dem Sieg des Berechtigungswesens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und den standespolitischen Erfolgen der Lehrerschaft das Ende einer pädagogischen Ära, in der das Menschenbild und das Verhalten der lehrenden Person gleichberechtigt neben dem Lehrstoff standen:
    »Beweint den Mann, den wir verlieren!

    Er wußte Pferde zu kurieren

    Verstand die Hunde zu dreßieren

    Die junge Herrschaft zu frisieren

    Und sie zu Possen anzuführen

    Und wollt‘ man an der Nas’ ihn führen

    So ließ er keinen Groll verspüren

    Er konnt in Versen gratulieren

    Von Wind und Wetter discuriren

    Die Stadtunfälle recensiren,

    Und hohe Gäste divertieren

    Kurz, ach! Er war für fünfzig Gulden Sold

    Hofmeister und – was man von ihm gewollt.«
 
Der fast vollständige Ausschluß der Frauen aus dem eigenverantworteten Erwerbsleben und damit dem Entzug eigenen Einkommens führte zu ­einem neuen Sozialproblem: Die Mittellosigkeit von Weib und Kind beim Tode des Ernährers. Dies war vorrangig ein Problem der bürgerlichen Staatsbediensteten und der Bewohner der Städte, nicht des dem König dienenden Adel, die sich im Alter auf ihre Güter zurückziehen konnten.

Bis etwa 1800 ­konnte jedes Dienstverhältnis mit einer halb- oder drei­viertel­­jährlichen Frist aufgekündigt wurden; Einschränkungen dieser Kündi­gungs­möglichkeit ­kamen erst durch die eigene Disziplinar­gerichts­barkeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Österreich machte die Kündigung 1818 durch ein Kolle­gialgutachten abhängig. Die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit diente zu­gleich als Diszi­pli­nierungsmittel gegen Unbotmäßigkeit, worunter Bestech­lich­keit – in Brandenburg und anderswo auch »Verehrung« genannt – oder Korruption nicht unbedingt fiel.

Die später aufkommende Beschränkung des Kün­digungsrechts (ab Mitte des 18. Jahrhunderts durch das Reichskammergericht in Wetzlar) bedeutete nicht das Verbot einer Entlassung, sondern ­sicherte nur einen Rechtsanspruch auf lebenslange Versorgung («althergebrachtes Berufsbeamtentum« gibt es jedoch erst mit der Weimarer Verfassung). Eine ent­schädigungslose Entlassung aus der Dienst­­stellung wurde als ehrmindernd betrachtet.

Damit war das Problem der hinterbliebenen Frauen und Kinder noch nicht gelöst . Zwar gab es in verschiedenen Ländern Deutschlands bereits besondere Regelun­gen wie zum Beispiel die Einstellung eines Nachgeborenen beim Tode des väter­lichen Staatsbediensteten oder die Weiterbeschäftigung auf ­einen anderen Arbeitsplatz im Falle der Invalidität.

Staatliche Pensionen kamen 1781 in Öster­reich auf und Anfang des 19. Jahrhunderts in anderen deutschen Landesteilen: Bayern 1803/1806, Baden 1809, Württemberg 1817, Preußen 1825. Das Dienst- oder Arbeitsrecht sah keinen Versorgungsanspruch der Hinter­bliebe­nen vor; soweit es sich um Ge­sinde oder Leibeigene handelte, wurde eine evtl. Hinter­bliebenen­versorgung schon durch das vom Herrn vorsorglich er­lassene Heirats­verbot umgangen. Gutsuntertänigkeit umfaßte Zwangsgesindedienst, Ge­bunden­­heit an die Scholle und Heiratsunfreiheit.

1710 griffen betroffene Staatsdiener in Preußen erstmals zur Selbsthilfe und gründeten in Berlin die Sozietät »Zur Verpflegung derer Prediger und Schul­bediensteten Witwen und Waisen«, die gegen Zahlung einer Prämie eine Hinterbliebenenpension sicherten. Vorbild dieser und anderer Wit­wen­kassen waren die davor schon vereinzelt bestehenden Versorgungseinrichtungen evan­ge­lischer Pfarrer und die Korporationen der Bergknappen und zünftigen Handwerks­gesellen.

Diese Kassen gingen trotz des Aufkommens von mathe­matischen Modellen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bankrott, da sich herausstellte, daß das Prämienaufkommen für eine Altersversorgung der Begünstigten äußerst un­zureichend festgesetzt war; einzelne Landesherren erklärten sich zur Zahlung von Zuschüssen zu diesen Witwenkassen bereit. Österreich, Baden, Württem­berg und Braunschweig errichteten nach verschiedenen Modellen Hinterbliebenen­kassen für die Staats- und Kirchendiener .

In Preußen wurde 1775 die außerstaatliche, streng versicherungs-mathe­matisch angelegte »Allgemeine­ Witwen-Verpflegungs-Anstalt« gegründet; den Staatsdienern wurde der freiwillige Eintritt an­geboten. Erst 1806 wurde der Beitritt den Be­amten als Pflicht auferlegt und ab 1831 wurden sogar geringe staatliche Zuschüsse gezahlt. Die Witwen der Lehrer gehörten zu den Be­günstigten der staat­lichen oder auf genossenschaftlicher ­Basis gegründeten Pensions­kassen, die eine späte Folge des Verdrängungskampfes der Frauen durch die Männer waren. Eine weitere und noch spätere Folge war die Bis­marck­sche Invalidengesetzgebung nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871. Bismarck als Betroffener kannte das Witwen- und Waisenproblem, auch wenn er für seine Nachkommen anders sorgen ließ. Bismarck zu den Reichs­tags­abgeordneten:
    »Sie werden genötigt sein, dem Staat ein paar Tropfen sozialen Öls beizusetzen; wieviel, weiß ich nicht.«
Kaiser Wilhelm II. über Bismarck: »Fürsorge auf der einen, die Panzerfaust auf der anderen Seite, das war die Bismarcksche Sozialpolitik.« Die Gleichstellung des Mannes in der Hinter­bliebe­nen­versor­gung er­folgte erst mit der Einfüh­rung­ der Witwerrente, fast 300 Jahre nach der Gründung der ­ersten Versor­gungs­institution in Berlin.
    »Wenn eine Frau ihren Mann verliert, kann sie durch Betteln oder Almosen überleben. Wenn ein Mann eine Ehefrau verliert, kann er nichts machen«,
heißt es bei den Inuit, denn die Frauen sind es, die durch ihre Näh- und Schneiderkunst, durch das Weichkauen der Felle, die Kleidungsstücke herstellen, die für das Überleben in der Arktis notwendig sind.

Nach den vielen Kriegen, die Preußens Friedrich II. anzettelte oder an denen er sich beteiligte, erhielten die ausgemusterten Soldaten (sofern sie sich in den Augen des Königs verdient gemacht hatten) ein Stückchen Land mit der Verpflichtung, Kartoffeln anzubauen, und manchmal (selten genug) die ehren­werte Position eines Dorfschullehrers, auch wenn sie manchmal selbst kaum richtig lesen, rechnen oder schreiben konnten. Aber Kartoffeln konnten und mußten sie anbauen. Damals sind die Kartoffelferien eingeführt worden und noch heute werden sie (althergebrachtes Beamtentum?) beibehalten, obwohl heute weder Lehrer noch Schüler Knollen sammeln.

Es gibt Belege, daß unfähige Lehrer in Brandenburg eine äußerst rare Spezie waren: Die Schulen auf dem Lande (und in den Städten) waren zumeist Parochialschulen, geleitet und beaufsichtigt von evangelischen Pfarrern, die wegen der Verbreitung der Bibel an kundigen Schülern und damit auch an fähigen Lehrern interessiert waren. Die evangelische Lehre war wichtigster Bestandteil der damaligen Volkserziehung und dazu gehörte die Befähigung, die Bibel zu lesen. Auch den Erwachsenen­ wurde deshalb in verschiedenen Formen Kenntnisse des Lesens vermittelt. In den vonFriedrich II. gegründeten Dörfern (Oderbruch, Altmark) mag dies anders gewesen sein, in den Städten und Dörfern war der schreibunfähige Lehrer jedoch selten.

Tatsächlich ist durch Friedrich II. die Anzahl der Schulen und der Schüler erhöht worden, zumal bereits sein Vater die allgemeine Schulpflicht als Indoktrinationsinstrument für den Nationalstaat eingeführt hatte. Aber auch schon der»schiefe Fritz«, der Großvater und erste preußische König, tat etwas für die Schule: Er »beneficirte« zum Beispiel den Bau des Waisen- und Erziehungshauses von August Hermann Francke im Jahr 1695 »mit hundert tausend Mauer Steinen und dreyßig Dach-Steinen«. Ende des 17. Jahrhunderts weist Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg seine Bibliothekare an,
    »daß von denen bey unserer hiesigen Biblio­­tec in Duplo vorhandenen Büchern die schlechtesten Editionen unserer Universität in Halle verabfolgt werden.«
In dieser Erziehungsanstalt in Glaucha bei ­Halle, gebaut und geleitet von dem Pietisten Francke, wurde die erste deutsche Poliklinik (1721) ein­gerichtet, in der Studen­ten am Krankenbett ausgebildet, kostenlose Sprechstunden gehalten und die Armen der Stadt mit Medikamenten aus dem eigenen Apothekergarten versorgt wurden. Aber die – später so genannten – Franckeschen Stiftungen waren auch Lehrerbildungsseminar, die mehrere Generationen von preußischen Lehrern prägten: »Gehst Du nach Halle, wirst Du entweder als Pietist oder Atheist zurückkehren« hieß es früher bei Studenten (Schiller: »Pietisten – Quacksalber – Rezensenten und Jauner«).

Hier wurde eine frühe Form des Schüleraustausches (1697 mit Russen) gepflegt, hier wurde mit dem»Stadt-Singechor« der älteste Knabenchor Deutsch­lands gegründet und hier wurde mit Bibeldruck in einer eigenen»Schüler­werkstatt« das Evangelium den Armen nahegebracht (das»Neue Testa­ment« kostete 1712 zwei Groschen). Aber Francke und seine Pietisten (»Stunden­leut’«, auch »die Stillen« genannt) führ­ten auch eine frühe Form von Ge­sinnungs­schnüffelei in ihrer Schule ein.

In Halle wurde 1728 das »Institutum Judaicum« gegründet, um die »ver­lorenen Seelen« neben freundlicher Behandlung und säuberlicher Unter­weisung durch materielle Anreize für das Christentum zu gewinnen. Hier wurde versucht, das Luther-Wort des Jahres 1523 (»Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei)« durch täglich’ Brot, durch ein Dach übern Kopf und Gewährung von Bibeln und Katechismen umzusetzen.

Aber die Bibel verlor an Bedeutung, denn nach Francke war es »köstlicher, Christus in seinem Herzen zu entdecken als in der Heiligen Schrift«. Missionare gingen bis nach ­Posen und Ostpreußen, aber als in Preußen der Pietismus niederging, schloß 1792 auch das »Institut« seine Pforten. Und für alle Pietisten galt, daß der Mensch von Natur aus grundverderbt ist und nur die Erbauung kann den Menschen durch die ­Gnade Gottes erneuern und veredeln.

Die von Francke vertretene Bildungs­arbeit war deshalb nur auf die Vorbereitung auf das Berufs­leben ausgerichtet, denn eine Selbstbesserung des Menschen durch Bildung ist im Pietismus ausgeschlossen.


Auch wenn manche Lehrer jener Zeit ein geringes Ansehen hatten (Egon Friedell: »Lehrer, zum Beispiel, sind meistens Samumisten und daher so ziem­lich die unbegabtesten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft.«), so haben sie doch die Er­nährungsmöglichkeiten auf dem Lande deutlich ver­­ändert. Durch Kartoffeln, die sie als Feldwebel oder Söldner in Kriegszügen kennen­gelernt ­hatten und zu deren Anbau sie durch Friedrich II.verpflichtet wurden.

Bis zur Einführung des Kartoffelanbaus war es notgedrungenermaßen üblich, rechtzeitig vor Winter­beginn die Haustiere zu schlachten, weil das Futter fehlte, um die Tiere über den Winter zu bringen. Die Futtermöglichkeit mit Kartoffeln änderte Schlachtgewohnheiten und Schlachttage. Jetzt erst lernten die Gänse, sich vor dem Heiligen Martin zu fürchten, jetzt erst wurde es dem»gemeinten« Volk möglich, zur Sonnenwendfeier im Winter ­einen Braten mit Kartoffeln zu genießen. Erst jetzt ­wurde der Übergang zur Stallfütterung ermöglicht; das »Kartoffelschwein« (»Herr Pfarrer, wellet Sie die alte Kartoffel, sonschd geb i’s de Säu«) ­löste das »Buch- und Eicheleckern-Schwein« ab.


In den alten Schulbüchern steht:Friedrich II. machte seine Soldaten nach dem Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) zu Dorfschullehrern. Es waren nur wenige Soldaten, die Lehrer bei Friedrich II. wurden; es ist so falsch wie die in der Nazi-Zeit entstandene und immer noch nicht ausgerottete Geschichte, daß König Friedrich II. der Große von Preußen die Kartoffel in Deutschland eingeführt habe.

Das ist so nicht richtig. In den Schulbüchern steht nur selten, daß sich die bestimmt nicht gute Bildungssituation auf dem Lande durch diese Soldaten-Lehrer nicht wesentlich verbesserte. Einige dieser Schulmeister haben wohl von den Schülern noch lernen können und müssen, wenn diese schon vorher zur Schule gingen und vom Dorfpfarrer unterrichtet waren. Es wurden in den Dörfern und Städten auch durch die Ernennung von Korporalen und Sergeanten zu Lehrern keine neuen Schulen eingerichtet, sondern vielmehr die von den kirchlichen Gemeinden betriebenen »Schul­anstalten« (Parochialschulen) mit anderen, aber auch zusätzlichen Lehrkräften ausgestattet. Was man Friedrich»den Einzigen König von Preußen« vorwerfen muß oder kann, ist, seine Reformen im Staatsaufbau und in der Staatsorganisation nicht im gleichem Umfang auf das Schulwesen ausgedehnt zu haben.

Anders als sein Vater, Friedrich Wilhelm I., und anders als seine Gegen­spielerin Maria Theresia hat Friedrich II. von Preußen wahrscheinlich nicht verstehen wollen, daß ein Staat nicht nur durch seine Soldaten stark ist, sondern auch und insbesondere durch sein Bildungssystem. Dies kann man nicht nur dem Alten Fritz zum Vorwurf zu machen. Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts hatte Christoph Annäeus Semler gemeint, daß für den Warenexport eines Landes das Handwerk (Berlin war eine Hand­werker­stadt) und die dazu erforderliche Berufsausbildung grundlegende Bedeutung habe, verbunden mit der christlich-religiösen Weltsicht des Pietismus. Semler erkannte, daß die überkommene Meisterausbildung nicht mehr ausreichen würde und schlug vor, die Elementar­ausbildung der Handwerker in den deutschen Schulen durch einen Lehrkurs zu ergänzen, der »die Knaben mit allgemeinen Methoden einer besseren Be­arbeitung der Materia­lien ... vertraut« machen sollte.

Friedrichs Vater, der Soldatenkönig, war – wie Franz Mehring schreibt – ein »banausischer« Verächter von Bildung und Wissenschaft, aber er wußte, daß geistige Kenntnisse zur Hebung des Wohlstandes und damit zur Stärkung der Finanzen beitragen. Der Soldatenkönig gründete mehr Militär- und Volksschulen als sein Sohn und er führte – wenigstens auf dem Papier – die allgemeine Schulpflicht ein, das all­gemein vorherrschende Analphabetentum verringerte sich. Die geänderten Wirtschaftsstrukturen verlangten, erforderten die Alphabetisierung der Bevölkerung. »Salus populi suprema max« – das Wohl des Volkes sei höchstes Gesetz.

Trotz der vereinzelten Maßnahmen zur Regelung des materiellen Unterhalts von Schulen und Lehrern hatte die von der Strenge und Kargheit pietistischer Lebensauffassung geprägte Schul­politik desSoldatenkönigs nur begrenzte Erfolge, denn in keiner preußischen Provinz war es gelungen, alle Kinder zum Besuche der Schule zu ver­anlassen; vielmehr wuchsen Tausende von Kindern ohne jeglichen Schulunterricht auf. In keiner Provinz war der Unterricht ganzjährig angelegt. Überall waren die Lehrgegenstände beschränkt, in der Regel auf religiöse Unterweisung und auf das ­Lesen; Schreiben und Rechnen nahmen schon deshalb eine Ausnahmestellung ein, weil in vielen Fällen der Lehrer selbst versagte. Nirgends eine methodisch geleitete Unterweisung, überall mechanisches Auswendiglernen.

Und seine städtebaulichen Vorschläge­ und Maßnahmen waren zu jener Zeit beispiel­gebend; mit »Der Kerl hat Geld, soll bauen«, zwang er seine Beamten, sich Häuser in der von seinem Vater gegründeten Friedrichstadt, der fünften Stadtgemeinde Berlins, zu ­bauen.

König Friedrich Wilhelm I. zeigte andererseits von frühester Jugend an eine königliche Miß­achtung gegen­über allem Wissen, von dem er sich keinen Nutzen versprach. Der König interessierte sich nur für die Verwaltungsaufgaben (Kamera­listik) und für Medizin. Seine eigene Schulbildung: Schulaufgaben erledigte er höchst unwillig (heutige Schul­knaben sagen: »Lernen ist unmännlich«), wenn über­haupt. Seine Lehrer konnten ihm nur mühsam beibringen, daß ein (späterer) König eine umfassendere Bildung benötigen würde. Seine Sprachkenntnisse sowohl in deutsch als auch in französisch waren gering; aber verstanden wurde er schon, wenn er drastisch, plastisch mit seinen»Räten« sprach. Die Schulbildung der Untertanen wurde ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des für Preußen erkennbaren Nutzen gefördert. Es wäre für das heutige Deutschland ein Fortschritt im Bildungswesen, wenn wenigstens diese Zielsetzung im Schulwesen vorherrschen würde.


Am Ende der fridericianischen Ära gab es – trotz aller Mängel – ein breit entwickeltes, unter kirchlicher Herrschaft stehendes Elementarschulwesen. Im Vergleich mit anderen brandenburgischen Orten waren die Berliner Schul­einrichtungen beispielhaft; sogar Mädchen – vereinzelt – erhielten wieder Grundkenntnisse in Singen, Lesen und Schreiben, in Rechnen. Das Bildungs­niveau der Berliner lag weit über dem Landesdurchschnitt, denn zwischen siebzig bis achtzig Prozent aller Kinder durchliefen mehr oder ­weniger lange eine Privat-, oder Armenfrei- oder Parochial­schule.

In den Städten Brandenburgs, insbesondere in Berlin, Cölln und Friedrichs­werder, entstanden für eine Minderheit der Bürgerkinder (manchmal auch finanziell geförderte) Schuleinrichtungen, vorwiegend aber als Gemeindeschule der evangelischen Kirchen.Friedrich Wilhelm I. konnte hierbei auf Schul­einrich­tungen zurückgreifen, für die schon von seinen Vorgängern vom Anfang des frühen 15. Jahrhunderts bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts Schulordnungen erlassen worden waren.

