Kontakt /
                contact     Hauptseite / page principale / pagina principal /
                  home     zum
                Europa-Index 1850-2000      
<<           >>

Kartoffel-Geschichte Furche 3.6. Kunst - Kartoffelgedichte, Kartoffelgeschichten

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht
aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Die Kartoffel und die Kunst:
https://web.archive.org/web/20120118185900/http://www.kartoffel-geschichte.de/Dritte_Furche/Kunst_und_Knollen/kunst_und_knollen.html
aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Die Kartoffel und die Kunst: Miszellen und Quisquilien:
https://web.archive.org/web/20120124171522/http://www.kartoffel-geschichte.de/Dritte_Furche/Miszellen-Quisquilien/miszellen-quisquilien.html


Teilen / share:

Facebook







Kartoffel-Geschichte 3.6. Kunst - Kartoffelgedichte, Kartoffelgeschichten

Auf den EinflußShakespeare auf den Kartoffelverzehr ist schon hingewiesen worden. Die Kartof­fel regte wegen ihrer »venerischen« Kräfte auch andere Schriftsteller an der Wende zum 17. Jahrhunderts zu Äußerungen an. In ­seiner Komödie »Histrio-Mastix«, 1630, werden potatos von John Marston erwähnt:

    »Käufer:  ›Ha’ ‘y any Potatoes?‹

    Verkäufer:       ›Der (vorhandene) Überfluß an Kartoffel bringt nicht die Kosten.‹«

Ben Johnson schreibt 1601 »Cynthias’ Revels« und zählt die Kartoffel in einer Liste von »delikaten« Nahrungsmitteln auf. George Chapman beschreibt 1611 eine Szene in seinem Stück »Maien­tag«, in der ein Liebhaber sich mit seiner Geliebten trifft und an einem Bankett mit »Austern, Kartoffeln und Wasser­rüben« teilnimmt; auch er weist auf die aphrodisische Wirkung hin. John Flet­cher läßt in dem Stück »The Loyal Subject« 1617 einen Hausierer singen: »I have fine potatoes«. Im Stück »The Elder Brother« verweistFletcher auf die priapeischen Folgen des Kartoffelgenusses. Nach Salaman schreiben auch Gervase Markham und Lewis Machin (1608) über die unzüchtigen Folgen des Knollengenusses. Die Hollywood-Aktrice Doro­thy Parker soll bei einem Essen gesagt haben: »Noch eine Kartoffel und ich lieg’ unterm Gastgeber.«

Ein wenig zweifelhaft ist schon, ob die Autoren am Anfang des 17. Jahr­hunderts überhaupt wußten, worüber sie spekulierten: Erst 1696 ver­öffent­lichte Gerard seinen »Herball« mit einer ersten Beschreibung der Kartoffel in England. Während der Regierungszeit der jungfräulichen Königin Vic­to­ria wird die Knolle lange verteufelt, bisAlbert von Sachsen-Coburg-Gotha ihr die »ehe­lichen werckzeuge« zeigt und diese auf den Kartoffelverzehr in Kindheit und Jugend in Deutschland zurückführt.

1715 wird erstmalig Mahagoni aus Kuba und Santo Domingo nach Irland importiert und löst – bei den feineren Leuten – die altehrwürdige Eiche ab. Schränke, Tische und Stühle aus Mahagoni werden in der Dubliner »gentry« üblich; diese »gentry« »zeichnete« sich durch besondere Extravaganz, durch eine besondere Kulturbeflissenheit und durch viel Muße aus; »Beau« Brummell war einige Jahrzehnte später ein typischer Vertreter dieser Gecken und Stutzer, der – wie Hermann Fürst von Pückler-Muskau schrieb – eine ganze Generation durch den Schnitt seines Rockes beherrschte, als »arbiter elegantiarum«, als »Meister des Geschmacks« In diesen Kreisen wurden Kartoffeln gegessen, wohl um damit Geld für die anderen Amüsements zu haben und wegen der aphrodi­sischen Wirkung. Der Unterschied von Eiche und Mahagoni war, daß die in Schalen servierten ­heißen Kartoffeln die schönen Mahagoni-Intarsien der Tische durch die Wärme be­schädigten; es kamen daher kunstvoll mit Ornamenten versehene aus Silber oder mit Silber überzogene »Tischringe« auf, auf die die Schalen mit den heißen Kartoffeln gestellt wurden und somit das Mahagoniholz schützten.

John Ruskin schreibt 1869 in »Der König der Lüfte«, daß die Kartoffel (wegen ihres unterirdischen Stiels) eine unglückbringende Pflanze sei; noch schlimmer sei aber Tabak, bei dem man nicht schätzen kann, welchen demoralisierenden Einfluß dieser auf die Jugend Europas habe. Dazu paßt:
    »Es ist ja auch sehr unangenehm, wenn wir aus unseren Mündern Rauch in anderer ­Leute Münder, Augen und Nasen blasen und uns das gleiche widerfährt.«

Matthias Claudius schreibt 1774 im »Wands­becker Bothen« ein Poem über die Kartoffel, und es gilt als das schönste Loblied auf die Knolle:
    »Schon rötlich die Kartoffeln sind und weiß wie Alabaster.

    Sie däu’n sich lieblich und geschwind

    und sind für Mann und Weib und Kind

    ein rechtes Magenpflaster.

Im Bertelsmann Volkslexikon steht über Matthias Claudius: »schuf innig­einfältige, fromme Ge­dichte«; das ist wohl wahr.

Da ist Albert Vigoleis Thelen schon handfester, wenn er von sich sagt, daß sein ganzes Dasein ein Kampf gegen Kartoffeln und Tüllgardinen ge­wesen sei; die Kartoffel, so Thelen, sei eine »un­begeistete Tuberkel«. Ganz anders sieht esJeremias Gotthelf, der von Kathi, der Großmutter berichtet, daß sie von Religion und Kartoffeln lebte. Eine andere Groß­mutter, Anna Bronski aus der Kaschubei, brät sich am Feldesrand einige Knollen und holt mit dem Hasel­stock die garen Kartoffeln aus der Asche; Oskar Matzerath wird sich gefreut haben. Und im Butt schreibt Grass:
    »Dann fragte er [Friedrich II.], blank vom kaschu­bischen Dauerregen, nach dem gewissen Frauenzimmer, das den Kartoffelanbau, bei­spiel­haft für die preußischen Provinzen, als erste gefördert und so, neben dem Sätti­gungs­beweis, die Schmackhaftigkeit der ­neuen Hackfrucht bewiesen habe.

