Kontakt /
                contact      Hauptseite / page principale / pagina principal /
                  home     zum
                Europa-Index 1850-2000      
<<           >>

Kartoffel-Geschichte Furche 3.5. Chips, Fritten, Kartoffelsalat und Branntwein

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Chips und Fritten, Kartoffelsalat und Branntwein:
https://web.archive.org/web/20120118185920/http://www.kartoffel-geschichte.de/Dritte_Furche/chips_und_fritten/chips_und_fritten.html

Teilen / share:

Facebook







 Kartoffel-Geschichte 3.5. Chips, Fritten, Kartoffelsalat und Branntwein

Vorweg: Die Knolle ist als junkfood nicht geeignet – aber auch nur eingeschränkt als amuse-gueule.Ansonsten paßtdie Kartoffel wegen ihrer Geschmacksneutralität immer – nicht nur als Sättigungsbeilage. Robert Gern­hardt, dem man auch dieses nachsehen muß, erzählt in einer Geschichte, daß man Kartoffeln jedoch nicht zu Mumeln servieren könne.


Den Deutschen wird nachgesagt, daß sie leidenschaftliche Kartoffelesser seien. Das mag stimmen; die Fama rührt möglicherweise von dem Komponisten Christoph Willibald Ritter von Gluck her, der 1745 nach Paris ging und angeblich täglich »Kartoffeln mit Sauerkraut und Schweinefleisch« aß und dieses Leib­gericht anderen »Leckerbissen« vor­zog. Ein Mann mit solcher Vorliebe prägt die Welt- und Musikgeschichte und beeinflußt Wagner und Strauß! Daher kommt der nickname »Krauts« (wie die »Huns« und »Jerries« genannt werden), aber es ist ja auch richtig, daß die »frogs« jeden Tag Froschschenkel essen. Und das ist so richtig, wie die Feststellung, daß alle Italiener Nudeln essen, die Engländer täglich Plumpudding und die Ameri­ka­ner Sandwichs.

1856 beschreibt Gottfried Keller eine Kartoffel­breimahlzeit der »Leute von Seldwyla«:
    »Die Mutter kochte nämlich jeden Mittag einen dicken Kartoffelbrei, über welchen sie eine fette Milch oder eine Brühe von schöner brau­ner Butter goß. Diesen Kartoffelbrei aßen sie alle zusammen aus der Schüssel mit ihren Blechlöffeln, indem jeder vor sich eine Vertiefung in das feste Kartoffelgebirge hineingrub. Das Söhnlein, welches bei aller Seltsamkeit in Eßangelegenheiten einen strengen Sinn für mili­tärische Regelmäßigkeit beurkundete und streng darauf hielt, daß jeder nicht mehr noch weniger nahm, als was ihm zukomme, sah stets darauf, daß die Milch oder die gelbe Butter, welche am Rande der Schüssel umherfloß, gleichmäßig in die ab­geteilten Gruben laufe; das Schwesterchen hingegen, welches viel harm­loser war, ­suchte, sobald ihre Quellen versiegt waren, durch aller­hand künstliche Stollen und Abzugsgräben die wohl­schmeckenden Bächlein auf ihre Seite zu leiten, und wie sehr sich auch der Bruder dem widersetzte und ebenso künstliche ­Dämme aufbaute und überall verstopfte, wo sich ein verdächtiges Loch zeigen wollte, so wußte sie doch immer wieder eine geheime Ader des Breies zu eröffnen oder langte kurzweg in offenem Friedensbruch mit ­ihrem Löffel und mit lachenden Augen in des Bruders gefüllte Grube. Alsdann warf er den Löffel weg, lamentierte und schmollte, bis die gute Mutter die Schüssel zur Seite neigte und ihre eigene Brühe voll in das Labyrinth der Kanäle und Dämme ihrer Kinder strömen ließ.«

Stimmt – so haben wir’s gemacht!

Der französische Psychiater Pasini glaubt festgestellt zu haben, daß zwischen Tischmanieren und Eßverhalten einerseits und dem Verhalten bei den »ehe­lichen wercken« andererseits ein direkter Zu­sammenhang besteht: Maestro Rossini: »Der ­Magen ist der Kapellmeister, der das Orchester unserer Leiden­schaften dirigiert.« Wer den Kartoffelbrei hastig in sich hineinschaufelt, wer freudlos die Salatblätter unter­sucht oder gierig über den Kartoffelsalat herfällt, der benimmt sich im Bett nicht anders. »Es hängt nicht viel davon ab, ob jemand eine pürierte Kartoffel oder eine gekochte Kar­­toffel ißt; aber ob er eine gekochte Kartoffel mit pürier­tem Verstand ißt, davon hängt schon eine ganze Menge ab.« Oder so ähnlich.

In seinem Buch »Nourriture et Amour« werden Kostverächter der mangelnden Sinnlichkeit verdächtigt, Schnell­­­­­esser wegen Überschreitung der lustvollen Geschwindigkeit gerügt. Sicher­­lich kann Pasinis Erkenntnis über­tragen werden: Raser mit Bleifuß ver­halten sich im Verkehr voreilig, während bekanntermaßen Frauen zumeist die Ge­schwindig­keits­­begren­­zungen einhalten.

Die einfachste Art, Kartoffeln zu verzehren, sind Pellkartoffeln, in Idaho »jacket potato« genannt. Ge­gessen mit Quark, Speck oder Hering (früher Arme-Leute-Nahrung) hatte man ein ein­faches, billiges und schmackhaftes Gericht. Heute sind Pellkartoffeln mit Matjes wieder als Köstlich­keiten anerkannt in guten Restaurants und entsprechend­ teuer. Pellkartoffeln (wie auch Salz­kartoffeln) sind, wenn sie nicht nur den Magen füllen, sondern auch den Teller zieren und den Gaumen erfreuen sollen, ein Produkt, das noch der Veredlung harrt.

Johannes Trojan:
    »Wenn auf den Tisch dann wird gestellt

    Die Schüssel mit den Knollen,

    der schlanke Hering sich gesellt,

    den üppigen und vollen.,

    Und wenn dann in dem Glase blinkt

    Des Weins ein guter Tropfen,

    ein Bier vielleicht, das unbedingt

    gemacht aus Malz und Hopfen:

    Dann sprecht mir nicht von überaus

    Prosaischen Gerichten!

    Ich sah beim Pellkartoffelschmaus

    Schon einen Dichter dichten!«

Pellkartoffeln sind natürlich, ge­sünder, denn der Geschmack bleibt erhalten und nichts wird aus­geschwemmt; die Kraft der Kartoffel liegt direkt hinter der (korkigen) Schale. Bereits nach Unter­suchungen im Jahr 1874 von A. Vogel nimmt bei der Kartoffel der Eiweiß­gehalt von der äußeren Schale zum inneren Kern ab, und zwar im Verhältnis 121 zu 100. Es geht also, wenn die Kartoffel geschält zubereitet wird, der wirksamste Bestandteil für die mensch­liche Ernährung verloren.

René Obaldia in »Der unbekannte General«:
    »Kartoffelschälen bleibt vielleicht das größte menschliche Abenteuer.«

Für Kartoffelsalat nehme man am besten sogenannte Salatkartoffeln (wie die Österreicher ­sagen: Kipfler), auch »Wurstkartoffeln« oder »Mäusle« ge­nannt. Die Zutaten: eine Menge Kartoffeln, Zwiebel, Salz, Mayonnaise. Und nun geht’s los: Die Kartoffeln werden weich gekocht, geschält und in Scheiben geschnitten. Der Speck wird würflig ge­schnitten, ausgebraten und den Kartoffelscheiben beigemischt. Zwiebel klein­schneiden, ebenfalls untermischen und schließlich die Mayonnaise: Frei nach Roald Dahl:
    »›Bis jetzt dachte ich immer, eine saftige, frisch im Netz gefangene Schmeißfliege sei das Allerbeste‹, sagte die Spinne, ›aber da hatte ich diesen Kartoffelsalat noch nicht probiert.‹«