In einem fiktiven Gespräch des Soldatenkönigs mit seinem Minister von Grumbkow schreibt Jo­achim Fernau:
    »Ich habe jetzt zweitausend Schulen für das Volk eingerichtet; sagt den Geistlichen, daß sie kein Kind mehr einsegnen sollen, das nicht lesen und schreiben kann. Ich will das Geld für die Schulen und für die Steißtrommler nicht zum Fenster hinausgeworfen haben.«

Dazu paßt Melanchthon:
    »Wer Schulen gründet und die Wissenschaften pflegt, der macht sich um sein Volk und die ganze Nachwelt besser verdient, als wenn er neue Gold- und Silberminen fände.«

Andererseits warFriedrich Wilhelm I. nicht sonderlich daran interessiert, daß die Land- und Hand­werkerkinder auf dem Dorfe zu viel lernten, gingen diese denn doch in die anwachsende Doppelstadt Berlin und Cölln. Landflucht als Ausweg aus der Misere der Leibeigenschaft (Friedrich II.: »coutume barbare«). Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen als Chance, in der Stadt darüber hinaus eine gute Anstellung zu finden.
 

Für die bei Berlin und Cöllnneu gegründeten Städte Friedrichswerder (1658), Dorotheenstadt (1674) und Friedrichstadt (1691) verordnete Kur­fürstFriedrich Wilhelm I, daß mit der Einrichtung eines Pfarr­amtbezirks (Parochie) zugleich eine Schule eingerichtet werden müsse. 1715 wurde in der Doro­theenstadt, das in vielen Dingen bevorzugt behandelt wurde, eine ehemalige Rats- und Gerichtsstube im Rathaus eingerichtet und damit der staatlich-kirchliche Schulunterricht aus den Wohnungen der Lehrer heraus­genommen. Damit war zugleich eine bessere Kontrolle des Lehrstoffes und der Lehrer möglich und eine Unterbindung des Unterrichts durch Lehrerinnen.

Der langsam verlaufende Prozeß der Entstehung eines Schul- und Bildungs­wesens war in Preußen am Beginn des 18. Jahrhunderts so weit fortgeschritten, daß 1717 von Friedrich Wilhelm I. eine all­gemeine Pflicht zum Besuch dieses Elementarunterrichtes wenigstens grundsätzlich und »an denen Orten, wo Schulen sein« verkündet werden konnte. Das preußische Schulsystem (wie auch der Kartoffelanbau) lag dennoch weit hinter dem Österreichs oder Sachsens und anderer Länder zurück.

Aus vielen Gründen wurde dieses in seinen Grundzügen aus dem 16. Jahrhundert stammende Bildungssystem kritisiert. Das niedere Schulwesen in Stadt und Land – insbesondere die Parochialschulen – erschien ineffizient, weil es in ihm nur – vereinfacht gesagt – auf die Konfirmation ankam, die die Schul­zeit beendete. Das Höhere galt für verwahrlost, weil es auf anthro­polo­gi­schen Voraus­setzungen beruhte, über die der Zivilisationsprozeß hinweg­geschritten war. Bis dahin machte man zwischen Kindern und Erwachsenen, Lehrern und Schülern keine entwicklungspsychologischen Unterschiede aus, nur solche von Wissen und Nicht­wissen. Kinder waren nur»kleine Er­wach­sene«.

Nicht bei der Reform des öffentlichen, sondern der Reform der Privat­erziehung und der Forderung nach einer Kleinkinderziehung setzten die frühen Philanthropen an. Wenn Eltern Kinder als Auf­gabe wahrnehmen, kann auch die Idee des Massenunterrichts in der Schule frisch ergriffen werden, weil sie nicht mehr nur von der Hierarchie des Wissens allein getragen wird, sondern auch von der Idee der Formbarkeit, der Erziehungs­fähigkeit jedes, und gerade des jungen Menschen. Die pädagogische Phantasie äußerte sich in vielen Schul­gründungen, Schulprojekten oder Unterrichts­methoden. Rudi Palla in »Die Kunst, Kinder zu kneten« gibt einen Überblick über die Rezepte der Pädagogik.

Unterricht und Arbeit wird in sog. Industrieschulen ver­bunden. Fröbels Internat Keilhau bietet derbes Landleben gegen städtische Ver­weich­lichung, andere Schulen werben für ihre Schulen mit Gymnastik und Wasser­kuren zur Festigung der Gesundheit.

 Salman Rushdie in »Der Boden unter ihren Füßen« über englische Internate:
    »... ein erstklassiges Hill-Station-Institut, das seine Methoden auf die probate, echt britischen Grund­sätze der kalten Bäder, des schlechten Essens, der regelmäßigen Prügel und den hochqualifizierten akade­mischen Unterrichts stütze ...«

Theodor Lessing (1872–1933), Pädagoge und Philosoph, über die Schule:
    »Ich bin selber Lehrer geworden, habe viele Hunderte unterrichtet, Knaben wie Mädchen und Erwachsene wie Kinder, Schulreformen und Schulreformer habe ich in Massen erlebt und gekannt. Der eine wollte die Erziehung gründen auf Wahrheit und Vernunft. Der zweite auf Wille, Sittlichkeit und Pflicht. Manche redeten von Charakterbildung. Sehr viele von Handfertigkeit, Praxis, Berufsertüchtigung. Alle stimm­ten überein in der Verdammung der alten Buchdruck- und Tinten­erziehung und alle wiederholten die volkstümlichen Schlag­worte. Anschauung, Wirklichkeit, leben und immer wieder ›Leben‹. Nur Eines habe ich nie gefunden: Erziehung, aufgebaut auf dem unmittelbaren Element des Lebens: auf Bildern, auf Phantasien, und immer kam zu kurz just das, was der Deutsche am meisten im lauten Munde führt: das Gemüt, der Humor.«

Man traute der Schule des 17. Jahrhunderts die Erfüllung fast aller Ziele zu. Eine andere Gruppe von Schulgründungen seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts versucht, soziale Fragen zu lösen: diese Schulen wenden sich an die Kinder bestimmter Schichten und Klassen und schließen andere aus.

Das gilt ins­besondere für die Mädchen­ausbil­dung, die auf privatwirtschaftlicher Basis weiter­bestand oder sich ent­wickelte. In Celle mußte der Vater zumindest Kaufmann sein, wenn seine Tochter im »Lyzeum« aufgenommen werden sollte – Kinder anderer Schichten wurden auf die Stadtschulen verwiesen. Mädchen kamen bei Friedrich II. nicht auf’s Gymnasium, selbst den Töchtern wohl­habender Bürger blieb nur der private Haus­unter­richt oder der Besuch eines Pensionats. Dort lernten sie das »Mamsellchen-Französisch«, damit die jungen Mädchen auch die Frage des schneidigen Garde-Offiziers mit seinem port-épée richtig be­antworten konnten: »Voulez-vous coucher avec moi?« – »merci bú cu« und nicht versehentlich den Kopf falsch bewegten.

Die Abschaffung und Einschränkung der Kinderarbeit auf dem Lande war im Sommer nicht möglich. In Kaufbeuren, aber auch andernorts, kam man auf die Idee,»Sommersurrogatschulen« zu errichten, wo die Kinder am arbeitsfreien Sonntag nach dem Gottesdienst je vier Stunden Religions- und Elementar­unterricht erhalten sollten. Man versuchte auch, in »Sonn- und Feiertagsschulen«; Lehrgegenstände alle 12- bis 18jährigen waren Schreiben, Rechnen und – natürlich – Religion.

Die 1736 für Ostpreußen von Friedrich Wilhelm I. erlassenen »Principia regulativa« zeigen, wie die schulischen Zuständigkeiten verteilt waren. In diesem Generalschulplan wurden die Fragen des mate­riellen Unterhalts der Schulen und der Schul­meister geregelt. Der König muß bei dieser »Principia« an den Anbau der Kartoffel gedacht haben:
    »Von Sr. K. Maj. einen Morgen Land, ­(welcher allemal hinter seinem Hause an­zuweisen) solchen aufs beste zu nutzen. Die eingewid­me­ten Dorfschaften bearbeiten solchen und halten ihn im Gehege.

Zur Subsistenz wird dem Schulmeister eine Kuh und ein Kalb, item ein Paar Schweine und etwas Federvieh frei auf der Weide gehalten und 2 Fuder Heu und 2 Fuder Stroh gereichet.«

In der Tat: Ein Morgen Land – verbunden mit den anderen Alimenten – reichte aus, um Kartoffeln für die meist vielköpfige Familie des früheren Sergeanten anzupflanzen.
    »Ist der Schulmeister ein Handwerker, kann er sich schon ernähren; ist er keiner, wird ihm erlaubt, in der Ernte 6 Wochen auf Tage­lohn zu gehen.«

Angeblich althergebrachtes Beamtenrecht schaffte­ es, diese sechs Wochen Sommerferien über die Jahrhunderte zu erhalten, und dies – darüber hinaus – als pädagogisch sinnvoll für die Schulkinder darzustellen.
    »Jedem Schulmeister muß ein Platz zum Küchengarten gleich hinter seinem Hause an­gewiesen werden.«

Ein Küchengarten ist ein gewißlich trefflicher Platz für den Anbau von Kartoffel und Rübe. In den bäuerlichen und schulmeisterlichen Küchengärten wurde angepflanzt: Braunschweiger Weißkohl, Cyprianischer Blumenkohl, Gelber Savoykohl, Ober- und Unterkohlrabi, Hoher und Niedriger Braun­kohl, Pastinaken, Kopflattich, Jerusalemerbsen, Zuckerwurzeln, Mairüben, Porree, ­Bohnen, Peter-silienwurzeln, Thymian, Majoran, Minze, Salbei, Gelbe Wurzeln, holländische Karottenwurzeln. Und natürlich Kartoffeln.

Die im pestentvölkerten Ostpreußen 1732 auf Einladung Friedrich Wilhelms angesiedelten rund zweiundzwanzigtausend Salzburger Protestanten, Defregger Exulanten bzw. Angehörigen der aus Schlesien vertriebenen Sekte der Schwenck­­­­felder werden dieses Reglement begrüßt haben, zwang es doch den Schulmeister zur Garten- und Ackerarbeit und damit zur Selbstversorgung. Die Salzburger, die vorher in Württemberg und Franken Zuflucht gesucht hatten vor dem Emigrationsedikt (»bey Vermeidung schwerer an Gut, auch Leib und Leben gehender Straff«) von Erzbischof Leopold Anton von Firmian, lernten unterwegs (bei Walden­sern und Mennoniten) die Knolle kennen und nah­men sie mit nach Ostpreußen, ver­ringerten mit dem Schulreglement ihre eigenen Abgaben.

1738, also noch vor dem Regierungsantritt Friedrichs II. und zum selben Zeitpunkt, in dem um ­Berlin herum die Kartoffelfelder blühen, wird ein »Reglé­ment wegen der Teutschen Privatschulen in den Städten und Vorstädten Berlins« erlassen, das sich im wesentlichen an die »Principia« für Ostpreußen anlehnt.

Friedrich II. vergab seine Lehrerstellen auf dem Lande nur an jene ehemaligen Soldaten, die in, seiner Meinung nach, tapferen Regimentern ge­dient haben; die Einteilung in tapfere und ­weniger tapfere Regimenter war will­kürlich. 1763 schreibt er:
    »Das Regiment hat den ganzen Krieg ge­berenheitert. Solche Leute Krigen nichts.«

Gerade die Ärgernisse, die angeblich die Kinder römisch-katholischer Soldaten in Berliner Schulen verursachten, führten zu der häufig zitierten Ent­scheidung Friedrichs im Jahr 1740:
    »Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der anderen abrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson selich werden«.

Friedrich II. am 6. April 1743 an das Geistliche Departement, auf die Frage, ob die Krefelder Katho­liken eine Schule bauen dürften:
    »In Meinem ­Lande Seindt alle Reli­gionen frei, also Sol ihnen die Schule verstatet werden.«

Und am Rande eines Departementberichts gekritzelt:
    »alle religionen seindt gleich und guht, wan ... etwa Türken und Heiden kämen und wollten das Land pöpliren, so wollen wier sie Mosquen und Kirchen bauen«

Nachzutragen wäre, daß schon 1684 religiös bedingte Auseinandersetzungen zwischen reformierten und lutheranischen Schülern und Lehrer bestanden, so daß sich die Entscheidung Friedrich wohl nicht auf katholische Schüler bezogen ­haben konnte, die weder in Garnisonschulen gehen (wegen der aus­schließlich evangelischen Feldpredi­ger ) noch am Unterricht in den gleichfalls nicht-katholischen Parochialschulen teilnehmen konnten.

Friedrich II. folgt damit seinem Vorfahren Johann Sigismund (1572–1619) der als erster deutscher Fürst 1613 auf sein cuius regio eius religio (frei über­setzt: Wessen Kartoffel ich esse, dessen Lied ich singe), verzichtet hatte:
    »Und das es darumb hochlich1unrechtt und gegen Gott un­ver­ant­wort­lich were, ob die Obrigkeit sich anmasste, die Unterthanen zu zwin­gen, umb ihretwillen das zu glauben, was sie in ihrem Gewissen uberzeuget unrecht zu sein erkennen und bekennen musste ...«

Zu jener Zeitbildete sich im babylonischen Sprachengewirr der Stadt Berlin eine eigene Mundart mit fremdländischen Floskeln und Wörtern heraus, die sich vom märkisch-mecklenburger Platt der Umgebung deutlich unterschied. Es war kein ­neuer Dialekt, der da entstand, sondern»berlinisch« – deutsch mit heute noch verwendeten Ein­spreng­seln der Immigranten und auf dem mecklen­burger Platt gründend: eine lokale mund­artliche Volkssprache eines milieugebundenen Kreises, ein Jargon im positiven Sinne – auch wenn Friedrich II. seinen Kammerherrn Fredersdorf aufforderte,»mit die närrische Quacksalberei« aufzuhören, auch wenn für den Schriftsteller Karl Gutz­kow (deshalb zu Recht vergessen) das Berlinische»der scheußlichste aller Dialekte«, die»Sprache der Hausknechte, Hökerinnen und kleinen Ren­tiers« war. Trotz der vielen Zuwanderer haben die ­meisten von ihnen keine sprachlichen Spuren hinterlassen – ausgenommen die Hugenotten, aus­genom­men das jiddische. Und es gilt immer noch die grammatikalische Grundregel, die auch zugewanderte Lehrer zu beherzigen haben: »Der Berliner sagt immer mir, ooch wenn’s richtig is!«

Die Berliner fühlen sich seit altersher nicht als Märker oder Brandenburger; sie waren Preußen (was falsch war und ist), leben–lebten in der Hauptstadt, hatten mit dem Umland nur tun, wenn’s um die Baumblüte ging oder um das Buddeln von Kartoffeln. Berlin war Schmelztiegel eines Staates, der von Aachen bis an die Memel reichte; um Viktor Klima abzuwandeln: Diese Stadt ist nicht durch die Kraft preußischer Lenden, sondern durch die Zuwanderer aus ganz Europa gewachsen. Die Berliner hatten immer schon ein egozentrisches Denken – positiv formuliert! Sicherlich verursacht dieses Selbstbewußtsein auch den gegenüber Restdeutschland erhöhten Krankenstand, über den be­reitsFriedrich II. lamentierte, als der Strumpf­fabri­kant Grimbert aus Versailles elf Webstühle in Berlin aufstellte (mit zweitausend Taler Subven­tion):
    »Alle die Berliner Seindt faul Deufelstzeuch die lieber Stellen als arbeiten wollen.«

Religionsfreiheit zuzüglich eingeschränkte Pressefreiheit zuzüglich Einwan­de­rer aus ganz Europa zuzüglich Sprache ergeben den Berliner mit der­»frechen Schnauze«. Wie sagt doch der sog. Ber­liner Volksmund:
    »Voulez-vous Kartoffelsupp avec verbrannte Klöße? Non, monsieur, ich danke vous, je n’ai pas appétit dazu.«

Ulrich Bräker ergänzt:
    »Jch und Schärer waren auch darinn völlig gleichgesinnt, daß uns das Berliner Weibsvolk eckelhaft und abscheulich vorkam«

Friedrich II. mühte sich um»Leib und Seele« seiner Landeskinder: Zum einen förderte er den Kartoffelanbau und zum anderen korrespondierte dies mit seinen – wenn auch geringen Bestrebungen – das vorhandene Schulsystem auszubauen. Für den Anbau der Kartoffel erließ er wiederholt (nicht immer verständliche) Anordnungen, Schul­angele­genheiten wurden – mit seiner Billigung und auch auf seine Veranlassung – durch die evangelische Kirche und durch die Bürger in eigener Verantwortung erledigt.

Beim Regierungsantritt des Königs 1740 und danach bestanden in Preußen mehrere verschiedene Schularten und Institutionen, die der Bildung und der Weiterbildung dienten. Beispielhaft sei die Berliner Situation aufgeführt:

    Parochialschulen. Das waren Schulen, die mit dem Amtsbezirk eines (reformierten) Geistlichen verbunden waren und in dem Latein, Geographie und Geschichte (und manchmal auch Französisch) unter­richtet wurde. In die Parochialschulen wurden nicht nur Arme-Leute-Kinder, sondern auch Kinder von »honoratiores aus dem Civil- und Militärstand« geschickt. An der Parochialschule in der Dorotheenstadt lehrten drei Lehrer unabhängig voneinander, bis 1767 ein organischer Zusammenhang hergestellt wurde. Selbst in dieser wohlhabenden Gemeinde gab es bis zum Jahr 1809 kein eigenes Schulgebäude, obwohl die Dorotheenstädter weniger Steuern zahlten und auch in anderer Hinsicht gegenüber anderen Berliner Städten und Vorstädten privilegiert wurden. In der Friedrichstadt wurden die Lehrer der fünf reformierten Schulen (durch eine Gründung des Prediger J. J. Hecker von der Dreifaltigkeitskirche waren es später sechs) aus einer zentralen Kasse der Kirchengemeinden besoldet. Die Schulkosten der armen Kinder wurden im Regelfall durch Spenden der Gemeinde­mitglieder finanziert; die Geistlichen der Jerusalemskirche konnten immerhin durch die Verwendung der Kollekten zweihundert Kindern den Schulunterricht ermöglichen. Dennoch waren selbst in den besten Zeiten waren nie mehr als zwanzig Prozent der Berliner Kinder in einer Schule. Der seit 1709 bestehende gemeinsame Magistrat für Berlin, Cölln, Friedrichs-Werder, Friedrichstadt und Dorotheenstadt inter­essierte sich nur wenig für Schulbelange und betrachtete die Schulen mit Gleichgültigkeit. Die Schulausgaben wurden aus den Kirchgeldern bestritten. Schulunterricht in den Berliner Vorstädten verlief unter noch ungünstigeren Bedingungen. In der Georgenvorstadt (um den heutigen Alexanderplatz) erhielt ein Lehrer bei freier Unterkunft ein Salär von zehn Taler jährlich und für jedes Schulkind einen weiteren Groschen je Woche als Schulgeld. Weitere Einnahmen erzielte ein Lehrer an der Parochialschule in der Georgenvorstadt durch Mithilfe bei Beerdigungen und im Kirchenchor, dies war auch die normale Situation des Lehrers auf dem Lande.

    Winkel- bzw. Privat- und Armenschulen. Neben dieser Schule unterrichteten in der Georgenvorstadt weitere vierzehn Privat- und zwei Armenschulmeister. Wenn der Privatlehrer in adligen und besse­ren bürgerlichen Kreisen Einzelkinder im Haus unterrichtete, so wurde er als Hofmeister, als Instrukteur oder als Gouverneur (wenn es um die Töchter ging: Gouvernante) bezeichnet. Die Gouvernanten waren das letzte Relikt weiblicher Lehrer. Aber – wieder Flaubert: »Kommen immer aus einer sehr guten Familie, der ein Mißgeschick widerfuhr« (in Italien waren es die povero vergognoso, zu stolz zum Betteln und ewig dem Hungertode nahe). Wie schon beim Soldatenkönig blieben auch unter Friedrich II. die Parochialschulen ohne größere staatliche oder städtische Unterstützung.

