Kontakt /
                contact      Hauptseite / page principale / pagina principal /
                  home     zum
                Europa-Index 1850-2000      
<<           >>

Kartoffel-Geschichte Furche 3.7. Die Kartoffel in der Naturmedizin

präsentiert von Michael Palomino 2019

damit gutes Wissen nicht verloren geht

aus: Klaus Henseler: Kartoffel-Geschichte: Medizin und Aberglauben: https://web.archive.org/web/20120226083624/http://www.kartoffel-geschichte.de/Dritte_Furche/Medizin-Aberglauben/medizin-aberglauben.html

Teilen / share:

Facebook








Kartoffel-Geschichte Furche 3.7. Die Kartoffel in der Naturmedizin

Die Kartoffel ist eines der merkwürdigsten Gewächse, das vom Menschen domestiziert wurde. Sie gehört zu den »Giftpflanzen«, denn nur wenige­ Milli­gramm des in ihren oberirdischen Teilen enthaltenen Alkaloid genügen bereits, einen Menschen zu töten; dennoch munden uns ihre unterirdischen Organe, und die verdickten Stengel werden für medizinische Zwecke eingesetzt.


Die Inhaltsstoffe einer gewöhnlichen Kartoffel setzen sich zusammen aus:
Fett (zu 90% ungesättigte Fettsäure (Linol- und Linolensäure) 0,04–0,17 Prozent
Mineralstoffe 0,6 –1,3     Prozent
Vitamine
(der C-Vitamin-Gehalt ist so hoch, daß die Kartoffel zu den reichhaltigsten C-Vitamin-Träger gehört, B1,B2 Komplex, K, Panthotensäure)
1               Prozent
Protein
(etwa 2% aus zehn essentiellen Amino­säuren)
 1,6–2,8     Prozent
Fasern  0,3–0,9     Prozent
Kohlehydrate
(fast ausschließlich Stärke: davon etwa 75 Prozent Amyopektin und etwa 25 Prozent Amylose)
15–21        Prozent
Wasser 74–81          Prozent

Der praktische Arzt Schachert in Landsberg a. d. Warthe zitiert 1840 in einem Aufsatz für die »Wochenschrift für die gesammte Heilkunde« aufgrund der damaligen Untersuchungsergebnisse (von Pearson, Einhoff, Pfaff, Lampadius, Henry, Otto, Michaelis und Vauquelin), daß in den Kartoffeln außer dem Hauptbestandteil Wasser Stärkemehl, Faserstoff, Eiweiß und Gummi vorhanden sei:
    »In den unreifen (Kartoffel) ist der Gehalt des Wassers am grössten, Eiweiss und Gummi findet sich in ihnen nur sehr wenig, Stärkemehl und Faserstoff in geringem Grade. ...

Das Stärkemehl ... ist am Meisten in den Zwiebel-, Zucker-Voigtländischen und rothen Kartoffeln enthalten, am wenigsten aber in den auf moorigem oder lehmigem Boden gewachsenen.«

Und weiter:
    »Ob auch Solanin in den Kartoffeln enthalten sei, darüber war man lange nicht einig. Baup will eine gewisse Quantität gefunden haben, Buchner behauptet, dass man, wenn Kartoffel gerieben und ausgepresst werden, und der filtrirte Saft mit Ammoniak vermischt wird, einen Niederschlag erhalte, der zwar hauptsächlich phosphorsaure Ammoniak-Talkerde sei, woraus aber nach dem Trocknen durch Kochen mit Alkohol eine Spur von Solanin ausgezogen werden könne.«

In Nr. 26 des Jahrgangs 1835 der »Zeitschrift für die landwirthschaftlichen Vereine des Grossherzogthums Hessen« wird von den Untersuchungen des hessischen Arztes Schachert berichtet, der festgestellt hat, daß
    –       reife Kartoffeln, solange sie noch nicht keimen, kein Solanin enthalten

    –       gerade keimende Kartoffeln Solanin nur in geringen Mengen enthalten und

    –       Kartoffeln in der ersten Entwicklungsphase mit zwei bis vier Zentimeter langen Keimen, die größte Menge an Solanin enthalten

Kaffee weist etwa siebenhundert flüchtige Aromastoffe auf, die Erdbeere bringt es auf etwa vierhundert, in der Banane sind etwa zweihundert Riech-Stoffe; dagegen bringt es – so informierte Gerlinde Tauer von der Firma Dragoco auf der Grundlage des VCF 00 Database Report – die rohe Kartoffel nur auf fünfundfünfzig flüchtige Aromastoffe, die gekochte Kartoffel bringt es schon auf siebenundneunzig, die gebratene Knolle auf zweihunderteinund­sechzig und erst Pommes frites kommen mit bisher 339 gefundenen flüchtigen Aromastoffen in die Nähe der Erdbeere; insgesamt etwa sechstausend verschiedenen aroma­tische Moleküle sind bisher festgestellt worden.

Nach neuesten Untersuchungen enthält die Kartoffel – wie auch Auberginen, Blumenkohl und Tomaten – kleinste Mengen von Nikotin. Wie beim Nikotin­pflaster, das sich Abhängige zum Abgewöhnen des Lasters kleben, wird das Nikotin im Gemüse ohne die Reiz- und Begleitstoffe der Zigarette­ auf­genommen und ist leicht abbaubar.

Der Hang der Engländer zum Nonsens führte dazu, daß weltweit in allen Medien berichtet wurde,­ britischen Tüftlern sei es gelungen, mittels des Salzgehalts der Kartoffel einen knollenbetriebenen Web-Server zu basteln. Mit Hilfe von zwölf (!) Kartoffeln sei es gelungen, zwei Internet-Seiten im WorldWideWeb mehrere Tage lang zu betreiben; Eingesetzt werde eine Rechner-Version mit niedrigem Strom­verbrauch (Intel 386 Chip). In eine Kartoffel gesteckte Elektroden aus Zink und Kupfer erzeugten eine elektrochemische Reaktion, die ihrerseits den Stromfluß verursache. In der Tat: Durch die elektrolytischen Eigenschaften des salzigen Inneren der Kartoffel ist die Knolle – ähnlich ­einer Autobatterie – ein potentieller Stromlieferant und könnte somit zum ernsthaften Konkurrenten von Windkrafträdern und Solarzellen werden.

 
Es soll nach so viel Hinweisen auf Gebreste und ihre Bekämpfung durch unsere Knolle auch nicht der Hinweis auf nachweisbare Vorteile der Knolle fehlen.

Kartoffeln sind ein Nahrungsmittel mit vielen lebenswichtigen Stoffen, aufgrund ihres hohen Stärkegehalts eine Energiequelle und außerdem reich an Ballaststoffen. Sie liefern hochwertiges pflanzliches Eiweiß. Zum Dickmacher werden sie nur durch die Zubereitung mit Fett. Aufgrund der basischen Substanzen eignen sie sich ideal als Gegengewicht zu einer übersäuerten täglichen Nahrung.

Die gesunde Knolle bietet auch außer Selen die ganze Bandbreite an Mineralstoffen und Spuren­elementen, ganz besonders viel Kalium, aber auch Chrom. Mit fünf Erdäpfeln kann man nahezu den ganzen Tagesbedarf decken. Zu wenig Chrom bedeutet ein Absinken des Blutzucker­spiegels und damit Müdigkeit, Gereiztheit und Un­ruhe.

Wenn man regelmäßig Kartoffeln ißt, wird Müdigkeit und Konzentrations­mangel verhindert, der Wasserhaushalt im Körper reguliert, Muskeln und Knochen gekräftigt und Herz und Kreislauf gestärkt. Außerdem wird der gesamte Stoffwechsel entsäuert, was die Gefahr für viele Zivilisationskrankheiten verringert. Das normale Wachstum von Kindern wird gefördert, das Bindegewebe gekräftigt und die Verdauung verbessert.

Wer oft an Muskelkrämpfen leidet, die auf Kalium- und Magnesium-Mangel zurückzuführen sind, kann mit häufigen Mahlzeiten mit Kartoffeln dagegen ankämpfen. Bluthochdruck-Patienten können Medikamente einsparen, wenn sie oft Kartoffeln essen. Sie sind eine ideale Unterstützung der Therapie. Kartoffeln helfen auch, Streß und Harn­säure abzubauen und die Frühjahrsmüdigkeit zu bekämpfen.

Die gesundheitlichen Wirkungen kommen nur zur Geltung, wenn man die Erdäpfeln gedämpft ißt. Man wäscht die Erdäpfeln mit der Schale, gibt sie in einen Topf und wenig Wasser dazu, kocht einmal auf und dämpft sie dann auf kleiner Flamme 20 bis 25 Minuten. Mit etwas Kräutertopfen sind sie ein sehr gesundes Abendessen.

Die Kartoffel enthält einen beträchtlichen Stärkeanteil (durchschnittlich 17,5 Prozent) und biologisch wichtige Aminosäuren in einer Zusam­mensetzung, die dem natürlichen Bedarf unse­res Körpers sehr nahe kommt. Ferner sind die Vitamine B1, B2, B6 (wichtig für die Eiweißverarbeitung) und ein verhältnismäßig hoher Anteil an Vitamin C, das auch nach dem Erhitzen erhalten bleibt, (Ascorbin­säure) sowie Niacin enthalten. Kartoffeln enthalten auch viel Vitamin K, das für die Blutgerinnung wichtig ist. Antal Bognar von der Bundes­­­­forschungsanstalt für Ernährung stellte 1997 fest, daß die »meisten Vitamine direkt unter der Schale sitzen«, zumindest gilt das bei Birnen und Äpfeln (der Vitamingehalt der Apfelschale ist siebenmal so hoch wie der des Frucht­fleisches), aber bei der Kartoffel nimmt der Vitamingehalt zur Schale hin ab. Regelmäßiger Kartoffelgenuß ersetzt die Einnahme von Spalt-Tabletten oder Aspirin. An Mineralen sind Kalium, Eisen, Phosphor und Kalzium vorhanden und an Spurenelementen Jod, Kupfer, Mangan, Zink, Fluor und Nickel; hundert Liter Mineralwasser ergeben die Kaliummenge einer Kartoffel.