Im Ländle und in anderen Gebieten westlich und südlich Berlins wird anstelle der Mayonnaise Fleischbrühe und Eigelb, Essig und Öl (aglio und olio) verwendet. Kartoffelsalat mit Bulette (für Norddeutsche: Frikadelle, für Süd­deutsche: Fleisch­pflanzerl) ist in Hasloh und Berlin ein Essen bei jedem Lauben­pieperfest. Obwohl Beefsteak und Bulette nicht gegessen werden soll­ten, weil einem die Augen der betreffenden Kuh verfolgen bis in alle Ewigkeit. Schrieb James Joyce. Und Honoré Daumier titelt eine Karikatur, in der ein Hungerleider einem wanstigen Rechtsanwalt ein üppiges Mahl spendiert: »Beef­steak und Kartoffeln steigert die Redegewandtheit.«
    »Man kann sie gebrauchen auf mancherlei Art

    geröstet, gebraten, zu Supp’ und Salat,

    und hat man kein Salz und hat man kein Schmalz,

    so rutschen sie abgequellt auch durch den Hals.«

Beim Kartoffelverzehr möge bedacht werden, daß es sich bei der Knolle um eine Pflanze handelt, die ein eigenes Bewußtsein haben könnte, zumindest aber eine nachgewiesene Gehirnaktivi­tät besitzt: Hirnströme wird man die unregel­mäßi­gen Ausschläge in dem EEG einer Kartoffel kaum nennen können, doch irgendeine Aktivität ist offen­bar selbst in diesem »simplen« Gemüse vor­handen. Deshalb ist es unpassend, einen stumpfen Com­puter­konsumenten (so DIE ZEIT) als »mouse potato« zu bezeichnen: Das nähert sich dem Rudolf Steiner, der die Knolle als »dumpfes Gemüse« ­bezeichnete. Ein Versuch zur Messung der Gehirnströme (in der Salpétrière in Paris) war denkbar einfach. In einer großen Kartoffel wurden zwei Elektroden gesteckt und die dazwischen auf­tretende Potentialdifferenz mit einem gewöhn­lichen EEG-Schreiber auf­gezeichnet. Über zusätzliche Elektroden wurde die Kartoffel ge­erdet. Die sicht­bar gewordenen Ampli­tudenausschläge, die zwischen 120 und 170 Mikrovolt liegen, lassen die Fachleute rätseln). Was in dieser untersuchten Kartoffel (oder war’s ein Wirsingkohl?) vorging, kann bisher niemand erklären. Bereits 1874 hatte Julius Ranke von der ­Münchener Akademie der Wissenschaften den ­experimentellen Nachweis geliefert, daß in Pflanzen elektromoto­rische Ströme ver­laufen. Die Einwohner von »Ere­whon«, einer Utopie von Samuel Butler (1872 er­schienen), dürfen Kohlköpfe nur verspeisen, wenn diese nachweislich abgestorben sind. Erwin Blu­men­feld spricht vom »ethos potetos«, von der Kartoffelseele. Pythagoras: »Töte nichts, was ­Leben hat.«

Das wirft die Frage auf: »Wie ist es, eine Kartoffel zu sein?« Cogito ergo sum: Warum sollte die Knolle nicht denken, daß sie sei? – immerhin besitzt die Kartoffel 48 Chromosome, während der Mensch nur 46 besitzt. Und (noch pein­licher): Der homo sapiens ist näher mit der Bier­hefe verwandt als – zum Beispiel – mit unse­ren gefiederten Freunden. Der Pflanzen­physiologe Anthony Trewavas hält Pflanzen für intelligent. Offenbar besitzen Pflanzen einen ausgeprägten »Tastsinn«, der mechanische Reize wie Wind oder Berührung unterscheiden kann, ein »Geruchssinn« erstellt ein präzisen Duftbild des Pflanzenstandortes. Trewavas:

    »Pflanzen können acht­zehn verschiedene Arten­ von Umweltreizen wahrnehmen, von denen jeder einzelne in seiner Intensität schwankt und viele sich in ihrer Wirkung gegen­seitig beeinflussen.«

Bis zur Auffindung des »Steins von Rosette« im Jahr 1822 durch Jean François Cham­pollion glaubten die Ägyptologen auch, die Hiero­glyphen seien nicht ent­zifferbar.

Professor A. S. Tarantoga von der Universität Fomalhaut berichtet in der Vierteljahreszeitschrift »Tichiana«, daß eine Expedition nach Tairien faserige Strünke mitbrachte, die sich bei näherer Unter­suchung als solanum tuberosum herausstellten. Hintergrund dieser Expedition waren Auseinandersetzungen über die Frage, ob und ggf. wie sich Kar­toffeln fortbewegten. Semantiker meinten, daß, alles hänge davon ab, wie man die Worte »Kartoffel«, »ist« und »beweglich« verstünde. Die Ur­sache der sich bewegenden Kartoffeln könne im übrigen­ auf die normale darwinsche Selektion zurück­zuführen sein, wonach äußere Einflüsse die Kartoffel veranlaßten, zu verwildern und zu »nomadi­sieren«. Wenn man zu diesem Thema Neo-Kantia­ner hören würde, so würden diese sicherlich ­sagen, daß die Kartoffeln Schöpfungen des Geistes seien und somit nicht erkennbar; wenn der Geist die Idee einer beweglichen Kartoffel geschaffen habe, dann müsse die bewegliche Kartoffel wohl existieren. In diesem Zusammenhang sind auch die Aufnahmen von Attenborough interessant, der mit Zeitlupe-Einstellungen die Bewegung von ­Pflanzen filmisch dokumen­tiert hat.

Über die Erfindung des Kartoffelchips gibt es mehrere Geschichten. Eine lautet: Im Sommer 1853 (oder 1854) sei der Indianer George Crum als Koch (berühmt für ein besonders künstlerisch zubereite­tes Entengericht) in dem Restaurant »Moon Lake Lodge« im »Half Moon Hotel« in Saratoga Springs, New York, beschäftigt gewesen. Ein Gast, Commo­dore Cornelius Vanderbilt, habe die zu dicken (hand made) pommes frites zurückgehen lassen, und daraufhin habe Crum die Kartoffeln dünn geschnitten, stark gesalzen und anschließend kroß fritiert, so daß der Gast sie nicht mehr aufspießen konnte. Dieses soll den Gast jedoch entzückt und nicht geärgert haben. Wer Amerikaner jemals beim Essen beobachtete, wird wissen, daß das Aufspießen vom Teller sicherstellte, daß man eine Hand immer am Colt (unter dem Tisch) haben konnte, was beim Essen von Chips nicht so einfach möglich ist. Margaret Visser weist daraufhin, daß die meisten Amerikaner kein »Mischmasch« auf ihren Tellern haben wollen, es sei denn, sie haben sich bewußt entscheiden, etwas »Exotisches« zu essen. Es ­würde eins nach dem anderen gegessen, erst Fleisch, dann Gemüse, dann die chips. Puritanische Reinheit, Sauberkeit und Ordnung? Wohl aber mit tagelang im selben Öl liegenden pommes frites. Im Norden Frankreichs werden um 1870 die ersten pommes frites von Straßenhändlern verkauft, hergestellt in Öl aus Pferdefleisch, »serviert« in einer Papiertüte; dies wird sehr schnell die Hauptmahlzeit der arbeitenden Klasse. Zur gleichen Zeit entwickelt sich in England das fish-and-chips-Geschäft als bevorzugtes Nahrungsmittel. In Deutschland werden 1917 getrocknete Kartoffelstreifen zur Verpflegung der Armee hergestellt. Von der Firma Eckart in München. Am gleichzeitigen Handhaben von Messer und Gabel erkennt man in den USA den Europäer.

Je höher der Zuckergehalt der Knolle, desto dunk­ler werden chips und fritten; deshalb wird darauf geachtet, daß die Kartoffel möglichst ­wenig Zucker enthält, was auch für die Zähne gut ist; der Zuckergehalt wird von Enzymen, den Invertasen, gesteuert. Dennoch wird Traubenzucker (Glucose C0H12O6) zu­meist aus Kartoffeln (oder Mais) her­gestellt. Wissenschaftler vom Botanischen Institut der Universität Heidelberg und vom Institut für Kultur­pflanzen­forschung in Gatersleben isolierten aus Tabakpflanzen einen natürlichen Hemm­­stoff der Invertase und bauten den entsprechenden Gen in die Knolle ein. Obwohl weniger Zucker entsteht, bleibt die Stärkebildung und damit der Ertrag unverändert. Nun können die Kartoffeln ohne chemische Konservierung den Winter über gelagert werden.

Kartoffelchips waren eine lokal begrenzte Spezialität, bis Anfang der 20er Jahres dieses Jahrhundert ein Handlungsreisender namensHerman Lay die Chips auch zwischen Atlanta und Tennessee be­kannt machte. Lay verkaufte die Chips aus dem Kofferraum seiner (natürlich schwarzen) Tin Lizzy an die Lebens­mittelhändler und gründete später ein Unternehmen, das den Namen »Frito-Lay« erhielt und heute als Tochtergesellschaft der PepsiCo Inc. Kartoffel­chips mit »Olestra« von Procter & Gamble auf den Markt bringt und auf den Packungen aufdrucken lassen muß:
    »Dieses Produkt enthält Olestra.

Olestra kann Magenkrämpfe und Durchfall verursachen.«

Und »Time« schrieb, es führe obendrein zu »Abwinden«. Kartoffelchips mit »Olestra« bestätigen jetzt endlich die Auffassung von Diderot. »Olestra« kann auch für Eiskreme und Creme-Desserts verwendet werden. Das Pseudofett wird von Mikroorganismen in Kläranlagen nicht abgebaut und muß daher als Sondermüll deponiert werden. Gesegnete Mahlzeit sei gewünscht.