    Mit der Ausbreitung des Buchdrucks wurden die Lesebedürfnisse auch bei den Bevölkerungsschichten geweckt, bei denen Schulbildung nicht als Vor­bereitung für einen geistlichen Beruf gedacht war. Im ausgehenden 15. Jahr­hundert entstanden daher die sog. Winkel­schulen, die als»Privatschule« stärker auf die Bedürfnisse – wie schon dargelegt – ihrer Kunden (Handwerker, Händler) eingingen als andere Schuleinrichtungen. Winkelschulen, geleitet von Privatlehrern, muß­ten wie Handwerker und Kaufleute das anbieten, was ihre Kunden haben wollten: Lesen, schreiben in deutscher Sprache und rechnen. Schreiben erfreute sich eines enormen Ansehens. Man be­nutzte Vogel­federn oder Rohr und eine schwarze Tinte aus Ruß, der in Öl aufgelöst war. Winkel­schulen wurden häufig verboten (die Geist­lichkeit mochte diese unkontrollier­ten Zustände nicht). Im»Reglé­ment wegen der Teutschen Privat-Schulen in den Städten und Vor-Städten« (1738) heißt es:

      »Es muß sich niemand des Schulehaltens eigenmächtig an­maßen, sondern ein jeder bei dem Inspektor und den Predigern des Kirch­spiels ... sich melden.«

    Für Beamte, Händler, Juristen hatten kalligraphische Übungen eine außer­gewöhnliche Bedeutung. Männer und Frauen (wenn's sie's denn konnten) des Bürgertums schrieben viel: Das Verfassen von Briefen war Sitte geworden. In späteren Zeiten entstanden sog. Briefsteller, die von Stilunkundigen mit»Musterbriefen« für alle Lebenslagen heran­gezogen werden konnten ein­schließlich Mustertexten für Liebesbriefe. Ein weiterer Vorteil der Winkel­schulen, die um 1500 etwa fünfzig Prozent und um 1750 immer noch bis zu zwanzig Prozent der über­haupt zur Schule gehenden Kinder unterrichteten, war auch, daß die Schüler nicht zu Kirchendiensten herangezogen wurden und damit die schulgeldpflichtige Schulzeit verkürzten. Die durch den Wegfall der Kirchendienste gewonnene Zeit konnte für nützlichere Dinge ver­wendet werden, für die Mithilfe im väterlichen Betrieb und für den Kartoffelanbau im Garten hinter dem Haus.

    Die Qualität der Winkelschulen war vielfach unzureichend: Ein Pfarrer Silberschlag wies Mitte des 18. Jahrhunderts über dreißig Konfirmanden zurück, da sie nicht lesen und schreiben konnten, ob­wohl sie vier bis fünf Jahre in eine Winkelschule gegangen waren. Mit diesen Lernergebnissen unterschieden sich diese Schulen nicht wesent­lich von den Armenschulen.

    Erwerbs- und Industrieschulen. Dem Potsdamer»Großen Militär­waisenhaus« für»verwaiste hilflose Unteroffizier- und Soldatenkinder beiderlei Geschlechts« wurde 1727 eine Industrieschule hinzugefügt, die Vorbild für alle weiteren preußischen Industrie- und Erwerbs­schulen wurde. Weitere Berufsschulen entstanden 1793, die sowohl dem Armen- wie dem Schulwesen zuzuordnen waren und zugleich eine Beziehung zur Industrie hatten. Die ersten Schulen dieser Art gründeten auf eine Stiftung, zu deren Mitglieder die Spitzen der Berliner Gesellschaft gehörten. Beachtlich war, daß in jeder der (bis 1799) acht Schulen ungefähr fünfzig Kinder beiderlei Geschlechts, geteilt in zwei Klassen,»durch geschickte Lehrer einige Stunden des Tages in den nötigen Kenntnissen« unterrichtet werden sollten. Der Schulbesuch der Mädchen sollte bis zur Aufnahme einer Stellung»bei einer guten Herrschaft«, die Jungen bis zur Aufnahme einer Lehre dauern. Tatsächlich wurden es aber bis zu achtzig Schüler je Klasse und die»geschickten Lehrer« wurden durch die Ehefrauen der Lehrer als Aufseher ersetzt. Die Schulkosten wurde durch Spenden, aber auch durch den Verkauf der in diesen Schulen hergestellten und gut bezahlten Modearbeiten erbracht. Die Erwerbs- und Industrieschulen ersetzten die fehlenden allgemeinbildenden Schulen für die Berliner Armenkinder. 1829 wurden die sich immer mehr als Mädchen-Arbeits­schule entwickelnden Lehrinstitute in reine Mädchen-Unter­richts-Anstalten umgewandelt.

    In mehr ländlich geprägten Gegenden und kleineren Städten lernten Jungen und auch Mädchen insbesondere Kenntnisse über neue landwirtschaftliche Methoden und Anpflanzungen (wie zum Beispiel den Kartoffelanbau).

    Armen- und Freischulen. Aus den Erwerbs- und Industrieschulen entwickelte sich dieSonntags-Frei­schule für versäumte Lehrlinge, d.h. für Lehrlinge, die nur am Sonntag Zeit erhielten, eine berufs­begleitende Schule zu besuchen. Diese Sonntagsschulen versuchten ein Mindestmaß an Elementarkenntnisse zu vermitteln. An den Sonntagsschulen, die auf das General-Landschul-Reglément von 1763 fußten, wurde Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt, wobei die Eltern ein Schulgeld von zwei Taler jährlich zu entrichten hatten. Lehrziel war,»versäumten und unwissenden Lehrlingen die erforderliche Nach­hilfe zu geben«.

    Für die Kinder der Stadtarmen wurden von Wohltätigkeitsvereinen sog.Armenfreischulen eingerichtet. Ende der 1880er Jahre bestanden in Berlin immer noch zwölf reformierte Freischulen mit etwa drei­hundert Kindern, je zwei Freischulen der französischen und der böh­mi­schen Gemeinde und seit 1778 eine katholische Freischule mit einem eigenen Schulhaus.

    Es war ein Makel in besseren Bürgerkreisen, wenn ein Kind auf eine Armenfreischule ging oder ein Lehrer dort unterrichtete; die Qualität der Schulbildung war so ungenügend wie die Vergütung für die Lehrer. Der Besuch einer Armen- oder Freischule, die kein Schul­geld verlangte, wirkte in vielen Fällen für die Kinder diskrimi­nierend, was wohl auch beabsichtigt war. Aber es war ein erster Ansatz, Volksbildung auf breitere Schichten auszudehnen.

    Für die Abhaltung des Unterrichts erhielt in Berlin ein Freischul­lehrer, d.h. ein Schulmeister an einer Armenschule, ein Jahressalär von dreiunddreißig Taler und acht Groschen; zwischen 1763 und 1788 entsprach dies ledig einem Viertel bis einem Siebtel der Lebens­haltungskosten einer vierköpfigen Familie, hat man nachträglich er­rechnet. Der Lehrer war daher stets genötigt, hand­werkliche Neben­tätigkeiten auszuführen, um seine Familie mit Brotwasser­suppen und Kartoffeln durchzubringen.

    Garnisons- und Soldatenschulen. Im Jahr 1754 bestand etwa ein Fünf­tel der Berliner Bevölkerung aus Soldaten und ihren Frauen und Kin­dern: 16317 Soldaten und 8938 Frauen und Kinder. Sofern in Preußen überhaupt Schulen für Soldatenkinder (Garnisons- oder Regi­ments­schulen) bestanden, war der Unterricht äußerst mangelhaft; er unter­schied sich insofern grundsätzlich nicht von den Schulen für Kinder anderer Berufsgruppen. In der in Spandau – außerhalb Berlins – gelegenen Garnison­schule wurden anfänglich etwa fünfzig Kinder un­entgeltlich in Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet; erst 1703 erhielt diese Schule ein eigenes Gebäude. In den 1730er Jahren nahmen etwa dreihundert Soldatenkinder am Schulunterricht teil.

    Die Lehrer waren zumeist die (reformierten) Feldprediger, so daß der Unter­richt ausfiel, wenn's ins Manöver ging oder Friedrich II. wieder in den Krieg ziehen ließ. Während des gesamten Sieben­jährigen Krieges fiel der Schul­unterricht in den Regiments­schulen aus; nach fünf Kriegsjahren wurden einige Schüler in eine Parochialschule aufgenommen. Die Bildung und Führung einer Regimentsschule hing im übrigen in sehr starkem Maße vom Verständnis und vom Wohlwollen des Befehlshabers ab. Finanziert wurden Regiments­schulen durch freiwillige Zahlungen des Kommandeurs oder durch Einnahmen der Feldprediger für Trauungen, Taufen und Beerdigungen und – in seltenen Fällen – aus Überschüssen aus der Werbekasse für neue Soldaten.

    Waisenhäuser. Pietistische Auffassungen führten zur Gründung von Waisenhäusern, denen stets eine Schule angegliedert war; im Berlin zum Zeitpunkt des Regierungs­antrittsFriedrich II. bestanden ins­gesamt neun kirchlich beeinflußte Waisen­häusern, in denen die Kinder streng reformistisch- oder lutherisch-protestan­tisch in Religion unterrichtet wurden. Noch in einem Schulinspektionsbericht des Jahres 1774 heißt es, daß die Lehrer ihre Stellung »als einen bequemen Aufenthalt« ansahen, um auf »die ansehnlichsten Predigerstellen Anspruch zu machen«.

    Hierher paßt auch, daß die Lehrer an der 1724 in Werben in der Altmark gegründeten Lateinschule mit dem Rat stritten, daß zum Gebäude nicht auch »Stallung für ein paar Kühe und Schweine vorhanden« sei und der Schulhof nicht als Weide benutzt werde könne«; Schulinhalte haben nicht interessiert. Für den Lese- und Schreibunterricht erhielten die Lehrer eine Vergütung von bis zu vier Taler monatlich. Selbst im königlichen Waisenhaus wurden die Lehrer nicht besser bezahlt. Es langte gerade 'mal zur Beschaffung von Kartoffeln.

    Sonderschulen. Die»École de Charité«, die ihre Gründung auf das Jahr 1672 zurückverfolgen konnte, eine Schuleinrichtung der französischen Réfugiés, den Hugenotten. 1747 wurde diese Schuleinrichtung mit einem Pensionat für arme französische Kinder verbunden; neben zwei Klassen für Kinder bürgerlicher Herkunft wurde eine Armenklasse eingerichtet. Das 1760 gegründete»Petit Hôpital« für fran­zösische verwahrloste Kinder und arbeitsscheue junge Leute war mehr Arbeits­haus denn Schule. Außer Rechnen, Schreiben und Lesen lehrte man französisch, das als Sprache der internationalen Beziehungen galt, aber in diesem Fall die Sprache des Elternhauses war.

    In Berlin lebende Böhmen finanzierten aus eigenen Geld­samm­lun­gen und aus Schulgeldern seit 1737 eine eigene Schule.

    Die jüdische Gemeinde konnte seit 1671 auf eigenen Schul­unterricht zurückblicken, erhielt jedoch erst unter König Friedrich II. 1743 die Erlaubnis zum Bau eines eigenes Schulgebäudes, das 1778 durch eine jüdische Freischule ergänzt wurde. Berlin war Mitte des 18. Jahrhunderts der Entstehungsort und der Mittelpunkt der»Haskala«, der jüdischen Aufklärung – mit einer neuen Intellektuellenschicht, die der alten jüdischen Elite der Rabbiner und der Talmudgelehrten das Feld streitig zu machen begann und die aus ihrem Verständnis der Welt heraus, den Talmud nicht mehr als einzige Quelle des Lernens anerkannte. In der jüdischen Schule unterrichteten – eine Parallele zu den christlichen Schulen – vielfach Talmudschüler, die sich als Kinderlehrer ihren Unterhalt verdienten, bevor sie irgendwo als Rabbi sich niederlassen konnten.

    Realschulen. Die 1737 von Friedrich Wilhelm I. erlassenen General-Privilegien für die ein­zelnen Handwerksberufe forderten ein Mindest­maß an schulischer Ausbil­dung vor Beginn einer Lehre; neben religiö­sen Grundkenntnissen wurden Fertig­keiten in Lesen und Schreiben abgefordert. Die zehn Jahre später ge­gründeteRealschule sollte dazu dienen, Kinder in den

      »Vorbereitungs­wissen­schaften tüchtiger zu machen, in ihrem künfti­gen Metier besser und geschwinder zu fassen, auf allerlei Vorteile zu denken und die in den Schulen aus Naturlehre und Mathematik nur erlernten Sachen auf ihre Umstände zu approcieren.«

    Diese Realschule wurde geprägt durch einen völlig neuartigen Unter­richts­stil, der neben handwerklichen Übungen auch Kenntnisse in Anatomie (am Beispiel von Skeletten), über neue Techniken (zum Beispiel Luftpumpe und Barometer) vermittelte. Die königliche Unter­stützung für diese Realschule war nur dadurch zustande gekommen, weilFriedrich der Große glaubte, die ver­gleichsweise qualifizierteren Schüler könnten seine Maulbeerbaum-Anbauten und die von ihm ge­förderte Seidenraupenzucht in»Adlershoff im süßen Grunde bei Köpe­nick« vor Berlin verbessern. 1768 wurden etwa siebentausend­zwei­hundert Kinder von einhundertachtunddreißig Lehrern unter­richtet; ob's der Seidenraupe 'was gebracht hat, ist nicht bekannt geworden – die Zucht selber ging in Konkurs. Sein Nachfolger, König Friedrich Wilhelm II., verordnete in einem Erlaß 1794 an die Kammer in der Grafschaft Mark, daß

      »diejenigen Subjekte, die sich um Küster- oder Landschul­meisterstellen bewerben, außer den eigentlichen Kennt­nissen, welche zur zweckmäßigen Führung ihres Amtes er­forderlich sind, auch eine erlangte Geschicklichkeit in der Maulbeerzucht und im Seidenbau nachweisen müssen.«

    Die Salons und Lesegesellschaften. Und dann gab es im Berlin der voruniversitären Zeit, die Friedrich-Wilhelm-Universität wurde erst 1810 gegründet, den»Salon« (eine Stätte des Räsonne­ments) und die »Lesegesellschaften« («gammy bird«); hier ist be­sonders zu erwähnen der Salon von Henrietta Herz, von Bettine von Arnim, der der Gräfin von Schleinitz-Wolkenstein und (der berühmteste) von Antonie Frie­derike (Rahel) Varnhagen von Ense, und die Lese­gesellschaften von Moses Mendelssohn, die des Hofrat Bauer, des Marcus Herz, des Franz Carl von Achard und des Assessors Klapproth. Diese Lese­gesell­schaften waren die bürgerliche Ausprägung der (hoch-) adligen Sprach­gesell­schaften des 17. Jahrhunderts; schon Kurfürst Friedrich Wilhelm war 1643 Mitglied der »Fruchtbringenden Gesell­schaft«, die sich der Förderung der teutschen Sprache verschrieb – was Friedrich II. nicht mehr so hielt. Kennzeichen der bürgerlichen Lese­kultur war das Be­dürf­nis, über das Gelesene zu disputieren. Im 19. Jahrhundert ent­wickelten sich daraus die Leserbriefe, in denen die Zeitungs-Artikel diskutiert wurden und sich die politische Meinung des Bürgertums spiegelte. Zeitungslesen im Vormärz brachte neben der Information auch die Integration in erstrebenswerte Bürgerkreise. 1918 enden Salons und Lesegesellschaften – sie sind restaurativ geworden, anachronistisch, vergangenheitsbezogen, überflüssig.

    Das Berlin des ausgehenden 18. Jahrhunderts beherbergte eine große Anzahl Wissenschaftler und»Denker« und war Sammelpunkt für den Fortschritt. Noch vor der Universitätsgründung wurden Vor­lesungen gehalten, die dem neuen geistigen Rang der Stadt Ausdruck gaben: August Wilhelm Schlegel hielt Vorlesungen über Kunst und Literatur, Schleiermachers»Reden über die Religion«, Fichte mit den»Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters« und seine»Reden an die deutsche Nation«. Allein daran ist zu erkennen, daß man in den Salons nicht nur »schmuste«.



    Schul- und Universitätswissen ist ein Aspekt der Bildung; ein weiterer ist der Austausch von Informationen über »Gott und die Welt«, der in diesen Salons und Lesegesellschaften gepflegt wurde. Es ist klar, das war nichts für die unteren Schichten, das war nicht 'mal Bildung für den Mittelstand: Salons und Lesegesellschaften wurden nur von hohen und höchsten Kreisen (Prinz Louis Ferdinand) besucht zum Disputieren unter Ihresgleichen.

1763, vor dem Hubertusburger Frieden, sandte Friedrich II. aus Sachsen, das im Schulwesen deutlich vorn lag, acht ehemalige Unteroffiziere als Schullehrer nach Preußen, vier in die Kurmark und vier nach Hinterpommern. Dann entschied der König, daß seine invaliden Soldaten die Stellen erhalten sollten. Aber noch 1779 warteten 4624 Invaliden des Siebenjährigen Krieges auf ihre Bestallung als Dorfschullehrer. Sofern der Vorgänger dieser Lehrer ein Geist­licher im Wartestand war, so waren die Schüler vielfach ausgebildeter als der »in Waffen ergraute« Lehrer. Der königliche Archivar H. von Petersdorff:
    »Er wußte eben, daß seine alten Soldaten mehr Lebenserfahrung hatten, als die jungen­ Volksschullehrer.«

Auch im Kartoffelanbau lagen die Sachsen vorn: früherer Anbau und mehr Anbaufläche zu jener Zeit. Nicht umsonst war in Sachsen die industrielle Revo­lution stärker ausgeprägt als im Kernland Preußens, in Brandenburg.

Der König machte keinen Unterschied zwischen seinen Landeskindern; um die Universitäten stand es miserabel: Die Universität in Duisburg (vom Großen Kurfürsten gegründet) wurde mit 5678 Taler, Königsberg mit 6920 und Frankfurt/Oder mit 12648 Taler souteniert. Für eine Tabakdose gab Friedrich schon ‘mal zehntausend Taler aus; er hatte insgesamt über dreihundert Tabaks­dosen und ähnliche mit Brillanten besetzte Pretiosen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ach doch, für Kirschen im Winter zahlte er mal zwei Taler – pro Stück. Man muß doch zugeben, dieser König konnte noch rummachen mit den Taler wie heutzutage eine Küchenhilfe mit den Kartoffeln.

Die Philosophie, zu der seinerzeit auch die ­Naturwissenschaften gehörten, förderte er an Universi­täten. Schon einige Jahrzehnte vorher, noch im aus­gehenden 17. Jahr­hundert, hatte Leibniz ein staatlich organisiertes System von Aus­bildungs­stätten vor­geschlagen, das weniger auf die Vermittlung theore­tischen Wissens als auf die Einübung praktischer Fähigkeiten ausgerichtet sein und auch der»Tugend der Einwohner« dienen sollte. Friedrich II. übernahm von den Gedanken Leibniz’ im wesentlichen dessen Auffassung über die Universitäten:
    »Dahehr ists freylich ungereimt, daß die jenigen so die jugend unter der disziplin haben sollen, wie iezo professores auff Universitäten, zu ihrer beförderung nichts vermögen, also weniger respect und nach­druck haben, dahingegen die jenigen so junge doch erwachsene Leute unter ihrer Zucht haben, durch ihr zeignüß und ansehen iedem nach verdienst beförderungen sollten zuwegen bringen können.«

Von 1763 bis 1786 gründete Friedrich II. für rund neun Millionen Taler Manufakturen; um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bestanden etwa dreihundert Manufakturen allein in Berlin. 1859 schreibt Karl Marx: »Aus einem steifen Paradeplatz (wandelte sich Berlin) in das geschäftige Zen­trums des deutschen Maschinenbaus.« Die Betreiber der Fabriken sprengen endgültig – nicht nur in Preußen – das althergebrachte Gefüge der mittel­alterlichen Stände der Oratores,Bellatores und Laboratores, der Betenden, Kämpfenden und Arbeitenden.