Mit dem Vitamin B der Kartoffel nimmt der Mensch auch Folat (Folsäure) zu sich, die eine wichtige körperliche Bedeutung hat. Folat ist unabdingbar für die Zellteilung, so auch bei der Bildung von Spermien (mit Kartoffeln gelingen also die »ehelichen wercke«).

Obwohl die Kartoffel zu rund fünfundsiebzig Prozent aus Wasser besteht, benötigt sie relativ wenig Wasser zum Wachstum; nicht die Nieder­schlags­menge, sondern die gleichmäßige Verteilung ist für das Wachstum wichtig: citius, altius, fortius. Das Wachstum im Frühjahr wird bei einer angenehmen Temperatur von etwa 8°C bei nicht vorgekeimten Knollen besonders gefördert.


Verbreitung der Kartoffel als Heilpflanze durch die Fantasie-Kirche auf Klosterhöfen - Kartoffeln fördern die Bildungsfähigkeit

Ursprünglich wurde die Kartoffel als exklusives Therapeutikum und der »ehelichen wercke« wegen in der Nähe von Klöstern und in den schon mehr­fach erwähnten Fürstengärten angebaut: »Kar­toffeln mit Liebe schmecken besser als Bratwürste mit Zank«. Im Mittelmeerraum wurde die Kartoffel jedoch – wie schon erwähnt – früh auch von Spitälern und Klöstern als Kranken­nahrung eingesetzt, ohne daß die bisherigen Grundnahrungsmittel verdrängt werden. Aber die Patres und Fratres trugen die Knolle überall hin.

Die Kartoffel wurde im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Volksnahrung. Kartoffeln und Kohl ersetzten das Getreide – bei den unteren Schichten. Insgesamt wurde die Ernährung dadurch jedoch nicht besser, da zu diesem Zeitpunkt – aus anderen Gründen – der Fleischkonsum zurückging. Der geringe Eiweiß- und Fettgehalt, der niedrigere Gehalt an Mineralstoffen und Spuren­elementen, an Vitaminen und Aminosäuren beeinflußten die Qualität der Ernährung nachteilig, so daß die Volksgesundheit insgesamt schlecht blieb. Eine Auswirkung unzureichender Ernährung ist eine geringere Ent­wicklung der kognitiven Fähig­keiten (Denk-, Wahrnehmungs- und Lern­leistun­gen), wobei neuere Forschungen aufzeigen, daß auch Umwelt­faktoren wie sozialer Status der Familie und Erziehung die schädlichen Folgen schlechter Ernährung je nach­dem mildern oder verschlimmern.

Mit der Verbreitung der Kartoffel bei den unteren Schich­ten während des 18. Jahr­hunderts stieg das all­gemeine Bildungs­niveau an und dieser allgemeine Anstieg führte zugleich Spitzen­leistungen in den Naturwissenschaften; wir haben an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen.

Es wird verschiedentlich angezweifelt, daß die Kartoffel einen Einfluß auf das Bevölkerungswachstum in einem bestimmten Gebiet gehabt habe. Wenn man aber die Fakten betrachtet, so ist sehr schnell festzustellen, daß die Einführung der Kartoffel, verbunden mit der Beendigung oder Einschränkung der Drei-Felder-Wirtschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts erhebliche Auswirkungen auf die Geburtenrate hatte.

Die kriminelle Dreifelderwirtschaft mit vergiftetem Mehl

Dazu muß man noch einmal auf die Funktionsweise der Drei-Felder-Wirtschaft verweisen: Im ersten Jahr: Brache, im zweiten Jahr: Winterfeld, im dritten Jahr: Sommerfeld und dann wieder Brache.

Ausgehend von der Brache nahm der Wildkräuterbestand einjähriger Pflanzen auf der Brache rasch zu und erreichte im 3. Jahr eine so große Bestandsdichte und Artenvielfalt, daß der Anbau wieder unterbrochen werden mußte. Der Viehtrieb auf der Brache hatte deshalb auch die Funktion, diese zwischenzeitlich gewachsenen Wildkräuter zu dezimieren. Einige dieser Wildkräuter überstanden jedoch diese schlichte Art der Vernichtung und wuchsen auch während der Bepflanzung im Sommer- oder Winterfeld weiter.

Insbesondere im Sommerfeld wuchsen neben Getreide (vorwiegend Roggen und Gerste) auch Getreidewildkräuter (Trespe, Lolch, Mutterkorn und Kornblume), die das Mehl dunkel färbten und den Geschmack verschlechterten.

Die damalige Mühlentechnik verarbeitete Getreide und Getreidewildkräuter zu einem nicht mehr trennbaren Gemenge, das insbesondere beim Brei, dem Standardessen der ärmeren Bevölkerungsgruppen, ununterscheidbar wurde. Bei besonders großer Belastung des Getreides mit Wildkräutern traten Vergiftungserscheinungen ein, so daß man von »Schwindelhafer« oder »Taumelgetreide« sprach.

Die Geburtenregelungen der Obrigkeiten in Europa im 18.Jh.: Heiratsverbote, Aborte, natürliche Verhütungsmittel

Uns interessiert in diesem Zusammenhang nur die Auswirkung auf das Bevölkerungs­wachstum. Christoph von Gundlach weist in einer sehr kenntnisreichen Analyse nach, daß die Geburtenhäufigkeit deutlich zurückging, wenn auf stark mit Wildkräutern vermischtes Getreide zurückgegriffen werden mußte. Das war immer dann der Fall, wenn es eine Getreidemißernte gab. Für die Grafschaft Lippe hat Dirk Mellies eine entsprechende Untersuchung für die Jahre 1766 bis 1776 (1770 begann eine Hungerzeit) durchgeführt.

Die Geburtenhäufigkeit hängt von drei Faktoren ab – von behördlichen Heirats­regulationen, von der Abortrate und von umweltbedingter Kontrazeptiva.

Behördliche Heiratsvorschriften gab es immer dann, wenn das Nahrungsangebot gering war und die Obrigkeit der Auffassung war, auf diesem Weg die Kindergeburten zu verringern (das Heiratsalter in Deutschland wurde erst auf 18 Jahre für Frauen und 21 Jahre für Männer herabgesetzt, als das Nahrungsangebot ausreichend war). Ein »natürlicher« Abort vollzieht sich in den ersten Schwangerschaftswochen – vielfach unbemerkt – und verlängert das Intervall auf den nächsten Eisprung; ein Abort wirkt also als temporäre Schwangerschaftsverhütung.

Normalerweise beträgt das Geschlechterverhältnis 148 männliche zu 100 weibliche Föten (so von Gundlach); bekannt ist heute, daß einem Abort vorwiegend männliche Föten zum Opfer fallen. Erhöht sich also die Relation weiblicher zu männlicher Föten zugunsten der weiblichen, dann ist davon auszugehen, daß ein Anstieg der Aborte erfolgte. Immer dann, wenn auf minderwertiges Getreide zurückgegriffen werden mußte, nahm die Anzahl geborener Töchter deutlich zu.

Natürliche Verhütungsmittel: Platterbsen und Wicken

Wenn auf minderwertiges Getreide zurückgegriffen werden mußte, dann wurde die Breinahrung zugleich ergänzt durch den erhöhten Verzehr von Platterbsen und Wicken, deren toxische Wirkung (wahrscheinlich nur den »Kräuterhexen« bekannt) zu den Vergiftungen durch Getreidewildkräuter hinzukam. Eine der Folgen war zum Beispiel Osteolathyrismus. Entscheidend war jedoch, daß eine unbeabsichtigte antifertile Begleitwirkung auftrat (wie sie während des Zweiten Weltkriegs in den Niederlanden durch den Verzehr von Tulpenzwiebeln dokumentiert ist).


Der Kartoffelanbau ersetzt Getreide UND Getreidewildkräuter, z.T. auch das Gemüse - weniger Hunger, mehr Kinder, Bevölkerungsexplosion, Auswanderungswellen

Welche Auswirkungen auf das Bevölkerungswachstum hatte nun die Kartoffel? In anderen Abschnitten dieses Buches wird nachgewiesen, daß die Hungersnöte nach der Einführung der Kartoffel zurückgingen (abgesehen von der Katastrophe in Irland in der Mitte des 19. Jahrhunderts). Die Kartoffel verdrängte das Getreide und damit auch die Getreidewildkräuter. Das »pharmakologische« Fenster zum Getreidefeld schloß sich. Der Anbau der Kartoffel verminderte zugleich die Notwendigkeit zum Verzehr von Platterbsen, Wicken und anderen Lathyrismus auslösenden Krankheiten und mehr oder weniger sonstigen starken toxischen Nahrungsmitteln.

Die Kartoffel dagegen blieb als eine Art lebendiger Konserve bis zu ihrem Verbrauch ein bei­mengenfreies und durch die Schale geschlossenes Lebensmittel. Selbst Pellkartoffeln waren prinzipiell nicht verunreinigt, da sie vor dem Verzehr gewaschen wurden.

Interessant ist auch, daß sich als Nebenfolge des Kartoffelverbrauchs der Verbrauch an sonstigem Gemüse und der Gewürzbedarf verringerte und das verhältnismäßig billigere Salz an die Stelle exotischer Gewürze trat.

Der Kartoffelanbau, eine letzte Auswirkung auf das Bevölkerungswachstum, erlaubt es auch, die bis dahin üblichen rigiden Heiratsbeschränkungen aufzuheben oder zumindest zu mildern.

