Kontakt / contact
    Hauptseite / page
                principale / pagina principal / home     zurück / retour / indietro / atrás / back
Teil 1: 1685-1932 - Teil 2: 1933 - Teil 3: 1934 bis August 1939 - Teil 4: September 1939 bis zum Ende

Hitlers Reich und Selbstzerstörung (Teil 2): 1933

Die Umsetzung der Hitler-Diktatur in Deutschland 1933

Brandenburger Tor 1945. Die
                      dauernde Polarisierung zwischen Kapitalismus und
                      Kommunismus riss ganze Volksmassen in den Wahn von
                      Entweder-Oder, von Schwarz und Weiss, von Sieg
                      oder Untergang. Es gibt politische Gruppen, die
                      politisieren heute noch so, trotz des negativen
                      Beispiels Deutschland...
Brandenburger Tor 1945. Die dauernde Polarisierung zwischen Kapitalismus und Kommunismus riss ganze Volksmassen in den Wahn von Entweder-Oder, von Schwarz und Weiss, von Sieg oder Untergang. Es gibt politische Gruppen, die politisieren heute noch so, trotz des negativen Beispiels Deutschland...

von Michael Palomino (2000 / 2005 / 2012)

Teilen:

Facebook








aus: Hans-Jürgen Eitner: Hitlers Deutsche. Das Ende eines Tabus. Casimir Katz Verlag, Gemsbach 1991


2. Die Umsetzung der Hitler-Diktatur in Deutschland 1933


1933

bis 1933
SPD hat die grösste Stabilität aller Parteien
-- ist stärkster Machtfaktor in der Weimarer Republik
-- hat trotzdem nicht viel Einfluss: kein Erkennen der revolutionären Dimension der NSDAP
-- die SPD bleibt als einzige Partei kompromisslos gegenüber der NSDAP (S.394)

1933
Danzig hat bereits die absolute NSDAP-Mehrheit
auf Kosten der Kommunisten und DNVP, SPD und Zentrum (S.389)

Nazi-Bewegung in Norwegen unter Quisling
(S.62)

Jan. 1933
Jesusvergleich
Hitler fühlt sich auf politischem Feld mit Jesus geistesverwandt. Die Umstände im Vergleich:

Situation für Jesus:
-- alle erwarteten in Unruhe den "König-Messias", der alle Leiden, Schmerzen, alle Knechtschaft und Gottlosigkeit beenden würde (S.12).

Situation für Hitler:
Das Volk muss aus dem Elend herausgeführt werden. Deutsche Tradition: Warten auf einen "begnadeten Führer". Der Gedanke wurde wieder bestärkt
-- durch das Versagen der demokratischen Parteien in der Weimarer Republik
-- viele Deutsche schwärmten von einem künftigen charismatischen "Führer"
-- die Schwärmerei wird kritiklos
-- der Führer kann kriminell werden und wird trotzdem nicht mehr absetzbar (S.12).

Hitlers Aufstieg war das Produkt dieser Konstellation der Hilflosigkeit der deutschen Bevölkerung (S.13)

[in Kombination mit mehrfach schwerkriminellen Grossindustriellen].

1933
Carl Schmitt, bis 1932 Gegner der NSDAP, wird 1933 plötzlich zum Antisemiten, ist Opportunist, wird vom NS-Regime dann aber als "politisch unzuverlässig" eingestuft (S.169).

Viele Länder in Europa operieren mit staatlichen Eingriffen zur Wirtschaftsbelebung
(S.210)

46,3 % der Erwerbstätigen sind Arbeiter
(S.265)

Die Industrie will Franz von Papen als Kanzler als Präsidialdiktatur
(S.60) mit dem autoritären Konzept zur "Sanierung" von Staat und Wirtschaft. Papen ist dadurch bei der Mehrheit der Unternehmer sehr beliebt. Die Spenden fliessen an Papens Partei (S.61).

Die Industrie torpediert die Demokratie als "hinderlich"
wegen den Arbeiterrechten (S.60). Vorbild sind die bisherigen Diktaturen in Europa in Italien seit 1922, Spanien seit 1923, Polen und Portugal seit 1926, Jugoslawien seit 1929, Österreich, Rumänien und Ungarn seit 1932 (S.62).

28.1.1933
Sofortprogramm für Investitionen von Schleicher
(S.203)

30.1.1933
Wahl in Deutschland: NSDAP und NDVP haben die Mehrheit
(S.201)

Hitler wird zum Reichskanzler ernannt
Paul von Hindenburg muss Hitler zum Reichskanzler ernennen. Hitler muss den Amtseid leisten:

"Ich werde meine Kraft für das Wohl des deutschen Volkes einsetzen, die Verfassung und die Gesetze des Reiches wahren, die mir obliegenden Pflichten gewissenhaft erfüllen und meine Geschäfte unparteiisch und gerecht gegen jedermann führen." (S.64)

Vorstellungen Hindenburgs: Hitler durch das Parlament einschränken
-- es soll in Zukunft weniger Vertagungen des Parlaments geben
-- Hitlers Kabinett soll vermehrt durch das Parlament kontrolliert werden (S.64).

In der Bevölkerung herrscht die Vorstellung: Jetzt hat die Weimarer Republik ihren Todesschuss erhalten (S.64).

Die falsche Formulierung "Machtergreifung"

-- Hitler wurde die Macht übergeben, er hat zur Ernennung keine revolutionäre Gewalt angewandt

-- das Wort "Machtergreifung" ist falsch

-- die demokratischen Parteien und Goebbels benutzen das Wort "Machtergreifung", um von eigenen Fehlern abzulenken, um das eigene Versagen bis 1932 zu vertuschen (S.64)

-- Hitler hat keine parlamentarische Mehrheit, nicht einmal die parlamentarische Mehrheit (S.65).

30./31.1.1933
Hitlers Ankündigung der Rassenrevolution
Hitler: Mit diesem Tage beginne "die grösste germanische Rassenrevolution der Weltgeschichte" (S.130).

Reaktionen auf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler
-- der erwartete kommunistische Generalstreik bleibt aus
-- der Aufstand der Kommunisten bleibt aus

-- die NS-Aktivisten und die SA können die Hauptwidersacher nicht endgültig zurückstutzen, haben vorerst keinen Vorwand, gegen die Kommunisten vorzugehen (S.65)

-- der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund ADGB ruft zu "kühlem Blut und Besonnenheit" auf, weil "die Lebensinteressen der gesamten Arbeitnehmerschaft" auf dem Spiel stünden

-- die SPD-Führung rechnet nur mit einer kurzen Dauer der Hitler-Regierung, im schlimmsten Fall mit einer Sozialisten-Gesetzgebung wie bei Bismarck

-- das SPD-Zentralorgan "Vorwärts" kündigt am 31.1.1933 an, man werde "kaltblütig beobachten und sich zu entscheidendem Handeln bereithalten, sowie die Stunde es erfordert", damit alles in legalem Rahmen bleibe

-- die Deutsche Allgemeine Zeitung DAZ, der Grossindustrie nahestehend, beurteilt die Situation als bedenklich, es sei keine glanzvolle Leistung der Politik, es sei ein "Sprung ins Dunkle", Hitler "wird uns nun zu zeigen haben, ob er das Zeug zum Staatsmann besitzt" (S.65)

-- die Frankfurter Zeitung bemängelt am 31.1.1933, Hitler sei bis anhin den Beweis menschlicher Qualifikation für dieses hohe Amt der Nation schuldig geblieben (S.65)

-- Frankfurter Zeitung am 1.2.1933: die nationalsozialistische Politik sei ein Gewirr von Dilettantismus und Leidenschaft: "Wir können von dieser Politik nichts für Deutschlands Zukunft erhoffen ... es ist eine hoffnungslose Verkennung unserer Nation, zu glauben, man könne ihr ein diktatorisches Regiment aufzwingen" (S.66)

-- die demokratischen Parteien und Kräfte bauen auf Hindenburg als Reichspräsident, der Hüter der Verfassung, ist aber schon 85 Jahre alt im Gegensatz zum 44-jährigen Hitler

-- Hindenburg zieht sich ins Phlegma zurück, ist der Herausforderung Hitlers nicht gewachsen, und Hindenburg hat nicht die Kraft, Hitler durch einen ebenbürtigen Mann zu ersetzen (S.66)

Die Reaktion Hitlers auf seine Ernennung: Euphorie und Skepsis ohne konkreten Widerstand
-- Inszenierung eines Meisterstücks der Propaganda mit 3 ½-stündigem Fackelzug, mit SA, SS, Stahlhelm-Bund, mit Militärkapellen, durch Berlins Hauptstrassen, symbolträchtig vorbei am Stern am Tiergarten, durchs Brandenburger Tor, durch die Wilhelmstrasse

-- Hitler und Hindenburg nehmen den Fackelzug gemeinsam ab, Hitler hat seine durch Hindenburg legitimierte Machtdemonstration, wirkt seelisch erfüllend und gleichzeitig unheimlich

-- Hämmern der Schritte, düstere Feierlichkeit roter und schwarzer Fahnen, zuckendes Fackellicht, aufpeitschende und gleichzeitig sentimentale Musik

-- Radioreportage über den Fackelzug. Beschreibung unbeschreiblichen Jubels auf der Prachtstrasse Berlins, Huldigung dem greisen Marschall und dem jungen Kanzler (S.67), ein Singen und Marschieren und Rufen und Brausen von gutwilligen, echten und jungen Deutschen, Gesänge von Deutschlands Erwachen

-- der Radioreporter kündigt immer wieder euphorisch an, dass sich nun alles, alles "wenden" werde
-- die eine Hälfte der deutschen Bevölkerung wähnt sich in einem neuen Aufbruch, die andere Hälfte steht bedrückt und sorgenvoll daneben, haben aber keine andere Wahl, als Hitler zu akzeptieren, Gefühle des Bankrotts (S.68).

-- die NS-Propaganda macht den Fackelzug zu einer "nationalen Erhebung", die es gar nicht gab (S.68)

-- die Konservativen hoffen, die NSDAP werde die konservativen Ziele in der Innen- und Aussenpolitik durchsetzen und sind bereit, sich mit der NS-Volksbewegung zu verbünden und diese gleichzeitig zu zähmen mit dem Ziel der Restauration des Obrigkeitsstaates

-- die Konservativen wollen Hitlers Revolution "abfangen" und für sich "arbeiten lassen" (S.69)

-- Ziel Papens: ein neuer Staat nach dem preussischen Motto "Autorität vor Majorität", einen rechtsstaatlich-autoritären korporativen Ständestaat christlicher Prägung mit Ziel der Verhinderung einer NSDAP-Parteidiktatur mit der These, es seien genügend Bremsen da durch die Reichswehr unter Hindenburgs Oberbefehl, mit Reichstag, Reichsrat, Reichskabinett (9:3-Mehrheit der Nicht-NS-Minister)

-- Papen hofft, die revolutionären Kräfte aus der NSDAP ausschalten zu können, die Partei zu verbürgerlichen durch Beteiligung an der Verantwortung, Zähmung des Reichskanzlers Hitler

-- Hitler hat viele Schwachpunkte, erscheint den Konservativen als angreifbar: Hitler kann nicht reiten, nicht jagen, ist kein Offizier, ist kein Mitglied eines studentischen Corps gewesen (S.70)

-- die meisten Beobachter erwarten den schnellen Rückzug Hitlers und glauben Papens Einschätzung (S.71)

(in: Lutz Graf Schwerin von Krosigk: Es geschah in Deutschland. Menschenbilder unseres Jahrhunderts. Tübingen 1951;
auch In: Schaurig, Bodo: Ewald von Klist-Schmenzin: Ein Konservativer gegen Hitler. Oldenburg 1968;
auch In: Klaus Hildebrand: Das Dritte Reich. 3. Auflage, München 1987).

Reichskanzler Franz von Papen (1879-1969)
beklagt die Not:zu Hitler: "Sie sind nur da, weil die Not da ist." (S.43).

Das erste Hitler-Kabinett
Koalition mit der Deutschen nationalen Volkspartei DNVP. Hitler setzt sich aber immer durch, weil das parlamentarische System versagt (S.65).

Neuschaffen eines Amtes des Vizekanzlers: Besetzung durch Franz von Papen, ein Draufgänger, eitel, oberflächlich, er soll den Aufpasser über Hitler spielen. Papen:

"Wir haben ihn [Hitler] uns engagiert ... Ich habe das Vertrauen Hindenburgs. In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht." (S.71)

[Schlussfolgerung
-- die Konservativen meinen wirklich, sie hätten Hitler kontrollierbar in der Hand
-- die Konservativen meinen, mit Hilfe von Hitler wieder Anhänger für sich gewinnen zu können (S.71)
-- nicht erwähnt: Hitler ist froh, dass die Demokratie kaputt ist].

Hitlers Mord-Strategie
-- die Diktatur mittels der Konservativen ausbauen
-- die konservativen Kritiker später ermorden lassen (S.71).

ab 31.1.1933
Bewältigung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland - Umschwung in die Diktatur

"USA": Das parlamentarisch-demokratische System ist stabil (S.33)

[nicht erwähnt: und erz-rassistisch, Neger werden an Bäumen aufgehängt, Zungen rausgeschnitten und andere Schändungen und Verfolgungen, z.T. nur wegen Gerüchten, v.a. wegen Gerüchten um Vergewaltigungen, die von weissen Frauen z.T. erfunden sind etc.].

ab 31.1.1933
Die NS-Wirtschaftspolitik bleibt eine grosse Improvisation
(S.209)

Keine Forderung mehr nach Abschaffung der Zinsen in der NSDAP
Die Forderung des Parteiprogramms von 1920 und die Position des linken Flügels der NSDAP wird widerrufen (S.230)

Hitler übernimmt die geheime Aufrüstung von Brüning und Papen
(S.207)

Mittel zur Überwindung der Wirtschaftskrise
-- wie überall mittels Zentralbank-Krediten, das ist auch bei Hitler so (ist eine "Staatskonjunktur" (S.206)
-- Zuwachs des Brutosozialproduktes: Der NS-Staat beansprucht davon etwa die Hälfte bis zwei Drittel (S.206-207)
-- der Staatsverbrauch ist mehr als dreimal so hoch wie vor 1914, ab 1936 immer mehr Staatsausgaben in die Rüstung (S.207).

Die Wirtschaftsführer täuschen sich in Hitler
-- sie schätzen Hitler schwach ein
-- sie meinen, sie könnten endgültig die Politik der Wirtschaft unterordnen
-- Hitler dreht die Prioritäten um: Volk, Wirtschaft und Kapital stehen im Dienst der Regierung (S.212)
-- Vorgabe friedlicher Ziele, Geheimhaltung der kriegerischen Ziele (S.213).

NS-Massenorganisationen
Zweck:
-- ideologische Beeinflussung und politische Kontrolle, Teilnahmezwang
-- Durchführung der Dressur durch Verteilen von 100.000en von Ämtern, Wecken von Verantwortungsgefühl und Opferbereitschaft
-- Prestigesteigerung mittels der privilegierten Unterwerfung
-- Kreis- und Ortsgruppenleiter haben oft lückenloses Einsehen ins Privatleben der Mitglieder, was das Regime stärkt, stärker als durch die Gestapo!
-- Prinzip: es müssen alle gehorchen, aber viele dürfen einen Zipfel der Macht in Händen halten (S.164)
-- Hitler missbraucht den oft aufrichtigen, uneigennützigen Idealismus (S.165).

Erpressung des Bürgers durch Leumundszeugnisse
Die NSDAP hat die Zuständigkeit, Leumundszeugnisse auszustellen:
-- dies ist die Gelegenheit für unzählige kleinkarierte Schikanen, oft Austragen von Standesrivalitäten
-- die Zellen- und Blockleiter können ihre Macht höher gestellter Mieter spüren lassen
-- die Zellen- und Blockleiter sollen nach oben die Volksstimmung melden, nach unten Blitzableiter für Klagen sein (S.164).

Rosenberg kritisiert die Staatsform des 3.Reichs
und verlangt weiterhin, dass sich "Führerpersonen" der Verantwortung stellen müssen, ansonsten werden das 3.Reich nach dem Tod des Führers zusammenbrechen (S.171).

Die Beamtenschaft geniesst den NS-Staat [!]
Der NS-Staat ist das Wunschbild eines straff und autoritär geführten Staates, für Beamte verführerisch. Die Beamten haben "preussische" Tugenden (Arbeitseifer, Korrektheit, Unbestechlichkeit), sind hörige Befehlsempfänger, bis sie selber fast zu NS-Verbrechern werden. Hitler weiss,
-- dass er viele Anfangserfolge dem übernommenen Berufsbeamtenapparat zu verdanken hat
-- dass er allein gestützt auf seine Parteifunktionäre an diffizilen Problemen kläglich gescheitert wäre (S.172).

Mit der Zeit verwickelt Hitler die alte Elite in die verbrecherische Politik des Regimes, und die Dienststellen machen mit, um nicht ausgeschaltet oder aufgelöst zu werden (S.172).

Machtkonzentration um Hitler
Hitler verlagert laufend das Zentrum der politischen Macht in den Reihen der engsten Mitarbeiter, um das Aufkommen unerwünschter Rivalitäten zu verhindern (S.172).

Hitler als Machiavelli
Hitler beherrscht die alte Machiavelli-Kunst:
-- Feinde gegeneinander ausspielen
-- Eifersucht und Neid rege halten
-- bei Kontroversen den Schiedsrichter spielen
-- Einmischung in die Bürokratie nur dann, wenn seine eigene Machtstellung bedroht ist (S.173).