Dazu paßt ja ganz hervorragend, daß die Kartoffel die Erbanlage für ein Teilstück des bakteriellen Enterotoxins LT–B enthält; dieses Impfantigen reichert sich in ihren Knollen an. Wozu das führt? Die Forscher des Boyce Thomp­son Institut for Plants Research in Ithaca/New York wollen einen eßbaren Impf­stoff entwickeln, der vor Durch­fällen schützen soll, die von toxischen Koli­bakterien ausgelöst werden. Es gilt nur noch ein kleines Problem zu lösen: Die Kartoffelstücke müssen roh verzehrt werden. Die Manipulanten an der Tulane University und an der University of Maryland ­haben die Kartoffel entsprechend verändert; jetzt wird nur noch auf eine »anständige« Epidemie gewartet, damit die rohen Kartoffeln an einer ausreichend großen Anzahl von Menschen praktiziert werden können. Es ist also nur noch ein kleiner Schritt von der Verbindung einer »Olestra«-Kartoffel mit einer LT-B-Kartoffel. Da wird auf der einen Seite eine Kartoffel derart manipuliert, daß ihr Genuß Durchfall auslösen kann und mehr oder weniger parallel wird die Knolle dahingehend verändert, daß sie genau diese Nebenwirkung ausschaltet, was jetzt Versuchspersonen er­proben sollen. Zu Risiken­ und Nebenwirkungen fragen Sie doch Ihren Gemüse­­händler. Schon der Lausanner Arzt Tissot schrieb 1740 über den unmündigen Bürger:
    »Dem Arzt kommt es zu, von der Krankheit zu urtheilen, und die Arzneimittel vorzuschreiben; und man [der Patient] sollte selbst einsehen, wie unschicklich es ist, ihm den Gebrauch eigner Mittel anstatt der seinigen vorzuschlagen.«

«Frito« ist heute für US-Amerikaner das Synonym für Kartoffelchips. Harry Angstrom, der olle Schwede, nach seinem Herzinfarkt über seinen Arzt:
    »Der Kerl hat was gegen Kartoffelchips und Hot Dogs. Wenn Gott nicht gewollt hat, daß wir Salz und Fett essen, wieso hat er dann dafür gesorgt, daß beides so gut schmeckt.«

Die indische »Bharatijya Janata Party« (BJP) verwendete im Wahl­kampf 1996 den Slogan »Mikrochips ja – Kartoffelchips nein«, um damit gegen Coca Cola, Kellogg’s Cornflakes und Kentucky Fried Chicken (PepsiCola) vor­zugehen, der Kampf für Ghandis »Swadeshi« (Selbstgenügsamkeit) zieht die Kartoffel mit ein.

Über den grenzenlosen Erfolg von chips und fritten sind die traditionellen Kartoffelgerichte immer mehr in Vergessenheit geraten.
    «Den Belgiern hat der Herrgott die fritten gegeben, und das war fast so wichtig wie die Europäische Kommission und die beleuchtete Auto­bahn. Bedeutende Belgier von Mar­gritte bis Christine Ockrecht sind emigriert, ohne in ihrem Heimatland verfolgt zu werden – sie mußten einfach der Friteuse entkommen.«

Anfang  2002 begann, ausgehend von neuen Meßmethoden in Schweden, weltweit eine Diskussion über die Schädlichkeit von frites und Bratkartoffeln, die später auf alle gebratenen Produkte ausgeweitet wurde. Gemeint ist die Entdeckung einer Substanz, die möglicherweise und ab bestimmten Mengen sicher Krebs auslöst: Acrylamid.

Acrylamid bildet sich bei Temperaturen über 100 °C aus Zucker- und Eiweißbausteinen; die Substanz entsteht beim Bräunungsprozeß, also beim Fritieren, Rösten, Grillen, Braten und Backen von Kartoffeln- und anderen stärkehaltigen Produkten. Auch in dem ach so gesunden Knäckebrot ist es zu finden, in Kaffee und in Frühstücksflocken, beim Döner. Und je knuspriger die Brotkruste, desto mehr Acrylamid nimmt man zu sich. Seit Jahrtausenden von Jahren. Noch ist nicht genau bekannt, wie denn diese Verbindung entsteht.

Bis zu den schwedischen Untersuchungen war Acrylamid nur aus der Kunststoffindustrie bekannt; für Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff gab es Grenzwerte, deren Höhe aber mangels vorheriger Untersuchungen »willkürlich« festgelegt wurde; deutsche und schweizerische Laboratorien haben in Untersuchungen von Lebensmitteln nur wenige Produkte gefunden, bei denen die Acrylamid-Konzentration oberhalb eines »Signalwertes« von 1514 Mikrogramm je Kilogramm liegt.

Das deutsche Verbraucherschutzministerium hat empfohlen, pommes frites in der Friteuse bei 175 °C, im Umluftbackofen bei 180 °C bis 190 °C und bei Ober- und Unterhitze bei höchstens 200 °C zuzubereiten. Die Hersteller von chips haben, so der zuständige Bundesverband der Süßwarenindustrie, ihrerseits durch eine geänderte Produktionstechnik den Acrylamidanteil um 15 Prozent gesenkt.

Für uns Kartoffelfreunde empfiehlt uns das deutsche Verbraucherministerium:
    »– Kartoffelprodukte bei mittleren Temperaturen möglichst mit Margarine braten, um eine Überhitzung zu vermeiden, scharfes Anbraten und eine zu starke Bräunung vermeiden« (Anm. d A.: Aber erst dann schmecken Bratkartoffel!)

Außerdem soll man Bratkartoffeln nur aus gekochten Kartoffeln herstellen, aus frischen Kartoffeln und aus Knollen ohne grüne Stellen.

 
Seit den 1970er Jahren hat sich in Deutschland der Bedarf an Kartoffeln für die weiterverarbeitenden Lebensmittelindustrie auf 1,9 Millionen Tonnen ver­vierfacht, und in der Stärkeindustrie stieg der Bedarf um das Fünf­undzwanzig­fache auf rund 2,3 Millionen Tonnen. Bis 1945 erfolgte in Deutschland die Stärkegewinnung fast ausschließlich aus Kartoffeln (inzwischen hat der Mais mit mehr als siebzig Prozent den ersten Rang). Im Wirtschaftsjahr 1996/1997 wurden fast 47 Prozent der Kartoffeln weiterverarbeitet; vierundvierzig Kilo­gramm wurden als sog. »Frischware« konsumiert.

Die Mahlzeit vonHenri Desiré Landru am 24. Fe­bruar 1922, am Tage seiner Hinrichtung, bestand aus kaltem Huhn mit pommes frites, Kaffee, Mine­ral­wasser. Proviant für die letzte Reise. Marcel Proust hat angeblich auf der Suche nach der verlorenen Zeit in seinem Stammlokal »Grand Véfour« nur pommes Friese gegessen, was ihn an seine Jugend und den einfachen Mahlzeiten im Loire-Tal erinnerte.

Die Behauptung, die Belgier hätten die fritten erfunden, ist nicht beweisbar. Die Belgier gelten jedoch weltweit als Erfinder der pommes frites:
    »Na, Kantineke, hast du mal den Versuch chemacht, Kartoffeln zu frittieren« fragt Stel­lar­toix seine Frau, und sie antwortet: »Nein. Die Menapier wollten dat letzte Essen vor der Schlacht zubereiten. Sie sachen, dat sei bekömmlicher für sie.«

Das gehört in die Rubrik der »histoires belges«, denn »Asterix« ist von Franzosen geschrieben und gezeichnet worden. Auch die Franzosen behaupten, sie hätten die »pommes frites« erfunden (in England werden sie »french fries« genannt); richtig ist, daß Präsident Thomas Jefferson das Rezept für pommes frites mit nach Hause nahm und – nebenbei – den Amerikanern bessere Zeiten versprach und bei einem Galaessen im »Weißen Haus« »Potatoes served in the french matter« auftragen ließ. Immer, wenn das Loblied der fritte gesungen wird, sagen die Franzosen, sie hätten sie erfunden, sonst sind es die Belgier (die Ostfriesen der Franzosen).

Die Belgier begründen ihren Anspruch auf die Ur­heberschaft damit, daß die Kartoffeln in einer Form geschnitten seien, mit der die Bürger von Lüttich früher Fischchen imitieren wollten, die im Winter durch Kartoffeln ersetzt wurden. Jean-Michel Otho­niel erzählt dagegen, daß die fritte irgendwie mit Amor und Psyche zusammenhängt; Amor verbrennt sich ein bestimmtes – Sie wissen schon – Körperglied, als er Psyche berührt (aber das kann gar nicht sein, denn im alten Griechenland gab es ja keine Kartoffeln!). An anderer Stelle steht, daß die Einwohner von Namur, Andenne und Dinant in der Maas nur kleine ­Fische fangen würden und selbst diese karge Aufbesserung der Arme-Leute-Kost sei im Winter nicht möglich gewesen; deshalb würden die Kartoffeln in Form von kleinen Fischen geschnitten, damit wenigstens die Illusion bliebe.