    Ich brachte ihn zu Amanda. Die saß wie ­immer in der Gesindeküche auf der Ofenbank und schälte Kartoffeln für die alltägliche Suppe. Gar nicht erstaunt sagte sie: ›Nu is Ollefritz doch noch jekommen.‹«

Auch Guy de Maupassantsieht die Kartoffel als Nahrungsmittel der Armen, die sich von »Suppe, Kartoffeln und frischer Luft« ernähren würden. Der Physiologe Jacob Moleschatt sagt Mitte des 19. Jahr­hunderts, er sähe es am liebsten, wenn die Kartoffel vom Erdball verschwände.

Im »Stern« (Juli 1999) wird »Der ­abgeschlossene Roman« veröffentlicht:
    »Dr. Gathel erklärte uns das Bruzzelverhalten der deutschen Heide­kartoffel, wobei er auf die Hilfe seiner Frau Heike zurückgriff. Sie hatte sich in eine Alufolie gewickelt und ­diente, von einem Schweißbrenner erhitzt, als Folien­kartoffel, die Dr. Gathel gekonnt mit der Grill­zange ergriff und mit Schmackes wendete.«

In den »Dorfgeschichten aus dem Vormärz« dichtet Carl Arnold Schoenbach:
      »Wie der Klaus nach Hause kam, machte seine Frau Ofenplätze.«

Und das geschieht so:
    Aus rohgeriebenen Kartoffeln, mit Hafermehl untermischt und Salz zu­gegeben. Dann wird der Kartoffelmehlteig »aus freier Hand« gegen den richtig beheizten Ofen geworfen, bis dieser damit ganz bedeckt ist. Jede »Handvoll« bliebt am Ofen kleben und bildet den sog. Ofenplatz. Sobald die eine Seite braun gebacken ist, wird der Teig mit der ande­ren Seite an den Ofen geklatscht. Wenn alle »Ofen­plätze« beid­seitig knusprig sind, dann werden sie mit Butter oder Birnkraut oder mit Schmalz bestrichen und dazu gibt’s (bei den Armen) Zichorien­kaffee.

Zentralheizungen sind für die Herstellung von »Ofenplätze« nicht so gut geeignet.
    Backe, backe, Reibekuchen,

    laßt uns heute die versuchen.

    Wer will gute Puffer machen,

    der muß haben sieben Sachen

    Kartoffeln und Mehl,

    Butter und Öl,

    Zwiebeln und Ei

    Und auch noch Gewürz dabei.

An dieser ­Stelle ein wenig Aufklärung: Der aus Getreide-Mehl bestehende Pfann­kuchen ist in Berlin jenes Gebäck, das andernorts »Berliner« genannt, der wiederum vielfach als Krapfen oder Kreppel bezeichnet wird und schon in der Römerzeit zum Frühlingsfest ge­opfert wurde; in Irland heißen Kartoffel-Pfann­kuchen »boxty« oder »boxty pancakes« und sind ein be­sonderer Leckerbissen, dem Schweizer Rösti verwandt. Jedoch sagt Siebeck über Rösti:
    »Darunter versteht man geraspelte Kartoffeln, welche in fett goldgelb gebraten werden. Klingt nicht schlecht und kann, als Kleinstportion gegessen, einen Waldarbeiter zu Höchstleistungen anspornen. Doch auf Büroangestellte wirken Rösti wie die Steine im Bauch des bösen Wolfs, der sich an die sieben Geißlein verging.«

Johann Konrad Friedrich aus Frankfurt in seinen »Gastronomischen Aphoris­men« 1827:
    »Die Erfahrung lehrt, daß die Kochkunst und die Dichtkunst sehr nahe Verwandte sein müssen. Gewürzhafte Speisen und gehalt­volle Ge­tränke begeistern zu den schönsten poetischen Erzeugnissen; wer aber nur Kartoffeln und Brunnenwasser im Leibe hat, wird schwerlich mehr als Knittelverse ­machen.«

Wer einmal als Pfadfinder durch die Landschaft zog und Abfall auf­sammelte und abends am Lager­feuer der Romantik huldigte, der wird dem Heide­dichter Hermann Löns zustimmen:
    »Du wirbelnder Rauch der Kartoffelfeuer,

    Erinnerer an alte, verflossene Zeit.

    Wie ist mir dein herber Geruch doch so teuer,

    Du bleibst mir als Jugenderinnerung geweiht.«

Etwas weniger vom Qualm eingeräuchert schreibt Erich Kästner:
    »Das ist ein Abschied mit Gerüchen,

    aus einer fast vergessenen Welt.

    Mus und Gelee kocht in den Küchen,

    Kartoffelfeuer qualmt im Feld.«

Und wieder lyrisch und metaphysisch – wahrscheinlich nach einem Schluck Kartoffelschnaps – der Oberschlesier Heinz Piontek in »Romanzen des Abschieds«:
    »Okarina des Abschieds

    bläst mir der heitere Herbst ...

    Ach, mit dem Rauch der Kartoffelfeuer

    Zieht die chimärische Dauer

    Hinter die Steigung des Hangs.«

Dieser »Brauch« der Ackersleut’ besteht nur in der Phantasie des Städters: Da spielt weder ­Mythos noch Magie eine Rolle, sondern vielmehr die Lust der Kinder, zu zündeln. Auch das Verkohlen der Kartoffeln an einem Zweig in einem solchen ­Feuer ist mehr Spieltrieb, denn eine besondere Form der Atzung: »... des is aweng a so a Legende, des Kartoffelfeuer«. Dennoch erinnern sich alle zumindest zeitweise auf dem Land gelebten Leute an diese besondere Form des Knollenverzehrs. Georg Friedrich Lichtenberg nennt 1775-1776 jemanden ­»einen Goldmacher, der hin­ter den Hecken eine röstende Kartuffel hungrig mit einer hölzernen Zange wendet ...« Der qualmige Rauch eines ­Feuers aus Kar­tof­felkraut, aus Quecken und Melden vertreibt lästige­ Insekten – auf das nächste Feld.

Karl Gerok über das Kartoffelkraut
    »Blühendes Kartoffelkraut,

    sanft vom Sommerwind umkost,

    immer, wenn ich dich geschaut

    warst du mir ein Augentrost,

    mit der Büsche Laubgezelt,

    mit der Blüte Rötlichblau

    hebst du wie ein Blumenfeld

    dich hervor aus grüner Au.

    ...

    Doch indem die Blüte fällt,

    räumt sie gern der Frucht den Platz,

    so auch du, mein blühend Feld,

    hütest einen goldenen Schatz,

    unter dir im Erdengrund

    wächst willkommene Hausmannskost,

    eine Frucht, gesund und rund,

    alt und jung ein Magentrost.