Beim Tode des Königs, 1786, gab es in ganz Preußen nur einhundert­fünfundneunzig Lehrer, die mehr als einhundert Taler im Jahr erhielten, obwohl sie nebenbei Nachtwächter und Hütejungen sein mußten.

Für die Existenz der Lehrerfamilie war es unabdingbar, Kartoffeln, Gemüse und Getreide an­zubauen und Vieh zu halten. Der Rektor der »Newe Schul im Grauen Kloster« in Berlin,Anton Friedrich Büsching, beschreibt um 1770:
    »Das Gehalt der Lehrer verschaffte ihnen, auch wenn sie unverheiratet waren, geschweige denn, wenn sie Familie hatten, nicht einmal die Notdurft, und daß es ihnen an der selben fehlte, sah man an ihrer Kleidung, ihrem Hausgerät und ihrem Büchervorrat. Ihre Wohnungen waren so schlecht, daß sie in einer mittelmäßigen Provinzialstadt nicht schlechter gefunden werden konnten.«

»Man kann einen Menschen mit einer Wohnung gerade so gut töten wie mit einer Axt« ­stellte ein sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter 1908 fest. Und in diesem Zusammenhang ist »Notdurft« mit das den Lehrern zustehende Recht auf an­­gemessene Alimentierung gemeint.

Der (mögliche) Dichter des bekannten Änn­chen von Tharau, Simon Dach, erhielt als Professor in Königs­berg ein Jahresgehalt von einhundert Taler nebst Getreide und Brennholz; zugegeben, das war in den 1640er Jahren unter Kurfürst Friedrich Wilhelm – aber dieses Gehaltsniveau galt noch 150 Jahre später.

Der bereits erwähnte Winckelmann bezog als Lehrer in Seehausen in der Altmark jährlich dreiundvierzig Taler; ferner erhielt er etwa vierzig Taler für privat erteilten Unterricht und eine ähnlich hohe Summe als Gebühr für Taufen, Trauungen, Beerdigungen und als Neujahrsgeschenk der Eltern seiner Schüler.

Vielfach erhielten die Lehrer Spenden in Form von Brot, Bier und Fleisch. Und Kartoffeln natürlich, Rüben, Kohl. Für die Existenz eines Lehrers waren diese Subsidien lebensnotwendig, auch wenn sie lieber ein höheres Gehalt hätten haben wollen. Joachim Heinrich Campe, der so viel für die Kartoffel im Braunschweigischen getan hat, bezog als Feldprediger in Potsdam in den 1770er Jahren vierhundert Reichsthaler, was ihm kaum zur an­gemessenen Haushaltsführung reichte, so daß er zusätzlich die Erziehung dreier adliger Knaben übernahm. Die geringe Besoldung der Lehrer wird schon 1509 von Erasmus von Rotter­dam beklagt:

»Nicht fünffacher Fluch nur, wie der Grieche sagt, nein hundertfacher lastet auf ihnen: mit ewig knurrendem Magen, in schäbigem Rock sitzen sie in ihrer Schulstube – Schulstube sage ich? Sorgenhaus sollte ich sagen, besser noch Tretmühle und Folterkammer – inmitten einer Herde von Knaben und werden früh alt vom Ärger, taub vom Geschrei, schwindsüchtig von Stickluft und Gestank.«

Nach dem Reglément vom 18. Mai 1801 sollte ein Schullehrer haben:
    »1. freie Wohnung

    2. zur Feuerung sieben preußische Klafter Holz

    3. einen Gartenfleck von einem Scheffel Aussaat

    4.     fünfzehn Scheffel Roggen und an Gerste, Erbsen und Hirse zusammen drei Scheffel

    5. die Freiheit, unter das Gemeindevieh zwei Stück Rindvieh und 1 Schwein unentgeltlich zu betreiben

    6. fünfzig Taler bar Geld«
Diese Bezüge betrugen zusammen achtzig bis neunzig Taler; aber noch 1843 gab es viele Schulen, bei denen die Schulmeister nicht einmal diesen Betrag erhielten:
    »In einem Dorf im Schwabenland, Schwabenland,

    da lebt, uns allen wohlbekannt, wohlbekannt,

    da wohnt in einem Häuslein klein

    das arme Dorfschulmeisterlein.

    Des Sonntags ist er Organist,

    des Montags fährt er seinen Mist,

    des Dienstags hütet er die Schwein

    des Mittwochs fährt er in die Stadt

    und kauft, was er zu kaufen hat, ...

    ’nen halben Hering kauft er ein,

    das arme Dorfschulmeisterlein.«
Unter Friedrich II. waren die Schulverhältnisse nicht erkenn­bar besser als hundert Jahre zuvor: An der Fürstenschule Joachimsthal (und die war ja nicht für die Kinder der Bürger und Handwerker) richteten die Lehrer»gehorsamste« Beschwerden an den König in Potsdam, da es
    »Schlangen und Vipern gibt in solchen Mengen, daß sie nicht allein auf dem Schulhofe in Menge herum­kriechen und sich sonnen, sondern auch in den Gebäuden, der Kirche, in den Betten sich wärmen.«
Bei den Finanzen für die Erziehung von Elite­schülern war der König nicht knauserig: 1764 wird dem durchreisenden Casanova angeboten, ­Erzieher an der »Académie des Nobels« mit einem Jahresgehalt von sechs­hundert Taler, freier Unterkunft und Verpflegung zu werden. Casanova lehnt ab, da die sechs­hundert Taler nur für seine Bekleidung ausreichen würden; an seine Stelle wird ein Schweizer namens de Meirolles berufen, dessen Be­klei­dungs­wünsche wohl weniger extravagant waren.

Diese Fürstenschule, in einem eigenen Ge­bäude, war auf fünfzehn Kadetten begrenzt, denen je drei Erzieher bei­gegeben werden sollten. Das Regle­ment verlangte von den Kadetten, daß sie »einen geschickten Leib, soliden Esprit, eine fertige Zunge sowie eine vorzügliche Conduite« haben sollten. Friedrich II. wollte ferner durch eine umfassende wissenschaftliche Ausbildung »jenen großen und milden Sinn, der sich so gut mit militärischer Zucht und Ordnung verträgt«. Der Lehr­plan entsprach jedoch »nur« dem eines (praktisch aus­gerichteten) Real­gymnasiums.

Die Kosten, die zum Erhalt von allgemeinen Schulen und den Kirchen erforderlich waren, wurden zwischen Staat, den Gemeinden und der Kirche sowie den zur Zahlung von Schulgeld verpflichteten Eltern verteilt. Das Schulgeld mußte von den Eltern auch dann entrichtet werden, wenn die fünf- bis zwölfjährigen Kinder nicht zur Schule gingen. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts betrug das Schulgeld zwischen zehn und zwanzig Groschen im Jahr; die Lehrer waren an möglichst vielen Schülern interessiert, da sie nur so ihren Lebensunterhalt fristen konnten; große Klassen sind also keine Erfindung der 1990er Jahre, wenn auch jetzt die Gründe anders lauten mögen.


Die inhaltliche und organisatorische Aufsicht über das niedere Schul­wesen in Preußen oblag ausschließlich den örtlichen Pfarrern. Diese beauftragten ihre Küster mit Schulehalten, der Schulunterricht wurde eine Nebenaufgabe dieser Kirchen­diener. Daneben rekrutierten sich die Lehrer häufig – wie schon in den früheren Jahrhunderten – auch aus der großen Anzahl stellungsloser Theologen, oder man behalf sich mit lese- und schreib­kundigen Handwerkern. Auch in diesen Fällen galt, daß der Lehrer die Küster­dienste wie Orgelspielen, Vor­singen und Vorlesen im Gottesdienst und Reinigungs- und Reparaturarbeiten oder Läuten der Kirchenglocken zu über­nehmen hatte.

Hinzu kamen persönliche Dienstleistungen beim Pfarrer, unter denen das Tragen des Chorrockes in die Pfarrdörfer dem Lehrer angeblich besonders peinlich war. Und außerdem hatte er den
    »Kirchenschlüßel richtig zu verwahren, die Gesangs-Nummern gehörig an die ­Tafeln zu stecken, jeden Montag die Bethstunde nach des Predigers Anleitung halten, gehorige Aufsicht auf die Kinder in der Kirche haben, damit dieselben sich des Plauderns und aller Unanständigkeiten enthalten« und »bey dem Gottessdienste den Gesang führen, und die Leichen zum Grabe hinsingen«.
Noch zu Goethes Zeiten und für Goethe mußten die Schüler im Theaterchor mitsingen, weil Weimar zu arm war für die Unterhaltung eines Chors, was den obersten Schulaufseher, Johann Gottfried Herder, arg erbitterte.

Die Klagen der Schulmeister über das Erniedrigende dieser Nebendienste begleiten die Geschichte dieser Berufsgruppe von ihren Anfängen bis weit ins 19. Jahrhundert. In einem Schulmeisterpamphlet aus dem 17. Jahrhundert wurde das Dienen beim Pfarrherrn zur Zielscheibe heftiger Spötteleien; in diesem Pasquill, in diesem Spottgedicht auf die Lehrer, werden alle Verrichtungen aufgezählt, die der Schulmeister als »ordent­licher Famulum und Schuhputzer« dem Pfarrer zu leisten habe:
    »... daß er ihm alles ins Filial, als Priesterrock, Perüque, Reisemantel und was es nur gibt, nachtragen, alle seine Besoldung einfordern, im Hause alle Dienstbarkeit, die sonst einem Jungen gebühret, verrichten, bey Gaste­reyen Tische und Bänke borgen und zu rechte setzen, die Gläser ausspülen, ­einschenken, Essen auftragen. Im Garten Kirschen pflücken, Birn und Pflaumen schütteln, Heu und Korn abladen, mit den Pfarrern zu Marckte gehen, ihm den Kober nachtragen, Schweine treiben und sie auffm Marckte feil haben und hunderterley der­gleichen Dienstbarkeit.«

Wenn’s denn sein mußte wurde der Lehrer auch noch als Nachtwächter eingesetzt; dies – wie auch die vorstehend genannten Tätigkeiten – waren ­fester Bestandteil des Dienstvertrages und vor Antritt der Schulmeisterstelle vereinbart. Friedrich II. wußte um die desolate Situation seiner Schulen; er ­antwortete dem Karl Abraham Freiherr von Zedlitz, preußischer Staatsminister, auf eine betreffende Anfrage:­
    »Die Saksen haben beßre Schulmeister wie wihr, absonderlich werden Sie in hiesigen provinzen von großen Nutzen Seindt.«

Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahm das Verständnis für die Bedeutung einer allgemeinen Schulbildung deutlich zu. Die Abhängigkeit der Schullehrer von den Pfarrern blieb erhalten wie ihre Pflicht zur Kirchendienertätigkeit. In der »Allgemeinen Dienstinstruktion für die Landschullehrer« vom 28. März 1822 heißt es:
    »§ 12. Vor dem Gottesdienst soll der Schullehrer in seiner schwarzen Amtskleidung zum Pfarrer gehen, um von ihm die Anzeige der Lieder, die gesungen werden sollen – es wäre denn, daß er diese Anzeige schon früher von demselben erhalten hätte –, zu nehmen und um zu hören, ob ihm derselbe rücksichtlich der Einrichtung des Gottesdienstes etwas zu sagen habe. In der Kirche während des Gottes­dienstes erscheint er gleichfalls in schwarzer Amtskleidung.

    § 21. Wo ihm das Stellen und Aufziehen der Zeigeruhr herkömmlich obliegt, da hat er diese Pflicht treulich zu erfüllen, auch dies Geschäft nicht durch der Sache unkundige Personen besorgen zu lassen.

    § 23. Alles, was er bei der Kirche in Ansehung der Schreiberei oder des Rechnungswesens, angleichen der Führung des Kirchenbuchs, zu besorgen hat, ist von ihm aufs pünktlichste zu verrichten.«

Bis zum Beginn des Industriezeitalters blieb der Schulmeister mit den Auf­gaben des Kirchendieners verbunden. Mit der allmählichen Durchsetzung des seit 1715 im Prinzip geltenden Schulzwanges trat eine Differenzierung unter den Küster-Lehrern ein, die sich auch in ihrer finanziellen Lage und ihrem sozialen Status ausdrückte. Aufgrund der allgemeinen Schulpflicht wurden mehr Lehrer als Küster benötigt. Daher wurde es üblich, daß die Gemeinden neben dem Küster im Pfarrdorf Hilfslehrer für die Nachbardörfer74einstellten, die ihrerseits häufig dem Küster unterstellt wurden. Diese Nebenschulmeister oder Schulgesellen, die meist durch Zufall in ihr Amt kamen und nicht selten schon bald wieder wegen Unfähigkeit entlassen oder nicht weiterbeschäftigt wurden, bildeten die Unter­schicht des Lehrerstandes.

In der Oldenburger Schulordnung – so stand geschrieben – möge man sich vor der Anstellung eines Lehrers vergewissern,
    »ob er schreiben und lesen könne, auch die Haubtstücke der christ­lichen Lehre, aus der heiligen Schrift, altes und neues Testament gezogen, und im kleinen catechismo kürtzlich verfasset und begriffen, ziemlichermaßen verstehe und studiert habe.«

Der Altphilologe und Rektor der Großen Schule in Spandau Christian Konrad Sprengels (1750–1816), der ­wegen Faulheit, Streitlust und Kartoffelschnaps aus dem Berliner Schuldienst entlassen worden war, widmete sich anschließend botanischen Studien; es gelang ihm als erstem, an der »Ertoffel­staude« nachzuweisen, daß die Befruchtung der Blüte durch Insekten erfolge, obwohl er in den Blüten der Kartoffel den »süssen Safft der Blumen« nicht entdecken konnte. Er veröffentlichte 1773 in Berlin »Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen« mit 25 Kupfertafeln im Folio-Format.Sein Werk mit den Beispielen der Befruchtung von über 500 Arten wurde allgemein und insbesondere von den Botanikern verunglimpft und fiel schließlich dem Vergessen anheim. Nach seiner Zwangspensionierung lebte Sprengel im Dachgeschoß eines Berliner Hinterhauses; allsonntäglich führte er gegen ein geringes Entgelt botanische Exkursionen durch und hielt Vorträge über den Sternenlauf oder den Bau von Windmühlen, und er schrieb ein bedeutsames Buch über die Nützlichkeit der Bienen und der Bienenzucht. Er war ein »Sonderling«, der von seiner Umgebung nicht anerkannt wurde. Christian Konrad Sprengels ist trotzallem der Begründer der Schulgärten in Deutschland und – vielleicht – auch der Verursacher von ökologisch gestalteten Schulhöfen.

Schon vorher hatte Samuel Carr, ein Händler in Colchester (England), begonnen, Kar­toffeln in einer Sonntagsschule anpflanzen zu lassen. Entstehung und Pflege von Schul­gärten hängt mehr damit zusammen, daß die Schul­kinder des 17. und 18. Jahrhunderts die Kartoffeln für die Lehrer pflanzen, be­jäten und ernten mußten und dies zwischenzeitlich »althergebrachtes Beamten­tum« geworden ist? Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde an der märkischen Prignitz von Lehrer- und Küsteräckern gesprochen.

Friedrich II. in seinem politischen Testament 1769 über die Erziehung:
    »Mit zehn bis zwölf Jahren schickt man den jungen Herrn auf eine Ritterakademie, woran es auch hier nicht fehlt. ... Sie sind mit tüchtigen Lehrern versehen. Der einzige Vorwurf, den man ihnen vielleicht machen kann, ist der, daß sie nur darauf ausgehen, das Gedächtnis ihrer Schüler anzufüllen, statt sie an selbständigen Denken zu gewöhnen, daß sie ihr Urteil nicht früh genug bilden und es verabsäumen, ihrer Seele höheren Schwung zu geben und ihnen edle und tugendhafte Gesinnungen einzuflößen.«

Damals: Die Kinder untergebracht in Räumen, die meistens gleichzeitig dem Schulmeister und seiner Familie als Wohnraum, zuweilen als Schlafraum und, wenn er Handwerker war, als Werkstätte dienten. Von geistiger Überlegenheit des Lehrers war nur allzu oft nicht die Rede. Das Verhältnis, das sich dann herausbildete, ist durch die Anekdote gekennzeichnet, daß der Schulmeister, um seiner Rangen Herr zu werden, sich von einem Kom­pagnie­chef die rote Binde habe verleihen lassen, die Hals und Haupt mit der Glorie des militä­rischen Vorgesetzten umgab.

 
Preußens König Friedrichs II.reorganisierte die Verwaltung Preußens und schuf damit den»preußischen Beamten«, der der jeweiligen Staatsmacht unter­tan und hilfreich war (nicht seinem Ge­wissen sondern seinem »Durch­kommen« wie Einkommen früher hieß). Bereits Friedrich Wilhelm I. ­hatte die Domänen- und Steuerbehörden zum »General Ober Finantz-Kriegs- und Domainen-Directo­rium« zusammengefaßt (zuständig für Landwirtschaft, Finanzen, Gewerbe und Handel).

Daneben gab es sog. Realdepartements (zum Beispiel für Post- und Münzwesen, für die Salzverwaltung). Friedrich II. hob die Zuständigkeiten auf und vergab – je nach Gusto – neue Kompetenzen.

Ein »System« war nicht zu erkennen; ­heutzutage weiß man, daß es bei der Einrichtung eines Ministeriums nur darum geht, die Anzahl der Minister und (parlamentarischen) Staatssekretäre zu erhöhen und damit entweder einer Koalitionsarithmetik zu folgen oder einen verdienten Zu­träger zu belohnen und bei der nächsten Regierungsbildung gut versorgte Frühpensionäre zu schaffen. Eine Schulbehörde war für Friedrich II. entbehrlich – Schulangelegenheiten wurden bei ihm bei Bedarf oder nach Vortrag seiner Minister entschieden.

Nach dem Siebenjährigen Krieg (1763) erließ er das »Königlich-Preußische General-Landschul-Reglément«, das für alle preußischen Provinzen (Hinter­pommern und Cammin, ehemalige Ge­biete der Bistümer Minden und die Anwartschaft auf das Erzbistum Halberstadt, auf Magdeburg, Cleve, Neufchâtel) Gültigkeit hatte. Über die bisherigen Vorschriften aus der Zeit König Friedrich Wilhelms I. hinausgehend, wurden nun nicht nur die äußeren Verhältnisse der Schulen und die Lehrerbesoldung, sondern auch die internen Vorgänge im Schulwesen geregelt.

In dem »General-Landschul-Reglément«, das für das preußische Schulwesen grundlegende Bedeutung erlangte, heißt es:
    »Wir, Friedrich ect. tun kund und fügen hiermit jedermänniglich zu wissen: Demnach Wir zu unserm höchsten Mißfallen selbst wahr­genommen, daß das Schulwesen und die Erziehung der Jugend auf dem Lande bisher in äußersten Verfall geraten und insonder­heit durch die Unerfahrenheit der meisten Küster und Schulmeister die jungen Leute auf den Dörfern in Unwissenheit und Dummheit aufwachsen: so ist Unser so wohlbedachter als ernster Wille, daß das Schulwesen auf dem Lande in allen unsern Provinzen auf einen besseren Fuß als bisher gesetzt und verfaßt werden soll. Denn so angelegentlich Wir nach wiederhergestellter Ruhe und allgemeinem Frieden das wahre Wohlsein Unserer Länder in allen Ständen uns zum Augenmerk machen: so nötig und heilsam erachten Wir, es auch zu sein, den guten Grund dazu durch eine vernünftige sowohl als christ­liche Unter­weisung der Jugend zur wahren Gottesfurcht und andern nützlichen Dingen in den Schulen legen zu lassen...