Die Kinderanzahl nahm zu und zugleich die Anzahl überlebender Kinder, da sich die Ernährung der schwangeren Mutter verbesserte und Anzahl der Totgeburten oder der ernährungsbedingten Todesfälle in den ersten drei Lebensjahren abnahm. Da die Kinderanzahl je Familie dramatisch zunahm, führte dies zu Emigrationswellen und größeren Binnenwanderungen, denn vor der großflächigen und systematischen Düngung der Ackerflächen entstand eine neue quantitative Grenze der Nahrungsmittelproduktion: Das Wachstum der Bevölkerung überschritt den Produktivitätszuwachs. Es kam wieder zu Hungerjahren, die sich aber nicht mehr so einschneidend auswirkten.


Mehr Sex dank Kartoffelspeisen

Die Zusammensetzung der Knolle zeigt aber auch: Aus Kartoffeln können Margarine, Marmeladen und Bonbons nicht hergestellt werden, und auch als Zusatz zu Fetten ist sie nicht geeignet. Michael Bockisch von der Technischen Universität Berlin hat ausgerechnet, daß für ein Kilogramm Margarine etwa achthundert Kilogramm Kartoffeln vonnöten wären. Jedoch: 1998 wurde eine Mutation der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) von Wissenschaftlern der Carnegie Institution in Stanford und der Universität von Berkeley entdeckt, die in den Wurzeln neben Stärke auch verhältnismäßig große Mengen an Ölen und Eiweiß entstehen läßt. Da die Mutation, »Pickle« genannt, die Nährstoff­aufnahme durch Seitenwurzeln nicht beeinträchtigt, sieht man gute Chancen für die Entwicklung von Kartoffeln (und anderen Nutzpflanzen) mit ver­bessertem Nährwert; nun soll eine »Ölkartoffel« gezüchtet werden, die Öl statt ­Stärke produziert und die zehn­­mal so ertragreich sein würde wie Soja.

Die Bauern in früheren Zeit wußten, daß mit dieser Pflanze die »ehelichen wercke« und auch contra sextum (wie man die Ver­letzung der ehe­lichen Treue lateinisch ausdrücken könnte) besser zu besorgen waren! Ad usum potatonis – zum Gebrauch der Kartoffel – gab es vielerlei Ratschläge. Hier wird Wirkung und Ur­sache verwechselt: Eine gute, kräftigende Nahrung – gleich welcher Art – fördert nicht, sondern ermöglicht erst die »ehelichen wercke«.


Empfängnisverhütung mit Kräutern

Zur Emp­fäng­nis­verhütung wurden Rosmarin, Thymian, Petersilie und Suppenkraut als alte Heil­mittel eingesetzt. Aber auch Mutterkorn und der Sevenbaum (der Fehl­geburten auslöste, und der deshalb nach dem 30jährigen Krieg nicht mehr angepflanzt werden durfte) wurden benutzt. Vielleicht haben die Geistlichen des 17. Jahrhunderts doch recht vermutet.


Gegarte Kartoffeln

Kartoffeln machen, entgegen der landläufigen Meinung, nicht dick, was in Norddeutschland im 19. Jahrhundert so formulierte:
    »Kartüffeln daun wol balgen - aber nicht talgen.«


Mit achtundsechzig Kalorien je hundert Gramm bleibt man schlank. Acht­undsechzig Kalorien entsprechen der Kalorienmenge eines Apfels. Es muß also an der köst­lichen Soße liegen, die dazu gegessen wird, die bei älteren Männern den Embon­point hervorruft. Insgesamt sind in der Kartoffel bisher rund zwei­hundert verschiedene Inhaltsstoffe gefunden worden. Ob es jedoch vorteilhaft ist, nichtdick zu sein, muß noch durch genauere Unter­suchungen festgestellt werden: Dr. E. J. Moynahan von der University of East Anglia, Norwich, stellt die These auf, daß durch die Hungersnöte im Mittel­alter und später wahrscheinlich eine Selektion zugunsten dicker Menschen stattgefunden habe.

In diesen Zusammenhang paßt, daß die Kartoffel als erdumgebenes Knollen­gewächs Energie in Form von Stärke speichert und in ihrer Raum­struktur den Vorratslagern unterirdisch agierender Nager, die etwa wie der Hamster, dort Energie in Form von Getreide speichern.

Heraklit soll gesagt haben: »Der Krieg ist der Vater (und König) aller Dinge«. Wenn Amerika (Ludwig Klages: »Dollarika«) damals schon entdeckt gewesen wäre, hätten die alten Griechen uns sicher­lich auch hinterlassen, daß die Kartoffel die Mutter­ der Weisheit sei. – Und eines guten Mittag­essens.
    »Kartoffel machen Kopfweh (wenn sie nicht schmecken)«, aber das gilt ja wohl für jedes Essen.

Kartoffel als Heilimittel bei den Ureinwohnern Süd-"Amerikas"

Bereits die prä-columbianischen Indios verwendeten Kartoffeln auch als Heilmittel: Kartoffelscheiben wurden auf Knochenbrüche gelegt, rohe Kartoffeln (auf der Stirn zerrieben) sollen gegen Kopfschmerzen helfen, und eine rohe Knolle – am Körper getragen – soll gegen Rheuma geschützt haben. Gegen Verdauungsstörungen halfen Kartoffeln. Darüber hinaus wurden der Kartoffel Zauberkräfte zugesprochen. Im September eines jeden Jahres feierten die Inka ein Kartoffelfest, »Situa«, das das Volk von Krankheiten heilen und zugleich bös­artige Dämonen vertreiben sollte.

Der Arzt Dr. Rauche berichtet 1816:
    »Es gibt Magenschmerzen und Verdauungsfehler, deren Beschaffenheit sich nur schwer nachweisen läßt. Einer mit dieser Krankheit behafteten Person, welche von mehreren Ärzten auf verschiedene Weise ohne Erfolg behandelt worden war, verordnete ich ein leichtes Dekokt von Kartoffeln und Süßholz, und bald hatte ich das Vergnügen, den kranken wieder­hergestellt zu sehen.«

Europas "Hohe Medizin" will 1840 noch nichts von der Heilwirkung der Kartoffel wissen

Noch 1840 wurde in seriösen Medizinzeitschriften über eventuelle Folgen des Kartoffelgenusses diskutiert. In dem schon erwähnten Artikel in der »Wochenschrift ...« geht Schachert der Frage nach »Unter welchen Umständen kann der Genuss der Kartoffeln der Gesundheit schädlich werden?«

Schachert stellt fünf Punkte heraus, unter denen die Kartoffel gesundheitsschädlich sein kann:
    »(1) Wenn sie noch im unausgewachsenen oder sogenannten unreifen Zustande sind, oder wenn sie auf lehmigen oder moorigem Boden gezogen sind, und in grosser Menge genossen werden.

    (2)    Sind die Kartoffeln während ihres Wachsthums nicht gehörig behackt worden, so werden die oberflächlich liegenden , der Luft ausgesetzten grün und haben einen bitteren Geschmack. ... Ich weiss jedoch aus eigener Erfahrung, dass sie im Hals kratzen, und, wenn man mehrere isst, Ekel und Magendrücken veranlassen.

    (3)    ... Wenn solche erfrorene Kartoffeln auch nicht so schädlich auf die Gesundheit wirken, so ist doch gewiss, dass die Zuckerbildung auf Kosten des Stärkemehls entsteht und dadurch ein Theil desselben verloren geht; dass sie beim Kochen, auch wenn sie früher sehr stärkehaltig waren, glitschig werden, dann einen widerlichen Geschmack haben und gewiss schwer verdaulich sind. ... Durchfälle, gastrische und biliöse Fieber, mancherlei Hautausschläge, bei Kindern aber namentlich die scrophulösen Krankheiten mögen nicht selten daher grösstentheils ihren Ursprung haben.

    (4)    Mit dem Beginn des Frühjahrs fangen die Kartoffeln ... an zu keimen. Bei einem mässigen Genuss erregen sie Anfangs etwas Kratzen im Hals und später Magendrücken, Eingenommenheit des Kopfes und Uebelkeiten. Diese Zufälle können sich zu Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Convulsionen und gänzlicher Narcose steigern.

    (5)    Endlich kann der aus den Kartoffeln gezogene Branntwein durch seinen Gehalt an Fuselöl schädlich werden.«

Wenn selbst in der Mitte des 19. Jahrhunderts in medizinischen Fach­zeitschriften noch so starke Bedenken gegen den Kartoffelverzehr ausgebreitet werden, so ist erst recht erstaunlich und verwerflich, daß man die Kartoffel weiterhin als Grundnahrung für die Ärmsten ansah.

Tabakblätter als Heilmittel

Tabak wurde ebenfalls als Heilmittel angesehen gegen Arthritis, Wunden, Kopf- und Zahn­schmer­zen, und schlechtem Atem (!). Tabak wurde zu einem Tee gekocht und auch in Pillen gedreht. Nicolás Monardes beschrieb die Heil­kraft 1577 in seinem Buch »Erfreuliche Nachrichten aus der neu gefundenen Welt«. In den kolumbischen Anden (in der Gegend von San Bernardino) wird die grüne stachlige Frucht »Guatilas« als »Kartoffel der Armen« bezeichnet.



[...] Auch vor Operatio­nen sollen Kartoffel gemieden werden, denn die in allen Nachtschatten­gewächsen befindlichen Glykol­alkaloide hemmen den Abbau von Narkose­mitteln im Körper; die Wir­kungs­dauer verlängert sich, und damit treten unliebsame Nebenwirkungen wie Schwindel auf, oder es entsteht ein bleiernes Gefühl im Körper. Jedenfalls will das der amerikanische Anästhesist Dr. Johannes Moss herausgefunden haben.