    ...«

Löns und Kästner müssen sich wohl gefühlt haben im Kräuticht. Das ist verständlich. Kokeln ohne Aufsicht, verbrannte Knollen essen und so.

Johann Peter Hebel in seiner Märchenvision des «Fischers un sin Frau» 1808:
    »Des andern Abends, während die Kartoffeln zum Nachtessen in der Pfanne prasselten, standen beide, Mann und Frau, vergnügt an dem Feuer beisammen, sahen zu, wie die kleinen Feuerfünklein an der rußi­gen ­Pfanne hin und her züngelten, bald angingen, bald aus­löschten, und waren, ohne ein Wort zu reden. vertieft in ihrem künfti­gen Glück. Als sie aber die gerösteten Kartoffeln aus der Pfanne auf das kleine Plättlein anrichteten, und ihr Geruch lieblich in die Nase stieg ...«

Und im »Schmelz-Ofen« schreibt Hebel vom »armen Ma«:
    »Er bringt e paar Grumbereli und leits ans Füür und brotet sie.«,

wenn sie nicht (Goethe in der »Fischerin«) zu Mulm verkocht sind.

Und Johann Christian Friedrich Hölderlin in »Die Stille«
    »Nahm dann eilig, was vom Abendessen

    An Kartoffeln mir noch übrig war,

    Schlich mich in der Stille, wann ich satt gegessen,

    Weg von meinem lustigen Geschwisterpaar.«

In den »Recensionen 1804 bis 1806« bespricht unser Dichterfürst Goethe »Die Kar­toffelernte«, ein Loblied auf die Kinderarbeit von Johann Heinrich Voss, 1798,
    »Kindlein, sammelt mit Gesang

    der Kartoffeln Überschwang.

    Ob wir voll bis oben schütten

    alle Mulden, Korb’ und Bütten;

    noch ist immer kein Vergang!«

Goethe schreibt:
    »Man singe das Kartoffellied wirklich auf dem Acker, wo die völlig wundergleiche, den Naturforscher selbst zu hohen Betrachtungen leitende Vermehrung, nach langem, stillem Weben und Wecken vege­tabilischer Kräfte, zum Vorschein kommt und ein ganz un­beschreib­licher Segen aus der Erde quillt.«

Schon 1775/1776 erwähnt Goethe in »Stella. Ein Trauerspiel« (1.Akt) die Kartoffel: »Madame Sommer.
    ›Und wenn wir dann nach einem heißen Tag, nach ausgestandenen Fatalitäten, schlimmen Weg im Winter ... auf der hölzernen Ofenbank zu­sammen­saßen, unsern Eierkuchen und abgesottene Kartoffeln zusammen aßen ...‹«

Bei seiner Italien­reise soll Goethe nach dem Überqueren der Alpen und im Angesicht der vor ihm liegenden Ebene und der blühenden Kartoffelfelder gedichtet haben: »Kennst Du das Land, wo die Kartoffel blühen?«, aber da das doch zu profan klang, ersetzte er die Knolle durch die Zitronen.

Schon 1786 aus Weimar an Philipp Kaiser:
    »Erst gepflasterter Weg, dann ein schöner gleicher Fußpfad. Hölzerne Brücke über die Motte, flache große Weide mit Nußbäumen, rechts Kartoffel- und Kohlbau. Hübsche Mädchen mit der Mutter auf den Knien, Kartoffeln ausmachend.«

Goethe wußte wohl nicht, welche Mühen das Kartoffellesen macht. Voss, Sohn eines bitterarmen Landpächters im Mecklenburgischen, kannte die Aus­dauer, die erforderlich war, um auf einem Kartoffelacker die »Bulten« (Voss: »Das ist die auf­gehäufte Erde um die Kartoffelpflanze samt den knollichten Wurzeln«) zu heben. Als Schuldirektor in Eutin ließ er seine Schüler auf dem Kartoffelfeld arbeiten und unterrichtete vom Ackerrand her über die Zu­sam­men­­­hänge der Kartoffel mit der Religion, der Geschichte und der Philo­sophie:
    »Nur ein Knöllchen eingesteckt

    Und mit Erde zugedeckt.

    Unten treibt dann Gott sein Wesen.

    Kaum sind Hände gnug zum Lesen,

    Wie es unten wühlt und heckt.«

Der Berliner Heinrich Seidel, der in Groß-Lichterfelde bei Berlin lebte:
    »Die Trüffel reift in Frankreichs Gauen,

    verborgen in der Erde schoß,

    allein für mich, auf märk’schen Auen,

    wächst die Kartoffel bloß.«

Detlev von Liliencron, ein Lyriker des Impressionismus im 19. Jahr­hundert, sagte zu seinem Dichterkollegen Gustav Falke in der »Stadt der Goldenen Türme«, in Prag, geringschätzig:
    »Kartoffelsupp! Kartoffelsupp!

    Und alle Tag’ Kartoffelsupp!

    Und Sonntags gibt es Brei;

    Kartoffelbrei, die Woch’ vorbei«

Aus dem vorigen Jahrhundert stammt ein jiddisches Lied über die Kartoffel, kartofl bzw. bulbes:
    »Zuntik bulbes, montik bulbes,
    Dinstik un mitvokh bulbes,
    Donershtik un fraytik bulbes.
    Shabes in a novine a bulbe-kigele!
    Zuntik vayter bulbes!

    2.
    Broyt mit bulbes, fleysh mit bulbes,
    Varimes un vechere bulbes,
    Ober un vider bulbes,
    Eynmol in a novine a bulbe-kigele!
    Zuntik vayter bulbes!

    3.
    Ober bulbes, vider bulbes,
    Nokh amol un oder amol bulbes!
    Haynt un morgn bulbes!
    Ober Shabes nokhn cholnt a bulbe-kigele!
    Zuntik vayter bulbes!

In Schleswig-Holstein hieß es:
    »De ganze Week Kantüffelsupp,

    un Sünndags is se noch nich op,

    un Maandags gifft Kantüffelbree,

    un Dingsdach deit dat Lief mi weh

    von all den veelen Kantüffelbree.«

Und noch eine plattdeutsche Variante zum ­Thema Kartoffelsuppe:
    »Kartuffelzopp, Kartuffelzopp,

    un dar Kartuffeln to.

    Ok Sonndags sund wi noch nich free

    Von Karmelk un Kartuffelbree.