    § 1. Zuvörderst wollen Wir, daß alle Unsere Untertanen, es mögen sein Eltern, Vormünder oder Herrschaften, denen die Erziehung der Jugend obliegt, ihre eigenen sowohl als die ihrer Pflege an­vertrauten Kinder, Knaben­ oder Mädchen, wo nicht eher, doch höch­stens vom fünften Jahre ihres Alters in die Schulen schicken, auch damit ordentlich bis ins dreizehnte und vierzehnte Jahr kon­ti­nuieren und sie so lange zur Schule halten sollen, bis sie nicht nur das Nötigste vom Christentum gefaßt haben und fertig lesen und schreiben, sondern auch von demjenigen Rede und Ant­wort geben können, was ihnen nach den von unsern Konsistorien ver­ordneten und approbierten Lehrbüchern bei­gebracht werden soll.

    § 4. Weil an vielen Orten die Eltern ihre Kinder des Sommers nicht in die Schule schicken­ unter dem Vorwand, daß sie das Vieh hüten müssen, so haben deshalb Unsere Beamten ... dahin zu sehen, daß, soweit es möglich, ein eigener Viehhirte hierzu möge bestellt werden ...

In der Zielsetzung gab es klare Vorgaben: der Schulmeister sollte recht­schaffen sein, und ­tüchtige Leute sollten in die Schulämter gelangen. Nun reicht es nicht mehr aus, in einem Dorf oder von einer Gemeinde einen Vertrag über das Schulehalten zu erhalten.
    § 14. Es müssen aber überhaupt auf dem Lande keine Küster und Schulmeister ins Amt eingewiesen und eingesetzt werden, bevor sie von den Inspektoren examiniert, im Examen tüchtig be­funden und ihnen ein Zeugnis der Tüchtigkeit mitgegeben wor­den... daß keine zu Schulmeistern und Küstern angenommen werden sollen, als welche in dem Kurmärkischen Küster- und Schulseminar zu Berlin eine Zeitlang gewesen und darin den Seidenbau sowohl als die vorteilhafte und bei den deutschen Schulen der Dreifaltig­keits-Kirche eingeführte Methode des Schul­haltens gefaßt haben.«
Im Reglément wurde in § 19 festgeschrieben, wie denn der vor­mittäg­liche Unterricht zu gestalten sei:
    »1) ein Lied gesungen...

    2) Nach dem Gesang wird gebetet... Ein ­Knabe liest langsam, deutlich und laut den monatlichen Psalm, und darauf wird geschlossen mit dem Gebet des Herrn...

    3) Nach dem Gebete wird ein Stück aus dem Katechismus erklärt ...

    In der anderen Vormittagsstunde wird das Lesen, Buchstabieren und das ABC vor­genommen.

    In der dritten Vormittagsstunde wird geschrieben und buchstabiert, angleichen werden die Buchstaben gelernt.«

Trotz der aufklärerischen Akzente waren auch nach den Bestimmungen des General-Landschul-Regléments religiöse Inhalte in pietistischer Einfärbung vor­herrschend geblieben. Das hing auch damit zusammen, daß viele Geistliche und Lehrer durch Francke beeinflußt waren, der zu den führenden Pietisten in Deutschlands gehörte. Der preußische König, ungeachtet seiner persönlichen Distanz zur Religion, hielt die Erziehung seiner Unter­tanen zur »wahren Gottes­furcht« für vorrangig; ein Brief Friedrichs an den Staats­minister von Zedlitz bestätigt dieses grundsätzliches Verhältnis:
    »Daß die Schulmeister auf dem Lande die Religion und die Moral den jungen Leuthen lehren, ist recht gut, und müssen sie davon nicht abgehen, damit die Leute bei ihrer Religion hübsch bleiben und nicht zur katholischen übergehen, denn die evangelische Religion ist die beste und weit besser als die katholische; darum müssen sich die Schulmeister Mühe geben, daß die Leute Attache­ment zur Religion behalten und sie soweit bringen, daß sie nicht stehlen und morden ... sonst ist es auf dem platten Lande genug, wenn sie ein bisgen Lesen und Schreiben lernen; wissen sie aber zu viel, so laufen sie in die Städte und wollen Sekretärs und so was werden; deshalb muß man aufn platten Lande den Unterricht der Leute so einrichten, daß sie das Notwendige was zu ihrem Wissen nötig ist lernen, aber nach der Art, daß die Leute nicht aus den Dörfern weg­laufen, sondern hübsch dableiben.«

Die staatstragende Schul- und Bildungspolitik Preußens sah sich vor allem seit Beginn des 19. Jahrhunderts, einem Problem in wachsendem Maße gegen­über: Die wirtschaftlich bedingte Erfordernis einer verbesserten Ausbildung in der Schule ­(gerade auch der Unterschichten) mußte verbunden werden mit der Einbindung in die – wie auch immer gearteten – Staatsziele, für die eine Erweiterung der Volksbildung nicht unbedingt förderlich sein mußte. 

Wie in den meisten deutschen Territorien hatte man auch im absolu­tistischen Preußen versucht, bestimmte Gewerbe- und Berufsgruppen vorzugs­weise zum Küster- und Schuldienst anzustellen. Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. bevorzugte Lehrer aus handwerklichen Berufen: Schneider, weil diese nicht nur Fliegen totschlagen konnten, sondern neben der Schneiderei vom erhöhten Tisch den Unterricht durchführen konnten (da kommen die klassi­schen Lehrer­pulte her), kräftige Lein­weber oder starke ­Schmiede (wegen der bestehenden Züchti­gungs­rechte durch den Lehrer).

Noch 1806 waren (zum Beispiel) im Lehrerseminar von Klein-Dexen in Ostpreußen unter 242 Seminaristen 109 Schneider, 21 Schuhmacher, 42 aus insgesamt 24 verschiedenen Berufen, 1 invalider Soldat und 69 ohne jeglichen Beruf.

Invalide Soldaten konnten ohne jegliche Prüfung Lehrer werden. Erst eine Kabinettsordre von König Friedrich II. aus dem Jahr 1779 verlangt für die Zukunft (!), daß der Invaliden-Schullehrer ­lesen, rechnen und schreiben können müsse. Aber bis dahin mußte der Invalide nicht unbedingt diese Fertigkeiten be­herrschen. Aber nicht nur die Überlebenden der preußischen Kriege wurden ohne Bildung und Vorbildung Lehrer. Ähnliches galt für Tafeldecker, ­Jäger und Hausdiener des Adels.

Die preußischen Volksschulen verdanken dem Alten Fritz einen mit unverwechselbarer Qualifikation ausgestatteten Lehrer­typus, der von da an aus den Schulen nicht mehr wegzudenken war: den pensio­nierten Unter­offizier, den sog. Einjährigen, als Dorfschulmeister.

Hermann Hesse über seine Schülerzeit 1880:
    »Wir Schüler einer kleinen halb ländlichen Lateinschule waren an Lehrer gewöhnt, die wir entweder fürchteten oder haßten, denen wir aus­wichen und die wir belogen, oder die wir belächelten oder ver­achteten.«

Die Besetzung von Lehrerstellen mit vormaligen Soldaten blieb eine Grund­komponente staatlicher Schulpolitik. Während des gesamten 19. Jahrhunderts stritten sich Verwaltung und Reformer über die Versuche, die soziale Zusammensetzung der Lehrerschaft zu verändern. Es blieb noch bis lange nach dem Ersten Weltkrieg wie es unter Friedrich II. eingeführt wurde. Und nach dem Zweiten Weltkrieg bestand der »Erdkunde«-Unterricht vielfach in der Beschreibung der Land­schaften, in denen der Lehrer vorher als Soldat war. Dienen in der Wehrmacht als KdF-Fortsetzung für Tourismus und Völkerkunde: Und dazu ein wenig Heimatkunde – Informationen über die Geschichte des Dorfes. Und manchmal wurde angedeutet, daß neben dem Eiffelturm auch noch eine rote Mühle be­sucht wurde oder das »Maxim«.

Stefan Heym schreibt im »Nachruf« über seine Schulzeit (vor dem Ersten Weltkrieg):
    »Und die Lehrerschaft, zum großen Teil ehemalige Reserveoffiziere, die ihre Befehlsgewalt über ausgewachsene Männer vermißten und es als schmerzlich empfanden, daß der Titel Studienrat auch nicht mehr galt, was er einmal gegolten hatte, sehnte sich gleichfalls nach alten Verhältnissen zurück.«
Der Streit über die Herkunft und die Qualifikation der Lehrer bestand auch noch rund ein Jahrhundert nach Friedrich II. So entzündete sich eine Debatte aus Anlaß einer am 16. Mai 1844 erlassenen Kabinettsordre des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. (genannt»Butt« oder wegen seiner »schaumigen« und wolkigen Thron-Reden auch »Champagnerfritze«). Dieser hatte einen Unter­offi­zier zur Hospitation in einem Lehrerseminar be­urlaubt und bei dieser Gelegenheit die Behörden ermächtigt, auch andere Unteroffiziere zu be­urlauben, »wenn sie für das Schulamt Neigung und Fähigkeit zeigen«. Ein pensionierter Landschul­inspektor meinte zu diesem Punkt:
    »Die preußischen Unteroffiziere sind wirklich so dumm nicht, sondern Offizierstellvertreter ... Im Amte dürfte der ehemalige Unter­offizier bei weitem zuverlässiger sein, als jeder Seminarist. Daher sind die preußischen Unteroffiziere zu Landschullehrern am aller­passend­sten. Da sie dann regelmäßig warme Speisen und Getränke haben können, so werden sie wohl auch keinen Branntwein vorher genießen. Freudig nimmt er den Rat und die Unterweisungen seines Vor­gesetzten hin, hält wie in der Kaserne so auch in der Schule und gewiß ohne Pedanterie auf Sittlichkeit, anständiges Benehmen, Rein­lichkeit und Fleiß. Der preußische Unteroffizier weiß Anstand und knoten­mäßiges Benehmen zu unterscheiden.«

1816 klagt der Cloppenburger Schulrektor Rein:
    »Man findet bei den meisten Dorfschulen Lehrer, die größtenteils die rohesten und unwissendsten Menschen sind.«

Gottlob Johann Christian Kunth, Direktor der Generalverwaltung für Handel und Gewerbe beklagt sich 1820:
    »Noch jetzt bestehen in Berlin Baumwollenfabriken von 100–200 Stühlen, das heißt mit einem Umsatz von 50–100.00 Talern, unter Verlegern, die mit Mühe ihren Namen schreiben, ihre einfachen Bücher nicht abschließen können, ..., die von der Möglichkeit und der Notwendigkeit weiterer Bildung keine Ahnung haben. Von mehr als 900 sogenannt selbständigen, obenein echt zünftigen Tuchmachermeistern in Gründ­berg, deren große Warenmasse dem Welthandel angehört, mag ein Drittel seinen Namen gar nicht, ein zweites Drittel ihn kaum leserlich schreiben können.«

Christian Dietrich Grabbe 1822:
    »Euer Jürgen! Der stupide Kartoffelbauch! Bei dem hätte sogar der weise Konfuzius ohn­geachtet er niemals Hopfen und Malz besaß, dennoch einige Fuder Hopfen und Malz verlieren können.«

So war das mit der Bildung des heute so hochgelobten Mittelstandes in Preußen.
 

Klagen über die Lehrer mögen berechtigt ge­wesen sein. Wenn der geneigte Leser sich jedoch ver­gegenwärtigt, welcher Verlust für die Literatur und für die deutsche Jugend entstanden wäre, wenn Karl May als Hilfslehrer in Glauchau nicht mit der jungen Frau seines Vermieters ein Techtelmechtel (a teco meco = unter vier Augen) angefan­gen ­hätte und sein weiterer Lebenslauf als Fabrik­schullehrer in Altchemnitz nicht durch den geringfügigen Diebstahl einer Taschen­uhr, einer Tabakspfeife und ­einer Zigarrenspitze geendet hätte. Die Fähigkeiten Karl Mays wären im normalen Schul­streß unter­gegangen. Und Lex Barker hätte nie in den Kreide­felsen von Bad Segeberg für die gerechte Sache kämpfen müssen/können.

Auch bei den durch Zufall oder durch staatliche Versorgung in ihr Amt gelangten »Individuen« und »Subjekten« (wie die Lehrer in amtlichen Ver­laut­barungen genannt wurden), setzte sich nach und nach der »gelernte« Lehrer durch, da die Schule (und sei es nur des Winters) eine kontinuierliche Einrichtung geworden war.

Strebsame Kinder aus dem Handwerkermilieu erhielten die Chance, »Gottes­gelahrtheit« zu studieren und Lehrer zu werden.

Schulehalten wurde zu einem Beruf, der sich wie andere Fertig­keiten in einer ständisch verfaßten Gesellschaft vom Vater auf den Sohn fortpflanzte. Bevor man im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts damit begann, staatlich gelenkte Seminare für die Lehrerbildung einzurichten, bildeten die Schulmeister, die ihr»Handwerk« vom Vater gelernt hatten, eine besondere Gruppe innerhalb der Lehrerschaft. Diese Elite, die das Schulehalten als Haupt­beruf (nicht als Berufung) ausübte, war es auch, die sich zuerst von den Küsterdiensten zu ­befreien suchte, zumal ihr Lebensweg auch nicht mit dem Studium der Theologie begann. Die Zeit, die die Lehrer hierdurch gewannen, konnten sie nutzen: Sie gingen einhundert Jahre später – einem Aufruf Bebels folgend und mit Kündigungsschutz versehen – in die Sozialdemokratie. Und daran leidet diese heute noch.

Der Schulpolitik der absolutistischen Herrscher des 18. Jahrhunderts lag vielfach die Einsicht zugrunde, daß eine der Voraussetzungen für eine wirt­schaft­liche Erstarkung des Staates in einer mini­malen Bildung der Unter­tanen bestand. Durch die verbesserte Bildung der Unterschichten sollte das Gewerbe gefördert und damit zugleich der staat­liche Steuersäckel gefüllt wer­den. Das niedere Volk war bloßes Objekt der absolutistischen Bildungs­politik, eine regierte Masse, die leistungsfähiger gemacht werden sollte. Der PhilosophHans-Georg Gadamer:
    »Seit mehr als dreihundert Jahren haben wir eine phantastische Entwicklung ihres Wissens und Herrschenkönnens über die Natur­kräfte erlangt. Wir haben nichts auch nur Vergleichbares in der Bildung des Menschen für die richtige Anwendung dieser neuen Macht.«

Die Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. neigten dazu, aus­gediente Offiziere im ­höheren Zivildienst (als Forstmeister, Postmeister, Inspek­toren und Rendanten, als Kriegs- und Steuerräte usw.) zu verwenden, weil
    »Offiziere verstehen zu gehorchen und sich Gehorsam zu verschaffen, und wenn man ihnen irgend etwas zur Prüfung übergibt, so führen sie es selber aus und mit größerer Zuverlässigkeit als die anderen.« 

Bei der Einführung eines geordneten Schulwesen in Preußen ging das Anwachsen des Kartoffelverbrauchs parallel mit der Steigerung von Schülerzahlen. Ganz anders zum Ende dieses Jahrhunderts: Waren Ende der 1950er Jahre weniger als zehn Prozent aller Schüler auf Gymnasien, so sind es Ende der 1980er Jahre mehr als siebzehn Prozent. Und zur Jahrtausendwende sind es – je nach Bundesland – zwischen zwanzig und dreißig Prozent eines Jahrgangs. Je geringer der Kartoffel­verbrauch, desto höher das Bildungsniveau? Ja und nein. Ja, wenn man die Kartoffel als Knolle genießt, nein, weil chips nicht mehr als Kartoffel angesehen werden dürfen.

So wie Jakob als der Ackerbauer den Jäger Esau ablöst, so veränderte sich in Preußen mit Schulpflicht und Kartoffelanbau der von Hungersnöten geplagte Landmann in den Citoyen. »Der Fluch Adams« (um Wilhelm Raabe im »Stopfkuchen« zu variieren), »soweit er den Acker, das Graben, ­Hacken, Pflügen, die Kartoffel-, Heu- und Getreide­ernte angeht, ist eine Erholung gegen das nächt­liche Surfen im Internet.«

Um zu den Fragen in der Vorbemerkung zurückzukommen: Soldaten und Bayern brachten die Kar­toffel nach Preußen; die Preußen waren nicht die ersten Kartoffelbauern in Deutschland. Erst mit dem Anbau der Kartoffel endete die Hexenverfolgung. Eine breitere Volksbildung wurde erst mit der Kartoffel als Grundnahrungsmittel der und für die Lehrer ermöglicht. Bevölkerungs­entwicklung und Entwicklung der Gymnasiumsschüler in Deutsch­­land als ursächliche Folge des Kartoffelverzehrs mag konstruiert sein; aber wenn man zwei statistische Daten miteinander in Beziehung bringt, sind ­solche (viel­leicht über­raschen­den) Ergebnisse/Schlußfolgerungen nicht zu vermeiden. Dies gilt auch für das An­­wachsen der Ausländer und für das zeitweilige Erstarken rechts­radikaler Gruppie­run­gen.
 

Kartoffelbau in Preußen ermöglichte, Getreide zu requirieren für die stehenden Heere vonFriedrich Wilhelm I. und Friedrich II. und ihren Nach­folgern. Die Invaliden aus den preußischen Kriegen­ führten zu der Überlegung, Arbeitsplätze zu schaffen, um das Marodieren des 17. Jahrhunderts zu unter­binden. Arbeitslose Söldnern zogen als »Gart­brüder« bettelnd und stehlend durchs Land und plagten die Bauern. Die »Gartenden«, d.h. nicht in einem Dienst stehenden Landsknechte, wurden zum sozialen und der bald ver­brauchte Sold aus dem letzten Krieg führte zum kriminalen Problem. Für die neuen Siedlungen waren ja nach Möglichkeit Ein­wanderer aus fremden Fürsten­tümern gefragt, nicht die eigenen Landsleute. Die pro­testan­­tischen Geist­lichen, von Gott ausgewählt, wollten sich anderer­seits nicht mit den niederen Diensten eines Küsters befassen und benötigten daher irgend­welche Hilfskräfte. Da bot sich an, die invaliden Soldaten zu Dorflehrern zu machen.