Der belgische Verbraucherverband »Test An­koop« hat 1998 bei einer Untersuchung von 59 Frittenbuden festgestellt, daß die pommes frites nicht mehr so lecker sind wie noch Anfang der 1990er Jahre. Grund: Das seltene Auswechseln des Frittieröls; der Vorsitzende des Berufsverbandes der Imbiß-Besitzer, Decraeye, meint dagegen, es läge an der schlechteren Qualität der Kartoffeln – da macht er sich das ein bißchen einfach.

Sicher ist nur, daß die Brüsseler die Kartoffeln vor den Parisern anbauten. Und sicher ist, daß die Belgier als erste auf die Idee kamen, die fritten sechseckig aus der Maschine zu pressen, weil dann das Fett besser auf­genommen wird. Für Ronni McDonald ist diese Streiterei müßig. Versuche – wie schon bei der Tomate in den USA – die Kartoffel rechteckig oder quadratisch wachsen zu lassen, damit die Produzenten von pommes frites eine bessere Schneidetechnik verwenden können, sind bisher nicht erfolgreich gewesen (oder: Es wird ja nicht alles bekanntgegeben). Der kanadische Lebens­­­mittelkonzern McCain verzichtet seit 1999 auf gentechnisch veränderte Kartoffeln, denn: »Wir sind im Geschäft, um den Kunden zu geben, was sie wollen, nicht, was wir glauben, was sie haben sollten.« Im übrigen gilt: Chips und frites sind Trockenprodukte zu saftigen Preisen:
    »Zeascht lega, klauba, hau sortiera,

    noi – dau mach i nemma mit.

    Koi Deifel frisst mea Bodabiera

    Alz frisst bloss pom-frit!«

Branntwein aus Kartoffeln wird erstmals 1682 (von dem Wiener Johann Joachim Becher in seinem Tractat) erwähnt. Auf Weisung von Herzog Karl I. von Braunschweig wird 1748 in Braunlage im Harz eine der ersten Brennereien errichtet; die damals in Braunlage und Umgebung bestehende Eisen-Industrie war zum Erliegen gekommen.

Karl I. veranlaßte zur Linderung der Not der arbeitslosen Bergleute den Anbau »einer gewissen Art von Erdäpfeln« für die Branntweinbrennerei. Im 19. Jahrhundert soll es spezielle »Schnaps­kartoffeln« gegeben haben. 1773 emp­fiehlt Pfarrer Meyer in einem in Nürnberg gedruckten »Lehrbuch für die Land- und Hauswirtschaft« »Brannt­wein allein aus Kartoffeln zu gewinnen.«

Am 4. Februar 1876 informierte ein Herr von Kardoff die deutsche Reichs­regierung, daß in den östlichen und nördlichen Provinzen früher nur etwa ein­tausend Menschen je Quadratmeile lebten, jetzt aber
    »ernährt das Land infolge der Spritfabrika­tion etwa dreitausend Menschen pro Quadrat­meile, denn die Brennereien sind für die Kartoffel ... ein notwendiger Absatzmarkt, weil sie ihrem Volumen nach schwer zu transportieren ist und im Winter wegen des Frosts gar nicht transportiert werden kann.«

Friedrich Engels nimmt diese »Interpellation« zum Anlaß, sich über die Geschichte des Branntweins in Preußen allgemein und über den Untergang der preußischen korn­brennenden zugunsten der kartoffelbrennenden Großgrund­besitzer zu äußern. Deutschland, so Engels, wird von einer »wahren Sturmflut von preußischem Kartoffelfusel überströmt«. Das führe dazu, daß die Wupper­taler Arbeiter
    »keine andere Wahl hätten, als die zwischen irdischen Schnaps der Kneipen und dem himmlischen Schnaps der pietistischen Pfaffen – was Wunder, daß sie den ersteren vorzogen, so schlecht er war.«

Kartoffelschnaps nebst Fuselöl werde zum Verschnitt Hamburger Rums, aber auch zur »Aufbesse­rung« und Streckung französischer und spanischer Weine; es ist zu hoffen, daß dies heutzutage nicht mehr geschieht!. In einer Anmerkung zur eng­lischen Ausgabe des «Kommunistischen Manifestes« von 1888 weist Engels auf die Bourgeoisie hin, die
    »Treue, Liebe, Ehre mit dem Schacher in Schafswolle, Runkelrüben und Schnaps (zu) vertauschen«
und schreibt weiter:
    »Dies bezieht sich hauptsächlich auf Deutschland, wo der Landadel und das Junkertum einen großen Teil ihrer Güter auf eigene Rechnung durch ihre Verwalter bewirtschaften lassen und daneben noch Großproduzenten von Rübenzucker und Kartoffelschnaps sind.«

Branntwein aus Kartoffeln (1996 wurden in der Bundesrepublik rund fünfzig Millionen Liter Kar­toffelalkohol aus rund 430.000 Tonnen Kartoffeln produziert, für die eine Anbaufläche von etwa fünfzehntausend Hektar erforderlich ist) soll im Vergleich zu Getreideschnaps konkurrenzlos billig gewesen sein; dies habe auch zu dem starken Alkoholkonsum geführt, dem sich die unteren Schichten hingäben. Eine weitere Brennerei wurde in Monsheim in der Pfalz errichtet. Bei der Verarbeitung von Kartoffeln fällt Schlempe an, die ein wichtiges Futter­mittel für das Vieh bildete. Der preußische Finanzminister (Tresorier) Johann von Miquel (Erfinder der modernen Ein­kommensteuer):
    »Keine Brennerei – keine Schlempe; keine Schlempe – kein Vieh; kein Vieh – kein Dünger; keinen Dünger – keinen Roggen und keine Kartoffeln; und was dann folgt, ist die Kiefer.«

Versuche, die Kartoffel als nachwachsenden Rohstoff auch (wieder) für die Kraftstofferzeugung (Bio­methanol) einzusetzen, scheitern derzeit an den an­fäng­lich deutlich höheren Herstellungs­kosten gegenüber fossilen Energie­trägern.

Ohne die Kartoffel hätten wir nur Obstler, Traubensäfte, Bier und im Hals kratzende Brannt­weine aus Getreide. Bei der Gelegenheit: Wodka ist kein Kartoffelschnaps, son­dern wird auch in Polen und Rußland aus Getreide hergestellt; nur in Notzeiten wich man für die Herstellung von Alkoholika auf Kartoffeln aus. Dennoch hat das »Wässerchen« aus Kartoffeln eine große Bedeutung (nicht nur) in Rußland gehabt: Um 1858 gab es in allen größeren russischen Städten Schneider­werkstätten, in denen die Schneider mit Wodka entlohnt wurden. In den Vereinigten Staaten (USA) – einer Zivilisation, aufgebaut auf Coca-Cola und Hamburger – ist vorgeschrieben, daß Wodka geruchs- und geschmacks­neutral zu sein hat – Wodka aller Marken schmecken also identisch (»A bottle a day keeps the doctor away«). Bereits 1747 stellt Lautingshausen Alkohol aus Kartoffeln her Erste Versuche, aus Kartoffeln Spiritus zu gewinnen, sind bereits um 1640 in Irland nachzuweisen. In Venedig soll sich der AbtPasquini um die Gewinnung von Kartoffelschnaps verdient gemacht haben, um Alkohol aus Brot­getreide zu vermeiden. 1906 schlägt ein Dr. W. Behrend vor, die damalige Überproduktion von Kartoffeln für die Herstellung von Spiritus als Ersatz für Petroleum zu verwenden und damit eine Milliarde Liter Petroleum (für die neunzig Millionen Goldmark an Devisen aufgewendet wurden), zu ersparen. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgt wegen der erneuten Über­produktion auf den ostdeutschen Agrargroßbetrieben ein Beimischungszwang beim Automobil­kraftstoff.