Dauerndes Rumoren im 3.Reich
Es herrschen
-- Parteihader
-- gegenseitiger Hass der Verantwortlichen aufeinander (S.173) der verschiedenen Machtgruppen (S.173)
-- der Bürokratieapparat wird dauernd umgeformt, dadurch ergeben sich immer wieder Kämpfe um Zuständigkeiten (S.173), oft jahrelange Kompetenzkriege und Interessenskonflikte (Anarchie), werden von Hitlers Charisma oberflächlich überbrückt (S.174)
-- v.a. unbequeme oder fragwürdige Zuständigkeiten und Aufgaben werden gerne "abgegeben"
-- charakterliche und materielle Korruption
-- total verwirrende Staatsorganisation (S.173).

Effekt:
-- Entstehen von Korruption im NS-Staat
--  Hitler ist eine Integrationsfigur, so dass der Staat sich nicht auflöst
-- wer glaubt, das 3.Reich werde bald zersetzt zusammenbrechen, der täuscht sich (S.173)
-- das unübersichtliche Neben- und Gegeneinander der konkurrierenden Bürokratien begründet die Schlüsselstellung Hitlers und seines z.T. brutalen (S.174) Bormann-Stabes
-- Hitler kennt die Zustände genau, was ihm aber egal ist, solange er die Macht über Leben und Tod des Volkes hat (S.175).

Hitler muss "Erlösung" sein - die "blinde Autorität"
-- das Volk gerät in einen blinden Autoritätsglauben
-- die Widersprüche im NS-Programm sind so gross, dass sie nur im Charisma Hitlers aufgehen können
-- die Begründung eines Führerkultes fängt die Gefährdung des Zerfalls der NSDAP auf (S.175).

Gleichzeitig lässt der NS-Staat eine gewisse Individualität zu. Es ist keine perfekte "Gleichschaltung des Volkes" vorhanden. Das 3.Reich ist kein monolithisch totalitärer Staat. (S.173).

NS-Propaganda mit Preussen-Geschichte
Das Dritte Reich ist das Ziel und der logische Endpunkt preussisch-deutscher Geschichte, so behauptet die NS-Ideologie (S.11).

Die Verfassung im NS-Staat
Die Weimarer Verfassung bleibt formell bis 1945 in Kraft. Das Vorhaben eines neuen Verfassungsrechts wird nicht 1934 nicht verwirklicht. Hitlers Verfassungspolitik beschränkt sich darauf, seine Alleinherrschaft zu sichern. Hitler schaut mehr auf praktische Gesetzmässigkeiten als auf äussere Ausgestaltung. Überlegungen, wie der Führerstaat verfassungsrechtlich zu verankern wäre, werden nie konkret. Hitler strebt vorrangig nach seinem Ruhm für alle Zukunft (S.166).

Zweimal (6.8.1933 und 1.9.1939) kündet Hitler die Bildung eines Senats an, die Einrichtung eines Senatoren-Saales im "Braunen Haus" in München, aber es kommt nie zu einer Sitzung (S.167).

Hitlers Einschränkungen der Demokratie
Erste Auflage von Mein Kampf (1925): Hitler hat "Gedanken einer germanischen Demokratie": Führer-Wahl von der Ortsgruppe über die Gauleiter bis zum Parteiführer. In der 2. Auflage ist die "Führer-Wahl" auf allen Ebenen der Partei durch die "Berufung" ersetzt. Seitdem herrscht in der NSDAP statt des demokratischen Wahlrechts das autoritäre Führer-Prinzip (S.167).

Das Prinzip der "Berufung"
Deutschland wird mit dem Prinzip der "Berufung" des Führers zum Eigentum Hitlers. Aus dem Führer entwickelt sich der Staat (S.167).

Gedanken der Emigranten
Die Emigranten nehmen an, der NS-Staat wird sich so zersetzen, dass er sich selbst auflöst. Sie hoffen vergebens (S.173).

Hitler wird zum Gott
-- als die führende Staatsfigur wird Hitler zum sterblichen deutschen Gott
-- Hitler verkörpert eine monokratische Spitze
-- Hitler übt Autorität nach unten aus
-- die Verantwortung wird nur von unten nach oben geschuldet
-- nur durch rigorose Anwendung des Führer-Prinzips kann Hitler sein Eigentum "NSDAP" mit ihrem widersprüchlichen Programm, mit ihrer sehr unterschiedlichen Mitgliedschaft und deren widersprechenden Wünschen zusammenhalten, disziplinieren und integrieren (S.168).

Hitlers Lügen
Hitler beteuert oft, er trage die letzte Verantwortung. Aber Hitler muss rechtlich niemandem Rechenschaft ablegen (S.169).

Moralische Entwicklung: Hitler und alle NS-Hoheitsträger fühlen sich frei von jeder moralischen Bindung. Auswirkungen: Sie vollziehen unbewusst eine unkontrollierbare Selbstherrlichkeit, im Volksmund "kleine Hitlers" genannt. Kritik wird rigoros bestraft (S.169).

ab 1933
Millionen fühlen sich durch Hitler von ihren Nöten erlöst und befreit
durch strenge Gesetze, durch Beseitigung des Chaos. Der Liberalismus hat verspielt. Die demokratische Ordnung hat sich selber mattgesetzt (S.56).

aber:
Hitlers Wahlversprechen für den Mittelstand sind vorerst nicht realisierbar
(S.260).

1932-1938
Verdoppelung des Bestands an Kraftfahrzeugen
-- enormes Wachstum der Zuliefererindustrien
-- das Auto oder Motorfahrrad war früher Luxusgut der Oberschicht, wird nun ein "Teil des Massenalltags" (S.211).

Hitlers improvisiertes Wirtschaftsprogramm
-- Hitler beherrscht das Lenken der Industrie in eine für ihn nützliche Richtung, indem seine Ziele mit den egoistischen Tendenzen des kapitalistischen Menschen optimal übereinstimmen
-- der Zwang muss ausweglos erscheinen, [so dass er der Bevölkerung sinnvoll erscheint]
-- Hitler muss einen Weg offen lassen, der dem Unternehmer Gewinn verspricht
-- es muss das Gleichgewicht spielen zwischen Investitions-, Steuer-, Lohn- und Preispolitik (S.212).



Februar 1933

Die deutsche Studentenschaft ist bis zu 2/3 nationalsozialistisch gesinnt
(S.39)

Danzig hat bereits die absolute NSDAP-Mehrheit
auf Kosten der Kommunisten und DNVP, SPD und Zentrum (S.389)

1.2.1933
Hitler prophezeit das Überwinden der Arbeitslosigkeit
Hitler: "Binnen 4 Jahren muss die Arbeitslosigkeit endgültig überwunden sein."
Ziel: Besserung der Notlage der Massen, dadurch Stärkung des Regimes (S.201).

Das Ausland, Wirtschaft und die Emigranten bleiben skeptisch, Hitler werde an den Schwierigkeiten scheitern (S.201).

Hitler verachtet Hugenberg und die DNVP, braucht aber dessen Hilfe
(S.93-94)

1.2.1933 bis September 1933
Der Kapitalmarkt macht praktisch keine Bewegung
-- September 1933: 3 Punkte über dem Stand von September 1932 (S.201)
-- weiteres Fallen der Kurse und der Rendite der 6 %-Wertpapiere (S.202).

1933/1934
Staatsinvestitionen: 5-5,5 Mrd. RM (S.207)

Staatsausgaben 1933-Mai 1934: rund 2,3 Mrd. RM (S.207)

Staatsausgaben 1933-Anfang 1935: rund 4 Mrd. RM (S.207)

Februar - Juli 1933
Die Organe unter Hitler lassen die Säuberungen zu
(S.72)

ab Februar 1933
Hermann Göring und seine preussische Polizei
Göring (1893-1946), Siegertyp, Jagdflieger im 1.Weltkrieg, seit 1933 NSDAP-Mitglied, Reichsminister ohne Geschäftsbereich und Reichskommissar für den Luftverkehr, zugleich Innenminister Preussens und somit Herr des grössten Polizeiapparates im Reich, vereint Charme und Brutalität, ist skrupellos und doch populär (S.73).

Reaktion auf den Nazi-Terror: keiner
-- die NS-Gegner wirken unter dem Eindruck des Terrors wie gelähmt
-- Emigration (S.75)
-- Reichsjustizminister Gürtner protestiert erfolglos gegen SA- und Gestapo-Willkür (S.186)

Widerstand: Die "kleinen Taten" der Bevölkerung gegen das NS-Regime

Die Rahmenbedingungen:
-- es ist kein einheitlicher Widerstand möglich
-- es ist ein Leben zwischen Bewunderung und Abscheu, zwischen Taten und Untaten des NS-Regimes
-- z.T. sind die verletzenden Handlungen des Regimes unterhalb der polizeilichen "Eingreifschwelle"

-- der "Normalbürger" laviert zwischen Anpassung und abweichendem Verhalten
-- es herrscht fliessender Übergang zwischen privatem Nonkonformismus (S.409) und innerer Emigration, zwischen passivem Widerstand und aktivem Widerstreben z.T. unter Lebensgefahr:

Die einzelnen "kleinen Tagen" gegen das NS-Regime:
-- demonstrativer Besuch von Gottesdiensten missliebiger Pfarrer
-- Nichtentsendung von Kindern in HJ bzw. BdM
-- mangelhafte Hausbeflaggung
-- Spaziergänge bei Hitler-Reden
-- Verweigern von WHW-Spenden

-- stille Hilfe für politisch und rassisch Verfolgte
-- in ein Vorzimmer einer Behörde gehen und "Guten Tag" statt "Heil Hitler" sagen: das war schon eine politische "Heldentat"
-- politisch und rassisch Verfolgte unterstützen unter Lebensgefahr (S.410)
-- jede kleine Tat im Widerstand ist eine Tat zur Erhaltung der moralischen und kulturellen Traditionen zur Menschenwürde in Deutschland (S.411).

Der aktive Widerstand bleibt ohne Unterstützung!
-- aktiver Widerstand bleibt ein Elitephänomen
-- die aktiven Widerständler stehen unter Einsamkeit, Opfermut, sind ganz auf sich gestellt, sind von Denunzianten umlauert und zudem vom Ausland ignoriert (S.411).

ab Februar 1933
KZ-Haft für Leber
SPD-Reichstagsabgeordneter Leber: 1933-1937 im KZ (S.111).

Hitler wird unterschätzt
- wird von den preussisch-deutschen Machteliten und von den europäischen Kabinetten als eine "moderne Version des wilhelminischen Machtpolitikers" angesehen
- ist eine totale Fehleinschätzung (S.131).

Hitler will ein Volksauto subventionieren
für die Massen (S.316-317), um den Massen ein neues Lebensgefühl zu vermitteln, das sie an den Nationalsozialismus fesselt (S.317).

Autopreise im 3.Reich: billigstes Opel- oder DKW-Modell: 1400-1600 RM (S.317).

Reichsautobahnen (RAB):Hitler übernimmt Pläne vieler Studiengesellschaften (S.320)

1933/1934
-- Staatsinvestitionen: 5-5,5 Mrd. RM (S.207)
-- Staatsausgaben 1933-Mai 1934: rund 2,3 Mrd. RM (S.207)
-- Staatsausgaben 1933-Anfang 1935: rund 4 Mrd. (S.207)

1933-1938/1939
Soziale Errungenschaften unter Hitler als Täuschungsmanöver für den Krieg
-- Hitler verschleiert seine Kriegsabsichten mit der Schaffung sehr verbesserter Umstände auch im Sozialbereich
-- die gesamte Innenpolitik dient der Militär- und Aussenpolitik
-- Hitler will sich Popularität in breitem Umfang schaffen und die Geschlossenheit des Volkes sicherstellen
-- Hitler ist gleichzeitig Anti-Kommunist (Kapitalismus in staatlicher Kontrolle) und Anti-Kapitalist (Hitler garantiert das Recht auf Arbeit und Gesundheitsfürsorge) (S.293).

Verbesserungen für den deutschen Bürger im 3.Reich
-- Bildungs- und Berufsförderung
-- Gewinnbeteiligung am Unternehmen
-- staatlich gelenkte Vermögensbildung
-- Motto Hitlers: "Ein Volksauto und ein Volkseigenheim für jedermann!"
-- Motto Hitlers: eine "Volkspension" für alle Invaliden, Frauen über 60 und alle Männer über 65 Jahre (S.294)
-- das soziale Engagement im 3.Reich [die Diskriminierungen und den Rassismus ausgenommen] ist vorbildlich für die Nachkriegszeit (S.294).

Soziale Aufstiegsmöglichkeiten im Dritten Reich
-- zentrales, sozialpolitisches Ziel Hitlers ist die Beteiligung aller Schichten der Volksgemeinschaft an dem von ihm sozialdarwinistisch verstandenen Kampf um den sozialen Aufstieg
-- Hitler kombiniert den sozialen Aufstieg der deutschen Bürger mit Hass auf diskriminierte Gruppen
-- Hitler will eine neue Elite schaffen, gleichzeitig das Bürgertum vernichten, denn das Bürgertum sei kraftlos, feige, energielos
-- die Arbeiterschaft hat gemäss Hitler Kraft, Mut, Energie (S.294)
-- Hitler verlangt Chancengleichheit auf diskriminierender Basis: nicht im Sinne der bestmöglichen persönlichen Entfaltung des Individuums, sondern im Sinne optimalen Nutzens des Einzelnen für die NS-Volksgemeinschaft [mit einem Krieg am Ende] (S.295).

[Die deutsche Bevölkerung kommt in eine Euphorie der sozialen Qualität, und das Thema Krieg, wie es in Mein Kampf schon beschrieben ist, wird konsequent verdrängt].

Aufstiegschancen: Doppelte vertikale Mobilität 1933-1939 wie 1926-1932
Statistik: Die vertikale Mobilität ist 1933-1939 doppelt so gross wie in der Weimarer Zeit von 1926-1932 (S.295). Damit steigt die Auslese im Volk für bestimmte Posten. Mittel:
-- überlieferte Vorrechte werden gebrochen
-- die Führung der Nation wird von einer neuen Auslese übernommen
-- bei der Auslese wird keine Rücksicht genommen auf Herkunft, Geburt, gesellschaftliche oder konfessionelle Zugehörigkeit

-- die Auslese bestimmt innere Veranlagung und Würdigkeit (S.295)
-- angelernter Arbeiter wird Vorarbeiter (S.296-297)
-- die Tochter einer Arbeiterfamilie wird nicht mehr nur Putzfrau, sondern Verkäuferin oder Stenotypistin
-- die Begriffe "bürgerlich", "proletarisch", "städtisch" und "ländlich" verlieren an Bedeutung
-- Führungsprivilegien gehen verloren (S.297).

Schulen im 3.Reich
-- geistig besonders veranlagte Kinder werden auf Staatskosten gefördert ohne Rücksicht auf Stand oder Beruf
-- die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft auf den weiterführenden, allgemeinbildenden Schulen ändert sich nach 1933 aber nur wenig (S.295).

Hitler-Jugend HJ
-- ist bestrebt, so viele soziale Barrieren wie möglich niederzureissen
-- verpönt die Schülermützen
-- bekämpft die Gymnasien als Hort der Reaktion (S.295)

Ziel der HJ:
-- Brechen des "bürgerlichen Bildungsmonopols" und der eingefahrenen Traditionen der Berufswahl
-- die Reichsjugendführung bereitet dafür 1933/1934 ein Arbeiterstudium vor
-- schlussendlich sind aber nur 4 % der Studierenden aus Arbeiterfamilien, Misserfolg des Programms (S.295)

1933-1939
Das Wirtschaftswunder unter Hitler: Investitionen von 100 Mrd. RM
in Industrie
in die Landwirtschaft
ins Verkehrswesen
ins Energiewesen
in den Wohnungsbau
in die öffentliche Verwaltung (S.208)

Investitionen in Wehrmacht und Rüstung: 62 Mrd. RM (S.208).

Hitler gilt als "Lichtblick" für Deutschland
Viele, die am Untergang der Weimarer Republik mitgearbeitet haben, sehen das 3.Reich als den ersten "Lichtblick" seit 1918, sind voll dabei, bis sie merken, dass es auf einen Krieg hinausläuft, treten dann zurück und in den Widerstand ein, sind dann z.T. am Attentat von 1944 beteiligt (S.412).

Kirche: Theologe und Soziologe Alfred Delp befürwortet das NS-Regime
(S.404):
- Delp (1907-1945), Jesuite, auch Philosoph, Mitarbeiter der katholischen Schrift "Im Angesicht des Todes" (S.403)
- Delp bezeichnet Krieg als "geistige Leistung"
- Delp zitiert aus Büchern des NS-Rassenforschers Hans F.K. Günther
- Delp sieht ein Versagen der katholischen Kirche, erkennt das Bedürfnis nach einem neuen, existenziellen Christentum (S.404).

Der Preis für das Wirtschaftswunder: Terror

Februar 1933
Terrorwelle der von Goering legalisierten "Hilfspolizei" von Preussen aus
(S.74)
-- mit Ziel der Ausgrenzung alles Andersartigen im Namen der Volksgemeinschaft: Verfemung, Erniedrigung, Folterung, Mord (S.74)
--  mit Pauschalverurteilungen über die Andersdenkenden
-- mit pauschalen Anschuldigungen, die Andersdenkenden seien Schuld am allgemeinen Elend der letzten "Systemjahre"
-- es wird mit den Falschen abgerechnet
-- das System der SA-Schlägertrupps etabliert sich (S.75).