Anmerkungen

 

1            Noch 1970 wurde von bayerischen Eltern beklagt, daß der Deutsch-Unterricht in den Grundschulen mangels Lehrer verringert wurde, weil doch der übliche Dialekt von der Schriftsprache abweiche. Die Mitte der 1990er Jahre vor­gesehene und arg umstrittene Rechtschreibreform soll das Schreibenlernen der Schüler erleichtern. Ist es denkbar, daß die Lehrer nicht in der Lage sind, ihren Schülern das rechte Schreiben pädagogisch angemessen zu vermitteln? Geht es viel­leicht wieder einmal nur darum, den Lehrern die Arbeit zu vereinfachen und zu ver­mindern – »den faulen Säcken«, wie der »Volksmund« es 1997 formu­lierte?        zurück

 

2            Wird jetzt verständlich, warum Politiker aller Parteien an den Ausgaben für Bildung sparen? Wir haben keinen Dreißigjährigen Krieg wegen Religionsfragen, sondern seit Reagan (Wanda Tinasky. »Raygun«) und Thatcher (»Eiserne Lady«) und der Chicagoer Schule einen Krieg der Wohlbesitzenden gegen den Rest der Bevölkerung im eigenen Lande (Ost–West oder Nord-Süd-Konflikt ist für die ab­­gehakt), in dem inzwischen auch sozialdemokratische Lehrer von der Privatisierung der Kanalisation als Allheil­mittel gegen Arbeits­losigkeit und der Sanierung der Gemeinde­finanzen träumen.       zurück

 

3            Schon unter Louis IX. von Frankreich (1214–1270) wurde propagiert, den Frauen weder Lesen noch Schreiben bei­zubringen, damit sie nicht in unerwünschtem Kontakt mit Bewunderern treten können. Deshalb auch die spätere Heilig­sprechung (nicht wegen des mißglückten siebten Kreuzzuges nach Tunis).       zurück

 

4            Bis ins 18. Jahrhundert galt »Kirchzwang«: Die sonntäg­liche Pflicht war detailliert ge­regelt: Je nach Entfernung vom Gotteshaus mußte man jede Woche, alle zwei Wochen oder alle drei Wochen am Gottesdienst teilnehmen. Auf dem Land gab es »Kirchferien« für die Altenteiler, die nicht mehr die zehn Meilen zur Kirchen laufen konnten. Auch in jüdischen Gemeinden galt »Synagogenzwang« am Sabbat und an Feiertagen, dem sich niemand ohne triftigen Grund entziehen durfte. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts ­herrschte in der Synagoge eine familiäre Atmosphäre, bei der es häufig vorkam, daß Gemeinde und Kantor durcheinander sangen; von daher stammt das (abwertend gemeinte) christliche Stereotyp »Es geht zu wie in einer Judenschule.«        zurück

 

5            Das Kind ist nach Platon »unter allen Tierchen das lästigste, das schlaueste, das wider­spenstigste.« Aber das Kind wird erwachsen, im Unterschied zu anderen Tieren, zu den Frauen, zu den Barbaren, die gezähmt werden müssen, um immer wieder zum Men­schen zurückzukehren und mit ihm zu leben. An anderer Stelle: Alle Anworten finden wir in der Antike.       zurück

 

6            Das Talionprinzip im Strafrecht galt grundsätzlich für alle Verbrechen: Der Geld­wucherer wurde mit glühenden Münzen »gefüttert«, der Mörder zersägt, der Homo­sexuelle mit glühenden Stangen gepfählt und die Kinds­mörderin ersäuft. Geistliche Sünder höheren Ranges wurden in ein Kloster verbannt, Adligen die Flucht ins Kloster oder ins »Ausland« ermöglicht. Die islamische Scheria ist halt stehengeblieben und nicht vom allgemeinen Landrecht abgelöst worden. Und man erinnere sich an die Steinigung im »Leben des Brian«.        zurück

 

7            Der Agrarwissenschaftler Reinhard Quante schreibt in seinen »Berichten über die Lebens­umstände im Teutoburger Wald«, daß bei den sog. Hochfesten die Speisen­ordnung, aber auch die Sitzordnung an der Tafel genau festgelegt war. Quante zitiert eine Äußerung Thomas Merschmanns, eines Hofmannes aus dem Osnabrücker Land, zu dessen Bruder: »Du bist der jüngste. Warte bitte, bis die anderen sich gesetzt haben, damit du dann einen freien Platz nehmen kannst.«  

Zur Eindämmung des bäuerlichen Trinkaufwandes wurde 1773 im Bistum Osnabrück verfügt, daß Bauern nur vier Fässer Bier und rund zwanzig Liter Branntwein bei einer Hochzeit verbrauchen durften.        zurück

 

8            Die Eltern hätten – insbesondere in den Unterschichten und auf dem Lande – kein Gefühl für Keuschheit und Sittlichkeit besessen, pflegten einen völlig un­gezwungenen und selbstverständlichen Umgang mit der Sexualität. Wie sollten sie denn auch, verminderte doch die Enge des Zu­sammenwohnens und das Fehlen separater Schlafräume das vorhandene, das sogenannte Schamgefühl.        zurück

 

9            Aus jener fernen Zeit kommt der Brauch, ein schwarzes Büchlein mit sich zu führen und Eintragungen vorzunehmen: Shakespeare läßt den Geist sich verabschieden von dem in Dänemark urlaubenden Hamlet mit den Worten »remember me« und schon erfolgt ein neuer Eintrag in den »tables of memory«.         zurück

Diese kleinen tragbaren Büchlein wurden »Tabulae« genannt – Studenten und (später) ­Schüler trugen einschlägige Zitate und Beispiele ein, um sie dann auswendig zu lernen und bei passenden und unpassenden Gelegenheiten zu zitieren. Heutzutage benutzen (manche) Arbeitgeber ein solches »Tabulae«, genannt Personal-Nebenakte, auf die Betriebsräte keinen Zugriff haben sollen.        zurück

 

10           Gelehrt wurde Hebräisch, Griechisch und Latein, die drei »Edelzungen« (so Otfried von Weißenburg), in denen die Bibel geschrieben war.       zurück

 

11           Friedrich Wilhelm I.: » Denn was lernen die jungen Schüfte auf dem Lande anders als ... zu saufen, die Gläser aus den Fenstern zu werfen und die Weingranaten einander um die Nase herumfliegen zu lassen.«        zurück

 

12           Rechenunterricht beginnt im allgemeinen mit der »Numeratio«, welche »lehret, wie man die Zahl recht nennen, ordentlich schreiben und aussprechen soll«. Noch bis ins 18. Jahrhundert wurden diese Kenntnisse als fünfte Grundrechenart (»Species«) ver­standen. Adam Riese gab für den Rechenunterricht für mehrere Jahrhunderte vor: 

78312  »Hebe zuförderst an / gegen der rechten Handt / summir zusamen die ersten

87546 


    Figuren / kompt eine Zahl / die du mit einer Figur schreiben magst / so setz sie gleich darunder / Entspringt aber eine mit zweyen Figuren / so schreib die erste gleich darunder / die ander behalt / darnach summir zuzsamen die andern ­Figuren / gib darzu was du behalten hats / und schreib abermals die erste Figur / wo zwo vorhanden. Vnd tue deßgleichen hinfurt mit allen Figuren / biß auff die letzsten / die schreib gantz auß.«


165859

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13           Im frühen 18. Jahrhundert gibt’s nur etwa achtzigtausend lesekundige Menschen im deutschen Sprachraum. Anderer­seits: Ein Bild von Hubert Robert zeigt »Madame Geoffrin beim Frühstück«, hinter ihr stehend ein Diener, der den Besen beiseitegestellt hat und seiner Herrin vorliest. Das Vorlesen gehörte zu den Pflichten des Hausgesindes (wenn man keine Gouvernante hatte); so erklärt sich die Bevor­zugung schreib- und lesekundiger Diener und das hohe Maß an Alphabetisierung der männlichen Dienstboten (teil­weise gescheiterte Theologen-Lehrer) zum Ende des 18. Jahrhundert.         zurück

 

14           1873 bereitet ein preußischer Schulrat namens Kahle die Schüler auf den industriellen Arbeitsplatz und auf das ­Militär vor: »Nicht krumm, schlaff, zusammen­sinkend, nach seiner Bequemlichkeit«, sondern »gerade, straff, gehalten und anständig« soll er sitzen. In den Metallberufen kam kurz danach das Feilen von Würfeln auf (»Übungen in der Handhabung der Feile«), damit das »täppische Fleisch von den Händen herunter« kommt, was aber zu Berufskrankheiten führt und an sich nur der Disziplinierung junger Menschen diente (und wohl auch noch dient).         zurück

 

15           Für die katholischen Kleriker galt ja, daß sie in der Regel ihre »Schritte nach Rom gerichtet hätten«, und wenn diese Möglichkeit auf sich warten ließ, wurden sie notfalls auch als Buchdrucker tätig, bevor sie wieder in den geistlichen Stand überwechselten. Im Rom des Jahres 1472 waren in den päpstlichen Kanzleien allein sechs deutsche Frühdrucker tätig.        zurück

 

16           Dieses Selbstverständnis mag auch geprägt worden sein durch die Ehefrau eines dort praktizierenden schottischen Arztes, Johanna Motherby, die von Humboldt in Königs­berg kennenlernte (während er den »Königsberger und Livländischen Schulplan« schrieb) und die ihm erlaubte, ­seine sexuellen Wünsche auszuleben, denn es kommt »nicht aufs Glücklichmachen an, da kann es auch Schmerz und Leiden geben«. Man könnte auch seit Clinton sagen, daß diese Beziehung »not approbiate«, ziemlich unziemlich, war. Aber – fairerweise – nicht alle Lehrer und ihre Vorgesetzten pflegen sich dem Sadismus hinzugeben und gleichzeitig eine bürgerliche Ehe zu führen. Nach dem Verleger Eugen Diederich sollten die Frauen »Silberne Schalen, in die Männer goldene Früchte legen« sein (bis ihn seine Frau verließ und er deshalb zu der Erkenntnis kam: »Die Frau lügt stets«).       zurück

 

17           Dem englischen Edward II. drang 1327 ein glühender Spieß durch »die natürliche Öffnung« und verbrannte ihn inner­lich, denn seit Kaiser Justinian im 6. und verschärft am Beginn des 12. Jahrhunderts – seit 1073 besteht der Zölibat – war‘s strafbar. In England heißt es seit 1885 in der Section 11 des Criminal Amendment Act »Gross Indecency«, also eine schwere Verletzung des Anstands.        zurück

 

18           Ausgelöst wurde die Verherrlichung der griechischen Antike – insbesondere der männ­lichen Statuen – durch ­Johann Joachim Winckelmann. Während dieser das Land der ­Griechen mit der Seele suchte, war er auch leiblich bei der Sache; Winckelmanns Homo­sexualität war für die Gestaltung des Männlichkeitsbildes mehrerer Generationen prägend. Immanuel Kant, der 36 Jahre nach Winckelmann 1804 starb, konnte deshalb in seinen Ethik-Vorlesungen sehr harte Worte über die Arten-Abart finden, denn er maß die Homosexualität an seinem kategorischen Imperativ.  

Eine Spätfolge dieser humanistischen Gefühlsbildung ist die Aufnahme Griechen­lands (»Mutterland der Demokratie«) in die Europäische Union, obwohl weder griechische Wirtschaft noch Schrift und Sprache vom Rest Europas verstanden werden und »griechisch« auch nur von wenigen bevorzugt wird. 

Et­liche Jahrzehnte vorher wurde die »Sodomitische Gott­losigkeit« wie bei den Hussiten, Albigenser, Waldenser, Juden und andere »Ketzer« noch mit dem Feuer­tode be­straft (der englische Edward II. wurde jedoch wegen der »stummen ­Sünde« standes- und gefühls­gemäß mit einer glühenden Feuerstange gepfählt und so zu Tode gebracht). Dabei hätte er doch einwenden können, daß nach den Lehren der Kirchen­väter ledig­lich die Frau – und eben nicht der Mann – des Teufels sei. Am Ende des 18. Jahr­hunderts zogen franzö­sische Republikaner auch gegen die Epheben, denn die Angst des Bürgers vor der »Effeminierung« war groß. 

Lieselotte von der Pfalz, die mit Monsieur, dem Herzog von Orléans, einen Sodomiten zum Mann hatte, meinte, »daß seyder Sodom und Gomora unßer herrgott niemandt drumb gestrafft hatt.« Wenn man dieser Auffassung folgt, dann ist eine Strafbarkeit unchristlich, dann kann man im Umkehrschluß sagen, daß Gott sich zwischenzeitlich anders besonnen hat und der Kampf der nordamerikanischen Bischöfe gegen die Homosexualität unter ihren niederen Brüdern auch deshalb vergebens sein wird. 

Und weil Hertha Däubler-Gmelin, früher Bundesjustizminister, im Herbst des Jahres 2002 über das »lausige Rechtssystem« in den USA lamentierte (und wahrscheinlich eher wegen dieser Bemerkung gestolpert wurde als für ihren unzulässigen Nazi-Vergleich), wollen wir in diesem Zusammenhang auf den Staat Texas (da wo ein Bush regierte) verweisen. Im Strafgesetzbuch von Texas und bei den Geschworenengerichten wird »Sodomie« als Synonym für homosexuellen Sex (natürlich nur von Männern) benutzt, aber auch Oral- und Analverkehr, Bestialität, Sex »in unüblichen Positionen«, Sex ohne jede Zeugungsabsicht oder gegenseitige Masturbation sind in dem Bundesstaat strafbar, in dem die meisten Todesurteile verhängt und ausgeführt werden und dessen Parlament, so war zu lesen, nur für eine Woche im Jahr zusammenkommt. Das Oberste Gericht in den USA hat inzwischen die Homosexualität in Texas als zulässig erklärt.       zurück

 

19       »Gefesselt lag das deutsche Land
    In wälscher Sklaverei,

    Das Deutsche war verpönt, verbannt,

    Verschwunden Ehr’ und Treu.

    Da büßten Viele ein den Muth;

    Bei all dem Trug und Wahn;

    Doch echtes deutsches Männerblut

    Pocht in der Brust von Jahn.«
So stand’s am 11. August 1861 in der Berliner »Volks-Zeitung«        zurück

 

20           Das von der amerikanischen Besatzungs-Armee in Berlin eingerichtete und geförderte RIAS-Schülerparlament als »Schule der Demokraten« schlummerte ein, nachdem 1953 die Neuwahlen in Berlin eine CDU-FDP-Regierung ­brachten.       zurück

 

21 Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand – im Anschluß an gleichartige europäische Bestrebungen – in Nordamerika eine Bewegung gegen das reine Aus­wendig­lernen und für Pestalozzis Ideen.       zurück

 

22           Fleißkärtchen gab’s – im Religionsunterricht waren es Heiligenbilder. Daraus entwickelten sich die Sammelalben von »Liebig’s Fleischextrakt«, der Zigarettenfirmen und der Margarine Union AG.        zurück

 

23           Dieser preußische Schulbau beeinflußte die englischen Schulen: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in England vorwiegend lange, recht enge Grundschulräume, von wo aus der Lehrer mehrere angebaute Klassenzimmer gleichzeitig überblicken konnte. Der englische Schulunterricht war zu diesem Zeitpunkt schlecht finanziert, es fehlte an Lehrern und eine allgemeine Schulpflicht war nicht durchzusetzen (in Preußen 1763 eingeführt) und für Hunderttausende von Kindern gab es keine Schulplätze. Erst am Ende des viktorianischen Zeitalters sind – dank Prinzgemahl Albert – die englischen Schulen in den naturwissenschaft­lichen Fächern führend in Europa. Das Herzogtum Baden bemühte sich nach der Einführung der Schulpflicht 1803 um allgemeinere Qualitäten des Schulbaus wie Durch­lüftung, Übersichtlichkeit und Belichtung (immer von links). 

Gefordert wurde von der Regierung, die Eingangstüren besonders stark zu machen, damit erstens die Schüler nicht entweichen könnten und zweitens die »auf­gebrachte Eltern die Schule nicht während der Schulzeit« überfielen und im übrigen die Kinder gegen »wüthende Hunde, gen Narren und allerley Unfälle gesichert« seien. Erst 1869 erscheint eine für ganz Baden verbindliche Schulbauverordnung, was dazu führt, daß die bescheidenen Lehrerwohnungen mit Schul- (und Kartoffel-)garten aus den Schulgebäuden verschwinden.        zurück

 

24           Ein Band der seit 1555 in Jena gedruckten Luther-Bibel kostete mindestens 15 Gulden. Bücher waren für viele Berufs­gruppen unerschwinglich: Während ein städtischer Beamter auf bis zu 300 Gulden jährlich kam, verdiente ein Schreiber oder ein Schul­meister oft nur den zehnten Teil, ein Pfarrer selten mehr als 100 Gulden, ein Professor der Rechte an der Jenaer Universität bekam 1598 als höchst­bezahlter Fakultäts­angehöriger durchschnittlich 200 Gulden. Nach einer Untersuchung von G. Reiche über das Gera von 1530 konnten bei etwa 19.000 Einwohner 136 zum »Gelehrtenstand« gerechnet werden; zählt man noch die 235 Beamten und 16 Buchdrucker und Buch­binder hinzu, dann konnten immerhin 2,1 Prozent der Bevölkerung ­lesen und zu­mindest am Erwerb eines Buches interessiert sein.        zurück

 

25           »Der Buchdrucker-Kalender-Feyer- und Aposteltage, nach altem Brauch bezahlet, wonach es außer Sonntagen nicht weniger als 43 Feyertage sind.« Die Meßtage zu Ostern und an Michaeli kommen noch hinzu.       zurück

 

26           Die Begräbnisordnung in Königsberg regelte detailliert den zu treibenden Aufwand einer Be­erdigung: Die ­»Spezial-­ und Viertelschulleichen« hatten Anspruch aufeinen Lehrer und einem Viertel der Armenschüler, die »Partikular- oder halben Schulleichen« wurden von zwei Lehrern und der halben Schülerzahl begleitet, und für eine »General­­leiche« mußten alle Schulgesellen und Schüler dabei sein. Damals herrschte auch noch die Auffassung, daß Tote riechen könnten, was durch die Tat­sache belegt wird, daß die Nachkommen ein frisches Grab stets mit Blumen bedeckten; heute geht’s mehr um den Umsatz der Blumengeschäfte.        zurück

 

27           Ein schwäbischer Lehrer im 18.Jahrhundert ­führte eine Statistik über seine Taten: In seinen ein­undfünfzig Lehrerjahren verteilte er vier­und­zwanzig­­tausend Rutenhiebe wäh­rend des Unter­richts und sechsunddreißig­tausend Rutenhiebe für nicht ge­lernte Liedertexte; daneben verabreichte er eine Unzahl von »Kopfnüssen«, Hand­schmissen (mit oder ohne Bibel oder Gesang­buch) – durchschnittlich acht Rutenschläge je Schultag.        zurück

 

28           Jedes Jahr werden 370.000 Kartoffelschälmesser in holländischem Biomüll gefunden.        zurück

 

29           1996 fordert der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Kraus, daß die Haupt­schule wieder besonders gefördert werden müsse. In Bayern und Baden-Württemberg genieße das dreigliedrige Schulsystem höchstes An­sehen und damit auch die Hauptschule; zugleich seien die Arbeitslosen­quoten niedrig. So kann man auch be­weisen, daß ein Studium nicht unbedingt zu einem unabhängigen, gar logischem, Denken führt. Auf einem Kongreß des deutschen Altphilologenverbandes erklärt doch die baden-württembergische Kultus­ministerin, An­nette Schavan (CDU), die Antike sei das geistige Fundament Europas und wer am altsprachlichen Unterricht teilnehme, der »weiß, daß die bisweilen hektisch diskutierten Themen unserer Tage auch die Themen der Antike waren, und er kennt die Antworten.« So schlicht kann das Weltbild eines Bun­des­vorstandsmitglieds der CDU sein.        zurück

 

30           Das sind doch Formulierungen, die jedem Chauvi oder Macho gefallen müßten und natürlich hier zitiert werden dürfen.       zurück

 

31           In Holland wurde beklagt, daß die Frauen, die als Lehrer tätig waren, ihren Unterricht zumeist mit dem Beruf einer Näherin oder Strickerin oder Spitzen­klöpplerin verbanden und auch – dies wie ihre männlichen Kollegen – dem Genever nicht abhold waren. Aus den Nieder­landen wird 1611 berichtet, daß Schulmeister vielfach unfähig sind, das Alphabet richtig aufzusagen und den Kindern die Aussprache zu lehren. In ländlichen Gebieten war es üblich, junge, gebrechliche oder dienstuntauglich gewordene Knechte (bei Friedrich II. waren es die invaliden Sergeanten) als Lehrer einzustellen.  