Alkohol aus Kartoffeln hat den Vorteil, ge­schmacks­neutral zu sein, so daß man es mit allerlei Zutaten zu einem Gebräu eigener Art weiterentwickeln kann. 1818 veröffentlicht G. Fr. Jacobi eine Produktionsanleitung für »Brannte­wein aus gekochten Kartoffeln«:
    »Man nimmt 50 Pfunde Kartoffeln, wäscht solche und siedet sie in einem Kessel nur halb weich. Nun zerquetscht oder zerstößt man sie noch warm, so klein als möglich und bringt die Masse in das Ansatz­faß. In diesem­ muß 150 Pfund gesottenes Wasser seyn, das noch so warm ist, daß man kaum die Hand darinnen leiden kann, eher und auch nicht später, darf man den gestoßenen Kartoffel­brey nicht hinein schütten. Nun rührt man alles wohl durcheinander und läßt es dann stehen, bis es nur noch milchwarm ist. Hat die Masse oder der Ansatz diese Temperatur, so setzt man eine Maas oder 2 Pfunde Bierhefen zu, rührt und mischt alles noch einmal und vollkommen, bedeckt das Faß recht genau und läßt es nun zur Gärung ­stehen. Man sieht alle Tage nach und so wie sich die Masse setzt und allenthalben Bläschen, als Zeichen der vollkommenen Gärung, darüber stehen, was ungefähr am vierten Tag nach dem Ansetzen geschehen wird, so schreitet man ohne Zeitverlust zur ersten Brennung. Diese muß mit Vorsicht vor­genommen werden. Man rührt die Masse in der Branntweinblase so lange, bis sie zu kochen beginnt, beständig um, und erst wenn sie aufwallen will, setzt man den Hut auf. Durch diese Behandlung verhindert man das An­legen der Masse in der Blase, welches dem Branntwein einen unangenehmen brantigen Geschmack giebt«.

Und nun noch etwas Kümmel oder Anis oder Wacholderbeeren unter die Maische rühren und fertig ist der Kartoffelschnaps. Die Gewichts- und Maß­angaben könnten heute einige Schwierigkeiten bereiten. Deshalb ist es ein­facher, einen anständigen Kartoffelschnaps im nächstgelegenen Supermarkt zu kaufen. Carl Putsche schreibt 1919 in seiner Monographie: »Die Verwendung der Kartoffel zur Erzeugung geistiger Getränke ist weit größer und allgemeiner als zur Bereitung des Brodes. Da der Genuß derselben nun einmal Bedürfnis geworden war, so griff man sogleich zu einem Produckt, mit dem man schon im Kleinen höchst glückliche Versuche gemacht hatte. Und in der That wurde der Brannt­wein, den man daraus bereitete, so stark und schön. daß er in keinem Stück dem aus Getreide gebrannten etwas nachgab.«

Birge Laudi zitiert in ihrer Materialsammlung zum Kartoffelthema ein vererbtes ärztliches Kartoffelschnapsgedicht:
    »Und rinnt alsdann der Feuerbrand,

    Durch Herren oder Stoffel,

    dann preist mich hoch das ganze Land,

    mich schüchterne Kartoffel.«

Friedrich Nietzsche vertrat die Auffassung, übermäßiger Kartoffelgenuß führe zum Alkoholismus: In diesem Punkt hat sich der Mann mit der Peitsche geirrt. Da hat sich wohl der große Philosoph über die Wirkung geirrt: Kartoffeln machen weder dick und auch nicht trunken: Aber »ein Mann ohne Bauch hat keinen Appetit auf das Leben.« Tatsache ist, daß das »Couch-Potato-Syndrom« durch verarbeitete Kartoffeln (zum Beispiel als chips) in Verbindung mit »soap-operas« (1925 startete »Amos ’n’ Andy«) verursacht wird. Und noch einmal Rabbit: »In dieser Zeit sind alle Kids ›Couch Potatoes‹.«Anfang der 1980er Jahre entwickelte ein amerikanischer Football-Spieler eine Jacke, an der Klammern oder Klettbänder angenäht waren, mit denen Tüten mit Kartoffel­chips oder Erdnüssen körpernah angebracht werden konnten, so daß man sich nicht immer nach den Schalen auf dem Couch-Tisch recken mußte. Bequemer geht’s nicht. In der ZEIT vom 16. Mai 1997 wird ein Manager des Mercedes-Werkes in Tuscaloosa (Alabama) zitiert, die amerikanischen Arbeiter »sind so beleibt, daß sie keine Schraube vom Boden aufheben können«. Eine Folge des couch-potato-Syndroms. Fontane: »Kartoffeln ist was ganz Gutes, aber viel Kraft gibt es nicht.«

1831 wird darauf hingewiesen, daß die Kartoffel auch zum Gerben (anstelle der Gerste) zu gebrauchen ist:
    »Die frischen Erdäpfel sind viel wohlfeiler, gären sehr gut, und geben ein besseres Leder.«

Rudolph Zacharias Becker empfiehlt in seinem »Noth- und Hülfsbüchlein für Bürgers- und Bauersleute« 1793 und 1798 ein Kartoffel­brot:
    »Man schält die rohen Kartoffeln, schneidet sie in kleine Stücke und legt sie über Nacht in frisches Wasser. Den andern Tag nimmt man sie heraus, tut sie in einen Kessel oder einen großen Topf, setzt sie mit soviel Wasser, daß es die obersten erreicht, ans Feuer und kocht sie zu einem ordentlichen Brei. Ist dieser fertig und soviel abgekühlt, daß man die Hand darin leiden kann, so reibt man ihn durch ein enges Sieb und knetet soviel Kornmehl hinein also sonst ein gewöhnlicher Brotteig erfordert, ohne einen Tropfen Wasser dazuzugießen. Diesen wohl durchgearbeiteten Teig läßt man die Nacht über etwa 9 bis 10 Stunden stehen. Des Morgens nimmt man wieder kein Wasser hinzu, sondern arbeitet den Teig wohl durch und knete so viel Mehl hinein, bis er eine gehörige Steife bekommt. Nun muß er drei oder vier Stunden in ziemlicher Wärme stehen, ehe er ausgewirkt und in den Ofen geschoben wird. Der Ofen muß etwas stärker als bei Mehlteig geheizt sein.«

Becker legt außerdem dar, wie man neue Kar­tof­felsorten züchtet:
    »Seit einigen Jahren hat man nun bemerkt, daß diese nützliche Frucht ausartet und immer­ schlechter und ungesunder wird, sowohl für die Menschen als fürs Vieh. Verständige Landwirthe haben daher überlegt, was dabei zu thun sey, und haben zwei Mittel gefunden, wie man sie wieder verbessern kann. Das eine ist, daß man neuen Saamen zu­ziehet. Man setzt nämlich gute, frische, nicht ausgewachsene Erdäpfel in ein Gartenbeet an einen sonnenreichen Ort, und läßt das Kraut bis in den Herbst stehen. Alsdann sammelt man die reiffsten Saamen­äpfel, und reibt sie durch einen Durchschlag in einen Zober mit Wasser. Da fällt der Saamen zu Boden, diesen trocknet man langsam zwischen Löschpapier, und bewahrt ihn an ­einen lüftigen Ort bis aufs folgende Frühjahr. Da säet man ihn ganz dünn aufs Gartenbeet und hauet und häufelt fleissig um die jungen­ Pflanzen. Im Herbst macht man die ­neuen Erdäpfel aus, welche noch ganz klein sind. man verwahrt sie nun in einer tiefen Grube im Freyen, damit sie nicht aus­wachsen, und pflanzt sie im folgenden Frühjahr. Dieß giebt eine ganz neue vortreffliche Art von Erd­äpfeln.«

Zum Kartoffelbrotnoch eine Ergänzung: Ab Oktober 1914 mußte Weizenbrot mit einem bestimmten Anteil von Roggenmehl hergestellt und die Ausmahlung erhöht werden, was den Nährwert deutlich herabsetzte; Roggenbrot enthielt Kartoffeln bzw. Kartoffelprodukte. Solches Brot mußte mit dem Buchstaben »K« gekennzeichnet werden: »K«-Brot wie »Kartoffelbrot« oder – patriotischer – »Kriegsbrot«. Bei einem Zusatz von mehr als zwanzig Prozent an Kartoffelmehl hieß der Laib »KK«-Brot. Karl Julius Weber:
    »Die Kartoffel allein verbindet die deutschen Stämme zu einem gemeinschaftlichen Bunde.«

Der englische Premierminister David Lloyd George prägte in diesem Zusammenhang den Begriff vom »potato-bread-spirit«, der England gefährlicher werden könnte als der deutsche Militarismus – und ganz unrecht hatte er nicht, denn auf Postkarten mit Durchhalteparolen heißt es:
    »Droh'n uns're Feinde auch noch so viel

    Uns mit der Hungersnot Graus

    Wir machen die letzte Kartoffel mobil

    Wir Deutsche, wir halten aus.«

Bereits 1914 wurden für Kartoffeln Höchstpreise­ festgesetzt. Im Frühjahr 1915 kam es zu an­geordneten »Schweinemorden«, da es für die Pro­du­zenten günstiger wurde, Getreide und Kartoffeln an die Schweine zu verfüttern als es ihren städtischen Nachbarn zu geben: Schwein und Mensch im Kampf um die knappen Nahrungsmittel. Obwohl die Kartoffelernte 1915 mit 47 Millionen Tonnen höher als in Friedenszeiten war, kam es zu permanenten Engpässen in der Versorgung der Be­völkerung. Im »Kladderadatsch« vom 3. Dezember 1916 steht:
    »Wird die Kartoffel bei dir knapp,

    Wird blau und schwarz sie, grünlich, schimmlig,

    So schwenke zu den Rüben ab.«

Da spielt dann die Rumfordsche Suppe im »Kohlrübenwinter« des Ersten Welt­kriegs 1916/1917 (als man noch nicht wußte, daß man die Kriege numerieren würde) eine entscheidende Rolle in der Ernährung der deutschen Bevölkerung. Allein im Königreich Sachsen halbierte sich der Ernte­ertrag auf rund 600.00 Tonnen im Vergleich 1914 zu 1916 und dieses trotz einer wenn auch nur geringfügigen Erhöhung der Anbaufläche.