Terrorwelle in privaten Kreisen und die Folgen
-- die privaten Konflikte werden brutalisiert und gewaltsam "geregelt"
-- die Opposition wird zum kriminellen Fall
-- Widerspruch begründet die Feindschaft
-- Gewalt wird salonfähig (S.75)
-- Gewalt wird populär, v.a. gegen Kommunisten und Sozialdemokraten
-- Gewalt bringt Hitler sogar Anerkennung ein, auch beim alten und neuen Mittelstand (S.77).

Die Schläger-SA
Die SA glaubt, je härter durchgegriffen wird, desto besser ist die Nation noch zu retten (SA/SS-Hilfspolizei, HJE). Die Realität sieht anders aus:
-- die Gierigen stopfen sich die Taschen mit dem Eigentum ihrer Opfer vor
-- Aufkommen sadistischer Triebe durch die Hasspropaganda Hitlers (S.75)
-- wohlhabend jüdische Geschäftsleute werden in Privat-KZs verschleppt, währenddessen die Familie erpresst wird
-- die Inhaftierten werden noch schlimmer gefoltert oder mit der Ermordung gedroht, Bereicherungen

(in: Bernt Engelmann: Im Gleichschritt Marsch. Wie wir die Nazizeit erlebten 1933-1939. Köln 1982)

-- Freigelassene werden zur Unterschrift gezwungen, von den Erlebnissen nie zu sprechen und dass ihnen die Behandlung keinen Grund zur Klage bietet (S.74).

Schriftsteller Rudolf Georg Binding (1867-1938) meint, der Zweck heiligt die Mittel:
"Was besagen die Leiden einzelner Gruppen gegenüber der herrlichen Tatsache, dass unser Volk wieder ein Volk wurde, dass die deutsche Seele Auferstehung, Neugeburt, vaterländischen Höhenflug feiert?"

Binding:
-- Deutschland habe keinen Raum für Marxisten, Juden, Pazifisten, Humanisten und ähnliches Gelichter

(in: Dietrich Bronder: Bevor Hitler kam. Eine historische Studie. Hannover 1964)

-- Binding glaubt bis zu seinem Tod, die Kräfte von Anstand und Gerechtigkeit könnten sich im NS-Regime durchsetzen
-- Binding erweist mit seinen Schreiben Hitler einen grossen Dienst
-- Binding hat eine jüdische Lebensgefährtin und jüdische Freunde bis zu seinem Tod (S.76).

Februar 1933
Politische Lage in Deutschland
-- man sieht, dass das Koalitionskabinett unter Hitler nur ein Übergang ist
-- Hitler wird weiterhin völlig falsch eingeschätzt
Frankfurter Zeitung vom 2.2.1933: sieht den Schwerpunkt der Reichsregierung nicht beim Reichskanzler, sondern bei (S.71) Hugenberg, der als Wirtschaftsdiktator gilt (S.72)
-- Kurt Schumacher (1895-1952), SPD-Abgeordneter in Augsburg: hat die Meinung, Hitler habe nur "den Schein der Macht"

(in: Josef und Ruth Becker: Hitlers Machtergreifung 1933. Vom Machtantritt Hitlers am 30. Januar 1933 bis zur Besiegelung des Einparteienstaates 14. Juli 1933, München 1983)

-- Zeitung "Die Weltbühne" am 7.2.: Glosse von Carl von Ossietzky (1889-1938): Hitler wird als schwacher Kanzler dargestellt
-- die Auslandspresse schreibt meist, dass es der konservativen Rechten gelungen sei, den NSDAP-Anspruch auf totale Macht abzuwehren
-- zusammenfassend: Hitler wird immer noch nicht ernst genommen, man traut ihm, dem Ex-Gefreiten, dem Autodidakt und Massenagitator, nichts zu (S.72).

ab Anfang Februar 1933
Hitler wird Herausforderung für ganz Europa
"Jede Machtballung in Deutschland wirkt als Aufkündigung des europäischen Gleichgewichts."

(in: Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917-1933. Berlin 1982, S.17)

[nicht erwähnt: Niemand ausser Roosevelt im fernen "Amerika" nimmt die Herausforderung an!]

3.2.1933
Hitlers Ankündigung der "Eroberung neuen Lebensraums im Osten" vor Befehlshabern - Alarm - Ungläubigkeit - NS-Idealisten
-- Hitler kündigt vor Befehlshabern von Heer und Marine in Berlin den Aufbau der Wehrmacht an zwecks "Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung", wie 1925 bereits in Main Kampf

(in: Wolfgang Domarus: Reden und Proklamationen 1932-1945, Würzburg 1963)

[es kann also niemand sagen, man habe nichts von den Kriegsabsichten Hitlers gewusst]

-- Reaktionen der Generale und Admirale: sind z.T. alarmiert, nehmen z.T. Hitlers Worte nicht ernst
-- Glaube der NS-Idealisten, die Christen sind: Ziel sei es, sich mit gesellschaftlicher Erneuerung und Versöhnung von Nationalismus und Sozialismus an die Spitze einer friedlichen Entwicklung in Europa zu stellen (S.130).

Tatsache ist: Hitler kündet von Anfang an den "Lebensraumkrieg" an (S.131).

Hitler wird nicht ernst genommen!
-- Hitler wird nicht ernst genommen, weder von preussich-deutschen Machteliten noch von den europäischen Kabinetten
-- Hitler will Grossdeutschland von Anfang an als Weltmacht
-- die engeren Mitarbeiter um Hitler begreifen das Ziel Hitlers erst allmählich (S.231).

4.2.1933
Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes
von Hindenburg verfügt für den Fall einer "unmittelbaren Gefahr für öffentliche Sicherheit":
-- Kontrolle oder Verbot von Zeitungen
-- Verbot politischer Versammlungen
-- die Propaganda von Regierungsgegnern kann weitgehend unterbunden werden (S.72).

11.2.1933
SPD-Zentralorgan "Vorwärts" beklagt die Zensur

"Das freie Wort ist eingeengt ... Über dem Wahlkampf lauert die Notverordnung, auf der Strasse wütet der Terror".

Gegen eine Mehrheit des Volkes sei "eine beschimpfende Agitation entfacht ... Die Knebelung der Presse mag Kritik unterdrücken, sie mag das freie Wort zum Schweigen verurteilen - aber eines vermag sie nicht: Sie kann die geschichtliche Wahrheit nicht aus der Welt schaffen." (S.72)

14.2.1933/1.6.1933
Anordnen des Vollstreckungsschutzes für die landwirtschaftlichen Betriebe
(S.285)

14.2.1933
Reichstags-Ausschuss zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung wird von der NSDAP boykottiert
und somit gesprengt. Der Vorgang wird nicht geahndet:
-- die demokratischen Kräfte gegen die NSDAP zeigen sich als völlig gelähmt
-- der Vorgang ist offener Verfassungsbruch (S.73)

(in: Wilhelm Hoegner: Flucht vor Hitler. Erinnerungen an die Kapitulation der ersten deutschen Republik 1933, München 1977).

20.2.1933
Hitler prophezeit den letzten Wahlkampf Deutschlands
vor prominenten Industriellen:
-- Deutschland stehe vor dem "letzten Wahlkampf"
-- er habe nicht die Absicht, auch bei keiner Mehrheit für seine Partei, die Macht abzugeben (S.77)
-- es werde nur die Wahl geben zwischen seiner Regierung und den Kommunisten (S.78).
-- Göring ergänzend: die nächste Wahl sei die letzte Wahl der nächsten 10 Jahre, voraussichtlich aber der nächsten 100 Jahre (S.78).

Die Industriellen wussten, was auf Deutschland zukommt: stabile Zeiten ohne Moral (S.78).

21.2.1933
Die "Weltbühne" beklagt die Gewalt von SA, SS und Stahlhelm-Bund:

"In Deutschland herrscht jetzt Ruhe, die die autoritären Regierungen lieben. Die Opposition ist zum Schweigen verurteilt." Das "liberale Deutschland" sei tot. Es habe eine Zeit der brutalen Gegensätze begonnen. "Uns ziemt es nicht, diese Zeit zu begrüssen oder zu beklagen. Wir konstatieren sie lediglich. Ihr moralisches Fazit werden unsere Kinder ziehen." (S.73)

21.2.-5.3.1933
Der weitere Wahlkampf
-- Hitler rechnet mit der absoluten Mehrheit
-- der Wahlkampf erfüllt die rechtsstaatlichen Bedingungen nicht
-- Hindenburg und Hitler sind auf Plakaten gemeinsam nebeneinander (Liste 1)
-- SPD und KPD, sind zum Schweigen verurteilt, hatten früher fast 1/3 der Wähler

-- SPD- und KPD-Plakate werden planmässig überklebt
-- die Presse wird scharf zensiert, unliebsame Presse ist verboten
-- Versammlungen werden aufgelöst oder verboten
-- Flugblätter werden beschlagnahmt
-- es herrscht der ungehemmte NS-Terror mit seiner Propaganda (S.77).

Hitler spricht in 10 Städten, zuletzt in Königsberg, der Krönungsstadt der preussischen Könige. Im Radio kommt nach der Königsberger Hitler-Rede ein Dankgebet (S.77) und eine Schallplatte mit angeblichen Glockengeläute vom Königsberger Dom (S.78).

Katholische geistliche warnen vor der Stimmabgabe an die NSDAP (S.78).

22.2.1933
Goering legalisiert in Preussen eine bewaffnete "Hilfspolizei"
von rund 50.000 Mann, darunter rund 40.000 SA- und SS-Leute. Die SA wartete schon lange auf die "Nacht der langen Messer". Jagd auf
-- Kommunisten
-- Sozialdemokraten
-- Pazifisten
-- Gewerkschafter
-- liberale Journalisten
-- liberale Rechtsanwälte (S.74).

-- im Gewaltritual wird Gewalt zur Tapferkeit, Entwicklung des Bandenterrors, Einrichten von Gefängnissen und Folterkellern in allen Städten
-- Meldungen: Verhaftete werden auf der Flucht erschossen (S.74).

24.2.1933
Verurteilung von Japan wegen Mandschurei-Besetzung - kein militärisches Eingreifen gegen Japan
Hitler registriert die Machtlosigkeit des Völkerbunds gegenüber expansionistischen Staaten und Unterdrückung anderer Völker (S.133).

[Die Unterdrückung ganzer Bevölkerungsteile in Deutschland nimmt Hitler selbst in Kauf...]

25.2.1933 ca.
Verbot der Zeitung "Weltbühne"
(S.73)

27.2.1933
Reichstagsbrand, Plenarsaal abgebrannt
(S.73)

28.2.1933
Notverordnung "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat"
-- gegen "kommunistische staatsgefährdende Gewaltakte" (S.73)
-- die KPD wird in die Illegalität gedrängt (S.73-74).
-- Streichen von sieben wichtigen Verfassungs-Grundrechten "bis auf weiteres"
oo  Beschränkungen der persönlichen Freiheit (also: Inhaftierung möglich, HJE)
oo  Beschränkung des Rechtes der freien Meinungsäusserung
oo  Beschränkung der Pressefreiheit
oo  Beschränkung des Vereins- und Versammlungsrechts usw. (S.74).

Das Abschaffen der Demokratie ist eingeleitet. Der politische Bereich ist nicht mehr Gegenstand der allgemeinen Rechtsordnung. Der zivile Ausnahmezustand ist abgesichert ohne Frist (S.74). Hugenberg wird durch Hitler ausmanövriert durch Ansetzen von Neuwahlen (S.77).

Reaktionen auf die Reichstagsbrand-Notverordnung
-- Reichswehr: kein Widerstand (S.74)
-- Auswanderungwelle bei Künstlern und Theaterleuten: Es ist "die grösste Auswanderung von Intellektuellen in der Weltgeschichte"
-- allgemeiner Exodus der jüdischen und liberalen Wissenschaftler, Künstler und Literaten (S.28)

(in: Bracher/Funke/Jacobson: Nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Eine Bilanz. Düsseldorf 1983).

-- das deutsche Volk anerkennt diesen Exodus mehrheitlich nicht als Verlust an
-- die Emigranten werden als Landes- und Volksverräter beschimpft, sie hätten nie zum deutschen Volk gehört und auch nicht zum deutschen Geist

(in: Josef und Ruth Becker: Hitlers Machtergreifung 1933. Vom Machtantritt Hitlers am 30. Januar 1933 bis zur Besiegelung des Einparteienstaates 14. Juli 1933. München 1983) (S.29).

Februar 1933-9.11.1938 (Pogrom)
Jüdische Auswanderung aus dem 3.Reich: 170.000
sind 1/3 aller Juden (S.381)

[meist in Überseeländer oder neutrale Staaten; Juden, die in die Beneluxstaaten flüchteten, werden 1940 z.T. wieder dem NS-Terror unterworfen.
Von 9.11.1938-1942 findet in kleinerem Masse eine weitere Auswanderung nach Übersee und in neutrale Länder statt].

ab Februar 1933
Es gibt keine demokratischen Parteien mehr im Dritten Reich
-- keine freien und geheimen Volksabstimmungen und Wahlen mehr
-- Wahlen und Abstimmungen stehen unter psychologischem Druck oder sind manipuliert

-- die Ergebnisse sind teils korrekt, teils geschönt, teils verfälscht, indem in jeder Gemeinde etwas "Schmu" gemacht wird: Man lässt die Nein-Stimmen unter den Tisch fallen oder bucht sie als "ungültig", um in Berlin als "gute Gemeinde" dazustehen

-- ca. 1-2 Mio. verfälschte Stimmabgaben
-- die grosse Mehrheit der Stimmen geben die tatsächliche Volksstimmung wider (S.388).

ab Februar 1933
Manipulation der deutschen Bevölkerung mit 4 Wochenschauen
"Ufa-Tonwoche", "Deulig-Ton-Woche", "Tobis-Woche", "Fox-Tönende Wochenschau" (S.480). Goebbels manipuliert die Bevölkerung so, dass sie oft ins Kino geht (S.480).

Theater und Film: Das Niveau sinkt
- es emigrieren die Wenigsten, aber die Besten (S.112)

- der NS-Staat fördert die künstlerische Entwicklung von Film und Theater und hält sie sich als Vorzeigeattrappe und Fassade gegenüber dem Ausland (S.113)

- das NS-Regime spannt Theater- und Filmleute als Attrappe ein, Goebbels lässt Kammersänger, Kammersängerinnen und Staatsschauspieler von Steuern befreien, Förderung von künstlerischem Schaffen

- viele Künstler sind begeistert vom 3.Reich, werden z.T. gleichzeitig gefährliche Denunzianten, andere sind Opportunisten, andere bleiben charakterstark

- zahlreiche Künstler und Künstlerinnen bemühen sich um Hitlers Gunst, ist oft widerlich anzusehen

- Hitler genehmigt oft persönliche Gagen, und die Künstler verfallen in Starallüren (S.120)

- Künstlerinnen benutzen Liebschaften mit den Mächtigen des NS-Staates als Karrieresprungbrett,  was auch bei Goebbels selbst vorkommt, aber Frauen können auch Karriere machen, ohne Bettvorleger für NS-Grössen zu sein (S.121)

- Filmregisseur Fritz Lang (1890-1976): Goebbels will ihn halten trotz jüdischer Abstammung, aber Lang emigriert

- Wendehälse:

-- Regisseur und Kameramann Piel Jutzi: vor 1933 dreht er Filme für die Arbeiterbewegung wie 1929 "Mutter Krausens Fahrt ins Glück", "100.000 unter roten Fahnen", dann 1939: "Gewehr über" (S.112)

-- Gustav Gründgens wird von Göring zum Intendanten des staatlichen Schauspielhauses in Berlin ernannt. Gründgens spielt Vorzeigesymbol, dient dem internationalen Ansehen des NS-Regimes (S.113).

Goebbels manipuliert die deutsche Bevölkerung mit Politik und Unterhaltung

- Goebbels fordert immer den Wechsel zwischen politischem Film und Unterhaltungsfilm

- Tendenz wird in Unterhaltung verpackt, ohne Hitlergruss, aber mit unterschwelliger, politischer Seelenmassage (S.121)

- Goebbels führt einen Künstlerkreis und gewährt Steuervergünstigungen v.a. für Prominente (S.123).

Die "Gottbegnadeten-Liste" (GB-Liste)
gilt für einige Halbjuden, Juden und Homosexuelle in Theater und Film:

- Goebbels kann jüdische Schauspielerinnen, die ihm gefallen, von der Judenverfolgung schützen gemäss dem Leitsatz des österreichischen Schriftstellers Alexander Lernet-Holenia: "A fesche Jüdin is no lang ka Jud"

- Hitler führt die GB-Liste für jüdische und Homosexuellenfälle

- Filmstars mit jüdischen EhepartnerInnen oder Lebensgefährten wird die Beziehung gewährt, heisst im NS-Jargon "Webfehler" mit persönlicher Heiratserlaubnis durch Hitler

- in anderen Fällen müssen die betroffenen deutschen KünstlerInnen ihre PartnerInnen im Ausland "parken" (S.122)

- Fall Joachim Gottschalk: er verweigert, seine Frau im Ausland "zu parken". Als die Frau und der Sohn nach Theresienstadt deportiert werden sollen, machen alle drei zusammen Selbstmord (S.123).

Hitler-Propagandafilme unter Goebbels
- "Sieg des Glaubens" (1933), dann v.a.