    De ganze Wääk geiht’t in’n Galopp

    Mit Karmelk un Kartuffelzopp.«

Leo Tolstoi beschreibt 1888/89 in »Auferstehung« eine Szene, in der der Großgrundbesitzer Nech­ljudow einen seiner leibeigenen Bauern fragt »Was eßt Ihr denn zu Mittag?« und als Antwort erhält
    »als ersten Gang Brot mit Kwaß und als zweiten Kwaß mit Brot und dann noch eine Suppe aus Ziegenkraut und dann hernach Kartoffeln.« 

Bekannt ist sicherlich die Filmszene mit Rainer Harmstorf aus dem Fernseh­film »Der Seewolf«, in dem er als »Held« eine Kartoffel zerquetscht; Jack London beschreibt diese Szene in seinem Roman:

    »Ich« (der zum Küchendienst gepreßte andere ›Held‹ Humphrey van Weyden) »schälte Kartoffeln. Er nahm eine aus dem Eimer. Sie war ungewöhnlich groß, fest und ungeschält. Er umschloß sie mit der Hand, preßte sie zusammen, und die Kartoffel spritzte zwischen seinen Fingern hervor. Die breiigen Über­reste warf er wieder in den Eimer und ging.«
1948 erscheint mit »Information Control License US-E-185« – laut Impressum gedruckt auf Papier, das aus Kartoffelschalen hergestellt wurde – »Der Kartoffel­roman. Eine Powenziade« von Ernst Penzoldt, in dem die doppelerntige Tomoffel erstmals beschrieben wird. Ursprünglich, so heißt es in einer Fußnote, wurde jedoch eine Pflanze gezüchtet, die »über der Erde die Eigenschaften der Kartoffel und unter der Erde die der Tomate besaß«.

EinLepelletier schreibt in Bezug auf François-René Vicomte Chateaubriand, »ein Beefsteak mit Kartoffeln ist vielleicht alles, was eines Tages übrig­bleibt von ... einem Archimedes der Philosophie«; es wäre nicht das Ärgste – andere Schriftsteller des 19. Jahrhunderts sind total vergessen worden.

1984 schreibt Eckhard Henscheid den tiefschürfenden Roman »Beim Fressen beim Fernsehen fällt der Vater dem Kartoffel aus dem Maul«, in dem er darauf hinweist, daß früher alles anders war. Wohl wahr. Peter Rühmkorf sagt, daß er Anfang der achtziger Jahre ein Märchen erzählen wollte:

    »Im Lande Utopien, wo bekanntlich die dicksten Kartoffeln auf den dürrsten Äckern wachsen, lebte ein Bauer, der ...«

Weiter geht’s nicht. Aber Rühmkorf »im Vollbesitz seiner Zweifel« schreibt auch:
    »Nicht zu predigen, habe ich mich an diesem

    Holztisch niedergelassen,

    nicht, mir den Hals nach dem Höheren zu

    verdrehen,

    sondern mir schmecken zu lassen dies:

    Matjes mit Speckstibbe, Bohnen,

    Kartoffeln,

    Einssechzig«

Der Chilene Pablo Neruda schreibt in einer »Ode an die Kartoffel«:
    »Papa heißt du, Kartoffel, und nicht Patata,

    du kamst nicht mit einem Bart zur Welt,

    bist spanisch nicht:

    dunkel bist du wie unsere Haut.

    Kartoffel, Amerikaner sind wir,

    Indios sind wir.

    Unergründlich bist du, mild,

    Fruchtfleisch makellos, reinste unter den weißen Rosen.«

In Neubrandenburg wurde im Kammertheater eine »Kartoffeloper« (ganze 55 Minuten) auf­geführt: Text von Matthias Wolf, Musik von Jürgen Kurz unter Verwendung von Themen von Wagner, Rossini, Bizet und anderen. Ein kurzweilig und empfehlenswertes Stück, das aber nicht mehr aufgeführt wird wie auch die beiden anderen Kartoffel-Stücke.

Claes Oldenburg zeigt eine »Baked Potato I« in Silberfolie (ausgestellt in der Hamburger Kunst­halle), die in der auf­geplatzten Schale das weiße Fruchtfleisch sehen läßt. In einem Interview gesteht der Bulgare Javachev, daß er sehr beeindruckt gewesen sei, als er 1958 nach seiner Ankunft in Paris in einem Bistro auf dem Montmartre erstmals eine in Silberfolie verpackte gebackene Kartoffel sah; diese Kartoffel sei für ihn und sei­­nem Kunstempfinden prägend gewesen. Der »Wrapped Reichs­tag Project for Berlin« von 1995 auf eine Kartoffel zurückzuführen? Der Pariser Fotograf Gerhard Vormwald bannt 1995 in einem »work-shop« neben­ Kerzen und mit Flüssigkeit gefüllte Flaschen Kartoffeln unter verschiedenen Lichteinflüssen auf die Platte und läßt in diesem Zusammenhang über »Intuitives Fotografieren« referieren.

In den 1970er Jahre wirft der Amerikaner Paul Thek mit wenigen rotbraunen Strichen die Um­risse von dampfenden Kartoffeln auf zuvor grau grundierte Zeitungspapier des »Herald Tribune« und versah die (unförmigen) Erdknollen mit zerbrechlich wirkenden Gliedmaßen und gibt sie als Porträt von bekannten Persönlichkeiten aus (Proust , Augustinus und Faust). Was ist Kunst?

In den Jahren 1988 bis 1991 schafft der Pariser Kunstprofessor Henri Cueco mehr als zweihundert Kartoffelbilder, aber er schreibt auch das »Tagebuch einer Kartoffel«; unklar sei – so der Herr Professor – ob das weibliche Geschlechtsteil einer auf­geschlitzten Kartoffel ähnele oder ob es umgekehrt sei.

Der Beuys-Schüler Professor Bernhard Blume nebst Frau Anna machen in den 1990er Jahren eine Fotosequenz »Mahlzeit«, Kartoffel-Bildkomposi­tio­nen, und auch dieser Herr Professor meint, daß sich die Kartoffel weiblich anfasse. Ein weiterer Beuys-Schüler, Polke, stellt ein nettes »Kartoffelhaus« her; denn schon sein Lehrer war mit braunen Bildern dem Blut und Boden und dem (von einer Führerin regierten) Bienenstaat verpflichtet. Noch ein weiterer Schüler des Meisters, Werner Reuber, hat eine enge Beziehung zur Kartoffel (mehrere Kartoffelbilder), ist aber gegen chips und fritten, weil diese keine Persönlichkeit haben.