Günter Grass im »Butt«:
    »Später hat Amanda Kartoffelmehl gegen alles mögliche eingerieben, als Brei aufgetragen, in Säckchen gefüllt und in Spinde gehängt und über Türschwellen gestreut. Mit Brandwunden kam man zu ihr. Woll­ten die Kühe nicht kalben, trieb eingetrichtert Kartoffelmehl aus. Und dem Zaun angestrichen, schreckte es Geister ab.«

[...] Bei den Maoris wurden beim Haareschneiden des Häuptlings besonders viele Beschwörungen ausgesprochen; da dieses Haareschneiden eine besondere heilige Handlung war, durfte der Friseur mehrere Tage weder Nahrung be­rühren noch irgend­welche Handgriffe tun. Erst am Tag nach dem Haarschnitt kann er vom Tabu befreit werden: Er reibt sich die Hände mit Kartoffel- oder Farrenwurzel ein, die man auf einem heiligen Feuer gekocht hat. J. G. Frazer (im »Goldenen Zweig«) unterscheidet leider nicht nach der Art der Kartoffel, Es ist also denkbar, daß man nur mit der Süßkartoffel vom Tabu befreit werden kann.

Noriko Kuriyama, Leiterin des von ihrem Vater Kiichi Kuriyama in Tokio gegründeten »Kuriyama Health & Nutrition Research Institute«, vertritt die Auffassung, daß man über die Ernährung die Zukunft beeinflussen könne. Ferner führe die Bevorzugung bestimmter Nahrungsmittel zu einem Folgeverhalten. Über die Kartoffel schreibt sie:
    »Kartoffel-Fans führen höchst harmonische Ehen.

    »Kartoffel-Fans besitzen exzellente Führungs­qualitäten. Ihre hohe soziale Kompetenz bewirkt, daß sie sich mit ihren Mitmenschen gut vertragen und ihnen diese umgekehrt Respekt und Vertrauen zollen. ... Sie schwimmen ihr Leben lang auf der Erfolgswelle.«


Über »Liebe und Familie« schreibt Kuriyama:


    »Kartoffel-Kulinariker pflegen ernsthafte, fruchtbare Beziehungen. Lippenbekenntnisse liegen ihnen nicht, sie stoßen auch niemanden vor dem Kopf. Ihr Familienleben steckt voller Abwechslung, sie wer­den ihrer Partner niemals überdrüssig. Die Frauen ­unter ihnen sehnen sich nach Romantik und sind sexuell aktiver als die Männer. Im Durch­­schnitt besitzen Männer und Frauen eine hohe Lebens­erwartung.«


Was ist daraus zu folgern: Gehen Sie mit einem möglichen neuen Partner erstmals essen. Was bestellt er/sie? Grüne Bohnen? Sellerie? Kartoffeln?

Wir wollen auch darauf hinweisen, daß die Farbe »Gelb«, die wir ja bei den meisten Kartoffeln vorfinden, schon in Goethes »Farbenlehre« als heiter und munter, als warm und behaglich bezeichnet wird. Man beachte auch die kartoffelwarmen Farben in vielen Gasträumen der sogenannten System-Gastronomie.

[...] 

In Cambridge wurde festgestellt, daß Kartoffeln und (noch grüne) Bananen die Nahrungsmittel sind, die am intensivsten vor Darmkrebs schützen. Schon die Inka glaubten, daß die Kartoffel Krankheiten heilen könnte (»An earth-apple a day keeps the doctor away«).



Homöopathen empfehlen heute (wieder), gegen Rheuma eine rohe Kartoffel in der Tasche oder um den Hals zu tragen.
    »An der Türschwelle tastete er in seiner Gesäßtasche nach dem Haus­schlüssel. Nicht da. Wohl in den Hosen, die ich ausgezogen habe. Brauch ihn aber. Die Kartoffel hab ich.«
denkt Leopold Bloom, als er losgeht, um sich eine »feuchte weiche Drüse« zum Frühstück beim Schweineschlachter Dugaczs in Dublin zu kaufen. Und später an diesem Tag, am 16. Juni 1904 zwischen acht morgens und zwei Uhr nachts, stellt sich heraus, daß Bloom immer eine Kartoffel abergläubisch mit sich herumträgt und Joyce begegnet seiner Lebensgefährtin Nora Barnacle.

Der Begründer der Homöopathie, Christian Fried­rich Samuel Hahnemann aus Meißen, betrachtete die Kartoffel als Heilpflanze. Für ihn stand fest, daß bei Darmerkrankungen, Geschwüren und Schleimhautentzündungen des Magen­trakts der Saft von rohen Kartoffeln positiv auf Magen und Darm wirkt.

Der Pfarrer und Naturheiler Sebastian Kneipp empfahl den Kartoffelbreisack (heiße Pellkartoffeln in einem Leinensack, der dann gewalkt wird, bis die Kartoffeln einen Brei ergeben) zur Schmerzlinderung bei Hexenschuß und Ischiasbeschwerden – und wenn das Wasser zu kalt ist. Warzen wird man los, wenn man diese mit der Schnittfläche eines Kartoffelstückes einreibt und dann das Kar­toffelstück an einen Ort bringt, wo weder Sonne noch Mond hinscheint (man kann es auch unter einer Traufe vergraben). Selbstgemachter Kartoffelbrei ist im übrigen nicht nur ein himmlisches Gericht, sondern durch die Verwendung von Milch (statt vielfach Wasser bei Tütenbrei) auch sehr gesund: In der Milch ist Vitamin A, so daß man in Verbindung mit der Kartoffel wesentliche Elemente einer gesunden Nahrung zu sich nimmt.

 »Einen Kloß im Hals haben« bedeutet, daß man in seelischer Bedrängnis ist (noch heute tragen gestand’ne Mannsbilder in Bayern ein »Chari­vari« um den Bauch, ein Gürtel mit Devotiona­lien, Jagd­trophäen, Kastanien und Kartoffeln). Rohe Kar­toffeln lassen geschwollene Augen (nach durch Knollen angeregte lange Nächte) wieder abschwellen; gegen Durchfall helfe un­gesalzenes Kartoffel­pü-Reh, das mit Wasser angerührt worden sei. Frisch gepreßter Saft von rohen Kartoffeln helfe gegen Sodbrennen und Völlegefühl. Bekanntlich badete Cleopatra in Eselsmilch, bevor Caesar kam. Auch wenn die Knolle für die »ehelichen wercke« hilfreich ist oder sein soll, ein Bad in Kartoffelsaft verbietet sich schon.

Es wird ferner empfohlen, gegen Bauchschmerzen und Hals­entzündungen eine Kartoffel­-Kom­presse aus heißen, ungeschälten, gequetschten Pellkartoffeln auf­zulegen. Während eines schmerzhaften Gichtanfalls soll man sich gequetschte und heiße­ Kartoffeln auf die betroffenen Stellen legen. Bei der unheilbaren »Zöliakie«, einer Allergie gegen Getreidenahrung, bietet die Kar­toffel eine Alternative. Gegen Fettleibigkeit hilft eine Kartoffeldiät, die du essen darfst, da in der Kartoffel ausreichend Vitamine, Eiweiß und Mineral­stoffe ent­halten sind, aber nur minimal Fett. Auch für übergewichtige Diabe­tiker ist eine Kartoffelkost zum Abnehmen zu empfehlen.

Eine Fanny Bergen (?) beobachtete 1899, daß getrocknete Kartoffeln einen sicheren Schutz vor Rheuma bieten, wenn sie in der Tasche oder am Hals getragen werden. Fanny hat hier die alte Volksmedizin, wonachAlpenveilchen als Mittel gegen Gicht sowie Hals- und Hautkrankheiten helfen, auf die Kartoffel über­tragen. In der Homöopathie wird dieses Veilchen auch gegen Leberleiden ver­wendet; aber vielleicht war auch nur gemeint, daß die Kartoffel gut für die Liebe ist, denn in der Leber ­wurde seit der Antike der Sitz der Liebe und der Leiden­schaften vermutet. Das blaublütige Alpenveilchen (cyclamen europaeum) hat dazu beigetragen, daß die ebenfalls blaublütige Kartoffel mancherorts als »cyclame« bezeichnet wird, da beide Pflanzen Knollen haben. Die Gleichsetzung des Alpenveilchen mit der Kartoffel als Erdappfel, Pomun terrae, Schweinsbrod oder Hirschbrunst weist daraufhin, daß beide Pflanzen gut für die Schweine und für die »ehelichen wercke« sind. Gerade im Trog der Schweine mochte die Kartoffel ihre unheilvollen Dienste als Aphrodisiakum verrichten.

An Maria Kräuterweihe (15. August) soll man Kartoffeln vom Feld holen, denn dann ist man gegen neun Krankheiten geschützt. Die Ost­preußen haben eine überdurchschnittlich (im Vergleich mit anderen deut­schen Volksstämmen) hohe Anzahl von Zaubersprüchen in Verbindung mit der Kartoffel. Es ist nicht festzustellen, ob diese Häufung nur durch eine besonderes gute Dokumentation des Volksglaubens aus jener Gegend begründet ist. Gegen Bettnässen hilft – jedenfalls in Ostpreußen – eine Kartoffel, durch die eine Quecke gewachsen ist. Kartoffelwasser, das man beim Sieden erhält, ist gut gegen Läuse – aber vorher abkühlen lassen! Der Maria hat man auch sonst im Zusammenhang mit der Knolle dankbar zu sein, jedenfalls in der Schweiz. Da verschmähten die Leute einst die Knolle und erklärten, sie sei nur als Schweinefutter geeignet. Da erzürnte der liebe Herrgott und wollte die Kartoffeln nur noch so wachsen lassen, daß sie wirklich nur noch als Schweinefutter tauglich wären. Aber auf die Fürbitte der Muttergottes führte Gott sein Vorhaben nicht aus. Da haben wir aber alle Glück gehabt, denn diese Sorte Kartoffeln hätte sich sicherlich auch in Deutschland ausgebreitet. Hermann ­Hesse schreibt aufgrund ähnlicher Erfahrungen: »Zur Fort­pflanzung bediene ich mich der Knolle, es ist das höchste Glück auf Erden« und weiter: »Und kann auch elektrisch betrieben werden«.