Pieter Bruegel d.Ä. zeichnet 1556 »Der Esel in der ­Schule« mit der Unterzeile »Auch wenn ein Esel zur Schule geht, wird er doch kein Pferd.« Bruegel war etwas zu kritisch, denn die Bevölkerung in den niederländischen Provinzen besaß einen hohen Bildungs­­stand – ein italienischer Reisen­der meinte (wohl unter Genever-Einfluß?) sogar, ein jeder könne lesen und schreiben.        zurück

 

32           In französischen Einflußbereichen hieß das Gymnasium »Lyzeum«; nach Napoleon wurde Lyzeum ein Synonym für höhere Mädchenschulen – abwertend, negativ be­frachtet; die Knaben gingen in den Turnraum oder zum Versammlungsort der Philo­sophen zur Lebensertüchtigung.       zurück

 

33           Brille oder Monokel zu tragen war für Adlige – Bürger­liche konnten ihre Sprößlinge gar nicht erst eintreten lassen –, die in eine Ritterakademie aufgenommen werden wollten, nicht erlaubt. Standesgemäße Höherwertigkeit sollte durch keinen körperlichen Makel beeinträchtigt werden. Vermittelt wurde den Zöglingen allgemeines Bildungsgut und Schulwissen und Fechten, reiten, Voltigieren und standesgemäßes Tanzen. Kavalier und Krieger wurden zusammengeführt.  

Noch zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Rituale gepflegt, die wohl schon damals außerhalb des Adels als »topinambous« anmuteten. In reinen Adelsregimentern tanzten die Offizieren miteinander – die »Damen« durch ein Armband gekennzeichnet. Der Chef des Militärkabinetts brachte seinem Kaiser gar eine Ballettanlage im Tutu dar. Das war die »preußische« Armee, über die der aus Januschau (Kreis Rosenberg in Ostpreußen) kommende Kammerherr Elard von Oldenburg 1921 meinte, die Disziplin in der Armee müsse so zuverlässig sein, daß jederzeit ein Leutnant und zehn Mann genügten, um den Reichstag auseinanderzujagen. Dieser ostelbische Junker, der seine und die seiner Adelsgenossen erzwungene (und selbstverschuldete Entmachtung) nicht akzeptieren konnte, war dann auch folgerichtig 1926 einer der Anstifter des Class-Putsches und haßte die Demokratie, was ihn 1933 in den Reichstag brachte. Auf ihn soll zurückzuführen sein, daß Hindenburg (ebenfalls aus dem Kreis Roseneck) sich mit dem unadligen »böhmischen Gefreiten« abfand. 

Die Bürgerlichen ahmten die Praktiken des Adels nach, jedoch lernten sie nie diesen adligen »Code« als Mittel der Sozialisation. Pech gehabt.        zurück

 

34           Man denke an das Schicksal des Philosophen Pierre Abaelard, der in Paris die Héloise als Hauslehrer unterrichtete und dafür von Kanonikus Fulbert, ihrem Onkel, entmannt wurde. Im übrigen waren unter den Hauslehrern spät gerühmte Gelehrte (erinnert sei hier beispielsweise an Campe), aber auch die üblichen verkrachten Existenzen, die sich nach einem Universitätsstudium mit derlei Tätigkeit über Wasser hielten, bis sie eine an­gemessenere Stellung erreichen konnten.       zurück

 

35           Aus dem »Wandsbeker Boten« aus dem Jahr 1774       zurück

 

36           Harold Lasswell aus den USA: »Korruption ist die Verletzung eines allgemeinen Interesses zu Gunsten eines speziellen Vorteils«. Aber wird das Thema Korruption nicht beheuchelt? Wurde im deutschen Steuerrecht (anders als zum Beispiel in den USA) Schmiergeld bis 1999 nicht steuermindernd an­erkannt? Wird der Balken oder der Splitter im Auge nicht gesehen? Wie sagte doch Max Streibl: »Man wird doch wohl noch Freunde haben dürfen!«. Doch (im SPIEGEL gefunden): »Wenn man sich schon ein großes C auf die Fahne malt, sollte man mindestens mal das zugehörige Handbuch gelesen haben. Bei Sirach 40,14 heißt es: ›Sie sind fröhlich, solange sie Geschenke nehmen, aber zuletzt gehen sie doch zu Grunde.‹« Und: »christlich« vom griechischen »christos«, was »gesalbt« bedeutet und wer jemals am Strand von Playa del Inglés die Nackten gesehen hat, weiß, daß salben und schmieren sehr nahe ist.«. 

In der k.u.k.-Mon­archie schrieben die Beamten unter ihren Jahresbericht: »Unterschleif und Korrup­tion hielten sich im ver­gangenen Jahr im Rahmen des Üblichen.« Metternich soll als österreichischer Kanzler ein mindest doppelt so hohes Salär vom russischen Zaren erhalten haben – soviel zur Bestechlichkeit in Beamtenstuben. Ursprüng­lich wurden Schau­spieler als »hypo­krites« bezeichnet, was in den Evangelien mit Heuchler übersetzt wird. Heuchler werden in Sure 63 als Menschen beschrieben, die ihre Mitmenschen »vom Wege Gottes« abhalten: »Darum nimm dich vor ­ihnen in Acht! Diese gott­verfluchten Menschen.«        zurück

 

37           In Husum wurde 1685 »Der Weh-schreyende Stein über die Greuel, daß man die Diener der Justiz bis anhero nicht zu Grabe tragen, und nun etlichen ihrer Frauen in Kindes-Noth niemand helfen will« aufgerichtet.         zurück

 

38           Schon 1397 gründete die Faßbinderzunft in Köln eine Versorgungskasse für die »lamen, blinden of alden, kranken broidere«, die 16 Pfennig Leibrente pro Tag er­hielten; nach 1450 wurde die Kölner Kasse auch auf die Witwen und unverheirateten Töchter ausgedehnt.        zurück

 

39           Auch ans Militär wurde in einer kaiserlichen Cabinets-Ordre am zweiten Weihnachts­­feiertag 1871 gedacht: Sie erhielten eine eigene Lebensversicherungs-Anstalt.       zurück

 

40           Die 1912 in Deutschland eingeführte Angestelltenver­siche­rung finanzierte sich aus Beiträgen und aus einem Zuschuß von einem Drittel seitens des Staates, also aus Steuer­mitteln. Heute zahlt der Bundeshaushalt nur rund zwanzig Prozent Zuschuß zur Renten­versicherung der ihn finanzierenden Bürger und dennoch soll – wenn es nach den Willen der FDP geht, die Altersversorgung vollständig privatisiert werden (damit mehr Mittel für die Subvention der Industrie und des Bauernstandes verbleibt). Eine Teil-Privatisierung erfolgte 2001 mit der Einführung der sog. Riester-Rente, benannt nach einem sozialdemokratischen ehe­maligen Gewerkschaftsfunktionär der IG Metall. Die Riester-Rente, einge3führt aus demographischen Gründen wird mehr Probleme verursachen als eine nur-staatliche umlagefinanzierte Altersversorgung – aber es ist hier halt nur eine neue Form der Privatisierung der Gewinne und der Sozialisierung der Verluste. Bedauernswerte Mittdreißiger, die sich darauf verlassen. 

Finanzielle Probleme einer allgemeinen Altersversorgung sind übrigens schon aus der Zeit vor der Entdeckung Amerikas bekannt: So sind in Mainz um 1400 herum anstelle von (ver­botenen) Zinszahlungen für Darlehen der Patrizier an die Stadt Leibrenten aus­bedungen worden, die dazu führten, daß drei Viertel aller Einnahmen für Leibrenten wieder ausgegeben werden mußten. Empfänger solcher Leibrenten waren ganz über­wiegend die Patrizier, finanziert wurden sie ganz überwiegend von den Zunft­mit­glie­dern; hier lag eine Ursache für die diversen Zunftaufstände gegen die alt­herge­brachte Herrschaft.  

Und noch eine Bemerkung zur heutigen Alters­sicherungs­debatte: Wenn man für Beiträge an eine als Aktiengesellschaft organisierte Lebens­versicherung bei »Ablauf« die vereinbarte Auszahlung erhält, so ist das »normal«, wenn man für Beiträge an eine unter staatlicher Aufsicht stehender »Rentenanstalt« im Erlebens­fall eine Aus­zahlung erhält, so gilt dies bei sog. Liberalen als eine überholte staatliche Sozial­leistung, die es abzuschaffen gilt. Irgendwie merkwürdig, diese Argumen­tation.  

Im Jahr 1912 wird übrigens auch der »Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation« ge­gründet. 1924 schreibt Wilhelm Heinrich Riehl: »Eine Frau, die an die Gleich­stellung ihres Geschlechts mit den Männern denkt, muß bereits sehr viele verworrene Bücher gelesen haben. Von selber verfällt eine deutsche Frau noch nicht auf den Gedanken der ›Emancipation der Frauen‹. Die wenigsten ­Frauen ver­stehen den Sinn dieser Theorie; die ganz wenigen aber, welche selbige verstehen, haben sie mißverstanden.« Das ist doch echt gut formuliert und bei Hegel abgeschrieben!        zurück

 

41           Louis-Sébastien Mercier schreibt im »Tableau de Paris« über die dortigen Lehrer: »Man konnte Lehrer erleben, die wirr im Kopf geworden waren und sich zur Erziehung von Prinzen befähigt hielten, weil sie die violette Schärpe ­wieder angelegt hatten. Die anderen Lehrer der unteren Klassen sind dementsprechend, das heißt einer geistloser und ungebildeter als der andere.« Mercier beschreibt auch die Prügel­szenen in diesen Pariser Schulen, die denen in deutschen Schulen sicherlich nicht nachstanden.      zurück

 

42           Die Waisenhausapotheke war Teil der Franckeschen Stiftung; die in dieser Apotheke hergestellten Mixturen erfreuten sich eines so guten Rufes, daß die Nachfrage auch bei den wohlhabenderen Schichten stieg und die Apotheke so Gewinn abwarf. Die Rezepturen waren Geschäftsgeheimnis und wurden mit den pietistischen Missionaren in die Welt hinaus gesandt. In der deutschen Siedlung Ebenezer in Nordamerika fanden aus Salzburg vertriebene Protestanten eine neue Heimat, deren geistliche Führer die nach vorheriger Schulung »Pastoralmedizin« betrieben: Glaubensstrenge und wundersame deutsche Medizin aus Halle. 

Francke ließ – wie es damals bei Adel und Bürgertum weit verbreitet war – auch eine Naturalienkammer einrichten. Die Hauptattraktion waren drei Wal-Penisse. Da begeisterten sich die Pietisten an dem größten Glied in der Welt der Säugetiere. Aber vielleicht wurden diese Objekte der Begierde, des Neides, später in der Pharmazie verwendet, ­Stärke, Kraft, Festigkeit sollten sie verleihen.       zurück

 

43           Bei Leon de Winter, der den Talmud zitiert, gefunden: »Sieben haben keinen Anteil an der kommenden Welt, und diese sind es: ein Schreiber und ein Lehrer, der Kinder Lesen und Schreiben lehrt .... «. Unter diesen Umständen ­ist das mindere Ansehen ver­ständlich.  

Um 1900 war das ­moralische Ansehen der Lehrer so lädiert, daß Kriminal­psychologen widerspruchslos feststellen konnten, die Lehrer seien besonders disponiert zum sexuellen Mißbrauch der ihnen anvertrauten Schülerinnen. Die Lehrer ihrerseits befürchteten, »in nicht geringer Zahl« durch Aussagen »sittlich verkommener abgerichteter Mädchen« ins Zuchthaus zu kommen. Sie klagten in ihrem Verbands­organ: ­»Welchem Lehrer sollte da nicht bange werden?«        zurück

 

44           Im Mittelalter wurde die Kunst der Gänsemast und der Stopf­leber­gewinnung vor allem von jüdischen Firmen aus­geübt. Aber die Kartoffel wurde abgelehnt!       zurück

 

45           So wurde er gerühmt vom Freiherrn von Stein wegen des Bayerischen Erbfolgekriegs und dem Erhalt Bayerns für Deutschland und dann von J. F. Krüger in dem 1817 erschienenen Buch »Leben und Taten ...«. Die »Berlinische Monats­zeitschrift« schrieb in ihrem Nachruf 1786: »ER, der ­größten Einer, die je auf Thronen saßen, ER, einer der größten Geister seines Zeitalters. ER ist nicht mehr, der liebevolle Vater seines Volkes, der Schutzheld seiner Lande, der Erhalter der Gerechtigkeit, der Versorger der Armen« usw. Eine Devotionaliensammlung entstand mit dem Bild des Königs auf Bierkrügen und Tabakdosen, auf Regen­schirmen, Uhren und Schmuckbändern.  

Der Berliner Buch­händler Friedrich Nicolai veröffentlichte Anekdotensammlungen, aus denen heute noch zitiert wird: Friedrich als Mensch und Kriegsheld. Sein Hofastronom Bode formte aus sechsundsiebzig damals gerade erst entdeckten Sternen ein ­neues Sternbild, das unter den Namen »Friedrichs-Ehre« in die Sternenkarte aufgenommen wurde. Friedrich Schröder-Sonnenstern aus Tilsit nannte sich auch »Friedrich der Einzige«.        zurück

 

46           Friedrich bezeichnete Maria Theresia als »Königin von Ungarn«, obwohl sie doch auch (seit 1745 durch die Krönung ihres Franzl zum Kaiser Franz I.) Kaiserin war, und sie bezeichnete ihn dafür als »Markgraf von Brandenburg« (was natürlich auch richtig war). Der aus politischen Gründen nach Amerika ausgewanderte Charles Sealsfield (Karl Postl) schrieb in seinen Skizzen von Fürstenhöfen des Kontinents (1828 in London veröffentlicht): »Zwischen ihnen [den Preußen] und den Österreichern, besonders den Offizieren, besteht heftige Eifersucht: die Preußen schüren diese unaufhörlich durch ihren Hochmut, der um so lächerlicher wirkt, als sie kläglich aussehen, und gibt es überhaupt wenig Grund, stolz zu sein.«       zurück

 

47           Illustrierte Ladenschilder, zum Erkennen durch Analphabeten, verschwanden mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Heutzutage sieht man sie nur noch in wenigen – zumeist überwiegend katholischen – Orten (Brügge und die Fußgänger­zone in Lohr am Main zeigen, daß die Alphabetisierung dort erst sehr spät eingesetzt haben muß).  

Die Friseurbecken vor dem Laden waren die letzten klassischen Aushängeschilder; gibt’s heute nicht mehr. Weil die Leute nicht lesen und nicht schreiben konnten, ent­wickel­ten sich die Barbiere zu den »Rhetoren des Proletariats«. Unter Ludwig XIV. und seinem Nachfolger fanden sich unter den Brücken von Paris die Neuigkeitskrämer, die Nachrichten sammelten, die sie von Verwandten und Freunden in den Palästen, von Kammerdienern und holländischen Bankiers erhielten; unter diesen »Nouvellisten«, die straff organisiert waren, beanspruchten die Barbiere eine bevorzugte Rolle, weil in ihren Läden die merkwürdigsten Neuig­keiten erst den endgültigen Schliff (durch ihre Kommentare) erhielten. Im frühen 18. Jahrhundert waren die ­Barbiere in England noch hoch­angesehen (niemand war dem Hals der Herrscher so nahe mit dem Messer), aber ihre Arbeit zählte Ende des selben Jahrhunderts bereits zu den »niedrigeren Beschäftigungen«, wie Edmund Burke 1790 schrieb. Aus diesem Kreis der Nouvellisten und Barbiere ent­wickelte sich der Journalistenberuf, der einen ähnlichen Niedergang seit den 1920er Jahren erlebte. 

Ein Rätsel von »Zweistein«: »Rasiert sich der Dorf-Barbier selbst, der alle Bewohner eines Dorfes rasiert, die sich nicht selbst rasieren?« 

Eine sicherlich interessante Anmerkung zum »Proletariat«, das sich in allen Ländern zu vereinigen hat: Das Wort wurde schon im zweiten vorchristlichen Jahrhundert nicht mehr verwendet (Jürgen von Ungern-Sternberg in »Proletarius«). Proletarier seien – so der römische Poet Julius Paulus im zweiten nachchristlichen Jahrhundert – die Ärmsten im Staat, die es nur auf einen sehr geringen Zensus bringen würden und mit denen, die gar keine Einkünfte angeben könnten, ihren Nutzen für den Staat durch die Stellung von Nachwuchs (proles) erwiesen. Erst im England des 16. Jahrhunderts tauchte das Wort wieder auf und kam dann im »Kommunistischen Manifest« im 19. Jahrhundert weltweit zu Ehren. Die alten Römer hatten das Wort, eng verbunden mit »plebeii« und »pauperes«, durch den Begriff der »capite censi«, der Steuerlosen, ersetzt. Aber: Nachwuchs hatte auch dieser zu stellen. Und: »capite censi« ist nicht zu übersetzen mit »Kapitalgesellschaft« oder »Steuerflüchtling«.       zurück

 

48           Eine verspätete Feststellung an dieser Stelle: Dieses Buch berücksichtigt generell nicht die 1998er deutsche »Neuschreib«. Der Vorsitzende des »Instituts für deutsche ­Sprache«, Augst, meinte bei den Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht über die Rechtschreibreform, daß mehr als die Hälfte der Deutschen nicht in der Lage sei, korrekt zu schreiben. Mag sein. Die Kultusministerin von Schleswig-Holstein soll ergänzt haben, daß die ihr unterstellten Lehrer nicht fähig seien, den Schülern in angemessener Weise und erfolgreich die Regeln der deutschen ­S­prache zu vermitteln; die Rechtschreib­reform genieße daher insbesondere im Lehrkörper eine Akzeptanz, »die man sich bei anderen Reformen sehnlichst wünsche würde«. Wohl wahr. Wenn man noch weniger arbeiten muß. Und da sich bei TIMSS III und PISA-E herausgestellt hat, daß mehr als fünfzig Prozent der deutschen Schüler nur mangelhaft die Rechenkunst beherrschen, wird demnächst auch »Neurech« ein­geführt: 2+2=5 oder 1·25+ 0·24=10.       zurück

 

49           Hatte sich zum Beispiel die Stadt Füssen bis dahin mit einer Knaben- und Mädchenschule sowie einer Lateinschule begnügt – erstere besaß nicht einmal ein Schulhaus – so wurde gegen Ende des 18. Jahrhundert eine sog.»Normal­schule«, d.h. eine Musterschule für die Lehrerausbildung ein­gerichtet. Das 19. Jahrhundert erhebt dann jeden Unterrichtsgegenstand zu einem besonderen Schulzweck: 1806 gründet man eine Baumschule oder 1827 eine Zeichenschule für Knaben, 1831 eine Musikschule, 1855 eine Klein­kinder­anstalt für den Nachwuchs armer, wie man meint, erziehungs­fähiger Eltern (nach einem Vorschlag ­eines CSU-Jung-Funktionär sollen auch nur noch diese Kindergeld bekommen).        zurück

 

50           Der Große Kurfürst schrieb in seinem Testament: »Die Kur Brandenburg ist gottlob von päpstlichen Greueltaten und Abgötterei gänzlich befreit ...« Die wenigen Katholiken mußten ihre Heilige Messe in der französischen oder österreichischen Gesandtschaft feiern, deren Kapellen-Besuch wiederum den Berliner Katholiken bei Strafe untersagt war. Erst unter seinem Nachfolger, König Friedrich I., kam es zu einer Lockerung der Beschränkungen. 