- "Triumph des Willens" (1934)

-- ist die wirksamste, je ins Bild gesetzte NS-Propaganda mit melodramatischer Kameratechnik und dramatischen Effekten von Wagner-Opern (S.125)

-- es wird ein Hitler gezeigt, der über das Mass des Irdischen bereits hinausgewachsen ist

- vollkommener Ausdruck der Ästhetisierung der Hitler-Politik: Aufmärsche, Fackelzüge, Fahnenweihen, Totenehrungen

-- einschüchternde und angstmachende Ästhetik der Selbstdarstellung

-- Hitler will die Weltentrücktheit, das grosse demagogische Theater, will die Überwältigung des Zuschauers durch den Eindruck des Films

-- Darstellen einer Apotheose der Geschlossenheit, der Stärke und der Macht, des Monumentalismus (S.126).


ab Februar 1933
Schriftstellerei in der NS-Zeit
- 19.2.1933: Tagung in Berlin: "Das freie Wort" (S.115)
[- Spaltung der Schriftsteller].

Musik in der NS-Zeit
erlebt eine gewaltige Nachfrage, teils zur NS-Selbstdarstellung, teils zur Förderung grosser Musik der Vergangenheit:
- Marschmusik
- Feiermusik für nationale Feste
- patriotisches und volkstümliches "Liedgut" (S.118)

- Theodor W. Adorno (deutsch: Theodor Wiesengrund), Soziologe, Philosoph und Komponist, Halbjude, schreibt 1933 eine Huldigung an Schirach und Goebbels in der Zeitschrift "Die Musik", emigriert dann aber in die "USA" und bedauert beim Bekanntwerden seine Huldigung 1963 (S.101-102), es sei ein "dumm-taktisches" Verhalten gewesen (S.102).

Kunst und Ästhetik in der NS-Zeit: Ablehnen der "Moderne"
-- moderne Kunst ist naturfern und provokativ
-- Goebbels am 25.3.1933 über "moderne Kunst" vor den Intendanten und Direktoren der Rundfunkgesellschaften in Berlin: Die Moderne sei "... eine Kunst, die mit dem Volk eigentlich gar nichts mehr zu tun hat, gekauft und hingenommen von einer ganz kleinen Oberschicht ... So wie die Kunst das Volk verliess, so hat das Volk die Kunst verlassen." (S.188)
-- das Volk stimmt Goebbels herzlich überzeugt zu, denn die bisherige "moderne Kunst" ist dem Volk nichts wert (S.188)
-- Streben nach Realismus und Volkstümlichkeit nach der enttäuschenden "modernen Kunst" der Weimarer Republik, die menschenfern und naturfern ist (S.190)

Die NS-Diktatur definiert "entartete Kunst"
-- Hitler verfemt künstlerische Moderne und Avantgarde als "Kulturbolschewismus"
-- Hitler richtet über Kunst, als "entartet" verfemt werden u.a. Paul Cézanne, Giorgio de Chirico, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Wassily Kandinsky (S.190), Paul Klee, Oskar Kokoschka, Henri Matisse, Pablo Picasso

-- insgesamt werden rund  5000 Gemälde und Plastiken sowie rund 12.000 Graphiken beschlagnahmt und zur Versteigerung vorbereitet (S.191)
-- von Emil Nolde werden 1052 Arbeiten als "entartet" beschlagnahmt, dabei ist Nolde in der NSDAP (S.192)

-- die "artfremden" Künstler erhalten Schaffensverbot (S.191)
-- die Künstler der Weimarer Republik ertragen die Schmähungen von Goebbels, ertragen aber nicht, dass sie auch kein Publikum mehr haben und das Publikum sie ablehnt (S.188-189)

-- Emil Nolde (1867-1956): ist ein Expressionist, aber keiner Gruppe zuzuordnen, kräftige, kontrastreiche, grossflächige Aquarelle von Blumen und Landschaften; Nolde gibt der religiösen Kunst neue Impulse durch leuchtende Farben von eruptiver Ausdruckskraft; Schockierung der Öffentlichkeit durch seine dämonischen Menschenschilderungen, darunter auch Jesus.

 

Zum 60. Geburtstag erfährt er 1927 weite Anerkennung. Nolde ist Nationalist, Fremdenhasser, Antisemit, tadelt die "Süsslichkeit der Impressionisten, verurteilt den Kubismus und den Konstruktivismus. Nolde spricht den Juden pauschal den "Geist und Schöpfergabe" ab, beschuldigt die Juden, die Welt mit materialistischer Habgier zu vergiften: Juden seien ausser Stande, eine im deutschen Boden wurzelnde Kunst zu verstehen.

 

1933 begrüsst er die Machtübernahme Hitlers als Erhebung gegen die Macht der Juden, die in sämtlichen Künsten die Herrschaft an sich gerissen hätten. Nolde will der "deutscheste" aller Künstler sein, erwartet, dass er vom NS-Regime gefeiert wird. Aber Nolde (S.192) wird vom NS-Kampfbund für Deutsche Kultur unter Alfred Rosenberg als entartet bekämpft.

 

Schon 1930 werden Noldes Werke aus dem Weimarer Schlossmuseum entfernt. Goebbels selbst schätzt Nolde bis 1933, dann wird Nolde offiziell verpönt. Nolde hat aber seine Fürsprecher im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund NSDStB und bei der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude". 1937 wird Nolde auch von den "Verfechtern nordischer Art" geächtet (S.193).

Die NS-Diktatur etabliert eine neue "Volkskunst"
-- Versuch, eine neue Ästhetik zu entwickeln gemäss dem Verständnis von der "nationalen Revolution"
-- Bestreben, eine "Volkskultur" zu schaffen im Gegensatz zur proletarisch-revolutionären Kunst

-- Integrationsversuche von nicht verfemten Vorbildern (S.189)
-- die deutsche Bevölkerung fühlt sich wie von einem schweren Alpdruck befreit, kauft noch so gern die genehme Volkskunst (S.191).

1933-1945
Architektur im 3.Reich: "Neue Baukunst"
-- das Klischee behauptet, das Dritte Reich vertrete eine konservative Architektur zu ideologischen Zwecken in der NSDAP
-- stimmt nur zum Teil (S.197).
-- NS-Theorie der "Neuen Baukunst":
oo  ist ein Konglomerat verschiedener konservativer Strömungen, kein einheitliches Programm
oo  die Vorstellungen sind zu verschieden, gemein ist aber die ökonomische Funktionalität (S.195)

1. Monumentale Architektur
dient der Selbstdarstellung des NS-Regimes und der Lenkung der Massen
-- Formen und Proportionen sollen beeindrucken und einschüchtern, ein- und unterordnen für das 1000-jährige Reich (S.195)

-- Verwendung aller historischen Formen, die sich zur Darstellung der NS-Weltanschauung eignen, Zweck: mit vertrauten Architekturformen soll die NS-Überzeugungskraft gesteigert werden

-- der öffentliche Raum soll mit Herrschaftssymbolen erfasst werden, um die Allmacht der Partei zu demonstrieren (S.196)

2. Heimatschutzstil
bei Bauten des sozialen Lebens: Wohnungsbau, Schulungs- und Ordensburgen, Jugendherbergen, Kasernen

3. Sachlicher Stil
Industrie- und Kunstbauarchitektur, z.B. Brücken
-- Verzicht auf NS-Architekturinhalte
-- Verwirklichung modernster Konstruktionsweisen
-- Orientierung an den Formen des "Neuen Bauens" der Weimarer Zeit
-- es wird plötzlich alles deutsch, was eigentlich internationale Architektur ist (S.195).

Nazi-Architekten  gegen alte Architekten
Es existieren auch in der Architektur Betrug und Etikettenschwindel, Erpressungen und Abhängigkeiten Lehrer-Schüler, Erkenntlichkeiten, Kumpanei. Lehrer in Berlin ist z.B. Heinrich Tessenow, sein Schüler der NS-Star-Architekt Albert Speer und der Hitler-Fan Paul Schmitthenner, der gegen den NS-Staat mutiert, als er keine grossen Aufträge des NS-Regimes bekommt (S.197).

Ludwig Mies von der Rohe, bedeutendster Architekt und Leiter des Bauhauses in der Weimarer Zeit, gilt in der NSDAP als "Kulturbolschewist", versucht sich zu arrangieren:

-- 1933 Beteiligung am Bauwettbewerb für die Reichsbank, wird Mitglied der Reichskulturkammer

-- 1934 unterzeichnet er ein Treuebekenntnis der Kulturschaffenden zu Hitler mit anderen Künstlern, wird in die NS-Volkswohlfahrt aufgenommen

-- wird aber kaltgestellt und emigriert 1937 in die "USA" (S.198-199).

Februar 1933-1934
Danzig: Hermann Rauschning ist Präsident des Danziger Senats
Rauschning (1887-1982) (S.514)

Februar 1933-1945
Politische Emigration aus dem Dritten Reich
- Emigration politisch Verfolgter: ca. 30.000, von Kommunisten bis Konservative (S.411).

KZ im Altreich und Grossdeutschland als Staatseinrichtung
- zeitweilig oder dauernd werden mindestens 1,1 Mio. Menschen in KZs terrorisiert, darunter mindestens 100.000 Deutsche (S.411).

Volksgerichtshof VGH: Todesurteile und Vollstreckung
-- 11.881 Todesurteile vollstreckt, darunter sehr viele politische Delikte (S.411)
-- im Vergleich zu 90 Mio. Einwohnern erscheint die Zahl von 11.881 Tötungen gering, wirkt aber abschreckend genug, um Widerstand auf breiter Ebene unmöglich zu machen (S.411).

Stimmung bei Wahlen
-- mit Nein zu stimmen, gehört viel Mut, denn nur wer Nein stimmt, geht in die Wahlkabine
-- eine Nein-Stimme gegen die NSDAP ist nicht unbedingt ein Nein zu Hitler (S.388)
-- eine Nein-Stimme gegen die NSDAP kann auch gegen unpopuläre Gauleiter-Massnahmen oder gegen örtliche Parteiführer gerichtet sein (S.389).

Saarland: Auflösen der Mitte- und Rechtspartien, Bilden der "Deutschen Front" mit der Saar-NSDAP
mit Einschwenken der Bischöfe! (S.392)
Die Arbeit der NSDAP bleibt im Saarland durch die Völkerbundskommission stark behindert (S.392).

Kirche: Kollaboration für die "Nationale Sache"
Katholische wie protestantische Kirche stellen die nationale "Sache" über alles demokratische Recht (S.402).

Kirche: Nationalkonservative protestantische Kirche ist begeistert von Hitler
-- 62,7 Prozent der Reichsbevölkerung sind protestantisch
-- die protestantischen Kirchenführer haben eine nationalkonservative Grundhaltung
-- das Ende der Weimarer Republik ist für die protestantische Kirchenführer die Erfüllung ihrer Hoffnungen!
-- Hitler erscheint der protestantischen Kirche als Überwinder der "geistigen Anarchie" der Weimarer Zeit (S.405).

Kirche: Zulassen der Judenverfolgung durch die katholische und reformierte Kirche
-- der Protestantismus in Deutschland hat eine antijüdische Tradition
-- die protestantische Kirche in Deutschland sorgt sich um die "ausserordentliche Macht es Judentums auf (S.407) dem Geldmarkt und in geistiger Beziehung", befürchtet eine Zersetzung der Welt
-- die protestantische Kirche in Deutschland lässt sogar die Verfolgung von christlich konvertierten Juden zu (S.408).

[nicht erwähnt:
Die Kirche gewährt dem NS-Staat Zugang zu den Stammbüchern/Kirchenbüchern und lässt es zu, dass Halbjuden, Vierteljuden etc. definiert und verfolgt werden. in: Joachim Kahl: "DAS ELEND DES CHRISTENTUMS",  Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH (rororo), Reinbeck bei Hamburg, August 1968/1993, S.51].

Widerstand Kirche: Zeugen Jehovas bleiben im konsequenten Widerstand
sind unbeugsam und hart in ihrer Argumentation gegen das Regime:
-- nehmen die Bibel als Wort Gottes
-- ignorieren das 3.Reich
-- das Evangelium verbietet Blutvergiessen und befielt Nächstenliebe
-- Verweigern des Wehrdienstes
-- Verweigerung des Hitlergrusses, denn es ist der Missbrauch einer Heilsanrufung
-- Verweigerung jeden Eids auf Hitler

-- das Strafgesetzbuch ist für sie eine Anmassung
-- die Justizverfahren sind für sie rechtsungültige Gewaltakte
-- Verbreiten der Einstellung in Arbeitergruppen und alternativen Jugendgruppen
-- Anzahl Mitglieder: fast 10.000
-- verhaftete Mitglieder: 6019 (z.T. mehrmals)
-- zum Tode verurteilte Mitglieder: 252
-- vollstreckte Todesurteile: 203 (S.407).

NS-Idealisten bilden eine Art Fronde gegen die Gewalt im NS-Regime
Führer-Sekretär Martin Bormann ist bestrebt, "unbequem gewordene NS-Idealisten kalt zu stellen
-- die Idealisten sind sozusagen systemloyale NS-Opposition, Leute, die felsenfest von der Reinheit der NS-Idee überzeugt sind
-- die Idealisten halten an ihren Zielen fest trotz der wenigen ausfallenden Elemente
-- Warnungen werden von den Idealisten ausgeschlagen (S.417).

Widerstand in der NSDAP, SA, SS; HJ; Waffen-SS
-- es fehlen überzeugende Mentoren
-- es bleibt nur die Möglichkeit der Verdrängung oder des insgeheimen Komplotts, das aber nie zum Ausbruch kommt
-- Bormann und Himmler werden als Verderber einstiger Ideale angesehen
-- die innere NS-Opposition bleibt unorganisiert und rüstet sich für eine Endabrechnung, wenn der Krieg zu Ende ist (S.417-419).

Moskaus Verniedlichung Hitlers
Moskau unterschätzt die NSDAP, erwartet ab 1933 von Hitler, dass Deutschland heruntergewirtschaftet wird und ein bürgerkriegsähnliches Chaos ausbricht, das eine kommunistische Revolution begünstigt (S.398).

Beginnenden Zersetzung der SPD
-- keine Begeisterung mehr
-- reihenweise Austritte
-- SPD-Ortsvereine müssen schliessen
-- Emigration der SPD-Führer, u.a. der SPD-Ministerpräsident von Preussen: Otto Braun, der "Eiserne Otto" (S.395).

Serbeln der Zentrumspartei der Katholiken
-- hat z.T. die Weimarer Republik sehr abgelehnt und eine Koalition mit der NSDAP befürwortet
-- die Funktionsfähigkeit des Staates erscheint wichtiger als demokratisch-liberale Prinzipien (S.400).

Konservative sind für die NS-Diktatur
(S.411); [nicht erwähnt: und haben wahrscheinlich nichts dagegen, dass Linke und Kommunisten verfolgt und ermordet werden].

Die national-konservative Elite meint, Hitler sei eine politisch unvermeidliche Figur. Insofern ist die konservative Elite Hitler gegenüber loyal eingestellt. Man hofft, das NS-Regime könne durch Opposition im Innern entradikalisiert werden. Später erst merkt man, dass die Einstellung der Führungscliquenmitglieder kaum zu ändern ist (S.414).

Verbot der Kommunisten
(S.398-399), Zerschlagung. Kleine Gruppen existieren immer, sind aber infiltriert und kontrolliert (S.399).

Denunziantentum im NS-Staat: "Kleine Hitlers"
-- ein Denunziant will seine Ergebenheit beweisen, braucht nicht Parteimitglied zu sein (S.370)
-- 25 % der Vorgänge bei der Gestapo erfolgen durch Anzeige aus der Bevölkerung
-- u.a. werden private Konflikte unter Gestapo-Einschaltung "bereinigt"

-- das Netz der V-Männer des SD zur Denuntiation ist ein weit gefächertes Netz der Gestapo, demoskopische Umfragen sind unmöglich (S.369)

-- zur Überwachung von Personen werden auch Treuhänder der Arbeit, Arbeitsämter, Wirtschaftskammern und Führungsstäbe der Wirtschaft eingespannt

-- die Furcht vor der Gestapo durchdringt alle Schichten, weil bei jeder Bemerkung das KZ droht, obwohl über die KZs  meist nichts Genaues bekannt ist, somit steigt die Angst noch mehr

-- der "Idealismus für die grosse Sache" lässt viele bei politischer Denunziation als "Aktivisten" Mitmachen

-- das moralische Richten wird sehr verbreitet, fast zur Sucht durch Testen der Moral bei Sammlungen, "freiwilligen" Spendenaktionen, Beflaggungen und Gemeinschaftsaktionen (S.370)

-- es entstehen die "kleinen Hitlers", Spiesser als Unterführer, als Zellen- oder Blockleiter, die ihre Aggressionen ausleben und bei denen Härte gegen NS-Kritiker als patriotische Pflicht gilt und belobigt wird (S.371).

Die Mitglieder der NSDAP
-- Mitglieder sind Leute aller Gesellschaftsschichten (S.368).
-- wer leitende Stellung hat und den NSDAP-Eintritt ablehnt, gilt häufig als Aussenseiter, wenn nicht gar als Saboteur des "nationalen Aufschwungs"

-- Zwang zur NSDAP-Mitgliedschaft besteht nicht
-- wegen Unzuverlässigkeit wird in manchen Fällen die NSDAP-Mitgliedschaft wieder aberkannt (S.368).