Aus Ostpreußen (Masuren, die »kalte Heimat«) wird berichtet, daß die Kaschuben ein Stück Bernstein (vis electrica) im Nacken trugen, da dieses gegen »böse Kräfte« schützte; nach dem Aufkommen der Kartoffel wurde Bernstein durch die Knolle abgelöst. Inwieweit Bernstein oder Kartoffeln gegen die »bösen Kräfte« tatsächlich geschützt hat, ist nicht überliefert. Aber gegen Kartoffelkäfer half auf dem Acker vergrabener Bernstein in jedem Fall.

Aus der Oberpfalz berichtet Mitte des 19. Jahrhunderts der Physikus Dr. Bredauer (Riedenburg), daß ein Kartoffelabsud zu Waschungen wider Räude und Grind und roh oder gekocht zu Umschlägen­ bei Verbrennungen verwendet wird.

 

Die Kartoffel ist wegen ihres geringen Natriumgehaltes geeignet für Nierenkranke, die an Hypertonie leiden. Manche Heilpraktiker emp­fehlen Kar­toffelsalat (mit Mayonnaise, nicht mit Essig und Öl) gegen vorzeitige Ejakulation; eine noch ­bessere Wirkung wird erzielt, wenn dazu Buletten gereicht werden. Wegen des besonders hochwertigen Eiweißgehaltes ist eine Kartoffeldiät auch bei Niereninsuffizienz zu raten. Bei einer Nierenentzündung empfiehlt sich, Kartoffeln zu erhitzen, zu zer­drücken und auf die Nieren zu legen. Eine Magenschleimhautentzündung wird am besten mit Saft aus ­rohen Kartoffeln, getrunken auf nüchternen Magen, bekämpft. Gegen eine Gallenkolik helfen heiße Packungen aus gekochten, zerdrückten Kartoffeln. Kartoffeln haben keinen Eigengeschmack: Eine Prostata-Entzündung wird mit reizloser Kost gelindert:

ZuNebenwirkungenlesenSiediePackungsbeilageoderfragenSieIhrenArztoderApothek erliebernicht, was aber früher nach der GOÄ mit DM 7,92 zu honorieren wäre, aber immer noch billiger käme als eine Wiederbelebung zu DM 35,75. Die Kartoffel hilft halt bei mancherlei Gebreste.

Katharina Mary Tiedt aus Hamburg weist daraufhin, daß ihre Großmutter bei Gürtelrose und Windpocken den Erkrankten mit Kartoffelmehl einrieb, weil dies deutlich die juckenden Hautreizungen milderte. Hier wirkte die Kartoffel also als Gegenindikation, obwohl ihr doch in früheren Zeiten Skrofeln und Aussatz zugeschrieben wurde.

Die Medizinmänner von Kap Flattery an der Küste des Stillen Ozeans destillieren aus Kartoffeln einen Schnaps, der eine reizende und an­regende Wirkung auf Niere und Blase hat. Dieser Kartoffelschnaps hat eine durch­laufende Wirkung; die Medizinmänner tranken dann den Harn (wird gerade wieder modern!) und delirieren anschließend. Das ginge wohl jedem so.

Im russisch beeinflußten Litauen und Estland bestand der medizinisch begründete Brauch – noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in Übung –, daß alle am Tisch sich an den Haaren zu ziehen hätten, wenn neue Kartoffeln gegessen werden. K. Jigens beschreibt eine Bauernmahlzeit in Lettland am Anfang des 19. Jahrhunderts:


    »Die Mutter stellte neben den Vater ein Körbchen mit gebackenen Kartoffeln. Der Vater faltete die Hände und betete: ›Alle Augen warten auf Dich.‹ Er gab jedem Kind drei und jedem Er­wachsenen fünf Kartoffeln. Alle aßen die Kartoffeln ungepellt, rieben mit den Fingern die Asche und den Sand ab.«


Es galt in Lettland als ungesund, vor Michaelis (29. September) Kartoffeln zu essen; hier liegt der mystisch überhöhte Glaube zugrunde, daß es notwendig war, die Kartoffeln für die langen Winterabende aufzuheben. Das Essen der Kartoffel mit der Schale war eine Fortführung der früheren Rübenkost; das Abreiben der Schale erfolgte mit dem Hinweis: »Das Bitter hinaus, das Süße hinein.« Erst Anfang des 20. Jahrhunderts findet in Lettland eine Änderung statt: Nun werden die Kartoffeln geschält gegessen. Sehr frühe Frühjahrs­kartoffeln – so wird von vielen Köchen heute empfohlen – sollten ungeschält gegessen werden, da sich dann die Kartoffel besser schmecken ließe.

In der Umgebung von Hannover lebt angeblich noch folgender Silvester­brauch fort: Bevor man in der letzten Nacht des Jahres zu Bett geht, hat eine andere Person (der Hausfreund?) drei Kartoffeln in Papier eingewickelt und unter die Matratze gelegt. Eine der Kartoffeln ist noch ganz im Besitz ihrer Schale, die andere ist nur zur Hälfte geschält und die dritte ist schließlich vollständig »geschält«. Nach dem Aufwachen am Neujahrstag greift man nun mit dickem Kopf unter die Matratze und holt eine der Kartoffeln hervor. Ist es die ungeschälte, darf man ein gutes Jahr voller materieller und geistiger Freuden erwarten. Hat man jedoch die »nackte« Kartoffel erwischt, steht eine entbehrungsreiche Zeit bevor. Die halb geschälte Kartoffel bedeutet schließlich, wie nicht anders zu erwarten, daß es von Allem etwas geben wird.

Eine spanische Variante des Kartoffelzaubers ist wie folgt durchzuführen: Am 4. Dezember und nur an diesem Tag nehme man eine Kokosnuß und schlägt ihr ein Ende ab. In den so geöffneten Hohlkörper stopft man eine rohe Kartoffel, der man vorher wahllos und ohne hinzuschauen einzelne Schalenstücke herausgeschält hat. Dem Prinzip der homöopathischen Magie folgend, stellen die Formen dieser hellen Flecken per freie Assoziation die Objekte unserer guten Wünsche dar (zum Beispiel meint eine Fläche wie ein menschlicher Kopf den Ehemann, ein Herz meint natürlich die Liebe). Nun wird die Kokosnuß in zwölf Farben bemalt, die verschiedene Früchte symbolisieren (schwarz ist verboten), und anschließend mit einer weißen Schleife umwickelt. Die so präparierte und gefüllte Nuß wird jetzt in den Topf einer Pflanze gestellt oder gehängt, die keine Blüten haben darf, also ein Farn oder der Fikus von IKEA. So kann diese Art Wunschmaschine bis zu sieben lange Jahre ­ihren Dienst tun, Glück schenken und sämtliche Unbill abwehren. Im siebten Jahr aber, oder auch schon vorher, wenn man merkt, daß sie nicht funktioniert oder gar zu arg stinkt, muß sie in Wasser entsorgt werden.

In diesem Abschnitt paßt auch die »heiße Kartoffel« im wörtlichen wie im übertragenen Sinne: Tongefäße in Form von Kartoffelknollen, gefüllt mit heißem Sand oder Wasser, dienten schon Anfang des 19. Jahrhunderts in England zum Wärmen der Hände. Im London des Jahres 1861 verdienten sich nach einer Zählung von Henry May­hew etwa 300 »Street Potato Vendors« ihren Unter­halt mit dem Verkauf von durchschnittlich täglich eineinhalb Zentner heißen Kartoffeln. In ­Bayern sollen noch bis in 1960er Jahre fürsorgliche Mütter ihren Kindern heiße Kartoffeln in die Fäustlinge gesteckt haben, um die Finger zu wärmen (und das war zugleich das »Pausenbrot« in der Schule). Im über­tragenen Sinne ist die »heiße Kartoffel« ein un­angenehmes oder brisantes Problem. Hätten Sie’s gewußt? Wissen Sie auch, daß Birnen sich zu Äpfeln verhalten wie Kartoffeln zu a) Bananen, b) Rettichen, c) Erdbeeren, d) Salat, e) Schnittlauch?

»Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln« wird Friedrich Wülfing in den »Fliegenden Blättern« von 1881 zugeschrieben; es fehlt »ran an die Kartoffeln«. Die Cajuns haben ein Motto: »Lâche pas de patate« – laß die Kartoffel nicht los. Der Sexualforscher Bornemann führt, daß diese Redensart auch von den in den sogenannten Rosenstraßen tätigen Frauen benutzt wird (was hat dort der »Rosenkavalier« von Richard Strauß gesucht, war er der Beschützer von Christine Kaufmann in ihrer Rolle als »Rosen-Resli«?). Im Baltikum trugen heiratslustige Mädchen während des Dorftanzes in ihren Achselhöhlen Kartoffel­scheiben; wahre »Phero­­monbomben« waren diese Scheiben, denn die Kar­toffelscheiben sogen den Schweiß auf und die darin enthaltenen Phero­mone, die beim Nachhauseweg im Mondenschein ihre volle Wirkung entfalte­ten. Die Kartoffel hat also doch etwas mit den »nicht-ehelichen wercken« zu tun! Joachim Radkau in »Weltgeschichte der Umwelt«:


    »Das Eß- und Fortpflanzungsverhalten ist essentiell für die Mensch-Umwelt-Beziehung. Kartoffel und coitus interruptus sind umwelt­­relevante Schlüsselinnovationen des 18. Jahrhunderts.«


Lieselotte Blum (Jahr­gang 1920) erinnert sich an folgenden, ihr damals (und auch heute noch) unverständ­lichen, Kinderreim:


    »Harry Piehl sitzt am Nil,

    und wäscht sich den Rhabarberstiel.