In Nancy besteht ein Verein namens ­»Verrückte Kartoffel«, geleitet von dem kunstsinnigen Kartoffelhändler Daniel Denise, der – wenn er nicht Kartoffel auf dem Markt verkauft – Ausstellungen zum Thema Kartoffel organisiert. Und in München lebt Harald Braun, der in einem »Projekt Lebensläufe« aus Kartoffeln Gesichter und Figuren schnitzt, sie nach einer selbst entwickelten Methode einlegt und sie dadurch haltbar macht.

1998 stellt auf »Kampnagel« in Hamburg Susann Stuckert ihren Werk­komplex »Auch Kartoffeln wollen ans Licht« aus, zu dem eine mehrteilige Bilderserie und eine Komposition aus Kisten mit keimenden Kartoffeln in einem ab­gedunkelten Verschlag gehören; Stuckert vergleicht die Knollen mit dem Dasein des Künstlers, der eine Zeitlang abgeschieden lebt, aber dann – wie die Kartoffel – ans Licht drängt und sich und seine Werke zeigen will.

 
Vincent van Gogh, malt im April 1885 den »Kar­toffelesser«, auf das er sich mit Hunderten von Skizzen, Zeichnungen und Ölstudien vorberei­tete, um bewußt ein »gültiges« Meisterwerk zu schaffen, (aber sein Freund van Rappard meint: »Warum hast Du alles so oberflächlich beobachtet und behandelt?”) und als das Werk vollendet ist, macht er sich daran, schafft er nach diesem Motiv eine Lithographie; er malt spiegelverkehrt direkt auf dem Stein und signiert mit Vincent f. auf dem Rücken einer der am Tisch sitzenden Bäuerinnen; sein Bruder in Paris kann diese Lithographien nicht verkaufen. Die »Kartoffelesser« zeigen, so die späteren Interpreten des Bildes, das Leben voller Mühsal, Plackerei und Ergebenheit in das Schicksal. Inter­essant ist aber auch, daß van Gogh alle fünf Menschen auf dem Bild aus den Familien der de Groot und van Roij sitzend vor einer Schale auf einem Tisch mit geschälten Kartoffeln, mit stets nur einem Ohr zeigt. Ein früher Hinweis auf die spätere Ver­stümmelung? Van Gogh weiß, daß das Bild Mängel hat,
    »doch gerade weil ich sehe, daß die jetzigen Köpfe kräftiger werden, wage ich zu behaupten, daß auch die Kartoffelesser ihre Kraft fertigen, mit einer anderen Perspektive und einer größeren Distanz«

Die »Kartoffelesser« von 1885 sind von van Gogh nach einem Vorläuferbild des Landschafts- und Genremalers Jozef Israel (1824–1911), dem späteren Haupt der Haager Schule, gemalt worden, der mit seiner durch Reproduktionen prominent gewordenen Darstellung einer Bauernfamilie von 1876 auch van Gogh beeinflußte. Später nahm Israel seinerseits das van-Gogh-Bild als Motiv mehrmals wieder auf.

Und außerdem malt van Gogh weitere Bilder mit Kartoffel-Motiven. Die ganze natürliche Abfolge der Kartoffel vom Feld bis zum Verzehr wird von van Gogh dargestellt. Pablo Ruiz Picasso sagt 1955 über van Gogh:
    »Es muß wunderbar sein, ein neues Thema zu erfinden. Van Gogh zum Beispiel. Eine so alltägliche Sache wie die Kartoffeln.«

VonMax Liebermann ist das Sujet des kartoffelrodenden Bauern bekannt und zahlreiche Radierungen und Ölbilder, die von der Kartoffelernte (»Kartoffel­buddelnde Bauern« von 1874, »Kartoffelernte« von 1895, »Tischgebet« vor Kartoffelschüssel von 1884) erzählen.Wilhelm Busch zeichnet ein »Kartoffel­idyll« mit Pellkartoffeln undMoritz von Schwind arbeitet auch an der Kartoffel.­ Wilhelm Trübners »Kartoffelfeld bei Weßling« aus dem Jahr 1876 ist eines der seltenen Bilder des 19. Jahrhunderts, das blühende Kartoffelpflanzen zeigt. Max Pechstein aus dem sächsischen Zwickau erstellt während der Hungerjahre nach dem ersten Weltkrieg 1921, beeinflußt von van Goghs Kar­toffelbildern und von seinem Hunger nach ’ner anständigen Mahlzeit, die »Kartoffelbuddler«, (ein Bild, das 1996 für stolze 120.000 Mark verauktioniert wird).

Die Kartoffelernte wird neben van Gogh und Liebermann auch von Wilhelm Morgner, W. Klemm, E. Fraass, H. Merck, A. Heinzinger, A. E. Lambert, H. Mühlig, Johannes Lippmann, Arnold Peter Faust und H. Nauen bildlich dargestellt. »Kartoffelmotive« sind zu finden bei Otto Strützel, Jean François Millet (der Sohn eines Bauern), M. Unold, A. Wart­müller, R. Michaud, Josef Damberger, Ferdinand Balzer, Hugo Troendle, Franz Robert Schmidt, Alex Follak, Ernst Witkamp, F. Witte und Ernst Ludwig Kirchner.

Jean-François Millets Bild »Beim Angelusläuten« (1859) zeigt auf einem abgeernteten Kartoffel­acker Bäuerin und Bauer in Gebetshaltung, in ihrer ­Mitte ein Kartoffelkorb (obwohl es doch richtiger ge­wesen wäre, das Jesuskind im Stroh zu zeigen); in einer zeitgenössischen Karikatur heißt es: »Lasset uns beten, liebe Mitbrüder, für die kranken Kartoffeln.«­ In der Tat, Millets Bilder stehen vielfach im Kontrast zu den fröhlich schaffenden, die Hacke schwin­genden Landleuten der akademischen Male­rei. Sal­va­dor Dalí verarbeitet dieses Bild von Millet mehrfach als Vorlage für eigene Motive, davon viermal klar erkennbar mit dem Milletschen Kartoffel­sack bzw. -karre: »Gala und der Angelus von Millet kurz vor dem unmittelbaren Eintreffen der kegel­förmi­gen­ Vexierbilder« (1933), »Atavismen des Zwielichts (Zwangsvorstellung)« (1933 bis 1934), »Der Angelus von Gala« (1933) »Der Bahnhof von Perpignan« (1965),

Auf dem Bild von Eduard Spitzer »Kinder der Welt« von 1886 »sparen Bür­gers­­­töchter für einen Ball, in dem sie Kartoffeln essen«. Darüber hinaus gibt es von diversen Zeichnern eine Vielzahl von Karikaturen zum Thema »Kartoffel«.