Beitrittsmotive:
-- gewandelte politische Überzeugung
-- Beitritt, um "Schlimmeres zu verhüten"
-- die Leute wollen nicht gekündigt werden bzw. ihren Posten nicht NS-Fanatikern abgeben
-- die Leute wollen mitreden können und Fanatismus verhindern
-- die Mitgliedschaft ist Mittel, um Aufstiegschancen zu verbessern
-- Beitritt aus Angst vor Repressalien (S.368).

ab Februar 1933?
Darré wird Reichsbauernführer und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft
(S.285)

Das Verschweigen des Terrors
-- das blutige Unrecht wird nicht wahrgenommen
-- das blutige Unrecht wird bagatellisiert
-- von NS-Gegnern und den Terroropfern spricht man "taktvollerweise" nicht mehr, denn diese gelten als "Weimar-Bankrotteure"
-- Zerbrechen von Freundschaften aus politischen Gründen
-- Entstehen von Feindschaften und Schikanierungen (S.369).

Die Unfähigkeit, das Unrecht des NS-Staates zu bekämpfen
-- Widerstand wäre moralische Pflicht, aber die oppositionelle Gesinnung muss verborgen werden vor dem Gestapo-Spitzeltum und vor der dauernden KZ-Drohung (S.371)
-- Widerstand ist lebensgefährlich, denn das NS-Regime bestimmt sozusagen den dauernden Ausnahmezustand

Die Mitläufer des NS-Staat
-- bilden einen erheblichen Teil des Fundaments einer Diktatur
-- sind z.T. Idealisten der NSDAP-Gründerzeit
-- die Mitläufer ermöglichen erst das NS-Regime, weil sie aus Opportunismus mitmachen, um dann persönliche Vorteile zu nutzen (S.371)
-- die Gefahr, zum Komplizen des Regimes zu werden ist gross
-- die Erfindungen, Tricks und Verlockungen unter Hitler sind dermassen schlagend, dass dem fast alle erliegen, z.T. geniale Einfälle
-- jeder hat gute Gründe, sich anzupassen, ist Opportunismus pur, mit Handeln gegen die eigenen Wertvorstellungen und Überzeugungen (S.372).

Karajan als NS-Opportunist
-- Karajan dirigiert im NS-Staat ab 1929 in Ulm, ab 1935 in Aachen als Generalmusikdirektor, ab 1938 in Berlin
-- Karajan sagt 1945 aus, er sei bei der Ernennung zum Generalmusikdirektor 1935 der NSDAP beigetreten
-- Tatsache ist aber, Karajan ist schon 1933 der NSDAP beigetreten, in Salzburg und in Ulm gleichzeitig
-- ein Parteibeitritt ist Überzeugung, zwei Parteibeitritte sind Opportunismus
-- die Berliner Philharmoniker haben nur 8 NSDAP-Mitglieder, 7,3 % (S.373).

Hetzblatt "Stürmer" treibt zum Judenhass
- der "Stürmer" ist nun Antreiber zu immer neuen antijüdischen Massnahmen
- der "Stürmer" schafft ein Klima der Einschüchterung, stellt Personen bloss, die für Juden arbeiten, die bei Juden einkaufen, die Freundschaften zu Juden aufrechterhalten
- der "Stürmer" denunziert Mitglieder von NS-Organisationen
- der "Stürmer" inszeniert eine "Hexenjagd"
- der "Stürmer" bleibt in der NSDAP umstritten, wird zweimal sogar verboten (S.377).

Februar/März 1933?
Schliessung aller Zentren und Organisationen zur Geburtenkontrolle
um die Geburtenrate anzukurbeln (S.223).



März 1933

März 1933
Die Industrie lehnt das NSDAP-Arbeitsbeschaffungsprogramm erneut ab
durch den DIHT (Deutscher Industrie- und Handelstag) (S.210).

2.3.1933
Propaganda gegen die Demokratie durch Arbeitervereine
z.B. durch das Organ des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute "Stahl und Eisen" am 2.3.1933: Die neue Reichstagswahl habe nur einen Sinn, wenn sie die letzte sei und "auf Wahlstimmen keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen sei." (S.60)

(in: Lotte Zumpe: Wirtschaft und Staat in Deutschland 1933-1945, Berlin Ost /Vaduz 1980)

5.3.1933
Reichstagswahl
-- einen Tag zuvor setzt sich der preussische Ministerpräsident Otto Braun (SPD) nach Ancona in die Schweiz ab
-- die NSDAP hat ihre Wahlbombe
-- die SPD fängt an zu kippen (S.395).

Wahlen
-- demokratische Parteien: 33,0 %
-- antidemokratische Parteien ohne Splitterparteien: 65,8 % (S.40).

Das Volk nimmt sich die Freiheit, sich aus der Krise und Unsicherheit heraus der Demokratie zu berauben. Die Gefühle sind auf Volksgemeinschaft und auf Diktatur gerichtet (S.40).

Wahlen: 43,9 % für Hitlers NSDAP
(S.267,79)



Tabelle: Wahlen im Dritten Reich vom 5.3.1933

Bemerkung

NSDAP

43,9  % -- dies ist das höchste Wahlergebnis einer einzelnen Partei seit 1870/1871
-- trotz einer Spitzen-Wahlbeteiligung von 88.8 % bekommt die NSDAP nicht über 50 %
-- Hitler hat keine absolut Mehrheit, sondern 56,1 % gegen sich (S.79)

SPD

18,3 % geringe Verluste von 20,4 auf 18,3 % (S.80)

KPD

12,3 % verliert von 16,9 auf 12,3 % (S.80)

Zentrumspartei

12,2 % steigt leicht von 11,9 auf 12,2 % (S.80)

DNVP

8 % -- unter Hugenberg, von Papen und Stahlhelm-Führer Franz Seldte
-- das beste Ergebnis seit 1930 (S.82)

-- einzelne Länder haben NSDAP-Mehrheiten, u.a. nun auch im katholischen Bereich Süddeutschlands, z.T. neue NSDAP-Hochburgen (S.79-80)
-- Schwenken vieler WählerInnen von der KPD auf die NSDAP (S.79-80)
-- die Parteien der Mitte werden bedeutungslos

-- in Bayern schafft die NSDAP in ärmlichen agrarisch-katholischen Gebieten den Durchbruch (S.81).
-- NSDAP in protestantischen Gebieten: 48 % (1932: 43 %)
-- NSDAP in katholischen Gebieten: 35 % (1932: 23 %) (S.81).
- Hitler hat mit der DNVP die absolut Mehrheit (340 von 647 Mandaten)
- Hitler in der Wahlnacht: "Solange der alte Herr [Hindenburg] lebt, werden wir die Bande [DNVP] nicht los" (S.82).

Die seelische und materielle Not der Hitler-Wähler
-- entwurzeltes Bürgertum
-- arbeitslose Arbeiter
-- solche, die nichts mehr zu verlieren haben (S.42).
-- die NSDAP hat von allen nicht-marxistischen Parteien den relativ höchsten Arbeiter-Anteil (S.49).

Die gleichzeitige preussische Landtagswahl
2/3 des Reichsgebietes, 3/5 der Reichsbevölkerung: im Wesentlichen dieselbe Stimmverteilung wie bei der Reichstagswahl (S.82).

5.3.1933 ca.
Bankier Felix Somary warnt Schacht vor einer neuen Völkerschlacht unter Hitler
Bankier Felix Somary (1881-1950), prophezeit seinem Freund Hjalmar Schacht im März 1933 brieflich eine "neue Völkerschlacht bei Leipzig, wo sich die Russen mit Engländern, Franzosen und "Amerikanern" zum gemeinsamen Kampf gegen Deutschland treffen." (S.136)

ab 5.3.1933
Gewaltakte gegen Gewerkschaftsbüros
-- allgemeiner Effekt: Zerfallsprozess bei den Gewerkschaften
-- neue Linie der Gewerkschaften:
oo  Kollaboration mit der NSDAP, um zu überleben
oo  Selbstgleichschaltung und Trennung von der untergehenden SPD (S.268).

Frühlingsanfang 1933
Einberufen des neu gewählten Reichstag in der Garnisonskirche Potsdam ohne SPD und KPD
die einfach nicht eingeladen werden. Der Trick der Einberufung in der Garnisonskirche ist von Goebbels und folgt der Einberufung des ersten Reichstags des preussisch-deutschen Kaiserreiches vom 21.3.1871 durch Otto von Bismarck. Goebbels und Hitler geben vor, sie handelten gemäss der "Tradition" (S.85).

7.3.1933
Gesetz zur Gleichschaltung der Länder - Legalisierung des SA-Terrors
Die Legalisierung des Terrors, wird nachträglich verabschiedet, um den preussischen Terror in den anderen Ländern rechtlich abzusichern: Hamburg, Bremen, Schaumburg-Lippe, Hessen, Baden, Württemberg, Sachsen, Bayern. Die Reichskommissare werden in Reichsstatthalter umbenannt (S.83).

Die SA hat nun die Rechtsgrundlage für den Terror in allen Ländern. Widerstand regt sich nicht (S.83).

12.3.1933
Kommunalwahlen in Preussen
-- die NSDAP hat häufig über 50 %
-- die SPD bleibt unter 20 %
-- die KPD bekommt bis zu 40 %
-- die NSDAP wird stärkste Partei in allen Grossstädten ausser in Aachen, Essen und Oberhausen (S.83).

Der Terror Preussens auf die übrigen Länder - die Gleichschaltung
Das Rechtsgefühl ist in vielen deutschen Ländern lebendig genug, so dass keine bürgerkriegsmässigen Gewaltakte ablaufen. Goering ändert dies mit preussischen Reichskommissaren in den anderen Ländern, gestützt auf die Reichstags-Notverordnung. Das Ganze nennt sich Gleichschaltung (S.83).

12.3.1933
Abschaffen der Republiksfahne schwarz-rot-gold
die "marxistisch besudelt" sei, durch Erlass des Reichspräsidenten. Aussetzen des Art. 5 der Reichsverfassung. Neue Bestimmung:

"Bis zur endgültigen Regelung der Reichsfarben" sind "die schwarz-weiss-rote Fahne (des Kaiserreiches bis 1918, HJE) und die Hakenkreuzfahne gemeinsam zu hissen."

Das traditionelle Symbol steht für die "ruhmreiche Vergangenheit des Deutschen Reiches".
Das neue Symbol steht für "die kraftvolle Wiedergeburt der Deutschen Nation." (S.86)

-- die Hakenkreuzfahne wird Vorschrift auf allen öffentlichen Gebäuden, wird somit faktisch zur Reichsflagge erhoben (S.83).

Reaktion der konservativen Kreise:
-- akzeptieren nur mit Widerwillen die Gleichberechtigung des Hakenkreuzes als Flagge des 3.Reiches
-- behaupten, es sei Verfassungsbruch (S.86).

Die Gleichschaltung - die falschen Erwartungen der Bevölkerung

-- die Gleichschaltung wird im Volk mehrheitlich als nationale Integration verstanden und bedeutet gleichzeitig das Ende des Föderalismus (S.83)

-- die Bereitschaft, gleichgeschaltet zu werden, ist im Volk grossenteils vorhanden

-- z.T. Anpassung an NS-Ideen, um dadurch dem Druck des Terrors zu entgehen und so Erleichterungen erwirken zu können

-- Umkehren vieler labiler Menschen ins NSDAP-"Schiff"

-- die Fehler und Gefahren durch die NSDAP werden verniedlicht

-- z.T. wird man NSDAP-Mitglied, nur um berufliche Vorteile zu erhoffen

-- die Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert leichtfertig die NS-Ziele und NS-Praktiken, in kaiserlicher Tradition der Befolgung der Obrigkeit mit Schlagworten wie Ordnung, Disziplin, Ruhe etc. (S.84)

-- Verhaftungen von Andersdenkenden entspricht der anti-revolutionären Tradition (S.84)

-- Hitler schafft die Gleichschaltung in drei Monaten, wofür Mussolini 3 1/2 Jahre brauchte (S.84).

13.3.1933
Goebbels wird Minister für "Volksaufklärung" und "Propaganda"
Die Wirkung von Goebbels auf seine Mitmenschen ist gleichzeitig abstossend wie faszinierend, denn er gibt ein total zweischneidiges Erscheinungsbild:

-- Streben (S.86) nach Erlösung durch Vernichtung anderer
-- in Goebbels stecken gleichzeitig weinerliches Selbstmitleid und brutale Härte (gemäss Analyse der Goebbels-Tagebücher von Historikerin Elke Fröhlich) (S.87).

15.3.1933
Weitere Propaganda für den Nationalsozialismus: 52 % sind nicht genug
Goebbels verkündet vor der Presse, die Regierung sei mit den 52 % nicht zufrieden, man werde die übrigen 48 % nicht terrorisieren, sondern man wolle sie für sich gewinnen:

"Wir wollen die Menschen so lange bearbeiten, bis sie uns verfallen sind." (S.87)

Die Lügen von Goebbels haben gemäss Sprichwort "kurze Beine", im Fall von Goebbels mit seinem Klumpfuss "ein kurzes Bein", so der Volksmund, denn er hat einen Klumpfuss [und blond ist er auch nicht...] (S.87).

17.3.1933
Hjalmar Schacht wird Reichsbankpräsident
(S.213). Schachts Trick zur Verschleierung der geheimen Aufrüstung: die Erfindung einer Wechselbank:
-- Arbeitsbeschaffungswechsel
-- dann Rüstungswechsel
-- dann: Aufteilung der Wechsel in Abschnitte, so kann sich die Laufzeit bis auf 5 Jahre erstrecken (S.216).

Die Rüstungswechsel: die Metallurgische Forschungsgesellschaft (Mefo) von Hjalmar Schacht
-- Gründung bzw. Erfindung der Mefo in Berlin mit Gründungskapital von 1 Mio. RM (das ist sehr wenig!)
-- alle Rüstungswechsel sind Mefo-Wechsel auf die Metallurgische Forschungsgesellschaft gezeichnet, die die einzige Aufgabe hat, die Wechsel zu akzeptieren
-- Kapitalgeber an die Mefo sind Konzerne, Krupp AG, Siemens AG, Gutehoffnungshütte AG, Rheinmetall AG
-- Vorstandsmitglieder der Mefo: ein Vertreter der Reichsbank und ein Vertreter des Reichswehrministeriums

-- Mefo-Personal: sind Reichsbankangestellte
-- weil die Mefo nur durch die hinter ihr stehende Reichsbank "gut" ist, garantiert sich diese faktisch die Wechsel selbst, dies im Interesse der Industrie und Banken, die ihr Geld in solchen Wechseln mit 4,0 bis 4,5 % verzinst anlegen. Dadurch gehen bis 31.3.1938 rund 12 Mrd. RM in die Aufrüstung
-- Hitler höhlt die Währung so total aus, um später Krieg führen zu können (S.216).

Hitler verschleiert die Aufrüstung vor dem Volk
-- keine Steuererhöhungen
-- der private Verbrauch wird niedrig gehalten, denn es sind zu wenig Ressourcen da, um Rüstung und Konsum zu befriedigen

-- es gelingt jahrelang, einen überproportional wachsenden Staatsanteil am Bruttosozialprodukt mit einem höheren privaten Verbrauch zu vereinbaren
-- die Bilanzen werden dem Volk in Form von Statistiken präsentiert, die mit Unsicherheiten behaftet sind (S.218).

Nur wenige Eingeweihte wissen, dass das NS-Wirtschaftswunder im Dienst der Kriegsvorbereitung steht
Eitner:
"Wenige Eingeweihte wissen: Hitler will in den Friedensjahren nicht abstrakt das Bruttosozialprodukt erhöhen und den Wohlstand des Volkes mehren. Das NS-Wirtschaftswunder steht, für Hitler, im Dienst der Kriegsvorbereitung."

[nicht erwähnt: Seit 1927, seit der Publikation des 2. Teils von Mein Kampf ist der ganzen Weltöffentlichkeit in 16 Sprachen bekannt, dass Hitler einen Krieg um "Lebensraum" gegen Russland führen will, wo alle Kriegspläne genau beschrieben stehen. Die Formulierung Eitners "nur wenige Eingeweihte wissen" ist falsch].

20.3.1933
Das erste KZ: Dachau
(S.87)

21.3.1933
Einführen der Schnelljustiz: Sondergerichte
-- die "Sondergerichte" werden bei allen Oberlandesgerichten eingerichtet
-- keine gerichtliche Voruntersuchung
-- kein normaler Rechtsweg
-- keine Rechtsmittel gegen die Entscheide möglich
-- Bruch des Artikels 107 der Reichsverfassung ("Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden").
-- starke Tätigkeit dieser Sondergerichte (S.87).

21.3.1933
Gründung des Dritten Reiches in Potsdam: "Tag von Potsdam" als Gründungsfeier
-- in der Potsdamer Garnisonskirche
-- Hitler will sich eine weihevolle Legitimation verschaffen für sein späteres Wirken
-- Hitler will sich das Vertrauen und Gehorsam von Bürgern, Verwaltung , Polizei und Reichswehr sichern
-- Hitler will so den Widerstand seiner politischen Gegner lähmen
-- Hitler verschleiert seine Staatsstreichabsichten (S.88).