1916/1917 brach auch die Milch­versorgung in Berlin zusammen, Das »Brot« bestand überwiegend aus Rü­ben­schnit­zeln, die Fleisch­ration aus ­Knochen und Zad­­der, an Stelle von Kartoffeln wur­den Rüben ausgegeben, bei Aschinger gab’s Ersatzbrötchen aus Kunstkalk mit Holz (anders als bei McDo­of, wo es elastisches Qua­litätsgebäck geben soll), wenn man eine Tasse heißen Eichel­kaffee (deutsche Eiche) für fünf Pfennig trank. »Bratolin«, eine Masse aus Erbsen, Mais und Steckrüben, wurde als Kotelett und als Wurst verkauft; »Frux« der Marme­ladenersatz und »Eirol« – Eier ohne Huhn­berührung, das war das Leben der Daheimgebliebenen (die anderen bekamen Senfgas und). Die Frauen der unteren Schichten mußten bis zu vierzehn Stunden in Rüstungsbetrieben oder in der Müllabfuhr arbeiten, ihr Haar für die Dichtungen der U-Boote opfern und sich vielfach aus »Volksküchen« versorgen, die täglich bis zu einhundert­achtzig­tausend Portionen ausgaben. Den Liter Eintopf (Felicitas Hoppe in einem anderen Zusammenhang: »eine Brühe, die so dünn war, daß auf den Boden der Töpfe nichts schwamm als unser hungrig verzerrtes Spiegelbild«) gab’s für vierzig Pfennig bei einem monatlichen Einkommen von nur noch 24 Mark gegenüber etwa 130 Mark, die der Mann vor dem Krieg heimgebracht hatte.. So hatte man sich die Ehre des Vaterlandes nicht vorgestellt, als die SPD-Reichstagsfraktion im August 1914 die Kriegskredite bewilligte für das k.-u.-k.-Reich: für Kohlund Kartoffeln statt Wurst und Speck. Kaiser »Willi« («Hoch soll er leben«) lebte weiter wie bisher und ging auf »Dienstreise«, bevor er später – unfreiwillig und uneinsichtig – Holzhacker in Doorn wurde. Ernst Toller schrieb in seiner Biographie: »Verflogen ist der Kriegsrausch. Professoren beweisen, daß ... Kartoffelkraut den Nerven zuträglicher und so gut schmecke wie Tabak.« Stefan Zweig in seinen Erinnerungen (»Die Welt von gestern«): »... die Kartoffel erfroren«.

Die Sachsen, die bekanntlich mehr für die ­süßen Sachen sind, buken im 19. Jahrhundert einen »Kartoffelkuchen« aus 1200 g Hefeteig, 100 g Zucker,­ 100 g Margarine, 100 g Rosinen und 200 g gekochten und geriebenen Kartoffeln. Und dies wurde bestreut mit 250 g Zucker und 200 g Butter.



 

Anmerkungen

1          Dieter David Scholz meint, daß es seines Wissens nach allerlei kulinarische, aber keine Kartoffelmusik gibt. Die bekannten Kartoffellieder sind zumeist ältere Musik­stücke, auf die ein passender Text gesetzt wurde, abgesehen von der »Kartoffeloper«.           zurück

 

2          Und das ist nicht einmal ein von den Römern erfundenes Nahrungsmittel, sondern von Marco Polo aus China (oder wo immer er auch war) mitgebracht worden.          zurück

 

3          »Die Frau – zwei Paar Flügel um einen Phallus« schreiben die Gebrüder de Goncourt am 4. Juni 1861 in ihr gemeinsames Tagebuch.          zurück

 

4          Bismarck nannte bei einer Debatte über die Ernährungspolitik im Reichstag den Hering eine »Delikatesse«, und die dankbaren Fischer von Ost- und Nordseeküste ­kreierten deshalb den Bismarckhering. Im übrigen nannte man Bismarck den Eisernen Kanzler, weil er einen eisernen Magen hatte. Er litt sicherlich unter der »protestantisch-preußischen« Genußfeindlichkeit, die sich in Küche und Gastronomie laut Siebeck durch Broiler und Sättigungsbeilagen auszeichnet.           zurück

 

5          Ursprünglich war das Wort »restaurant« ein Beiwort, das eine kräftigende, stärkende – also restaurierende – Suppe bezeichnete: »Man gebe drei Rebhühner, eine Hammelkeule, eine Kalbskeule, alles gut entfettet, in eine Flasche aus Glas oder Ton, verschließe sie mit Stoff ... und lege noch eine Schafshaut drüber. Dann lasse man alles zwölf Stunden im Wasserbad kochen, wobei man das verkochte Wasser immer wieder ersetzt. Nach zwölf Stunden erhält man innerhalb des verschlossenen Gefäßes das ›Restaurant‹. Auspressen und durch ein Tuch passieren.« Die Wirte, die solche Suppen zubereiteten, nannten sich »Restaurateure« und so wurde der Name der Suppe für die Kavaliere zum Synonym für ein Lokal.  

Die vorstehende beschriebene ­Suppe trat die Nachfolge der von Spanien gekommenen »olla potrida« an, das seinerseits auf das jüdische Gericht »adafina« zurückzuführen ist, wobei Huhn oder Rindfleisch durch Schwein ersetzt wurde, um in den Zeiten der Inquisition festzustellen, wessen Glaubens der Esser ist. 

Der Graf von Mirabeau (1740–1791) meinte, der pot-au-feu sei das Fundament des Staates. In der Tat ist eine gute Kartoffelsuppe das Fundament der Familie. 

Bis in das 18. Jahrhundert hinein wurden die Suppen auf herrschaftlichen Tafeln gleichzeitig mit allen anderen Speisen dargereicht. Erst nach und nach entwickelten die Köche eine Folge von Auftakt, Höhepunkt und Ausklang. Gerade die Kartoffelsuppe mit ihrer (magen)freundlichen Farbe ist ein guter Auftakt für ein Festmahl. Erst diese europäische Art der Speisenfolge veranlaßte die Chinesen, in ihren China-Restaurants die Suppe nicht mit dem Gericht Nr. 23 zu servieren.           zurück

 

6          Gerhard Stadelmaier im Feuilleton der FAZ (7. Februar 1998): »Das Theater, das en vogue sein will, spielt heute am Ende ein Leben ohne Worte. Es gilt allein die Aktion. Jedes Wort steht unter Verdacht, erlogen zu sein. Der Kartoffel­salat oder die zerhackte Käsewurst, mit denen man um sich wirft, gelten dagegen sofort als wahr. So kommt die Zeit­losigkeit wieder: als Material, das immer gilt und paßt. Der Mensch ist zeitlich. Der Kartoffelsalat ewig.« Das ­sollte man zweimal lesen.             zurück

 

7          Über den früheren Berliner Innensenator und amtierenden brandenburgischen Innenminister wird Mitte 1998 in der FAZ getitelt: »Wo die Bulette aufhört, wittert Schönbohm das Ghetto.«          zurück

 

8          Der berühmte Freiherr von Münchhausen: »Die Kartoffeln sind wahre Genies, darum fehlt es ihnen immer am eignen Fett; fürs Wohl der Menschheit müssen sie ins Feuer.« – veröffentlicht 1854. Die Entdeckung der richtigen Anzahl Chromosome des Menschen ist Tan Jiazhen, dem »Nestor der chinesischen Genforschung«, zu verdanken, denn man war davon ausgegangen, daß die Krone der Schöpfung der Kartoffel gleichgestellt werden könne.        zurück

 

9          Sechzig Prozent der Gene der Fruchtfliege sind identisch mit denen des Menschen. Das Genom der Kiefer besitzt etwa zwanzig Milliarden Nukleotiden – siebenmal so viele wie im Erbgut des Menschen. Wo wir auch genauer hinschauen (können), die Überlegenheit des Menschen ist nur dadurch entstanden, daß wir beweglicher sind und die erfundenen Werkzeuge zur Vernichtung anderer Lebewesen frühzeitig eingesetzt haben.           zurück

 

10           Ein Biograph schrieb über Vanderbilt, er sei ein »schlanker, robuster, kräftiger Mann mit einem finsteren Gesicht von auffallend roher Kraft« gewesen. Und der Wirtschaftshistoriker Gustav Myers: »Cornelius Vanderbilt war das leuchtende Wunder seiner Zeit, ein Magnat von so umfassendem, vielseitigem Reichtum und solcher Macht, wie die Vereinigten Staaten noch keinen gekannt haben.« Da kann man schon richtig gebratene Bratkartoffeln verlangen.  