Jean Paul (in »Hesperus«) hat eine sehr schöne Verbindung zwischen der Kartoffel und Buchdrucke­rei hergestellt:
    »Der Kaplan machte gerade Butter-Vignetten; ich meine, er sägte mit keiner andern Ätzwiege als mit einem Federmesser und in keine andre Kupferplatten als in Kartoffeln Buchdruckerstöcke und Schließ­quadrätchen ein, die auf die Juliusbutter des Schmuckes wegen zu drucken waren.

Und Heinrich Heine in den 1830er Jahren (»Ludwig Börne«):

    »Wir sind ein denkendes Volk, und weil wir so viele Gedanken hatten, daß wir sie nicht alle aufschreiben konnten, haben wir die Buch­druckerei erfunden, und weil wir manch­mal vor lauter Denken und Bücherschreiben oft das liebe Brot nicht hatten, erfanden wir die Kartoffel.«
Und er lobt die Kartoffel wie keiner vor ihm:
    »Warum die Rose besingen, Aristokrat! Besing die demokratische Kartoffel, die das Volk nährt!«

Zur Pellkartoffel schreibt Ringelnatz in dem Poem »Pellka«:
    »Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,

    Du Ungleichrunde,

    Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,

    Du Vielgequälte,

    Du Gipfel meines Entzückens.


      Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens


    Mit der Gabel! – Sei stark!

    Ich will auch Butter und Salz und Quark

    Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich

    stampfen.

    Mußt nicht so ängstlich dampfen,

    Ich möchte dich noch einmal erfreun.

    Soll ich Schnittlauch über dich streun?


      Oder ist dir nach Hering zumut?


    Du bist ein so rührend junges Blut.

    Deshalb schmeckst du besonders gut.

    Wenn das auch egoistisch klingt,

    So tröste dich damit, du wundervolle

    Pellka, daß du eine Edelknolle

    Warst, und daß dich ein Kenner verschlingt.

Georg Perec läßt in seinem Stück »Die Kartoffelkammer« seine fünf Darsteller einen »wilden Reigen« tanzen »wobei sie so laut wie möglich singen«:
    »Das kann uns gar nicht quälen

    die Knollen hier zu schälen

    froh sind wir und versessen

    sie auch gepellt zu essen

    ...

    Um den Kartoffelkäfer zu verjagen

    Da braucht man keinen Mann mit Kragen

    Und immer fühlt man sich sehr wohl

    Ißt man Kartoffeln in Stanniol.»

    Und weitere Strophen mit Refrain.

Über Pfannkuchen nach Kölner Art singen die »Bläck Fööss«:
    »Mam, Mam, schnapp d’r de Pann,

    mir wolle Rievkooche han.

    Mam, Mam, fang doch flöck an,

    fuffzehn Stück pack op dr Mann.

    Denn Rievkooche, dat es en Delikatess,

    die schmecken am allerbess,

    un kriste noher jet Buchping, oh jös,

    do lähste dich flöck en der Kess.

    Wer Rievkooche eins hät erfunge,

    dat wor ne Erfinder janz jroß,

    denn dat es ihm jot jelunge,

    och wenn et jet Öl hät jekoss.«


Und natürlich hat sich auch Ludwig Thoma geäußert in »Josef Filsers gesamelter Briefwexel« (Fiertens: Über die Stehlung bayerns zum Aus­lahnd):
    »Das Kenigreich Breißen ist ein ahrmes Land und nehren sich fon Kahrdofeln indem sonzt nichz waxt. Den disses ist leicht zum be­kreifen, dass wo mahn plos Kahrdofel hat, wiel man was ander­nes. Sie versuchen es, indem sie ins schmeigeln, damit das mir zutrauhlich werden, haber wen der bayerische Löhwe seine Zehne bleckt undzum Knuhren anfängt, ziehgen sie geschwiend die hende weg, womit sie ien gestreigelt haben.Iere Köbf sind geschwohlen und disses kohmt fon lauder Kahrdofelesen.«

Heinrich Zille in seinen satirischen Zeichnungen der Berliner vergißt nicht die Hauptnahrung der von ihm portraitierten Bevölkerung. Auf einer Geburtstagskarte nimmt er ein Stück Kar­toffelgeschichte vorweg. Er schreibt zu der bild­lichen Darstellung des Verkaufs von Saatkartoffeln:
    »Was, das nennen Se Saatkartoffeln? Die sind ja schon breiig. Wenn Se die in die Erde ­stecken, dann ernten Se Kartoffelpuffer.«

Der »Verein der Freunde der Kartoffeln e.V.« in Lohr am Main hat anläßlich des 50. Geburtstages ihres Vereinsgründers, Hans Schönmann, ein »Kar­toffel­esserlied« vorgetragen (Text von Claudia Heinstein):
      »... Sie wächst mit Blüten auf dem Feld mit Früchten dran

     |: Schau dir’s nur an :|

     Doch unterirdisch liegt, was man genüßlich essen kann.

     |: Schau dir’s nur an. :|

     Wir hol’n sie gern schwarz aus der Kartoffelglut,

     |: das schmeckt uns gut. :|

     Die Pellkartoffeln dampfend aus der kochend Wasserflut.

     |: das schmeckt uns gut. :| «  

Nach der Melodie »Ein Vogel wollte Hochzeit machen« mußte in den 1990er Jahren in einem Kindergarten in der Berliner Schillerstraße gesungen werden:
    »1.Kartoffelliese, Kartoffelfranz

    wollen tanzen einen Kartoffeltanz.

    Fiderumpelbum, fiderumpelbum, fiderumpel,

    rumpel bum.

    2. Kartoffelliese ist dick und rund

    doch innen gelb und gesund.

    Kartoffelfranz ist groß und schlank;

    er liegt viel lieber auf der Bank.

    Kartoffelliese ruft ihm zu:

    ›Steh endlich auf und tanz im Nu.‹

    Es tanzt der Franz nun immer mehr,

    Kartoffelliese freut das sehr.

    Es wird nun etwas lauter hier,

    denn mittlerweile sind es vier.

    Fiderumpelbum, fiderumpelbum, fiderumpel,

    rumpel bum«

In dem selben Kindergarten wurde das Märchen vom »Kartoffelkönig« vorgelesen, in dem eine ­große Kartoffel sich zum König ausruft und sich daher nicht kochen oder schälen lassen will; aber auch diese Knolle wird zu Reibe­kuchen verarbeitet.