Potsdam:
-- aus allen Fenstern wehen Fahnen, meist schwarz-weiss-rote
-- die Strassen sind ausgeschmückt mit Willkommensgrüssen für Hitler und Hindenburg
-- viele Sonderzüge, grosser Auflauf (S.88)
-- SA-Absperrmannschaften in brauner Uniform
-- Widerspruch bei der älteren Bevölkerung
-- Hitlers Gebaren: Kleidung in schwarzem Zylinder und "Cut" (?), bürgerliche Ehrbarkeit darstellend
-- Hindenburg mit allen Orden und mit Marschallstab

-- Hitler verneigt sich öffentlich vor Hindenburg und vor der Garnisonskirche barhäuptig
-- das Foto dieser Geste geht um die Welt, ist ein von Hitler gewollter, täuschender Eindruck (S.89).
-- die Fahnen der alten preussischen Regimenter sind in der Garnisonskirche aufgehängt, mit Lorbeerkränzen versehen

-- die konservativen und bürgerlichen Honorationen sind tief bewegt
-- in der ehemaligen Kaiserloge steht ein leerer Sessel für den abgedankten Kaiser von 1918, was noch tiefergehenden Effekt hat (S.89)
-- Glockenspiel der Garnisonskirche alle halbe Stunde: "Üb' immer Treu und Redlichkeit bis an das kühle Grab." (S.93)

Der Staatsakt von Potsdam
-- Gottesdienst in der Potsdamer St.Nicolai-Kirche, mit Glockengeläute in ganz Potsdam
-- Predigt zum Bibeltest "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein" (Römer 8,31), ist derselbe Text wie bei der Reichstags-Eröffnung am 4. August 1914 zu Kriegsbeginn (S.89)

-- Hindenburg hat einen Ehrensitz, erhöht über der Gruft der zwei "Soldatenkönige"
-- leises Orgelspiel, Gesänge des Staats- und Domchors (Choral: "Nun danket alle Gott")
-- Bekenntnis zu den gestaltenden Kräften der Vergangenheit, zum Frieden nach aussen und zur Einheit nach innen, zu Christentum und Preussentum (S.90).

-- Ansprache von Hindenburg: Aufruf zum Segen eines geeinten, freien, stolzen Deutschlands

-- Ansprache von Hitler: kein Wort des Hasses auf die Gegner, kein Wort von Rassenideologie, keine Drohungen nach innen oder aussen, beschwört die Neu-Erhebung des deutschen Volkes, beschwört Mut und Beharrlichkeit, Freiheit und Grösse zu Füssen der Bahre seines (des Volkes) grössten Königs" (Friedrich der Grosse)

-- Abschluss mit niederländischem Dankgebet, leise gesungen
-- Salutschüsse beim Austritt aus der Kirche (S.90)
-- Hindenburg wird bewundert beim Austreten, Hitler geht beinahe unter (S.91)
-- die Nationalen von Hugenberg treten praktisch gar nicht in Erscheinung, Hugenberg verliert mehr und mehr an politischem Einfluss (S.94).

Die Wirkung des Tages von Potsdam
-- das nationale Gefühl macht einen Meilenstein vorwärts
-- das nationale Gefühl ist im Aufbruch
-- das Ansehen von Hitler nimmt zu

-- das Zeichen in Wochenschauen in den Kinos hat starke Wirkung auch auf Hitlers Gegner
-- das Vertrauen in Hindenburg wird nun automatisch auf Hitler übertragen
-- die Zeremonie fördert die Illusion optimal, das Täuschungsmanöver Hitlers und Goebbels mit Chorälen und Armeefahne ist absolut gelungen (S.91)

-- Hitlers Taschenspielerei verfängt, das Volk sieht nur das, worauf Hitler die Aufmerksamkeit lenkt, Hitler ist der Taschenspieler mit weltweit am meisten Publikum (S.92).

21.3.1933
Amnestie der Potempa-Mörder
(S.58)

23.3.1933
Ermächtigungsgesetz Hitlers (S.95): "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich"
-- Hitler verlangt vom Reichstag per Gesetz 4 Jahre volle Handlungsfreiheit ohne Rücksicht auf die nur relative Mehrheit im Parlament (S.95)
-- ohne Rücksicht auf die verfassungsmässige Begrenzung der Exekutive
-- Hitler will den Reichstag ausschalten und die Verfassung selbst ausser Kraft setzen (S.96).

Hitlers Regierungserklärung zum Ermächtigungsgesetz
"Das Volk lebt nicht für die Wirtschaft, und die Wirtschaft existiert nicht für das Kapital, sondern das Kapital dient der Wirtschaft und die Wirtschaft dem Volk." (S.212)

Die Handlungen der anderen Parteien
-- alle wissen, Hitler wird sich die Ermächtigung notfalls mit Gewalt verschaffen und einen "Staatsnotstand" inszenieren
-- die Zentrumspartei gibt Hitler nach im Glauben, dass Widerspruch die Gefahren doch nicht aufhalten werde
-- die Zentrumspartei meint, durch Anpassung könne Schlimmeres verhütet werden (S.96).

Reichstagsabstimmung zum Ermächtigungsgesetz
-- 444 Ja-Stimmen
-- 94 Nein-Stimmen der SPD
-- Ja stimmen auch die Ex-Reichskanzler Joseph Wirt, Heinrich Brüning und Franz von Papen (S.96).

Reden zum Ermächtigungsgesetz
-- SPD-Vorsitzender Otto Wels (1873-1939): hält eine würdige, zurückhaltende Oppositionsrede
-- Hitler: gibt die Versicherung, dass die Rechte des Reichspräsidenten nicht berührt würden und dass die Parteien unbehelligt bleiben
-- allgemeine Stimmung: Es herrscht die Hoffnung, dass eine Diktatur doch noch abgewendet wird (S.96).

Die Ja-Sager
-- verzichten darauf, in einem geschichtlich bedeutsamen Augenblick sich als unerschrockene und tapfere demokratische Charaktere zu bewähren
-- verzichten darauf, für die Demokratie zu kämpfen
-- machen sich zu NS-Komplizen (S.97-98).

Die Wirkung des Ermächtigungsgesetzes
-- das Ermächtigungsgesetz ist das "vorläufige Verfassungsgesetz des neuen Deutschland" und das Grundgesetz der NS-Diktatur (S.98)
-- Hitler hat Vollmachten: regiert ohne Parlament
-- Aufheben der Rechte des Reichspräsidenten als Kontrollinstanz
-- Hindenburg ist froh und meint, endlich sei alles "geregelt", von ihm ist kein Einspruch mehr zu erwarten (S.98)
-- die Demokratie ebnet der Diktatur "legal" den Weg (S.98).

SPD: Die SPD kippt endgültig (S.395)
-- SPD-Mitglieder werden  in KZs misshandelt oder "auf der Flucht erschossen"
-- eine Gruppe von SPD-Mitgliedern hat die Vorstellung, Hitler sei nur eine Episode
-- eine andere Gruppe von SPD-Mitgliedern geht ins Exil
-- die verbleibende Restgruppe der SPD und des SPD-Vorstands geht auf den Hitler-Kurs ein, tritt aus der "Sozialistischen Internationalen" aus und grenzt jüdische Mitglieder aus (S.396).

24.3.1933
Die Aufbruchstimmung nach dem Ermächtigungsgesetz
-- es herrscht eine Volksstimmung wie beim Kriegsausbruch 1914, nationales Hochgefühl und Einmütigkeitsempfinden
-- Gefühl der nationalen Wiedergeburt
-- die Aufbruchstimmung wird die wichtigste Machtgrundlage für den kommenden Führerstaat (S.100)
-- Hoffnungen: nach Wiedergewinnung nationaler Grösse, nach einer besseren, ordentlicheren Gesellschaft

-- Glaube: daran, dass jetzt eine wirkliche Volksherrschaft beginnen würde, verbunden mit ehrlicher Freude und einem richtigen Aufatmen

-- Jubel: über das neue Reich, keine Verleugnung der kaiserlichen Vergangenheit mehr, ein richtiger Freudentaumel, auch durch Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler in Hymnen ausgedrückt (S.100): Preisen des Reiches als Erfüllung geschichtlicher Sehnsüchte (S.101).

Die Meinung der Liberalen und des Auslands
-- die liberalen oder das ehemals liberale Bürgertum meint, dass Hitler der rechte Mann auf dem rechten Weg sei
-- diese Meinung herrscht auch ausserhalb Deutschlands (S.101).

Ergründung der intellektuellen Mitläuferschaft
-- die Intellektuellen geben ihren Idealismus dem NS-Reich dar
-- die Intellektuellen haben Angst vor Widerspruch, es herrscht Gesinnungslosigkeit, Dummheit, Mitläufertum.

Folge:
-- die Legitimationsbasis für Hitler existiert auch bei den Intellektuellen
-- es kommt bis 1934 zu Anbiederungsversuchen, sogar Huldigung im Juni 1934 durch Theodor W. Adorno (alias: Theodor Wiesengrund, 1903-1969, mit einem jüdischen Elternteil) (S.101).

ab 24.3.1933
Gleichschaltung in den Universitäten
Die Universitäten betreiben die Gleichschaltungsgedanken und den Antisemitismus gründlicher, als sie müssten:
-- die Studenten sind aktive Wegbereiter des Nationalsozialismus
-- Entlassungen beim Lehrkörper, Amtsenthebungen
-- vorzeitige Pensionierungen politisch oder rassistisch missliebiger Kollegen (S.102).

28.3.1933
Kirche - Papst: Fuldaer Bischofskonferenz gibt seine Warnungen und Verbote gegen die NSDAP auf
-- Bischofskonferenz unter Vorsitz des Breslauer Kardinals Adolf Johannes Bertram
-- "Kundgebung über Kirche und Nationalsozialismus" nach "päpstlichem Hinweis"
-- Parteibeitritte werden erlaubt
-- die katholische Kirche fordert auf zur "Treue gegenüber der rechtmässigen Obrigkeit"
Folge: Aus katholischen Kreisen ist keine Opposition mehr möglich (S.401).

ab März 1933
Die wichtige Rolle der Gauleiter bei der Machtübernahme
Sie sind Element der Stabilisierung der Parteiherrschaft im ganzen Land (S.163).

März/April 1933
Betriebsratswahlen: NSDAP- und andere Rechts-Kandidaten erhalten insgesamt etwa 25 %
75 % bleiben Gewerkschaftsvertreter (S.267). Das Wahlergebnis wird offiziell nie bekanntgegeben, ist eine Schmach für Hitlers Clique (S.267).

März/April 1933
Preussen hat 25.000 Personen in Schutzhaft
(S.74)



April 1933

April 1933
Zentrumspartei: Vorsitzender Ludwig Kaas setzt sich nach Rom ab, Joseph Wirth nach Luzern
Die führenden Personen schleichen sich davon. Folge:
-- das Zentrum kippt
-- die Zentrum-WählerInnen sind orientierungslos (S.401).

April 1933 ca.
Kirche: Münchner Kardinal Michael von Faulhaber begrüsst Hitlers Ordnungsstaat
(S.402)

1.4.1933
Der Boykottaufruf gegen jüdische Geschäfte ist ein Misserfolg
(S.378) Der Boykott soll jüdische Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte betreffen. (S.260). Der Boykottaufruf ist durch Goebbels und Streicher organisiert mit Zustimmung Hitlers, Durchführung durch die SA. Der Boykott-Tag ist ein Misserfolg. Viele Deutsche starten später Sympatiekäufe und lehnen das NS-Vorgehen ab (S.378). Die grosse Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt ein pogromartiges Vorgehen gegen Juden ab (S.379).

4.4.1933
Verbot weiterer Betriebsratswahlen
da Hitler von der Arbeiterschaft Gegenwehr gegen seinen Kurs befürchtet (S.267)

parallel dazu:
Razzien in Arbeitervierteln, durch SA, SS, Gestapo, Schutzpolizei, oft mit Feuerwehr und Technischer Nothilfe:
-- Abriegelung von Arbeitervierteln
-- Hausdurchsuchungen Haus für Haus mit Beschlagnahmungen:
oo  sozialistische wie humanistische Literatur
oo  Fussbälle der Arbeitersportvereine
oo  Musikinstrumente des Posaunenchors
oo  Organisationskarteien
oo  illegale Papiere
oo  manchmal: Waffen

-- Begleiterscheinung: Drohungen, Demütigungen, Schläge, Festnahmen, manchmal spontane Rachefeld- (S.267) züge der SA gegen SPD/KPD-Hochburgen (S.268).

7.4.1933
Judengesetze
Es folgt kein Widerstand der deutschen Bevölkerung, sondern sogar breite Zustimmung. Mitleid würde sofort Verdacht provozieren. Es folgt aber private Hilfe für verfolgte Juden in Verstecken, 3000 allein in Berlin (S.379).

10.4.1933
Gesetz zum 1. Mai: Der 1. Mai wird bezahlter Feiertag
(S.268)

10.4./31.5.1933
Hitler produziert Auto-Sucht: Aufheben der Kraftfahrzeugsteuer
Folge: Die Nachfrage bei der Automobilindustrie mit Kraftfahrrädern steigt enorm (S.211).

16.4.1933
Kirche: Die protestantische Kirche der Altpreussischen Union erklärt den Sieg der "nationalen Erhebung"
Man spricht von einer "grossen Wende" (S.405).

24.4.1933
Benn propagiert den NS-Staat
-- Hauptziel sei das Auflösen des Gegensatzes von Arbeitnehmer und Arbeitgeber
-- dafür sei nun die Geistesfreiheit für den Staat aufzugeben
-- viele Literaten legen ihr Bekenntnis zu Deutschland ab
-- Benn, Leiter der Sektion für Dichtkunst der Preussischen Akademie der Künste betreibt den Ausschluss vieler "unerwünschter" Mitglieder

-- Säuberung von allen "liberal-reaktionären" Schriftstellern (S.109)
-- Rundfunkvortrag von Benn: Abrechnung mit der liberalen und individualistischen Ära, Benn huldigt Hitlers "sozialistische Volksgemeinschaft" als "historische Grösse" (S.110).



Mai 1933

1.5.1933
Erstmalig Nationalfeiertag 1. Mai
-- Aufruf zu Schaffensmut und freudiger Lebensbejahung (S.268)
-- Umfunktionieren des 1. Mai zum "Feiertag der nationalen Arbeit"
-- die Feier hat grosse Wirkung auf Arbeiter, die bisher im gesellschaftlichen Abseits leben (S.269)

-- die Gegendemonstration der Sozialisten zum 1. Mai wird kaum vermerkt
-- zum ersten Mal marschieren an offiziellen Mai-Kundgebungen Arbeitgeber hinter den Arbeitern mit

-- Hitler vereinigt am 1. Mai in Berlin viele Schwankende auf sich
-- Ausstrahlung einer unheimlichen Faszination durch nächtliche Kundgebungen auf dem Tempelhofer Feld (S.269).

2.5.1933
Zerstörung aller Gewerkschaftsbüros durch SA- und NSDAP-Funktionäre
-- kein Widerstand
-- offener Beifall im Bürgertum, bei den Unternehmern, bei der Reichswehrführung (S.270)
-- Hauptsorge von Hitler bleibt, wie er die grosse Arbeiterschaft für sich gewinnen kann (S.270), die doch über 46  % der Erwerbstätigen ausmacht (S.267)

-- Hitler braucht die Arbeitskräfte für die Erfüllung des Vierjahresplan-Programms, Voraussetzung dazu ist die Überwindung des Klassenkampfes durch die Deutsche Arbeiterfront unter Robert Ley
-- Ley hat viele Schwächen, wird aber von den Unternehmen unterschätzt (Organisationsbegabung, politische Zielsicherheit)

-- die NS-Propaganda betont die Gleichrangigkeit von Hand- und Kopfarbeit (S.273)
-- Hitler erfindet eine Kombination von Zwang und Lähmung, Bestechung und Befriedung [Zuckerbrot und Peitsche]
-- Hitler strebt allgemein danach, die Arbeitslosigkeit in den Städten zu verringern (S.270)
-- Hitler projektiert eine Zugangssperre für Städte (S.271).

3.5.1933
Das NS-Sozialwerk "Nationalsozialistische Wohlfahrt" (NSV) wird zur Parteiorganisation erhoben
mit Zuständigkeit zu allen Fragen der Wohlfahrt und Fürsorge (S.322).

6.5.1933
Verdächtigungsparagraph: Tatverdacht als Verurteilungsgrund
Der Verdächtigungsparagraph ist Basis des permanenten Zustands des Terrors durch die "politische Polizei":

"Personen, die unter dem Verdacht staatsfeindlichen Verhaltens stehen, dürfen nicht aus der Untersuchungshaft entlassen werden, auch wenn kein dringender Tatverdacht mehr besteht, sondern sie sind der politischen Polizei zu übergeben, die allein über die Dauer der U-Haft zu befinden hat." (S.179)

Die Praxis des "Verdächtigungsparagraphen": Die SS lässt Leute aus der U-Haft verschwinden
-- Leute, die nach einem Freispruch aus der U-Haft entlassen werden, werden an den Ausgangstüren von SS-Leuten ("Himmlersche Heerscharen") erwartet und vor den Augen ihres Anwalts neu verhaftet und in Keller oder Lager der SS abgeführt, oft für immer
-- Verurteilte, die ihre Haft abgesessen haben, verschwinden erneut im SS-Imperium (S.179)
-- NS-Juristen nennen die "SS-Heerscharen" eine "Korrektur der bürgerlichen Justiz" (S.180).

[nicht erwähnt:
Vorbild für diese Praxis scheint das kommunistische Gulag-System zu sein, mit dem der sowjetische Geheimdienst in derselben Weise agiert].

10.5.1933
Gründung der deutschen Arbeiterfront (DAF) unter Hitler
Beteiligte:
-- diplomatisches Korps
-- Länder-Ministerpräsidenten
-- SA, SS u.a. (S.270)

Ziele der DAF: "Volksgemeinschaft"
-- eine "Volksgemeinschaft" bilden, in der Klassenkampf und Streikrecht überflüssig sind, Interessensgegensätze von Arbeit und Kapital ausgleichen
-- "Versöhnung" zwischen Arbeit und Kapital
-- die Strategie des Friedens zwischen den Klassen ist auch für die Unternehmer attraktiv (S.336)
-- die DAF ersetzt die Gewerkschaften (S.336).