1620 eroberte der österreichische Adel in der Schlacht am Weißen Berg Böhmen und Mähren und gelangte – weil man die Güter der Besiegten unter sich aufteilte – zu großem Reichtum. Man lernte nur insoweit tschechisch, damit man sich mit seinen Dienstboten verständigen konnte; andererseits ersetzten die bramburi in Österreich die bisherigen Erdäpfel. Der Hochadel, dem dieses Plünderungsprivileg vom Kaiser gewährt wurde, war von da an auf die Habs­burger Monarchie fixiert. Nach 1620 konvertierte der österreichische Adel zum katholischen Glauben, denn das war die Voraussetzung für den Erhalt der Reichtümer (nicht jeder Konfessionswechsel erfolgte aus opportu­nistischen Gründen). Aus einem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehrheit­lich protestantischen Adels Österreich wurde binnen dreißig Jahren eine katholisch geprägte Oberschicht, die noch heute Österreich regiert.        zurück

 

51           Feldprediger konnte man im damaligen Preußen nur werden, wenn man an der Universität Halle (evangelische) Theologie studiert hatte.       zurück

 

52           Herzog Friedrich III. von Schleswig-Gottorf gestattete 1621 holländischen Glaubens­flüchtlingen Friedrichstadt zu gründen (1649 werden jüdische Zuwanderungswillige abgewiesen, »weilen sie Deutsche sind«). Ein Glaubensedikt à la Johann Sigismund oder Friedrich II. von Preußen war in vielen Ländern üblich, wenn’s denn Vorteil brachte. Und noch früher meinte der Ostgotenkönig Theoderich in ­einem Erlaß zu den Streitereien zwischen Juden und Christen »Die Religion kann ich nicht befehlen, weil niemand wider seinen Willen zum Glauben gezwungen werden kann. ... Da die Gottheit selbst verschiedene Religionen nebeneinander duldet, so wagen wir nicht, eine einzige aufzuerlegen.« Das sahen spätere Herrscher anders.       zurück

 

53           Dialekte definieren sich nach geographisch bestimmten Deckungs- und Vorkommens­bereichen von Idiolekten (Sprache eines Individuums) und Soziolekten (Sprache ­einer Gruppe). Konkret: Bayern sprechen dialektisch (weil sie als lokale Abweichler der deutschen Hauptsprache an­zusehen sind), ­Juristen soziolektisch. Idiolekt ist eine Sprachvariante, die nur ­einer (oder nur sehr wenige) sprechen und die zumeist mit einer Überbetonung einzelner Silben oder Laute einhergeht; angeblich spricht der frühere Bundes­kanzler Kohl in einem Idiolekt. Slang ist eine »saloppe« Umgangs­sprache. Jargon definiert der Duden als Sondersprache einer Berufsgruppe oder Gesell­schafts­schicht. 

Nur in Berlin und neuerdings auch in der Umgebung findet man eine so gepflegte Ver­wechslung von Dativ- und Akkusativformen (»ick freue mir mit die Kinder«)? So wie den Schwaben nachgesagt wird, in jedem Wort »eu« mit »ei« und umgekehrt aus­zutauschen und im übrigen das »le« anzuhängen, so ist die berlinerische Ver­kleinerungs­form »ken« wie in »Marleken« (Dietrich) oder »Häseken« (für Sonja Henie), aber auch in »Heike«. Das Image dieser Sprache: Na, besser, als das der Sachsen und der Mannemer. Unzulässig ist es, das Berlinische mit dem preußischen Leutnantston in Zusammenhang zu bringen. 

Da kann man nur ergänzen: »Doof bleibt doof«, denn so reagieren die Berliner auf Menschen, die nicht begreifen wollen. Dabei kommt das doof nicht von dumm, sondern vom hebräischen dow, was Bär heißt. Und jetzt erschließt sich der Kreis zum Wappentier: Berliner bleibt Berliner! 

Was damals die Hugenotten für die deutsche Sprache bewirkten, wird heute durch die Einflüsse der ausländischen Zuwanderer erreicht. Das »Türkendeutsch« verbindet ­Worte und Stilelemente beider Sprachen und führt zu einer Erweiterung des allgemein zugänglichen und verwendeten Wortschatzes. »Kanak Sprak« ist die Sprache eines bestimmten Sozialtypus.        zurück

 

54           »Kramer« sind Händler, die in einem festen Laden ihre Ware feilhielten, »Höker« waren mit der »Hocke«, dem Weidenkorb, unterwegs und hökerten auf der Straße; außer­dem gab es noch »Hausierer« , die an der Pforte schellten – heute in »Drücker-Kolonnen« organisiert.        zurück

 

55           Friedrich II. kümmerte sich – anders als sein Vater – nicht intensiv um seine Schulen. Beispielhaft sei die Schulsituation in Seehausen auf­ge­führt: 1748 legte hier der spätere Archäologe Johann Joachim Winckel­mann sein Amt als Conrector der Schule nieder. Bei der Schulinspektion 1760 war noch kein Nachfolger eingesetzt, der Lehrer war gerade gestorben, der Rektor taub, der Kantor seit Jahren krank; von den zehn Schülern konnten gerade zwei »etwas deutsch lesen«.       zurück

 

56           Andererseits findet Friedrich es lobenswert, daß Hecker alle Lehrer in der Herstellung von Seide unterrichtet: »Er (Hecker) braucht sie nur später als Küster auf die Dörfer zu schicken, und der Adel und die Amtsleute der Umgebung werden von ihnen lernen, wie man diesen nützlichen Gewerbezweig fördert.«       zurück

 

57           Die Idee der Sonntagsschulen kam aus England und ­wurde in die (ehemaligen) Kolo­nien exportiert. In Connecticut (USA) waren Fabrikbesitzer seit 1813 verpflichtet, Kindern Lesen, Schreiben, Rechnen beibringen zu lassen. In Massachusetts mußten Kinder nach einem Gesetz von 1836 drei Monate im Jahr für die Schule freigestellt werden, was dazu führte, daß die Arbeitgeber die Kinder nach neun Monaten Be­schäftigung ent­ließen. Das europäische ­Meister-­Lehrlings-Ausbildungsverhältnis wurde und wird als un­amerikanisch ab­gelehnt; insofern war eine vernünftige Ausbildung nicht vonnöten.       zurück

 

58           Im selben Jahr werden in Berlin zwei »Friedhöfe an der Linienstraße« angelegt – eine für die Offiziere und ihre Familien, der andere für die »Mannschaftsdienstgrade«. Der »Gemeinen- und Soldatenfriedhof« wurde 1867 geschlossen und in eine Acker­fläche mit Armengärten (und damit Kartoffelbau) umgewandelt; der Offiziersfriedhof, der Alte Garnisonsfriedhof, bestand bis 1961.        zurück

 

59           Das Waisenhaus wurde beaufsichtigt von dem in der französischen Kolonie in Berlin geborenen Charles Etienne Jordan, den Friedrich nach seiner Thronbesteigung zum Ge­heimen Rat ernennt und mit der »Aufsicht über Hospitäler, Waisenhäuser, der Polizei­­pflege und der Gründung eines Arbeitshauses, um die übrigen Bettler zu beschäftigen« betraut. Friedrich nennt ihn in einem Brief vom 24. September 1740: »Sehr achtbarer Inspektor der Armen, Invaliden, Waisen, Wahnsinnigen und des Irren­hauses« Hört sich besser an, als »Oberamtsrat«       zurück

 

60           Die Einwohner wurden als »Friedrichshagener Kiefernklauer« beschimpft; anstelle der Seidenzucht wurden ­später die Früchte des Maulbeerbaumes auf den Markt gebracht. Schon der Große Kurfürst hatte auf allen Kirchhöfen der Mark Maulbeerbäume pflanzen lassen; zu Friedrichs Zeiten standen über 400.000 Bäume in den preußischen Provinzen; in «sämtlichen Waysenhäuser in unseren Landen« mußten »Maulbeer-Baum Plantages« angelegt werden.       zurück

 

61           In den sich weiter verbreitenden Kaffeehäusern gaben die Männer den Ton an (kommt da die »Stammtisch-­Politik« her und das Bestreben vieler Berufs-Politiker, hier die Lufthoheit zu gewinnen?), der Salon lebte mit Tee und Gebäck und vom Esprit der Frauen, die diese Treffen organisierten.  

Dazu paßt, daß 1999 britische Forscher entdeckten, daß ­Frauen ein »Plapper«-Gen haben; schon als Embryo be­wegen weibliche Babys ihren Kiefer häufiger als männliche. ­Frauen sprechen täglich etwa 23.000 Worte, Männer nur 12.000 (aber gehaltvollere!). Der Pariser Louis-Sébastien Mercier stellt Ende des 18. Jahrhunderts fest: »Am schwierigsten ist heutzutage für einen Literaten nicht, über Bildung mit Leuten zu reden, die keine Gelehrten sind, mit Offizieren über den Krieg, mit hohen Herren über Hunde und Pferde, sondern übernichts mit mehreren Frauen, die sich nach dem Vorbild der Stutzer gar nicht unterhalten wollen.« 

In der Zeit von 1760 bis 1800 entstanden in Deutschland mindestens 430 Lese­gesellschaften, Lesekabinette oder Lesezirkel. 1791 waren allein in Bremen 2340 Leser in 36 Lesegesellschaften organisiert. In diesen Lesegesellschaften wurde über jede Nachricht in den Zeitschriften diskutiert, und es war für Damen und Herren von Welt unerläßlich, mehrere Zeitschriften zu halten und zu lesen. Das Interesse der Leser an ihrer Zeitung und die Erörterungen in den Salons ist zum Beispiel daran zu sehen, daß die »Vernünftigen Tadlerinnen« soviel Leserzuschriften erhielten, daß sie sie gesondert in acht Sondernummern – jeweils acht Seiten – veröffentlichten.       zurück

 

62           »Ich empfand eine neue Atmosphäre, die mich wie ­Poesie umwehte, und zwar durch das Gegenteil dessen, was gemeinhin so heißt, durch Wirklichkeit anstatt der Täuschung, durch Echtheit anstatt des Scheins.« So Karl August Varn­hagen von Ense über seine erste Begegnung mit Rahel ­Levin.        zurück

 

63           Achard hatte ein industrielles Verfahren für die Zuckergewinnung aus Rüben ent­wickelt; darüber und über den Kartoffelanbau ist in seiner Gesellschaft gesprochen worden. Aber natürlich nicht nur. In den Jurten der Mongolei wird vorwiegend über die »Fünf Juwelen« gesprochen: ­Pferde, Kamele, Rinder, Schafe und Ziegen.       zurück

 

64           1652 wurde der Dichter Georg Weimar, herzoglich-­weimarischer Bibliothekar in Jena, »Ertzschrein­­­halter«; es war eine »internationale« Gesellschaft, die sich um die klein­staatlerischen Landes­grenzen nicht scherte.       zurück

 

65           Schon die italienischen Kaufleute im 13. Jahrhundert haben in ihren Korres­ponden­zen über die unmittelbaren Geschäftsbelange zugleich den Klatsch und Tratsch, militärische ­und sonstige poli­tische Neuigkeiten, die Erntesituation und neue Handelsgüter ihres Ortes mitgeteilt. Klatsch und Tratsch, ist nach neuesten Untersuchungen eine ver­trauenbildende Maßnahme, in der »Nachfolge« des als ­»Lausen« bezeichnetem Kraulen der Primaten.       zurück

 

66           Aber der König hat seinen in den beiden Schlesischen Kriegen verkrüppelten Landes­kindern 1746 bis 1748 in Berlin Invalidenhäuser errichten lassen.       zurück

 

67           Es war nicht unüblich, bei Besuchen im Adel und im Bürgertum eine wertvolle Schnupftabaksdose als Aufmerksamkeit mitzubringen. Friedrich II. hat von 700.000 Taler Einkünften aus Forsterträgen, Akzisen und Zöllen, Do­mänen u.a. (nach einer eigenen Aufstellung im Testament von 1752) 120.000 Taler im Jahr für sich behalten; der Rest wurde zum »Wohle des Staates, also für Befestigungen, Artillerie, Remonte und Nutzeinrichtungen im Lande verwandt.«        zurück

 

68           Oskar Fritsch, der 1924 eine besonders schlimme Eloge über Friedrich II.,»unser Held und Führer«, drucken ließ, weist auf die sonstige ärmliche Aus­stattung des Königs hin:


    »Als der König starb, hinterließ er an Kleidungsstücken lediglich: fünf Uniform- und Winterröcke, acht Westen, vier Beinkleider, sechs Paar Stiefel, fünfzehn Paar Strümpfe und sechzehn alte Hemden.«


Manche Leute – das soll man nie vergessen – besitzen heutzutage nicht ‘mal einen Uniformrock! Ein halbes Jahrhundert zuvor galt es in Frankreich als äußerst unschicklich, bei Hofe in Uniform zu erscheinen, weil sie doch zu sehr den Charakter einer Livree trug – aber Friedrich fühlte sich als erster Diener seines Staates.       zurück

 

69           Die Juristen­schwemme am Ende des 16. Jahrhunderts führte dazu, daß die Bewerber für ein Staatsamt als Auditoren oder Supernumerarii unentgeltlich dienten oder mit einer »Diät«, mit einem Tagessatz besoldet und nur vorübergehend beschäftigt, ihr Leben fristen mußten, bis eine Stelle­ frei wurde. Auch die Einrichtung des Faches »Kameralistik« an der Universität Halle änderte nichts an dieser heute noch üblichen Praxis (es heißt nur anders) für Bewerber des»Lehramtes« oder in der Juristerei.         zurück

 

70           »Ännchen von Tharau, mein Reichtum, mein Gut, Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut.« hieß es über Anna Neander aus dem Dorf Tharau im Memelland, da wo mit dem Ort Nimmersatt einst das deutsche Reich endete.       zurück

 

71           Bevor die Lehrer unter den Lesern ihr heutiges Los vergleichen und klagen: »So wohl tut es ihnen, die ängstliche Schar mit drohender Miene und Stimme einzuschüchtern, mit Rütlein, Stecken und Riemen die armen Opfer ab­zustrafen. ... Da verwandelt sich ihnen Armut in Pracht, Gestank in Rosenduft, Frondienst in Herrentum. ... eine rätsel­hafte Taschenspielerei bringt ihnen das Kunststück fertig, daß die dumme Mama und der unwissende Vater den Lehrer richtig für das halten, wozu er sich selber macht.«        zurück

 

72           Im Oggersheimer Dialekt: »Bimbes«        zurück

 

73           Casanovas Beschreibung der Räum­lichkeiten spricht – wenn es auch nur ein Provisorium sein sollte – für den Zustand der »Académie« (und wahrscheinlich auch für andere Schul­einrichtungen im Preußen Friedrichs):


    »Ich fand drei oder vier Säle fast ohne ­Möbel und mehrere Zimmer, in denen nur ein elendes Bett, ein Tisch und zwei Holzstühle standen; die jungen Kadetten waren zwölf oder dreizehn Jahrealt, schlecht ge­kämmt, steckten in häßlichen Uniformen und sahen wie Bauern aus.«       zurück


 

74           Man hat festgestellt, daß der sog. Heiratsradius eine Entfernung von etwa drei Stunden umfaßt: Also heiratete man in jenen Zeiten aus dem Nachbardorf, während der Kutschenzeit im Umkreis von etwa zwanzig Meilen und heutzutage – je nach Verkehr­smittel. Die Auswahl von Heiratskandidaten ist also wesentlich größer, nicht unbedingt besser, geworden. Dieser »Heiratsradius« war zugleich die Entfernung, in der der Kartoffelanbau von Jahr zu Jahr von Ort zu Ort sich fortentwickelte.  

»Heirat«, so bemerkt ein amerikanischer Journalist in den 1920er Jahren, »bedeutet für eine Frau lebenslange harte Arbeit in ihrem Haushalt. Ihre Arbeit ist die eintönigste der Welt und sie hat keine Möglichkeit, ihr zu entfliehen.« Recht hat der Mann. Die Kartoffel war ein Nahrungsmittel, das sie in einen Topf mit Wasser auf dem Herd legen und für eine Weile ­vergessen konnte.        zurück

 

75           Wenn man so will: Das Berufsbeamtentum entstand drei Jahre nach der Entdeckung Amerikas, als auf dem Reichstag von Worms durch den Kurerzbischof und Erzkanzler Bertold von Henneberg eine vom Kaiser weitgehend unabhängige Organisation des Reiches durchgesetzt wurde.       zurück

 

76           In diesen Gebieten ist auch festgelegt (und bis heute wirksam oder zumindest üblich), daß der Vermieter den Ofen (Heizung) zu stellen hat; in anderen deutschen Provinzen hat sich der Mieter selbst um seinen Herd zu bemühen.        zurück

 

77           Vielleicht hat Friedrich an das Rezept des Kaisers Hu-Tsung aus dem Jahr 1101 gedacht: »Drei Dinge auf dieser Welt sind höchst bedauernswert: Das Verderben bester Jugend durch falsche Erziehung, das Schänden bester Bilder durch gemeines Angaffen, Und die Verschwendung bester Kartoffeln durch unsachgemäße Behandlung.«       zurück

 

78           So etwas gibt es auch heute: Vater und Mutter Lehrer, Lebenslauf von Sohn/Tochter: Vorschule, Grundschule, Gymnasium, Universität, Schule – also immer Schule. Nie das Leben kennen­gelernt! Aber die Kinder darauf vor­bereiten! Ein ständischer, vor-industrieller Lebens­lauf.        zurück

 

79           Kaiser Wilhelm II. meint 1890, daß die Lehrer nicht ­genug getan haben, um das Vor­dringen der Sozialdemokratie zu verhindern: »Wenn die Schule das getan hätte, was von ihr zu verlangen ist ... so hätte sie von vornherein von selber das Gefecht gegen die Sozialdemokratie übernehmen ­müssen.«        zurück

 

80           Kommt bekannt vor, nicht wahr? So ist’s doch heute noch »auf der Behörde«. Zwar sind es nicht mehr Offiziere, aber der Ton gegen dem Bürger ist vielerorts un­ver­ändert. Da klingt das amerikanische »civil servants« doch besser.  

Man möge doch einmal den Wunsch verspüren, an seinem eigenem Haus auf eigene Kosten einen An- oder Umbau vorzunehmen und dieserhalb zum städtischen Bauamt ­gehen zu müssen: Da stört man die »städtebauliche Sicht« vulgo »Beamtenruhe«, da landet man in einer »Bau­verhinderungsbehörde«, die dem Bürger in streng-bestimmendem Ton den B-Plan auslegt und alle Anstrengungen zur Schaffung/Erhaltung von Arbeitsplätzen blockiert. Und gleichzeitig werden von derselben Stadtverwaltung schlimmste Bausünden für die eigenen Bauten sanktioniert. Fahren Sie durch die Dörfer und Städte und sehen Sie sich Sparkassengebäude und nach 1945 gebauten Rathäuser an: »Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer hat die schlimmste Fassade im ganzen Land?« 

Gerade am Baurecht kann man beobachten, daß weder CDU noch SPD die Entbürokratisierung des Staates wollen – allen Bekenntnissen zum Trotz. Die SPD unterscheidet sich hierbei von der CDU, da sie gar nicht erst verspricht, den Beamtenstaat einzuschränken. Und die FDP ist wie immer nur aus wahltaktischen Gründen für eine Liberalisierung (so lange es nicht ihre Wähler und Zahler trifft).        zurück


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