Aber die Kartoffel ist auch gut für die Beschreibung von Personen; beispiel­haft sei Anton Sem­jonowitsch Makarenko zitiert:

    »Timofej Viktorowitsch ist ein korpulenter Mann mit einem gestutzten Schnurrbart und einer Kartoffelnase.«

Da ist Donna Leon in »Aqua alta« viel unfreundlicher: »Die sehen alle aus wie Kartoffeln und stinken nach Paprika«. Über Peggy Guggenheim heißt es, daß sie nie den geforderten Preis für ihre Käufe zahlte. Einmal jedoch sei ihr das mißlungen: da ging es um ihre Nase, die ihr wie eine riesige Kartoffel erschien, ein Familienerbstück, das sie verändern wollte, als sie volljährig wurde. Mitten wäh­rend der Operation sagte ihr der Chirurg, daß das von ihr gewünschte Nasenmodell nicht realisierbar sei und sie solle sich eine andere Nasenform aussuchen. Sie ließ die Operation abbrechen, mußte aber die vereinbarten 1000 Dollar für den Versuch, ihre Knollennase zu beseitigen, dennoch ­bezahlen.

Jenny Lind, die schwedische Sopranistin, die »schwedische Nachtigall« mit der reinen Haut und dem breiten Gesicht, meinte über sich, sie hätte eine »Kartoffelnase«. Der türkisch-stämmige Rapper Kool Savas (Yurderi) nennt die Deutschen gern »Kartoffel«, was ja wohl deutlich zeigt, daß die Integrationsbemühungen der Berliner Ausländer- und Ausländerinnenbeauftragten fruchtlos geblieben sind.

Der ägyptische Luftfahrtminister Ahmed Schafik will übergewichtige Flugbegleiterinnen in der staatlichen Fluggesellschaft »Egypt-Air« nicht mehr akzeptieren; diese würde nämlich aussehen wie »fliegende Kartoffelsäcke«.

Elizabeth Braddon schreibt 1881: »You wouldn’t love a man with a potato-nose«, und wir Älteren ken­nen die Geschichte mit dem Johannes. Salaman zitiert Mme d’Arbley, die in ihrem Tagebuch am 4. Juni 1791 einträgt, daß der Herzog von Clarence eine Mrs. Schwellenberg zurechtweist mit den Worten: »Hold your potato-jaw«.

Zur Beschreibung von Pferdeköpfen eignet sich die Kartoffel auch: »Hier müssen Sie nicht an unsere hannöverschen Pferde gedenken mit den Kartoffel-Gesichtern«, schreibt Lichtenberg.

In Japan – so schreibt Uwe Schmitt in »Tôkiô Tango« ­– gibt es einen reichen
    »Fluchwortschatz der traditionellen Vegetarier auf dem Feld der Gemüse. Jemand einen Kürbis, Rettich oder eine Kartoffel zu schimpfen ist nicht lustig.

    Die beruhigend völkerverbindenden Funde des Autors in Japans Straßenmilieus, die sämtliche Variationen weiblicher Masturbation und Verunglimpfungen des Penis (gobô), von dünnen Wurzel, ge­drunge­nen Pilzen bis zu dicken Kartoffeln, einschließen ...«

Eine Schilderung von Uwe Schmitt beim Besuch eines japanischen Freibades am Wochenende:
    »Sie badeten im Schichtbetrieb, so wie sich einst Europas Schicht­arbeiter ein Bett teilten, das nie erkaltete. Imo arai, Kartoffel waschen, nannten sie es gutmütig.«

Kritische Intellektuelle in Japan werden als »kokutsubushi« bezeichnet, als »Verschwender der Feldfrüchte«, also auch Verschwender der in Japan weit verbreiteten Kartoffel.

Bei der Bedeutung der Kartoffel ist es nicht verwunderlich, daß sogar ein Film zu diesem ­Thema produziert wurde: 1985 haben Fernsehanstalten der Schweiz, Österreich und Deutschland die Geschichte eines schweizerischen Bergbauern als halb­doku­men­­ta­rischen Spielfilm produziert: »Der schwarze Tanner«, frei nach einer Erzählung von Meinrad Inglin, mit Otto Mächtlinger (als Kaspar Tanner) und Dietmar Schönherr (als Bauernfunktionär Traugott Steiner), Regie Xavier Koller. Die Schweizer Milchbauern wurden 1940 gesetz­lich verpflichtet, auf den Hängen ihrer Almen Kartoffeln anbauen, da die offizielle Politik der Schweiz die Autarkie bei der Nahrungsmittelversorgung anstrebte. Alle Milchbauern (im Tanner-Film) weigern sich anfänglich, aber bei Strafandrohung geben sie als »gute« Staatsbürger nach – nur der Tanner Kaspar ­weigert sich und muß ins Gefängnis. Im jenischen heißt Gefängnis »Erdäpfel­palast«, so daß die Inhaftierung für den Tanner ein be­sonderer Tort war. Tanner geht in den Hungerstreik und wird schließlich doch aus der Beugehaft ent­lassen. Ein Film mit happy end, wenn es auch gegen die Knolle geht, aber nicht jeder Platz ist für den Anbau geeignet.

Der Grieche Dimos Avdeliodis dreht 1999 den Film »I earíni synáxis tón agrofýlakon», was auf deutsch heißt: »Das Treffen der Feldhüter«. In diesem Film geht es um die Ernennung eines neuen Feldhüters auf der Insel Chios, Anfang der 1960er Jahre. Der alte Feldhüter von Tholopotami ist tot; man sieht im Film, wie er starb: Er beobachtete das Mädchen Elisso (gespielt von Angeliki Malandi) und seine Mutter beim Kartoffelklauen; als er die Diebinnen stellen will, packt ihn das Mädchen an der Schulter und der Feldhüter fällt vor Schreck tot ins Gras. Der erste Nachfolger ertrinkt, als er vor stechenden Bienen flüchtet, der zweite ersäuft in einem Tümpel, der dritte verspielt seinen Esel und sein Gewehr – erst der vierte hat Glück. Und darf die resche Elisso heiraten. So hat die Kartoffel doch noch Glück gebracht und Einfluß auf die »eheliche wercke«.

Verzichtet werden soll hier auf Vergleiche der Kartoffel mit anderen Gegen­stände wie das »Knöllchen« oder die Bezeichnung »Kotzknolle« der Zeitschrift »Tempo« 1988 für den VW-Passat oder »Knautsch-Potato« im »Stern« 1999 für den FIAT Multipla. Solche Übertragungen ver­unglimpfen die Kartoffel!

Der Verweis Burkhard Hirsch als Sonder­ermittler der rot-grünen Bundesregierung über die verschwundenen Kanzleramtsakten (1998), der Staat sei keine­ »Bundes­frittenbude«, ist zwar richtig, aber zukünftig wäre es besser, keine Akten und Dateien zu vernichten, wenn die sozialdemokratische Bedrohung wahr wird bevor irgendwelche Fritten-Beispiele herangezogen werden.