Vanderbilt, 1794 auf einem Bauernhof als viertes von neun Kindern geboren, begann mit 17 Jahren und 100 von der Mutter geliehenen Dollar mit einem gekauftem Segelboot, mit dem er Passagiere zwischen Staten Island und New York transportiert. Aus diesem einen Segelboot macht er eine kleine Flotte. 1820 steigt er um auf Dampfschiffe, mit denen er auf dem Hudson und über den Atlantik Fracht und Passagiere befördert. Er senkt für den Verkehr zwischen Amerika und Europa die Preise, baut ein eigenes Dampfschiff, die »Vanderbilt«, die mit Kohle statt mit Holz befeuert wurde und nur neun Tage für die Strecke benötigte; Vanderbilt baut als erster Schiffe mit Metallrumpf statt Holz und setzt auf Schiffsschrauben statt auf Schaufelräder. Mit 68 Jahren steigt er in den Eisenbahn-Markt ein, da die Soldaten im amerikanischen Bürgerkrieg der Nordstaaten nicht nur durch Schiffe versorgt werden konnten. Er wird als »Kriegsgewinnler« beschimpft. Vanderbilt verkauft seine Schiffe und erwirbt Eisenbahn-Aktien und entsprechende Konzessionen. 1874 schließt er sich mit seinen Konkurrenten zu einem Preis-Kartell zusammen. Friedrich Engels nennt ihn »Eisenbahn-, Land- Schlot etc. Baron.«. Er war rücksichtslos bis zur Kriminalität. Er war aber auch sparsam, pflichtbewußt und patriotisch. Mark Twain schildert ihn als jovialen Geschäftsmann ohne jede Spur von Überheblichkeit, der jedwede Ehrung verweigerte und Luxus verachtete. Mit 75 Jahren heiratet er eine 30jährige entfernte Verwandte, nachdem er zwischendurch mit einer sozialistischen Frauenrechtlerin liebäugelte. 1877 stirbt er mit 83 Jahren und hinterläßt sein Vermögen von mehr als 100 Millionen Dollar ungeteilt seinem Sohn Henry; dieser vermacht es bei seinem Tod testamentarisch seinen 32 Erben – heute soll es unter den Nachfahren keinen Millionär mehr geben.          zurück

 

11           Die »Kongregation des heiligen Maurus« sprach sich seiner­zeit wie auch andere Vertreter der Geistlichkeit ­gegen die Verwendung der Gabel aus: Es sei eine Beleidigung Gottes, seine Gaben nicht mit den Fingern anzufassen. Die Fidschi-Insulaner kannten die Gabel vor den Europäern, da es tabuisiert war, Menschenfleisch mit den Fingern zu berühren. Und da wird gesagt, die Gabel sei erstmals in Byzanz benutzt worden und etwa Mitte des 14. Jahrhunderts nach Frankreich, nach Deutschland, in die Schweiz und auf die britischen Inseln gekommen. Bis dato holte man das Essen mit den Händen aus den (gemeinsamen) Gefäßen, wobei Messer und ein piekendes Gerät mit zwei Zinken nur zum Verteilen der großen Fleischteile ein­gesetzt wurden, und auch mehrere Personen benutzten den selben Trinkbecher.          zurück

 

12           Der von Ford hergestellte »Tin Lizzy« (nach Deutschland gekommen 1925 und »Blechliesel« genannt) war immer schwarz (»Es ist egal, welche Farbe die Kunden wünschen. Hauptsache, sie ist schwarz«). Die ab 1904 von der Daimler Manufacturing Company in Long Island City gebauten Autos­ der Marke Mercedes waren immer rot. Die in Deutschland gebauten Opel waren anfänglich alle grün lackiert und ­hießen deshalb Laubfrosch und die Renaults gab’s nur in gelber Tünche.         zurück

 

13           Wir müssen noch einmal auf die schon mehrmals erwähnte »Winde« zurückkommen. Pardon me. Eine ursprüngliche Bedeutung von »wynd« war im Mittelalter die englische Bezeichnung für gesungene Musik. Ein »Windmacher« war, ist also ein Liedermacher. Die Kartoffel, die angeblich »Abwinde« verursacht, ist also eine Nahrungsmittel, das die gesungene Poesie anregt. Und wenn man die Wohnorte einiger unserer Barden betrachtet, dann wird bewußt, daß sie in Gegenden wohnen, in denen viel Kartoffeln angebaut und gegessen werden. »Liedermacher« sind also »Windmacher« sind also »Kartoffelfreunde«. So einfach ist das.           zurück

 

14           Die Verbraucher haben wohl doch Magenbeschwerden bekommen, denn Procter & Gamble stellte 2001 die Produktion dieses Bratfett-Ersatzes ein; Olestra wird nur noch in wenigen Sorten Kartoffelchips (vermutlich für die Sado-Maso-Kundschaft) untergemischt.           zurück

 

15           Die »alexandrinische fritte« ist kein Kartoffelprodukt, sondern ein Kürbisgewächs: Citrullus Colocynthis aus Nordafrika. Die etwa apfelgroßen Früchte wurden schon im Altertum in der Heilkunde (als Abführmittel) verwendet. Dodonaeus nennt sie Coloquintoffelin; verschiedentlich wurde dieser Kürbis auch »Windapfel« genannt – wegen der verursachenden Blähungen. Insofern sind die heutigen fritten mit Olestra nur eine Wiederentdeckung.            zurück

 

16           Die heutigen Hühner sind auch eingesperrt: In Käfigen auf 450 Quadratzentimetern (ein Viertel kleiner als eine DIN-A4-Seite), in die eine ausgewachsene Henne nur in Diagonallage paßt.          zurück

 

17           Bei einer Untersuchung zum Thema »Umgang mit Sachen – Zur Kulturgeschichte des Dinggebrauchs« fand man heraus, daß der Vorgänger unseres Freizeitimbisses, nämlich der »Arbeitsimbiß« einen nicht unerheblichen Anteil an der Geschichte der Manufakturen und später der Industrialisierung hat. Erste Zeugnisse öffentlichen Essens stammen aus Regensburg 1134, wo nachweislich die erste »Brotzeithütte« der Welt die Erbauer des Regensburger Doms und der Steinernen Brücke mit »Schnellessen« versorgte. Der Zwang zum Schnellessen und der Andrang an den Arbeitsimbissen der frühen Neuzeit war geradezu sprichwörtlich. Die Industriearbeit ließ den Luxus nichtöffentlichen Essens in entsprechend langen Pausen, oder gar nach Hause zu gehen, nicht den kleinsten Raum. Im wahrsten Sinne des Wortes. 

So gab es wohl damals viele Menschen, die zwischen Wiege und Bahre kaum etwas anderes kennen gelernt haben. Bald entwickelte sich mit der raschen Motorisierung die allgemeinen Mobilität und das Geschäft mit Freizeit und Tourismus, parallel dazu die Freizeit­imbisse. Es wurde geradezu charakteristisch, daß sich an öffentlichen Plätzen Imbißbuden befanden. Umgekehrt konnte man sich fast sicher sein, fand man einen Imbiß, befand man sich an einem Platz öffentlichen Lebens wie Bahnhöfen, Straßenbahn­stationen, Markt­plätzen. Einkaufszentren oder Ausflugszielen. 

Gottseidank blieben wir lange Zeit verschont von der Unkultur amerikanischer Fast-Food-Ketten. Die direkte Begegnung des Schnell­essers mit dem selbstständigen Kleinwirt der Bude blieb trotz aller amerikanischer Anstrengungen der kulturelle Mittelpunkt der Rituale öffentlichen Essens. 

Zwischen Gastgeber und Gast, beziehungsweise zwischen Küche und Verzehr gibt es keine Mauer, keine Hierarchie. Jeder hat Anteil an den Bestell- und Eßgewohnheiten von jedem. Damit wird auch das soziale Bedürfnis nach Dabeiseindürfen und Mitmachendürfen befriedigt. Ohne bürgerliche Zwänge: Die Befreiung schlechthin. Die Amerikaner kennen dafür den Begriff »Fast-Food-Happiness«. 

Verkaufs- und Imbißbuden haben vermutlich mehr Kultur als ihre Gegner. Die Anhänger traditioneller Eßkultur bei Tische sollten erkennen, daß sich allein aus dem offensichtlichen Unterschied zu den Ritualen an der Bude eine mit sonst nichts erreichbare Auf­wertung der bürgerliehen Tischsitten entwickelt. Es lebe der Unterschied. Die häuslichen Eßgewohnheiten gehen in der Regel einher mit der unangenehmsten Art von Bedürfnisaufschub: Man muß warten, darf nicht sofort nehmen, es gibt nicht das Richtige oder das Gute nur in viel zu kleinen Mengen. Das Alles darf man nicht kritisieren, muß stillsitzen und muß froh sein, wenn man keinen hinter die Löffel kriegt, wenn man nicht alles aufißt. 