Tabelle: Neudefinitionen in der Betriebswirtschaft bei der DAF
Definition in der Weimarer Republik Definition bei der DAF im Dritten Reich

Unternehmer

Betriebsführer, "Soldaten der Arbeit" Hitlers

Arbeitnehmerschaft

Gefolgschaft,  "Soldaten der Arbeit" Hitlers (S.275)

Betriebsrat

Vertrauensrat

Betrieb

Werkgemeinschaft (S.337)


Der "Burgfriede" für die Werkgemeinschaften im 3.Reich
-- Betriebsführer haben die Fürsorgepflicht gegenüber den ArbeiterInnen
-- die Gefolgschaft hat die Treuepflicht gegenüber den Betriebsführern
-- dies ist der "Burgfriede" unter Hitlers Regie, in Kopie der Vereinbarung vom 2.8.1914, die aber nur von wenigen Beteiligten gesehen wird (S.275).

Weitere Einschränkungen werden erlassen
-- beim Recht auf Freizügigkeit
-- bei der freien Wahl des Arbeitsplatzes
-- bei der Wahl des Berufes (S.275)
-- Einschränkung des Arbeitgebers, keine Allein-Entscheidungs-Befugnisse mehr
-- die NSDAP sieht den Betriebsführern z.T. streng auf die Finger (S.338)

"Leitung" der DAF: Robert Ley (1890-1945)
-- Ausbreitung einer enormen Korruption in der DAF
-- Hitler deckt die Korruption, lässt aufklärerische Elemente nicht zu Wort kommen
-- Arbeitsverträge werden durch staatspolitische Regelungen ersetzt
-- das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird zu einer "Gemeinschaft mit öffentlich-rechtlichem Charakter", der Betrieb wird zur "Urzelle des sozialpolitischen Aufbaus"
-- Parole: "Betriebsgemeinschaft" (S.337).

Tätigkeiten der DAF ausser Korruption
-- soziale Betreuung der Gefolgschaft
-- Schulung und Berufserziehung
-- Gewährung von Unterstützungen
-- Rechtsberatung und rechtliche Vertretung von Arbeitnehmern
-- Forderung der Siedlung
-- Mitwirkung an der Sozialverwaltung
-- Freizeitgestaltung (KdF) und kulturelle Förderung (S.338).

Eingliederung der DINTA in die DAF
(S.309)

Ordensburgen unter Robert Ley
Errichten von Ordensburgen durch Robert Ley in schwer zugänglichen Landschaften für die Heranbildung des Nachwuchses für die höhere Parteienschaft. Vorbild ist die Tradition des deutschen Ritterordens und deren Ordensburgen:
-- in Crössingsee (Ostpommern)
-- in Sonthofen (Allgäu)
-- in Vogelsang (Nordeifel) (S.199).

Zahnrädchenschleifen in der Ordensburg
Die Teilnehmer sind jeweils 1000 junge Männer ("Junker") für ein Jahr, ausgewählt von Kreisleitern, Gauleitern und Ley selbst:
-- rigorose Disziplin
-- bei schon geringfügigen Verstössen erfolgt Zwangsfasten (S.199-200).

Architektur der Ordensburgen
-- Architekt aller drei Ordensburgen ist Clemens Klotz (1886-1955)
-- Vogelsang hat die grösste Turnhalle der Welt
-- Sonthofen hat einen 200 m langen marmornen Speisesaal für 1500 Gäste
-- Crössingsee ist in einer Seenlandschaft (S.200).

10.5.1933
Die gewollte Bücherverbrennung: Aktion "gegen den undeutschen Geist"
-- Bücherverbrennungen auf dem Berliner Opernplatz
-- Bücherverbrennungen finden auch in vielen anderen Universitätsstädten statt
-- die Bücherverbrennung in Würzburg erfolgt sogar mit Begleitmusik der Reichswehr-Kapelle
-- Vorbereitung der Aktion durch Studenten, Bibliothekare und Wissenschaftler
-- der Gemeinschaftsgeist zählt mehr als jede Individualität
-- die "Intelligenz" enthauptet sich selbst
-- ähnliche Aktionen hat es schon gegeben bei der Inquisition, beim Wartburgfest (S.103).

Huldigungen der Bücherverbrennung
(S.103):
-- allgemein wird die Bücherverbrennung als ein Akt der "Reinigung" und "Läuterung" verteidigt
-- die Bevölkerung über die Bücherverbrennung: Es sei ein Akt der Revolution und muss nicht stärker beachtet werden (S.104).

Literaturhistoriker und Dichter Ernst Bertram (1884-1957): Weihespruch auf die Bücherverbrennung

"Verwerft, was euch verwirrt,
verfemt, was euch verführt!
Was reinen Willens nicht wuchs,
in die Flamme mit, was euch bedroht!" (S.104)

Bonn: Literaturhistoriker Hans Naumann (1886-1951) bei der Bonner Bücherverbrennung
-- Aussage, es müsse eine Fremdherrschaft abgeschüttelt werden
-- Aussage: "Von einer Besetzung des deutschen Geistes werden wir uns befreien." (S.104)

Goebbels über die Bücherverbrennung
-- "Das alte liegt in Flammen ... Aber aus diesen Trümmern wird sich siegreich erheben der Phönix eines neuen Geistes" ...
-- Abschluss seiner Rede mit Worten von Ulrich von Hutten (1488-1523):
"Oh Jahrhundert! Die Studien blühen, die Geister erwachen, es ist eine Lust zu leben!"
-- Ächtung der "jüdischen und zersetzenden Asphaltliteratur." (S.104)

ab 10.5.1933
Resignation der linken Intelligenz
Beispiel: Kurt Tucholsky, Radikalpazifist, Journalist und Schriftsteller (1890-1935), seit 1929 in Schweden, 1933 ausgebürgert und verfemt, begeht 1935 Selbstmord (S.110).

12.5.1933
Gesetz: Einrichtungssperre für alle Einzelhandelsgeschäfte
(S.260).

13. und 16.5.1933
Ausgabe einer "Schwarzen Liste" für verbotene Bücher
durch den Börsenverein der deutschen Buchhändler. Folgen:

-- Entfernung verbotener Bücher aus den Bibliotheken
-- keine Beschlagnahmungen in Buchhandlungen
-- die verbotenen Bücher sind in den Buchhandlungen unter Verschluss zu halten
-- es gehört zum "guten Ton", besser kein Buch als ein unerlaubtes zu lesen
-- die Literaturkontrolle erstreckt sich in der Regel nicht bis in die Familie
-- der Borromäus-Verein (ein katholischer Bücherverein mit Ziel, gute Bücher zu vermitteln, Volksbüchereien zu gründen) erleidet fast gar keine Reduktion des Bücherangebots (S.105).

[kaum je erwähnt:
Auch die Alliierten führen ab 1945 Listen der verbotenen Bücher].

17.5.1933
Hitlers Friedensbeteuerung
Hitler:
"... Die deutsche Regierung wünscht sich, über alle schwierigen Fragen mit den Nationen friedlich auseinanderzusetzen ..." (S.134).

19.5.1933
Abschaffen der Tarifautonomie
Die Tarife gehen nicht in die Hände der DAF, sondern zu den neuen staatlichen "Treuhändern der Arbeit": Reichsbeamte, die dem Reichsarbeitsministerium unterstellt sind (S.274).



Juni 1933

Sommer 1933 ca.
Abrüstungskonferenz  [in Genf?]: Frankreich verweigert Deutschland weiter die Gleichberechtigung
-- England schlägt vor, Deutschland solle erst nach 4-jähriger Übergangszeit voll gleichberechtigt sein
-- Hitler ist mit dieser Hinhaltetaktik nicht einverstanden (S.389).

Juni 1933
Die Warenhäuser stehen vor dem Zusammenbruch
-- Schulden der Warenhäuser bei der Industrie und den Banken: 800 Mio. RM
-- nochmaliges Stützen der Warenhäuser, dann Restriktion (S.261).
-- neues Prestige der Warenhäuser bis 1939 kommt unerwartet: Sie helfen mit, die Abneigung gegen "Ersatzstoffe" zu überwinden (S.261).

Oswald Sprengler prophezeit das "Barbarentum"
in seinem Buch "Jahre der Entscheidung":
"Das uralte Barbarentum ... wacht wieder auf ... Wir stehen vielleicht schon dicht vor dem zweiten Weltkrieg ...2 (S.136).

1.6.1933
Familienpolitik und Familienpropaganda
Propaganda der NSDAP:
-- die Familie sei Grundlage des Staates
-- Propagieren der moralischen Werte: Nicht zu heiraten oder kinderlos zu bleiben gilt als verwerflich oder zumindest als bemitleidenswert
-- NS-Leitbild: 4-Kinder-Ehe
-- der statistische Durchschnitt liegt aber nur bei knapp 2 Kindern (S.219).

Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit: staatliches Ehestandsdarlehen bis 1000 RM
-- staatliche Absicherung der Familie für Familien, deren Ehegatten "rassisch einwandfrei" sind

-- junge Brautleute können nach ärztlicher Feststellung ihrer Ehetauglichkeit bei Heirat den erheblichen Gegenwert von bis zu 1000 RM als zinsloses Darlehen für Möbel und Hausrat erhalten

-- die Frau muss in den vergangenen 2 Jahren mindestens 6 Monate erwerbstätig gewesen sein und mit der Heirat ihre Arbeit beenden, so dass (S.219) die Stelle für einen Mann frei wird

-- die Frau darf erst nach Rückzahlung des Darlehens wieder arbeiten (S.220)

-- Ausgabe des Darlehens in Bedarfsdeckungsscheinen, so dass der Industrie die Aufträge gesichert werden (S.219)

-- Rückzahlung des Darlehens pro Monat 1 %, oder Abschreiben des Darlehens mit 25 % pro Kind: Bei 4 Kindern wird das gesamte Darlehen erlassen bzw. "abgekindert" (S.220)

-- Ziel Hitlers: Gebrauchen der künftigen Jahrgänge für die riesigen militärischen und zivilen Aufgaben des deutschen Weltreiches (S.220).

Ehestandsdarlehen in der Praxis: 1/4 der Paare nutzen es
-- viele Frauen wollen ihre Arbeit nicht aufgeben
-- bis 1937 machen nur 25,5 % der Brautpaare (179'653 von 702'303 Brautpaaren) vom Ehestandsdarlehen Gebrauch (S.220).

Weitere Stützung der Familien
-- verlängerte Bezugsdauer für Waisenrenten
-- verlängerte Sozialversicherungs-Zuschläge bis zum 18. Lebensjahr bei Schul- und Berufsausbildung
-- wesentliche Steuerermässigungen und Wohnungshilfen bei Kinderreichtum (S.221).

Hitlers Ziel: Gebrauchen der künftigen Jahrgänge für die riesigen militärischen und zivilen Aufgaben des projektierten deutschen Weltreichs (S.220).

Scheidungsrecht wird vereinfacht
Ziel: Die Menschen sollen Kinder zeugen. Die Strategie des NS-Staat: lieber eine Scheidung erleichtern und dann neue, gesunde Ehen und Kinder ermöglichen, als zerrüttete Ehen beibehalten (S.221).

Unterhalt
-- wenn der Ehemann schuldig ist , muss der Ehemann die Frau so unterstützen, "wenn sie kein genügendes Einkommen aus Vermögen hat und nicht erwartet werden kann, dass sie ihren Lebensunterhalt verdienen kann."
-- wenn die Ehefrau schuldig ist, muss die Frau dem Ehemann Unterhalt zahlen, wenn dieser sich nicht selbst unterhalten kann (S.222).
-- der Mann wird von Verpflichtungen gegenüber seiner Ex-Frau befreit, wenn er eine neue Familie gründet (S.222).

Die Scheidung wird oft angewandt, 1933-1938 jährlich 43.000-50.000 (S.221).

Mutterschutz: existiert bis 1942 nicht (S.225).

Abtreibung: "Minderwertige" können straflos abtreiben...
-- wird nur bei unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Schwangeren erlaubt, sonst bei Todesstrafe verboten
-- wird bei "minderwertiger Rasse" straflos durchgeführt: Juden, Zigeuner, Angehöriger nicht nordischer Volksgruppen (S.226).

Uneheliche Kinder: Folgen lindern
-- ab 1933 Steuerermässigung für ledige Mütter und für alleinstehende Frauen, die Kinder adoptieren
-- 1937 dürfen ehelose Mütter mit "Frau" statt mir "Fräulein" angeredet werden (S.226).

1.6./21.9.1933
Erstes Arbeitsbeschaffungsprogramm durch Hitler
Hitlers Ziele:
1. schnelle Beseitigung der Arbeitslosigkeit, damit der Masseneinfluss des NS-Regimes erhalten und verstärkt wird

2. Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze (Ausbau und Entwicklung neuer Industrien) ist wichtig, nicht nur Arbeitsplätze mit manuellen Tätigkeiten schaffen

3. das ganze Arbeitsbeschaffungsprogramm soll die Militarisierung der Volkswirtschaft und somit die militärische Stärke Deutschlands zum Ziel haben (S.212).

Durchsetzung des Arbeitsbeschaffungsprogramm gegen die Wünsche und Interessen der Industrie:
-- das Programm ist massgebend gestützt durch den Staatssekretär des Reichsfinanzministeriums, Fritz Reinhardt (1895-1969)

-- Förderung von Bauwirtschaft und Autobahnbau (S.211)

-- vorübergehende oder dauernde Steuererleichterungen, dadurch Anregen der Nachfrage, so höhere Steuereingänge bei den Unternehmen (S.211).

2.6.1933
SPD: Etablierung einer neuen SPD-Parteileitung ehemaliger Vorstandsmitglieder in Prag
-- Gründung einer neuen Zeitung "Neuer Vorwärts" am 18.6.1933
-- Aufruf: "Zerbrecht die Ketten!" (S.396).

19.6.1933
SPD: Hitler-SPD bekämpft die Prager Emigranten-SPD
Reaktion der Hitler-SPD am 19.6.1933 (S.396): lehnt jede Verantwortung für alle Äusserungen des Prager Emigrations-Vorstandes über den NS-Terror ab und erkennt ihm die Parteimandate ab (S.397).

22.6.1933
SPD-Verbot - Untergrund
Hitler erklärt die SPD zur "staats- und volksfeindlichen Partei", verbietet der SPD jede weitere Betätigung (S.397).

Aufbau illegaler Tätigkeit im Untergrund durch die Sozialistische Arbeiterjugend SAJ und durch den Internationalen Sozialistischen Kampfbund ISD. Das NS-Regime kann diese Kreise aber zerschlagen (S.397).

27.6.1933
Gesetz über die Errichtung des Unternehmens Reichsautobahnen
Umfang: 600 Mio. RM. Hitler übernimmt damit die Papen/Schleicher-Pläne und erweitert diese (S.211).



Juli 1933

Ein Schläger wird Polizeipräsident in Wuppertal - Massenmord an NS-Gegnern in Berlin
-- Wuppertal: Schläger und Standartenführer Veller (1896-1941) wird Polizeipräsident
mit 14 Vorstrafen bis hin zu Todschlag- und Mordversuch

-- Berlin-Köpenick: Verhaftung von mindestens 200 NS-Gegnern, später Anschwemmen von Toten in Säcken im Spree-Nebenfluss Dahme, darunter der Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin Johannes Stelling und Reichsbanner-Führer Paul von Essen (S.?)

(in: Eberhard Aleff: Das Dritte Reich, Hannover 1983).

1.7.1933
Beschluss eines Transfer-Moratoriums gegenüber allen Gläubigern des 3.Reichs
(S.239)

2.7.1933
Saarland-Kommunalwahlen: NSDAP bei rund 35 %
(S.392).

5.7.1933
Zentrumspartei: Selbstauflösung
Der politisch organisierte Katholizismus verschwindet
[bzw. geht noch im selben Monat in der NSDAP auf, die mit Rom ab 20.7.1933 ein Bündnis hat].

14.7.1933
Rassenhygiene-Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
Letztes Mittel ist die Euthanasie, im NS-Sprachgebrauch als "Gnadentod" bezeichnet (S.223), in der deutschen Bevölkerung z.T. sehr befürwortet (S.224).

Gesetz zur "Neubildung deutschen Bauerntums"
(S.286)

15.7.1933
Gesetz zur Errichtung von Zwangskartellen im 3.Reich
widerspricht direkt dem NSDAP-Parteiprogramm vom 24.2.1920:
-- es werden noch grössere Kartelle als zur Weimarer Zeit möglich
-- Kartelle sind für Hitler eine glänzende Grundlage für staatliche Lenkung von Investitionen, Produktion und Preisen
-- die Kartelle werden für das NS-Regime nützlich

-- die Propaganda behauptet, die Kartellierung sei eine Notmassnahme zur Überwindung der Krisenfolgen (S.257)
-- Umwandlung von freiwilligen Kartelle im mittelständischen Gewerbe in Zwangskartelle
-- Kleinbetriebe und Aussenseiter werden an die Kartelle angeschlossen
-- Fusionierungen, Begünstigung grösserer Betriebe, Schliessung zahlreicher kleiner Betriebe (S.257)

-- das Kartellgericht bestraft kleine Unternehmen, die ihre Leistung/Ware billiger anbieten als die Kartellpreise, Begründung: unlauterer Wettbewerb (S.258)

-- die Förderung des Mittelstands gemäss NSDAP-Programm Punkt 16 kommt nicht zustande, weil Hitler für seine Kriegsziele starke Industriekonzerne braucht, somit Abwürgen der Mittelstandsorganisationen der Partei (NS-Kampfbund, Auflösen am 8.8.1933) (S.258)

-- wegen der Aufrüstung verringern sich die kleinen Unternehmen im 3.Reich noch stärker als in der Weimarer Republik (S.259).