    Dicht daneben Henny Porten,

    sortiert die Knollen in verschiedene Sorten.«


In Italien ist ein Kosename unter Frischverlieb­ten »Patatina« – Kartöffelchen. In früherer Zeit gab es an englischen Universitäten eine monatliche Erlaubnis »ad expurgandos renes«.

Die Bauern auf dem Balkan wollten noch im 19. Jahrhundert »diese ver­fluchte Frucht, die in der Erde versteckt ist«, die Grundbirne oder – serbo­kroatisch »krumpir«, nicht anbauen und nicht essen. Und noch im 20. Jahr­hundert fand man vereinzelt die Meinung vor, Kartoffeln seien »schieres­ Gift«. Hier macht sich bemerkbar, daß in der islamischen Welt die Kartoffel nicht akzeptiert ­wurde, denn in der Tat, die Kartoffel wird nicht im Alten Testament erwähnt. Aber vielleicht liegt es auch nur daran, daß man mit dem Schadri, diesem textilen Ganzkörpergefängnis, keine Kartoffeln schälen kann.

Bisher konnte noch nicht geklärt werden, warum in der Höhle hinterm Blautopf die »schöne Lau« eine besonders enge Stelle »Kartoffeldüse« ­nannte. Eduard Mörike, zum Pfarrvikar ausgebildet und später als Lehrbeauftragter für Literatur an einer höheren Mädchenschule in Bad Mergentheim ­tätig, hat zwar die Nixe Lau erdichtet, aber die Bezeichnungen in der Höhle sind nicht von Jochen Hasenmeyer, der die »Kartoffeldüse« 1978 erreichte.


Kartoffel, Magnetismus und Elektrizität

Edward Leedskalninaus Lettland, der in den 1920er Jahren die USA auswanderte, befaßte sich während seines etwas exzentrischen Lebens mit Magnetismus und Elektrizität. Es ist zwar nicht klar, was er mit seiner Darstellung magnetischer Partikel meinte, aber es könnte in die Rubrik »Aber­glauben« gehören:
    »Magnete sind im allgemeinen unzerstörbar. ... Wenn ich eine Batterie mit Kupfer für positiven Pol und Rindfleisch für negativen Pol baue, erhalte ich davon mehr Magneten, als wenn ich Kupfer für positiven Pol und Süßkartoffeln für negativen Pol nehme. Daran können wir sehen, daß alle Dinge verschieden sind.«

Handelt es sich bei dieser Überlegung um ein Modell für die Stromerzeugung beim inzwischen sich nicht mehr rechnenden »Trans-Rapid«? (Der Glauben an vierzehn Millionen Fahrgäste im Jahr war doch auch nur medizinisch zu erklären.)

Der Beginn der Kartoffelernte war gleichzeitig durch religiöse Tabus vor­geschrieben: In Galway, dem westlichsten und irischsten Zipfel der Grünen Insel, begann die Ernte stets am letzten Sonntag im Juli (Garland Sunday), in Kerry immer am 7. Juli, dem Namenstag des lokalen Heiligen. In Cork durften nur einige wenige Kartoffeln vor dem 29. Juni ausgebuddelt werden.

In Tipperary (»It is a long way to Tipperary«) war es üblich, wenn die ersten (neuen) Kartoffeln auf den Tisch des Hauses kamen, daß die Familien­mitglieder zueinander sagten:
    »Mögen wir alle leben und glücklich sein in den nächsten zwölf Monaten.«

In einigen Gegenden Deutschlands wurde am Ende der Kartoffelernte von verkleideten Mädchen in einer feierlichen Zeremonie gesagt:
      »Wir kommen zu Dir mit dem Kartoffelmann, der nicht länger bleiben kann im Feld. Sieh, wie naß und kalt es jetzt ist, er wünscht ein Fest aus Schinken und Pfannkuchen.«

Der Schweizer Jeremias Gotthelf beschreibt in »Wie Uli der Knecht glücklich wurde« einen alten Brauch:
    »... aber sie wisse Leute, die nicht fertig würden, und wenn der Herbst bis Fasnacht dauern würde. Die meinten, es sei eine Sünde, wenn sie nicht etwas den ganzen Winter draußen ließen, Kartoffeln, Rüben, Rübli, oder sollten es nur die Bohnenstecken sein.«

Dieser alte Brauch, den Feldgöttern Nahrung auf dem Anger zu belassen, war nicht nur in der Schweiz verbreitet: In Mecklenburg war es bis zur »Wende« üblich, die Felder nicht vollständig abzuernten, sondern (auch) für die durch­ziehenden Zugvögel Feldfrüchte liegen zu lassen; westdeutsch-effiziente Ernte­methoden haben dieser alter Geisterbeschwörung den Garaus gemacht.

Angeblich kann man mit Salzheringen und Kartoffeln allzu aufdringliche Cucaracha und die schnurrbärtigen Tarakane (in Rußland merkwürdigerweise auch »Preußen« genannt, weil sie mit Napoleon ins Land kamen) vertreiben: In eine kleine Schüssel mit gekochten Kartoffeln, die man mit Gras bedeckt und an eine Wand stellt, krabbeln die Kakerlaken und kommen nicht mehr heraus. Das mit den Salzheringen funktioniert nicht!

Und dann gibt es noch die einmalige Kartoffel-Affen-Beobachtung:  Die  japanischen  Makaken (Macaca fuscata) (Stummelschwanzmakaken), die in wildlebenden Stämmen auf mehreren japa­nischen Inseln anzutreffen sind, wurden Anfang der 1950er Jahre von den Ein­wohnern mit Süßkartoffeln und Weizen versorgt, damit sie nicht das Farmland plünderten. Als Folge dieser veränderten­ ökono­mischen Bedingungen ent­wickelten die Affen­ mehrere neue Verhaltensweisen. Eine davon wurde­ von einem Jungtier namens Imo initiiert; Imo fand heraus, daß die Kartoffeln besser schmeckten, wenn sie vor dem Fressen im Fluß bzw. im Meer gewaschen von Sand und Steinchen befreit wurden. Es wurde angeblich beobachtet, daß dieses Verhalten von allen anderen Tieren über­nommen wurde, so daß 1958 bereits alle Affen ihre Süßkartoffeln im Meer wuschen und so (ungekochte) Salz­kartoffeln erhielten. Der Primatenforscher Frans de Waal definiert Kultur als Wissen und Gewohnheiten, die durch Nachahmung und nicht durch Vererbung erworben werden. Insofern sind die Makaken von Koshima »kultiviert«. Den Makaken wird von de Waal ein komplexes Sozialverhalten, die Fähigkeit zu lernen und zu lehren und – soweit es die Süßkartoffeln betrifft – eine menschenähnliche Kreativität zugeschrieben. Die Kartoffeln hatten die Lernfähigkeit der Makaken deutlich erhöht – es entstand eine Art von »kollektiven Bewußtsein, was die »New-Age-Anhänger« begeisterte.

 
George Bryan »Beau« Brummells Geheimnis der perfekten Halsbinde (das Lord Byron nicht lüften konnte) lag in der Kartoffelstärke, mit der der Sohn eines Pastetenbäckers die Schleifen eigenhändig festigte (»My friends! Starch is the thing.«). Die Angehörigen des leider inzwischen aus­gestorbene Berufes der Stärke- und Haarpudermacher verwendeten vielfach Kartoffeln für die Stärke­zubereitung: Die Kartoffeln wurden fein zerrieben, dann ­wurde der Brei unter Zufluß von Wasser auf einem Sieb so lange mit den Händen geknetet, bis die Stärke aus den geöffneten Zellen herausgespült war; ­diese wurde in Lein­wand eingeschlagen, ausgepreßt und als ziegelsteingroßes Stück in den Handel gebracht. Haarpuder aus Kartoffelmehl blieb leider nicht in den Perücken haften, so daß manche Madame eine graue Staubwolke hinter sich ließ und ihrem Perückenmacher den Spitznamen »Weißling«.

Für dekorativ-kosmetische Artikel wie Puder ist die Kartoffelstärke jedoch weniger geeignet, da ihre Stärke zu grobporig ist. Gegen schrundige Hände dagegen ist die Knolle hilfreich, sofern man die Kartoffel kocht und stampft, ihnen Milch und Weizenkeime zugibt und diese Paste auf die ­Hände aufträgt; danach soll man sich die Hände waschen und mit einer halbfetten Salbe eincremen; wahrscheinlich ist eine solche Salbe und nicht der Kartoffelbrei das Geheimnis gepflegter Hände. Dr. Monika Brandt vom Forschungslabor eines großen Hamburger Körperpflege­mittel­herstellers hat jetzt in mancherlei Ver­suchen nachgewiesen, daß für ein Stück qualitativ hoch­wertiger Seife (z.B. »Dove«) die Stärke aus etwa 1,5 kg Kartoffeln erforderlich ­wären. Hierfür hat sie die Kartoffeln »schön« geschält, kleingerieben (Korngröße nicht größer als 0,5 mesh), diese Masse dann im Sprühturm getrocknet und mit natur­identischer Zitronensäure aufgeschlossen. Sie gewann die für die Seifen­herstel­lung er­forder­liche Stärke dadurch, daß sie anschließend die Säure abdampfen ließ. Not­wendig war jetzt nur noch, diese Stärke mit Seifenpulver unterzumischen und den unabdinglichen Feuchtigkeitsspender hinzuzugeben. Ernst Theodor Will­helm Hoffmann versichert 1819 in den »Lebensansichten des Katers Murr«,
    »daß für Verletzungen durch Brand geschabte Kartoffeln das allerbeste Mitteln wären.«

Der aus Frankfurt an der Oder stammende Heinrich von Kleist zerbricht 1811 den Krug und nennt als Heilmittel die Kartoffel, die bekanntlich in preußi­schen Umgebung auch als »Nudel« bezeichnet wurde:

    »Ja, allerdings, gestrenger Herr, das tut sie.