Und in diesem Zusammenhang ein weite­rer ener­gischer Protest: Die häufig gehörte Bezeichnung »Kartoffel Sport Verein« für den HSV, nur weil dieser Traditions­verein in manchen Zeiten im Keller steht, ist unangebracht. Denn heutzutage werden die Knollen nicht mehr im Keller gelagert. Und Håkan Nessers Satz »Rügers Gesicht war ausdruckslos wie eine Kartoffel« zeugt nicht von der guten Beobachtungsgabe eines ansonsten guten Romanschriftstellers. In Frankreich wird über ­einen Faulpelz gesagt, er hätte »Kartoffelblut« und ­Leute mit zwei linken Füßen und »würde tanzen wie ein Sack Kartoffeln«. Und – was ein früherer Bundeskanzleramtsminister vergessen wollte: »Kartoffeln gehören in den Keller, Akten in die Registratur.«

 
 zurück an den Anfang dieser Seite 


Das Märchen vom guten Kartoffelkönig 

aus: Klaus Henseler: Kartoffelgeschichte: Kartoffeldaten querbeet (Miszellen und Quisquilien):
https://web.archive.org/web/20120124171522/http://www.kartoffel-geschichte.de/Dritte_Furche/Miszellen-Quisquilien/miszellen-quisquilien.html

Es war einmal eine groߟe Kiste Kartoffeln. Es waren schöne, dicke Kartoffeln in der Kiste, eine noch dicker als die andere. Auf einmal aber, da hat es in der Kartoffelkiste gerufen: »Ich will nicht aufgegessen werden, ich mag nicht aufgegessen werden! Ich bin doch der groߟe Kartoffelkönig!« Und das ist auch wahr gewesen. Mitten in der Kartoffelkiste hat der Kartoffelkönig gelegen. Der war so groߟ wie zwölf andere Kartoffeln zusammen. Aber einmal, da ist die Groߟmutter in den Keller gekommen und hat ein Körbchen Kar­toffeln geholt. Die wollte sie schälen und kochen zum Mittagessen. Und da hat sie den Kartoffelkönig auch in ihr Körbchen getan und hat gesagt: »Ei, was ist das für eine dicke KartoffeI!« Aber wie die Groߟmutter mit dem Körbchen aus dem Keller gekommen und über den Hof gegangen ist, da ist der Kartoffelkönig, eins, zwei, drei! aus dem Körbchen gesprungen und so geschwind in den Garten gerollt, daߟ ihn die Groߟmutter nicht mehr finden konnte. Und sie hat gesagt: »Ich will sie nur laufen lassen, die dicke Kartoffel, vielleicht finden sie arme Kinder und freuen sich.«  

Und der Kartoffelkönig ist immer weitergerollt, der groߟe Kartoffelkönig. Da ist ihm der Igel be­gegnet und hat zu ihm gesagt: »Halt, warte ein biߟchen, ich will dich aufessen heute mittag!« - »Nein«, hat der Kartoffelkönig gesagt, »Groߟmutter mit der Brille hat mich nicht gefangen, und du, Igel Stachelfell, kriegst mich auch nicht!« Und eins, zwei, drei! ist er weitergerollt. Da ist ihm das Wildschwein begegnet. »Halt, dicke Kartoffel«, hat es zu ihm gesagt, »warte ein biߟchen, ich will dich geschwind auffressen!« - »Nein«, hat der Kartoffelkönig gesagt, »Groߟmutter mit der Brille hat mich nicht gefangen, Igel Stachelfell hat mich nicht gefangen und du, Wildschwein Grunznickel- €™ kriegst mich auch nicht!« Und eins, zwei, drei! ist er weitergerollt in den Wald. Da ist ihm der Hase begegnet, und der hat gerufen: »Halt, dicke Kartoffel, warte ein biߟchen, ich will dich nur eben aufessen«. »Nein«, hat der Kartoffelkönig gesagt, »Groߟmutter mit der Brille hat mich nicht gefangen, Igel Stachelfell hat mich nicht gefangen, Wildschwein Grunznickel hat mich nicht gefangen, und du, Has- €™ Langohr- €™ kriegst mich auch nicht!«  

Und eins, zwei, drei! ist er weitergerollt durch den Wald, der groߟe Kartoffelkönig. Da sind ihm zwei arme Kinder begegnet, die waren schon lange auf dem Wege und hatten argen Hunger. Als sie die groߟe dicke Kartoffel sahen, haben sie gesagt: »Oh, was läuft da eine dicke Kartoffel! Wenn wir die hätten, dann könnte die Mutter uns einen groߟen, groߟen Reiber­tatsch davon ­backen!« Als das der Kartoffelkönig hörte, da ist er, eins zwei, drei! den armen Kindern in ihr Körbchen gesprungen. Und die Kinder haben am Mittag einen groߟen, groߟen Reiber­tatsch davon gekriegt. 

          Wilhelm Matthieߟen im »Bayerischen Lesebuch«,    3. und 4. Schuljahr 1947




 Anmerkungen

1          Die Kaschuben, die älteste Ethnie an der Danziger Bucht, existieren noch heute als kulturelle Minderheit.         zurück

 

2          Dazu muß man wissen, daß dieser verarmte Landadliger aus Alt-Rahlstedt wegen wiederholter Verschuldung aus Staatsämtern ausschied und sich wahrscheinlich glück­lich dünkte, wenn er Kartoffelsupp’ bekommen hätte.         zurück

 

3          Das Vokabular des Jiddischen geht zum größten Teil auf deutsche Dialekte zurück, mit hebräisch-aramäischen und slawischen Anteilen. Neuere Untersuchungen verlegen den Geburtsort dieser Sprache in den bayerisch-böhmischen Raum; von da ist die Sprache durch die verfolgungsbedingten Wanderungen vom 13. Jahrhundert an auch im Osten Europas verbreitet worden. Moses Mendelssohn und andere jüdische Aufklärer sahen das Jiddische als ein entscheidendes Hindernis für die Emanzipation der Juden in Deutschland. Antwerpen ist die letzte Stadt, in der jiddisch noch als lebende Sprache, als »Mameloschen«, benutzt wird. Jiddisch wird in hebräischen Buchstaben von rechts nach links geschrieben.         zurück

 

4          Friedrich Wollner 1970: Die an Hunger und Entkräftung zugrunde gehende Bauern­schaft »erklärt auch, warum es 1917 in Rußland zur Revolution kommen mußte.«        zurück


<<          >>

Teilen / share:

Facebook








^