Es ist nicht nur die räumliche Entfernung zwischen Tisch und Bude, auch die innere Einengung durch die bürgerlichen Tischsitten löst sich durch die Befreiung an der Bude in wohltuendster Art und Weise.           zurück

 

18           Wir haben es immer vermutet: Die pommes frites bei McDonald’s sind nicht vegetarisch. Die frites werden in Öl frittiert, in dem Rückstände vom Rind (als Geschmacksverstärker) gefunden wurden. Das Unternehmen hat deshalb 2002 eine Spende von zehn Millionen Dollar an Hindu- und Vegetariererstiftungen gegeben und indischen Klägern jeweils mehrere tausend Dollar Entschädigung angeboten. Anmerkung: Zu denken, daß man eine Verletzung eines grundsätzlichen Glaubensbestandteils durch ein paar Dollar mehr ausgleichen kann, zeigt noch deutlicher die fiese Denke des McDonald’s-Management. 

McDonald’s sorgt übrigens dafür, daß ihre Lieferanten immer mehr Chemikalien auf die Felder sprühen. Die Manager des »Gasthauses mit dem Goldenen M« wollen wissen, daß ihre Gäste keine braunfleckigen pommes frites wünschen. Diese entstehen durch die Netzfleckenkrankheit, welche von Blattläusen übertragen wird und diese müssen – koste es was es wolle – vernichtet werden. Die Netzfleckenkrankheit ist ein rein kosmetischer Defekt. Die Netzfleckenkrankheit tritt fast nur bei der »Russet Burbank«, dem meistangebauten Produkt in Idaho, auf. Da schlägt die Züchtung einer Varietät und ihre ausschließliche Förderung ins Gegenteil um. Die »Golden Arches« sind übrigens heutzutage weltweit bekannter als das christliche Kreuz. 

Michael Pollan zitiert einen Farmer in Idaho: »›Wenn ich sie [die Chemikalie ›Monitor‹] versprüht habe, gehe ich vier, fünf Tage lang nicht aufs Feld – nicht einmal, um eine Bewässerungsanlage zu reparieren.‹ Das heißt: Forsth läßt lieber ein ganzes Kreisfeld vertrocknen, als sich selbst oder einem seiner Helfer dem Gift auszusetzen.«          zurück

 

19           Ein arabischer Arzt aus Cordoba, Abul Casim, beschrieb Anfang des 12. Jahrhunderts erstmals die Herstellung von gebranntem Wein. »al-kuhul« ist das als feinstes Puder verwendete Antimonpulver, um Lider und Augenbrauen zu schminken. Die Über­tragung auf Weingeist entstand erst bei den arabischen Alchimisten in Spanien, indem man die Feinheit des Antimonpulvers auf die Feinheit des Wein­geistes übertrug. In dieser Bedeutung wird das Wort erstmals 1616 in Deutschland von G. Henisch in Augs­burg verwendet.           zurück

 

20         Engels wußte sicherlich nicht, wie Ebbe und Flut entsteht: Eine Flut tritt an einem bestimmten Ort auf der Erde ein, wenn dieser zusammen mit Sonne und Mond ungefähr auf einer Linie liegt, was etwa alle zwölf Stunden und fünf­undzwanzig Minuten geschieht. Ist diese Linie – zur Zeit einer Finsternis – exakt erreicht, dann verstärkt sich die Flut. Zu einer besonderen Verstärkung des Gezeiten­hubs kommt es aber auch, wenn sich der Mond gerade am erdnächsten Punkt seiner Umlaufbahn befindet oder die Erde sich am sonnennächsten Punkt. Diese drei Voraussetzungen treffen nur etwa alle 1750 Jahre zu (das letzte Mal im Jahr 1340 oder 1441, das nächste mal 3089). Falsch ist es , zu glauben, daß irgend jemand irgendwo den Stöpsel herauszieht und dadurch das Wasser abläuft, denn wie entsteht unter diesen Umständen die Flut?            zurück

 

21           G. K. Chesterton meint 1905, daß es unvertretbar sei, Alkohol als Reizmittel an Kranke auszugeben,»wohl aber soll es heißen, daß die rechte und der Gesundheit weitaus dien­lichere Art, Alkohol zu verwenden, darin besteht, ihn an Gesunde zu deren Vergnügen auszuschenken.«           zurück

 

22           Anfang des 20. Jahrhunderts wurde von der Firma Smirnoff für die staatliche Erlaubnis, Wodka herzustellen, die halbe russische Armee unterhalten. In Rußland sterben jährlich mehr als 30.000 Menschen an Alkoholvergiftung – überwiegend wegen der illegalen, privaten Herstellung eines Getränks, das Wodka genannt wird, aber nur alkoholartiger Fusel ist. Der Wodka gibt, der Wodka nimmt.          zurück

 

23           Von 1700 bis 1914 führte Preußen 13 Kriege, Frankreich 35 Kriege (zwischen 1600 und 1850: sogar 150) und England 49 Kriege (zwischen 1600 und 1850: 125): Wer war milita­ristisch? Alle waren militaristisch. Selbst die Österreicher waren von 1600 bis 1850 an 129 Kriegen beteiligt.          zurück

 

24           Der damalige US-Kriegsminister forderte seinen Präsidenten, Woodrow Wilson, im Juli 1919 auf, dem beendeten Krieg einen Namen zu geben. Wilson studierte mehrere Vorschläge, darunter »Der Krieg gegen die teutonische Aggres­sion«. Es sei schwierig, so Wilson, eine »zufriedenstellende offizielle Bezeichnung für den Krieg zu finden. Ich glaube, daß der beste Vorschlag ›Der Weltkrieg‹ ist.«  

Dabei wollte Wilson übersehen, daß der amerikanische Unabhängigkeitskampf (gegen England) auch ein »Weltkrieg« war (man denke nur an die Finanzierung durch Frankreich und an die hessischen Soldaten), und auch im amerikanischen Bürgerkrieg beteiligten sich Europäer als Unter­stützer oder Waffenhändler. 

1916 wurden nach amtlichen Angaben insgesamt 28 Millionen Tonnen Kartoffeln geerntet; da aber Erbsen, Linsen, Bohnen und Reis »nicht zureichten« kam es auch zur Kartoffelknappheit. 

Die »Kriegerfrauen« – so hießen die Ehefrauen der Soldaten – erhielten eine Unter­stützung, die mitunter weniger als dreißig Prozent des Einkommens in Friedens­zeiten betrug. Zum Teil wurde diese magere Unterstützung auch in Naturalien gewährt, so daß Willkür, Undurchsichtigkeit und Durchstecherei an der Tagesordnung waren.  

Die einfachen Soldaten im Feld bekamen einen Sold von 15 Mark im Monat, während ein Leutnant im sicheren Bunker (und selten im Graben) schon 340 Mark bekam und auch in den besseren (Offiziers-)puffs einkehren durfte. Die Soldaten schrieben dennoch frohgemut: »Schickt uns Bücher, aber nicht vom Krieg; den machen wir selber« und die Engländer prosten sich zu: »Bloody war and quick promotion«, was paßt zu »Flandern in Not, in Flandern reitet der Tod«          zurück

 

25           Der Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein früherer Verteidi­gungs­minister (»Wo ist Rudolf?«) Schar­ping, beide fast nacheinander SPD-Vorsitzende, sind die ersten Sozialdemokraten in ­deren Geschichte, die staatstragend sich an die Deutsche ­Nation wenden und be­gründen, warum deutsche Soldaten (vermutlich zu Recht) in den Serbischen Krieg ziehen müssen. Nie wieder darf der Klassenfeind »Vaterlandsverräter« ­(ein Schimpfwort aus der Hottentottenwahl 1907) sagen!            zurück

 

26           Aber leutselig und volksverbunden wie der Kaiser war, soll er bei einem Truppen­besuch an der Front, als es schon bei diesem zielbewußt von ihm herbeigeführten Krieg bergab ging, mit den Soldaten Kartoffelsuppe gelöffelt haben. Noch eine kleine Anekdote: Bei der vorletzten Rechtschreibreform 1900 bestand dieser Keiser persönlich darauf, daß das »h« im Thron bleibe, während man sich ansonsten des Dehnungs-H durch die Hinterthür entledigte. Deshalb bleibt bei der »Rechtschreibreform 2000« auch das Dehnungs-H im Kohl. Der Kaiser dachte vorausschauend: »Ich glaube an das Pferd. Das Auto halte ich für eine vorübergehende Modeerscheinung.«           zurück

zurück an den Anfang dieser Seite


<<           >>

Teilen / share:

Facebook








^