    Vorgestern schickt’ er ihr ein krankes Perlhuhn

    Ins Haus, das schon den Tod im Leibe hatte.

    Vorm Jahr rettete sie ihm eins vom Pips,

    Und dies auch wird sie mit der Nudel heilen:

    Jedoch zum Dank ist er noch nicht erschienen.«­



Friedrich Graf Berchtold, schreibt im Prag des Jahres 1842 in »Die Kartoffel«:


    »Doch die Kartoffel war für sie nicht nur zum Essen da, sondern war billige Hilfe in allen Lebenslagen – als Wäschesteife, als Buch­binderkleister, als Weberschlichte, als Puder für Säuglinge und Haare – und Kerzen, die zu einem Drittel aus Wachs und zu zwei Drittel aus Kartoffelstärke bestanden, brannten angeblich besonders hell. Im Haushalt ließ man keinen Teil der Kartoffel ungenutzt verkommen – und war der Gebrauch auch noch so ungewöhnlich: Die gedörrten und in Pulverform gebrachten Kartoffelschalen sollen eine frappante Ähnlichkeit mit Schnupftabak haben; so, daß der erfahrene Tabakliebhaber dadurch getäuscht wird.«


Es wird behauptet, daß die meisten in Fernseh-Werbefilmen gezeigten Eis­tüten nicht Eiscreme enthalten, sondern Kartoffelbrei, weil dieser fotogener ist. Der Österreicher Eduard Pokorny meint 1850, daß durch Speisen die Köchinnen ihre innersten Regungen und Gefühle äußern; so ist »Erd­äpfelmus der Häus­lichkeit bescheid’ner Frieden.« Am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie wurde eine neue Sorte Kunstschnee entwickelt, die aus Kartoffelstärke besteht und wesentlich umweltfreundlicher ist als der übliche Hollywoodschnee. Der Schnee eignet sich (noch) nicht für die Anlegung von Rodelbahnen.

 

Bewiesen ist nunmehr im vorstehenden Kapitel, daß die Kartoffel für mancherlei medizinische und irrgläubische Zwecke herhalten muß (und auch kann) und durch ihre schiere Existenz Wunder bewirkt. Forscher stellen immer wieder fest, daß sie bei genauerem Hinsehen – sprich Unter­suchen – der Knolle weitere Inhaltsstoffe entdecken, deren Anwendungs­bereiche heute noch nicht erkennbar sind.

 zurück an den Anfang dieser Seite



Erste Hilfe bei einer Solanin-Vergiftung

aus: Klaus Henseler: Kartoffelgeschichte: Kartoffeldaten querbeet (Miszellen und Quisquilien):
https://web.archive.org/web/20120124171522/http://www.kartoffel-geschichte.de/Dritte_Furche/Miszellen-Quisquilien/miszellen-quisquilien.html

Wenn man denn heutzutage auf einem Kartof­fel­feld »kosten« war und »ver­sehentlich« (Mundraub aus den Gärten ist seit Karl dem Groߟen strafbar!) die roten Beeren gegessen oder von den Blüten ge­kostet haben sollte: Er­brechen  auslösen, Arzt  oder  Krankenhaus aufsuchen,damit eine Magen­spülung vor­genom­men werden kann. Ganz schnell und als erste Maߟnahme­ (vor dem Arztbesuch!) hilft Kar­toffelsaft, der krampf­lösend wirkt und die Magen­säure­produktion hemmt. Wie merkt man, daߟ man die Kartoffel­beeren mit Preisel­beeren verwechselt hat? Das Solanin (und in geringer Menge Cholin undAcetylcholin) führt zu einer Reizung der Ver­dauungswege und löst die roten Blutkörperchen auf. Die Symptome: Einige Stunden nach dem Essen der Beeren bekommen Sie ein brennendes, kratzendes Gefühl im Hals, Kopf­schmerzen treten auf, Benommenheit, Er­brechen und heftiger Durch­fall, Schwitzen und Krämpfe, unregelmäߟige Atmung, Sinken der Körper­temperatur. Alles in allem: Sie merken es, daߟ Sie was falsch gemacht haben. Prognose: im Prinzip günstig, aber es sind auch schon tödliche Vergiftungen vorgekommen. Das Gift ist auch in den Keimen und Augen aus­keimender Kartoffeln - Vorsicht ist angeraten.

Das giftige Solanin befindet sich in der höchsten Konzentration in den unreifen Samen, die Kartoffelknolle weist heute im allgemeinen nur ­einen geringen Anteil von Solanin auf, der zudem beim Kochen zerstört wird.





Anmerkungen

 

1                Zwei Aromastoffe reichen aus, um eine neue Aromaqualität zu erreichen: Ein »fischiger« Geruch entsteht zum Beispiel, wenn sich Methional und Oktadienon, die nach gekochten Kartoffeln bzw. nach Geranien riechen, in einem bestimmten Mengenverhältnis in einem nicht mehr ganz frischen (aber schon gegarten) Fisch bilden; weniger als ein Mikrogramm pro Kilogramm genügen. Aromastoffe können jedoch auch verdeckt werden durch stärke Aromen wie Methoxypyrazine. Ohne diesen Aromastoff würde gerösteter Kaffee nach rohen Kartoffeln riechen, was dem Absatz sicherlich nicht förderlich wäre.                 zurück

 

2                Die Folsäure spielt auch eine wichtige Rolle bei der Hautfarbe. Dunkle Haut schützt vor Folsäureabbau durch die UV-Strahlung – andernfalls drohen Unfruchtbarkeit sowie kindliche Mißbildungen. Wenn aber die Sonne nicht so stark scheint – wie zum Beispiel im Norden Europas –, dann würde eine dunkle Haut (Melanin) das Eindringen erforderlicher UV-Strahlung verhindern. Mit der UV-Strahlung wird die Vitamin-D-Synthese in Gang gesetzt, das beim Calcium- und Phosphat-Stoffwechsel und damit beim Knochenaufbau mitwirkt.               zurück

 

3                Die Trespe (Bromus secalinius) ist eine Pflanze mit (nach dem Verblühen) überhängender Rispe. Die Ähren sind etwa zwei Zentimeter lag und besitzen eine kurze Granne (Ährenborste). Die Roggen-Trespe ist in Deutschland ein uraltes Getreidewildkraut (seit dem Neolithikum), das wegen seiner Auswirkungen sehr gefürchtet war. Heute ist es nur noch selten anzutreffen.               zurück

 



4                Lolch (Lolium temulentum L., temulentus = berauscht) ist ein einjähriges Ährengras mit 15 bis 200 mm langen Ähren; »temulentum« von Samen, die oft von einem Pilz befallen sind, haben giftige Eigenschaften. Die Grasart kam auf feuchten Äckern, besonders im Sommergetreide als Wildkraut vor. Das Lolch kommt aus dem Mittelmeergebiet und ist ein alter Kulturbegleiter. In der älteren Literatur teilt sich das Lolch seinen Namen mit anderen schädlichen Ackerwildkräutern aus der Familie der Gräser.                zurück

 

5                Unter Mutterkorn (Claviceps purpurea Tul.) versteht man die überwinternde Dauerform des Schlauchpilzes Claviceps purpurea, der auf Roggenähren schmarotzt. Das Mutterkorn wirkt durch seine Inhaltsstoffe vor allem auf die Gebärmutter. Der Name wird auch dahin gedeutet, daß man bei der Gestalt des schwarzen Mutterkorns an die langen schwarzen Brustwarzen der »Kornmutter«, auch »Zitzenweib« genannt, dachte. 

Getreide, das vom Mutterkorn befallen war, wurde in Nordeuropa in eine Salzlake eingeweicht und tötete dadurch den Pilz. Auch deshalb gehörte Salz zu den magischen Zutaten. Um den Salzgehalt einer Lake zu überprüfen wurde bei den Römern eine Sardelle oder ein Ei hineingelegt und damit geprüft, ob diese Dinge schwimmen. In Nordeuropa wird für diesen Zweck vielfach eine Kartoffel verwendet.                 zurück

 

6                In Nürnberg kam es im 17. Jahrhundert kurzzeitig zu einer behördlich vorgeschriebenen Polyandrie; voran­gegangen waren nicht nur die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, sondern auch mehrere Getreidemißernten.               zurück

 

7                Osteolathyrismus ist bedingt durch Aminoacetonitril und seiner Derivate. Das Gift kommt in Platt und Kichererbens vor und wirkt auch auf Nerven und Gefäßwände. Lathyrismus ist eine Lebensmittelvergiftung durch verschiedene Lathyrogene von Leguminosen, insbesondere von der Saatplatterbse, die Alkaloide enthalten. Symptome sind u.a. Übelkeit, Diarrhö, Inkontinenz und Impotenz.  

Leguminosen führen nicht nur zu Flatulenzen, sondern sind ungekocht und in größeren Mengen genossen für Kinder und ältere Menschen mit geschwächter Konstitution auch toxisch.               zurück

 

8                Aus der Geschichte kennen wir noch eine Art »lebender Konserve«: Bei den Maoris auf Neuseeland und anderen menschenfressenden Völkern wurden Gefangene erst kurz vor dem Verzehr geschlachtet.                zurück

 

9                Die schon mehrmals erwähnte Realteilung bedeutet die Teilung eines Grundstücks gleichmäßig auf alle Erben. Man kann sich vorstellen, daß schon nach wenigen Generationen das Hofstück so klein war, daß der Bauer und seine Familie davon nicht mehr leben konnte. In Baden-Württemberg entstand so das Tüftel-System in kleinen Fabriken und Manufakturen.                zurück

 

10                 Bei einem Marmeladenbrotexperiment von William R. Simpson vom Institut für Meereskunde (Arlington, Virginia) stellte sich heraus, daß 100 Prozent der Scheiben eines Kartoffelbrotes mit Orangenmarmelade und Sardinen auf die »gute« Seite fiel; bei Weizenbrot mit Erdbeermarmelade fielen nur rund 90 Prozent mit der Marmeladen­seite nach unten.               zurück

 



11                 Moynahan äußerte 1961 die Vermutung, daß die meisten Menschen in den ent­wickelten Ländern der nördlichen Hemisphäre heute Fettreserven für zwei Monate besäßen, die Korpulenteren hätten dagegen genügend Reserven angegessen, um mit sehr kleinen Rationen acht und mehr Monate zu überleben. Dagegen Wallis Simpson als Her­zogin von Windsor: »Man kann nicht reich genug und nicht dünn genug sein.« Liselotte von der Pfalz kennt keine Kartoffeln, wird siebzig Jahre alt (1652–1722) und beschreibt sich in einem Brief: »Mein fett hatt sich gar übel placirt, muß mir also woll übel anstehen. Ich habe einen abscheülichen met verlöff hintern, bauch undt hüfften undt gar breitte axlen, halß undt brüste sehr blat, bin also, die warheit zu bekennen, gar ein wüste heßliche figur.« Und: »Madame sein ist ein ellendes handwerck.«               zurück

 

12                 Marcel Proust in der Suche nach der verloren Zeiten über den Tod von Bergotte: »›Es ist nur eine einfache kleine Verdauungsstörung, die Kartoffeln waren nicht ganz gar, es ist weiter nichts.‹ Ein neuer Schlag streckte ihn hin, er rollte vom Sofa auf den Boden, wo die herzueilenden Besucher und Aufseher ihn umstanden. Er war tot.«                zurück

 

13                 Jago zu Rodrigo im »Othello«: »Take money in your pocket.« Gold gleich Geld gleich Kartoffel war heilsam.                zurück

 

14                 Besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts be­saßen »Phrenologen« einen großen Einfluß auf wissenschaftliche Theorien; mit exakten Schädelmessungen wollte man den Charakter eines Menschens erkennen können. Jeder Arzt des 19. Jahrhunderts hatte auf seinem Schreibtisch einen Kopf, in dem die Hirnregionen phrenologisch aufgeführt waren.               zurück

 

15                 Der 1. Mai ist heute nur noch als Kampftag der Arbeiter be­leumdet, Im französischen 14.Jahrhundert gab es am 1.Mai ein Fest, zu dem bei Hof der König unter die Prinzen und Prinzipessen Kleider aus dem Stoff »vert gai« (fröh­liches Grün) verteilte, und die Kleider nannte man »livrée du mai«. Die jungen Leute ritten zu einem beschwingten Ausflug aus, von dem sie grüne Zweige heimbrachten; bei ­Strafe eines Pfandes mußten alle Teilnehmer grün tragen. In einem Pariser Lehrgedicht aus dem Jahr 1583 heißt es: »Das höchste Vergnügen, das der wilde Wald beschert, ist die wunderbare Freude an seinem Grün«. Lyrik gegen den Waldfrevel. Aus »Je vous prends sans vert« ent­wickelte sich das »Ich überrasche euch unvermutet« des gehörnten Ehemannes. Die Grünfarbe wurde damals gewonnen, in dem man den Halbedelstein Malachit zu Pulver verrieb. Im übrigen waren Wälder die »verabscheuungswürdigen« Schlupfwinkel des Satans – bis die Romantiker ihm zu neuen Ehren verhalf.               zurück

 

16               Die Kartoffel trat an die Stelle des teuren Salzes, das Brautpaare in der den Pyrenäen in ihrer linken Tasche trugen; in einigen Gebieten Frankreichs trug der Bräutigam Salz in der Tasche. Die Römer bezeichneten einen verliebten Mann als salax, wovon sich das englische Wort salacious, wollüstig, geil, herleitet.               zurück

 

17                 Oswalt Kolle: »Die wichtigste erogene Zone des Menschen liegt zwischen Ohren.« Also: Häufiger zum Friseur gehen.               zurück

 

18                 Handelt die Geschichte von der »Prinzessin auf der Erbse« ursprünglich vielleicht von einem Burgfräulein auf der Kartoffel?                zurück

 

19                 Zu Shakespeares Zeiten nannte man Stiefmütterchen »Jack-jump-up-and-kiss-me«, und es gab nur blau-lila-farbene! Eine Untersuchung über die Rolle der Farbe blau-lila und ihrem Einfluß auf die »ehelichen wercke« steht noch aus. Mitte 1998 entdecken amerikanische Forscher den lange gesuchten »Lichtschalter« für die »innere Uhr«. Er heißt Kryptochrom und ist ein Empfänger für blaues Licht, der in besonderen großen Mengen im Auge und in einem speziellen Hirnteil vorkommt: Ist das der Grund, die Potenzpille »Viagra« blau zu färben? Schon 1993 wurde der entscheidende Sensor der Pflanzen für die innere Uhr entdeckt: Auch er ist blau wie die Kartoffelblüte.               zurück

 

20                 Mitgeteilt von Christoph Ehlers aus Sevilla, der es seinerseits von einer Südspanierin erzählt bekam, die wiederum diesen Zauber von dem Wahrsager Rappel aus der Marbella-Jet-Set-Szene aus dessen Wahrsager-Hotline (etwa eine DM pro Minute) bezogen hat, damit ihre Söhne Arbeit finden (hat nicht geklappt). Ehlers betreibt die »Patatologia« zur Förderung der Kartoffel.               zurück

 

21                 Die ersten Franzosen kamen 1605, also noch vor den Pilgerväter der »Mayflower« aus Frankreich nach Ost-Kanada. Nach der Eroberung von Nova Scotia durch die Engländer waren sie zuerst noch als »French Neutrals« geduldet – trotz und englischer Sprache und Religion –, aber nicht mehr gelitten. Deshalb zogen bis 1755 mehr als sechs­tausend Siedler freiwillig weg, danach wurden sie zwangs­weise auf den Schiffsweg an die amerikanische Ostküste gebracht.  

Unwillkommen zogen sie von dort weiter in die Sümpfe des damals noch französischen Louisiana. Ihr Name kommt von dem gesuchten Land »Acadia«, deren Bewohner Acadiens genannt wurden, und daraus entwickelte sich der Slang-Ausdruck »Cajuns«. Noch heute pflegen sie ihre besondere Kultur und Musik (mit Fidel, Akkordeon und Steel-Guitar und diversen Schlag- und Zupfinstrumenten), obwohl der amerikanische Kongreß 1916 mit dem Verbot des Gebrauchs der französi­schen Sprache diese Kultur (unamerikanisch? – da der Kontinent doch zuerst von den spanisch-, deutsch- und französisch-sprechenden Menschen kolonisiert wurde) zer­stören wollte.                zurück

 

22                 Wandernde (obdachlose) Frauen und Mädchen wurden auch als »Rosalinden« be­zeichnet; in Mittel-, Süd- und Westdeutschland ziehen »Tippelschicksen« singend, wahr­­sagend und stehlend, von Ort zu Ort. Im Grimmschen Märchen »Schneeweißchen und Rosenrot« springt die letztere lieber in den Wiesen herum, während die andere sittsam bei Muttern hockt.                zurück

 

23                 Erst Anfang des 19. Jahr­hunderts benannten Reisende aus Westeuropa die Bergkette »Haemus« inmitten Bulgariens als »Balkan«. Daraus entwickelte sich neben dem geographischen Begriff eine mit sozialen und kulturellen Bedeutungen angereicherte Bezeichnung für die Länder hinter Österreich (oder südlich des Mains).                zurück

 

24                 Im ersten Brief des Paulus‘ an die Korinther 11, 7 und10: »Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, denn er ist Gottes Bild und Abglanz; die Frau ist aber des Mannes Abglanz. Darum soll die Frau eine Macht auf dem Haupte haben um der Engel wegen.« Es gibt eine Fatwa aus der für sunnitische Muslime bedeutendsten Rechtsschule der Al-Azhar-Universität Kairo, welche die Frauen in drei Kategorien einteilt: »sehr schön, mittelmäßig schön, und nicht schön« und den Ehemännern mit »sehr schönen Frauen« das Recht einräumt, ihre Gattinnen notfalls mit Schlägen zur Gesichts­bedeckung zu zwingen. Kein Mann wird zu­geben wollen, daß ihn eine Frau erwählt hat, die in die letzte Kategorie fällt, und deshalb muß der Schleier für alle Frauen her.  

Bei den Almor­a­viden, die den Islam um die erste Jahr­tausend­­wende erneuerten, trugen auch die Männer den »litham«, einen schwarzen Gesichts­schleier.                zurück

 

25                 Nachlesenswert für jeden deutschen Beamten: Der Lebens­lauf dieses Herrn und seine Courage 1821, als er seine Entlassung aus der »Immediat-Commission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe« (so hieß die damalige Stasi) erwirkt. Da ist nichts mit althergebrachten Berufsbeamtentum, sitzend in einem, dem selben (wenn’s hochkommt: dem gleichen), Büro bis zur (vorzeitigen) Pensionierung. Bedauernswert. Sitzen im »Ministerium für alberne Gangarten« (Monty Python) oder im »Circumlocution Office«, dem von Charles Dickens erfundenen »Amtes für Drumherumreden«. 

Für die »Beamtenhasser« unter den Lesern noch eine Ergänzung: Sitos heißt im altgriechischen Getreide, Brot, ­Speise, Para bedeutet an (der Seite einer Person). Der Parasitos war im alten Griechenland ein hochgeachteter religiöser Beamter, dem die Auswahl des Getreides für das kultische Opfermahl oblag. Erst später wurden die ­Bastarde aus den Reihen der Unehelichen genommen und verloren ihren hohen Beamtenstatus. Über lange Jahrhunderte ­waren Parasiten und Beamte fast synonym. Mehr bei Ulrich Enzenberger: »Parasiten«.                 zurück

 

zurück an den Anfang dieser Seite

 


<<           >>

Teilen / share:

Facebook








^