20.7.1933
Kirche: Reichskonkordat mit dem Papst
Das Konkordat mit dem Papst verschafft Hitler "internationale Respektabilität" (S.401)

[Damit hat Hitler zusammen mit dem Transfer-Moratorium alle ausländischen Regierungen "weich" gemacht].

ab Juli 1933  ca.
Stimmungsentwicklung: Die Begeisterung reisst die Zweifler mit
-- vor Hitler kuschen vor allem Bürgerliche, sind von den Nazis bestochen (Reichsbankpräsident Hans Luther (S.105), Otto Meissner u.a. (S.106)

-- die Bevölkerung verwirklicht eine "égalité" und "fraternité", daraus eine "liberté" im Gefühl der absoluten Gleichheit, keine Standesunterschiede mehr, und das ist vielen einfachen Menschen wichtiger als die auf dem Verfassungspapier garantierten politischen Rechte [und Minderheitenrechte] (S.106)

-- die Zweifler werden mitgerissen in der Hoffnung (S.106) und Freude, durch Parolen, neuen Rhythmus, durch die volkstümliche Sprache, durch den frohen Gesang, durch den Schwung und die leidenschaftlichen Bekenntnisse

-- die ganze Volksmasse gerät in Bewegung, in ein Gefühl einer neuen Brüderlichkeit, die die trübe Vergangenheit der Weimarer Republik vergessen lässt (S.107).

Stimmung für Hitler: Die katholischen Kirchenführer
Prominente katholische Theologen wie Josef Adam Lortz (1887-1975) und Michael Schmaus (geb. 1897) sehen Gemeinsamkeiten zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus [!]
- Lortz verkündet die Erkenntnis "grundlegender Verwandtschaften zwischen Nationalsozialismus und Katholizismus"
- Schmaus: Im "Nein zum Liberalismus" seien Katholizismus und Nationalsozialismus "durchaus gleichgerichtet
- Schmaus: der "Wille des Staates verkörpert sich im Führer" (S.107).

Stimmung für Hitler: Die protestantischen Theologen
-- Neutestamentler Gerhard Kittel (1888-1948) in Tübingen, seit 1933 NSDAP-Mitglied (S.107), lehnt die Assimilierung der Juden ab, denn "die Juden" würden das Volk sonst in die Dekadenz führen
-- Kittel befürwortet einen "Gastzustand" der Juden, Separierung ohne Bürgerrechte, aber keine Befürwortung des rüden SA-Antisemitismus

-- Pastor Martin Niemöller (1892-1984) vergleicht die Weimarer Republik mit "14 Jahren Finsternis"
-- Otto Dibelius, einer der profiliertesten Kirchenführer und Generalsuperintendent der Kurmark, äussert die These: Nicht das Volkstum, sondern das Gottesreich ist die evangelische Verkündigung. Folgen:

oo  er verleugnet die Gräueltaten, sogar gegenüber der "amerikanischen" Seite
oo  Dibelius fordert die Reichsregierung auf, Massnahmen gegen "die Juden" als die "unerfreulichsten Elemente" zu ergreifen (S.108).

Stimmung für Hitler: Die Schriftsteller
Schriftsteller Gottfried Benn (1886-1956)

-- postuliert ein "Endstadium der weissen Rasse im Nihilismus" [also: Die weisse Rasse habe in der Weimarer Republik ihr "Endstadium" erlebt]

-- Benn veröffentlicht eine Erklärung mit Appell zur nationalsozialistischen Angleichung (Bekenntnisschreiben) und zur "loyalen Mitarbeit ... im Sinne der veränderten geschichtlichen Lage" (13.3.1933)

-- Benns Erklärung wird von vielen Schriftstellern mitunterschrieben (S.108).

Exil-Protest gegen Hitler von Thomas Mann
-- Thomas Mann empört sich, dass Gerhart Hauptmann nicht aus dem Verband austritt (S.109)
-- Hauptmann hat gemäss Thomas Mann am Tag der Arbeit die Hakenkreuzfahnen auf seinem Haus hiessen lassen, obwohl Hauptmann von Juden "gross gemacht" worden sei
-- Hauptmann, der bedeutendste Bühnendichter der Weimarer Republik, emigriert nicht, was vom NS-Regime propagandistisch ausgeschlachtet wird (S.110)

ab Juli 1933
Der Hitler-Gruss wird Standardgruss für alle Deutschen
-- ist ein Zeichen der Regime-Bejahung
-- ist ein Zeichen der Konformität
-- die Verweigerung des Hitler-Gruss ist ein Zeichen der Nonkonformität
-- in Süddeutschland behält das vertraute "Grüss Gott" die Oberhand (S.369).



August 1933

1.8.1933
Einführung des Reichsarbeitsdiensts (RAD) für alle deutschen Studenten 1.-4. Semester
verpflichtet zu 10 Wochen Arbeitsdienst (S.326).



September - November 1933

13.9.1933
Neugründung des Winterhilfswerks durch Goebbels
unter dem Motto: "Keiner soll hungern, keiner soll frieren!": Verbilligungsscheine für den Kauf von Brennstoffen, Kartoffeln, Brot und Fleisch (S.324).

Gesetz über den Reichsnährstand (RNSt)
-- Organisation des so genannten "Reichsnährstand" (RNSt), der Erzeuger, Händler, Be- und Verarbeiter der ganzen Nahrungsmittelindustrie zusammenfasst
-- Formulierung einer umfassenden landwirtschaftlichen Marktordnung
-- Vorschreiben eines öffentlichen Zwangskartells
-- Reichsbauernführer Darré wird Vorsteher des RNSt

-- Grossbauern werden  Landes-, Kreis- und Ortsbauernführer mit erheblichen Befugnissen (S.288)
-- Aufhebung der Marktwirtschaft für die Landwirtschaft, bei guter Ernte werden Schleuderpreise verhindert, bei schlechter Ernte können keine Horrorpreise verlangt werden

-- die Bauern haben lieber die "NS-Zwangsjacke" als den rauen Wind der freien Marktwirtschaft
-- die Industrie will nur kauffähige Bauern für die Landmaschinen (S.289)

Langsame Entschuldung der Bauernbetriebe bis 1938
(S.289-290) durch Stützungsmassnahmen:
-- Verbilligung künstlicher Düngemittel
-- erhöhte Abgabepreise
-- verstärkte Mechanisierung, geplant: hofübergreifend, aber die Mechanisierung kommt nur bei einer Minderheit der Bauernbetriebe zustande, viele sähen weiter von Hand und pflügen mit Pferd und Ochse (S.290)

-- die Erlöse steigern sich von 1932 - 1938 um 67 % auf 10,7 Mrd. RM, womit das Ergebnis von 1928 übertroffen wird

-- die Landwirtschaft wird auf Kosten der Millionenmassen der städtischen VerbraucherInnen saniert (S.290)

-- Hitler betreibt die Sanierung der Landwirtschaft mit dem Hintergedanken der Autarkie für den Krieg, denn eine Wirtschaftsblockade wie 1914-1918 soll nie mehr Erfolg haben (S.291).

21.9.1933
Gemeinde-Umschuldungsgesetz
Sanierung der Gemeinden durch zinsgünstigere, langfristige Kredite (S.231).

Widerstand: Martin Niemöller gründet den "Pfarrernotbund"
-- 17.000 Pastoren werden Mitglied, etwa 1/3 (S.405)
-- Widerstand in Form moralischen Widerstands in einzelnen Gruppen (S.406).

ab 21.9.1933
Kirche: Spaltung der Pastoren
-- 1/3 der Pastoren gehört zu den Regime-treuen "Deutschen Christen"
-- 1/3 der Pastoren  wartet ab
-- 1/3 der Pastoren wendet sich dem Pfarrernotbund von Martin Niemöller zu (S.405).

25.9.1933
Beginn des Reichsautobahnbaus: Hitler macht den ersten Spatenstich
Die Autobahnen sind "Strassen des Führers" (S.320). Leitung: Generalinspektor für das deutsche Strassenwesen: Dipl. Ing. Fritz Todt (1891-1942) (S.321).

-- die Autobahnen sollen eine eigene "Ästhetik" haben
-- mit Anpassung an Natur und Stil der Landschaft, mit Landschaftsarchitekten als Berater
-- Blendschutzbepflanzungen, Wiederherstellung von Waldrändern (S.320)
-- Geraden und Krümmungen sollen (S.320) im Sinne harmonischer landschaftlicher Gestaltung und für ermüdungsfreies Fahren aufeinander abgestimmt sein (S.321).

[nicht erwähnt:
Eine Autobahn ist etwas derart lärmend und gefährlich trennend lebensfeindliches, das kann man nie in die Natur "anpassen"].

29.9.1933
Ldw.: Reichserbhofgesetz: Beschluss der Enterbung der Miterben zugunsten des erstgeborenen "Anerben" gemäss Erblinie/Blutreinheit
-- Stabilisierung der Schuldenlast der Erbhöfe auf Kosten der enterbten Bauernkinder (meist in Ostpreussen, Pommern, Schleswig-Holstein, Oldenburg)

-- sofern die "Blutsreinheit" der Besitzer bis 1. Januar 1800 und damit die SS-Fähigkeit "der Brüder und Söhne des Erbhofbauern nachgewiesen ist, werden die Erbhöfe dem Zugriff der Gläubiger und Käufer entzogen. Sie sind grundsätzlich unveräusserlich, unpfändbar, unbelastbar." (S.286)

Das Erntedankfest wird "Ehrentag des deutschen Bauern" - Goslar wird "Reichsbauernstadt"
Folgen des Gesetzes:
-- enterbte Bauernsöhne werden in die Stadt zum Arbeiten gelenkt
-- die Gutsbesitzer und Kleinbauern müssen sich Landwirte nennen
-- die Grossgrundbesitzer haben weniger Schutz, dafür mehr Freiheiten
-- Proklamierung der Stadt Goslar zur "Reichsbauernstadt" (S.286)

-- Proklamierung des Erntedankfestes zum "Ehrentag des deutschen Bauern"
-- jährliche Zentralkundgebung auf dem Bückeberg bei Haeln/Niedersachsen
-- Hitler wird Hauptfigur für die Bauernschaft, empfängt die Erntekrone

-- das Bauerntum erhält unter den Berufsständen eine völkisch verklärte Sonderstellung zuerkannt, was seinen Eindruck bei den Bauern nicht verfehlt

-- Propagieren der Mittel- und Kleinbauernbetriebe besonders im Osten Deutschlands, um noch grössere Verstädterung verhindern, die Verstädterung nimmt aber z.T. trotzdem zu durch Grossgrundbesitz und Generalität (S.287).

Herbst 1933
Noch kein gefestigtes Vertrauen in die deutsche Wirtschaft
-- die NS-Herrschaft ist "stabilisiert"
-- noch kein solides, gefestigtes Vertrauen in die Wirtschaftspolitik
-- die Geldgeber sind noch nicht bereit, ihr Geld in grösserem Umfang langfristig anzulegen (S.202).

Herbst 1933-1938
Erfolge Hitlers in der Wirtschaftspolitik
sind unleugbar.
-- erst jetzt gewinnt Hitler "9/10 aller Deutschen für sich", so meint Golo Mann
-- die Massenarbeitslosigkeit ist beseitigt
-- Sicherstellung eines langen und stetigen Anstiegs (S.202)
-- die Hitler-Diktatur gibt nach aussen den Eindruck einer massvollen, planmässigen Politik, am Ende fast Vollbeschäftigung
->> die Beobachter meinen, es sei alles ins Lot gebracht (S.202).

[Aber: Die "Beobachter" haben nicht gründlich genug beobachtet...]

Vergleich mit anderen Staaten:
-- Frankreich setzt seine Krise bis 1939 fort
-- GB und "USA" geraten ab 1937 in eine neue Rezession (S.202).

Die Schubkraft des deutschen Aufschwungs
Die Sichtweise Hitlers:
-- der Staat stellt der Privatwirtschaft die Aufgaben
-- löst die Privatwirtschaft die Aufgaben nicht, so wird Hitler eingreifen, somit: dauernde Drohung der Verstaatlichung und dauernder Missbrauch der Wirtschaft für Hitlers Zwecke (S.204).

Förderung der Arbeit:
-- umfangreiche staatliche Aufträge
-- staatliche Investitionen
-- staatliche Subventionen und Garantieleistungen (S.203).

Hitler kann "erben" und neu entwickeln:
-- Hitler kann Projekte der früheren Reichskanzler Papen und Schleicher übernehmen (S.203)

-- Hitler hat zunächst eine schwache, dann eine riesige Mehrheit der Deutschen hinter sich, volles Vertrauen im Gegensatz zur Politik in der Weimarer Republik, die das Vertrauen verspielt hatte (S.203)

-- kein Staatskapitalismus, keine Planwirtschaft, keine Verstaatlichung der Wirtschaft, sondern: Hitler verstaatlicht das Volk
-- vorliberal, merkantilistisch, spätkapitalistisch, monopolistisch, alle Gegensätze auf einmal
-- im Kern "eine staatlich umfassend gelenkte, privatwirtschaftliche, monopolitische Wirtschaft" (S.204).

(in: Dieter Swatek: Unternehmenskonzentration als Ergebnis und Mittel nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik, Berlin 1972).

Hitlers Wirtschaftswissen
-- rasches Erfassen der wichtigen Ökonomieaspekte
-- in der NSDAP ist noch keine Wirtschaftskonzeption vorhanden
-- Eitner: "Hitler schwankt sein Leben lang zwischen Improvisation und Planung"
-- ein wirtschaftspolitisches Konzept ist nur in Umrissen vorhanden (S.205), vorhanden sind nur Ziele und Grundsätze (S.206).

Vorteil: keine dogmatische Gebundenheiten, Flexibilitäten
-- Vorteil gegenüber Liberalen, Sozialisten und Marxisten), oft überraschende Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit
-- Eitner: "Das Miteinander von Revolutionären und traditionellen Mitteln macht den Nationalsozialismus für viele Deutsche und Ausländer attraktiv." (S.206)

Ziel ist ein hoher Lebensstandard unter einer straffen, zentralisierten Diktatur und der Erhalt des Lebensstandard
-- Hitler versetzt damit fast alle sozialistischen Staaten (S.206)
[-- Hitler spielt dem Ausland vor, ihre Investitionen seien gut investiert]
-- ein innenpolitisches Konzept ist nur in Umrissen vorhanden (S.205-206), vorhanden sind nur Ziele und Grundsätze (S.206).

1.10.1933
Einführen des Eintopfsonntags durch das Winterhilfswerk
Einmal im Monat soll am Sonntag auf Fleisch verzichtet werden und Eintopf gegessen werden und das so gesparte Geld soll dem WHW gespendet werden.
Folgen:

-- die Parteisammler verschaffen sich Zugang zu jeder Familie
-- Politisierung des Sonntagsessens
-- das Sonntagsessen wird zum Akt der Zustimmung oder Ablehnung gegenüber dem NS-Regime

-- für viele ist der Eintopf Ausdruck der Zusammengehörigkeit und "Volksgemeinschaft"
-- die Sammlungen werden bis 1941/1942 fortgeführt und so Kaufkraft abgeschöpft (S.324)
-- Mittel zur Knebelung: Spendenabzeichen, Spendenlisten, "freiwillige" Lohn- und Gehaltsabzüge der Arbeitnehmer zugunsten des WHW
-- die Leute sammeln WHW-Abzeichen wie Briefmarken: Die Abzeichen sind aus Metallen, Hölzern, Stoffen u.a. Materialien (S.325).

14.10.1933
Austritt Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz
wegen verweigerter militärischer Gleichberechtigung (S.389)

Schriftsteller-Gelöbnis auf Hitler nach dem Austritt aus dem Völkerbund
Nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund veranstalten 88 prominente Dichter und Schriftsteller vor Hitler selbst ein "Gelöbnis treuester Gefolgschaft":

u.a. Gottfried Benn, Rudolf G.Binding, Arnolt Bronnen (alisa: Arnold Bronner), Hermann Claudius, Otto Flake, Hanns Franck, Gustav Frenssen, Friedrich Griese, Carl Haensel, Max Halbe, Rudolf Herzog, Rudolf Huch, Oskar Loerke, Walter von Molo, Börries von Münchhausen, Eckart von Naso, Helene von Nostitz-Wallwitz, Josef Ponten, Anton Schnack, Friedrich Schnack, Wilhelm von Scholz, Lothar Schreyer, Ina Seidel, Lulu von Strauss und Torney, Eduard Stucken, Bruno (Erich) Werner Süsskind, etc. (S.116).

Folgen:
-- grosses Aufsehen im In- (S.115) wie im Ausland (S.116)
-- es ist der Glaube an eine neue Epoche der Weltgeschichte
-- durch das Bekenntnis wird das NS-Regime gestärkt (S.116).

ab 14.10.1933
Schriftsteller sind gespalten, z.T. Emigration und innere Emigration
-- das Regime missbraucht diesen Glauben an eine neue Epoche für seine eigenen Zwecke
-- wenige, aber dann rigorose Austritte aus den Schriftstellerverbänden
-- viele publizieren unpolitisch weiter, es ist die Erduldung eines erzwungenen Schweigens, man mogelt sich durch, z.T. ohne Namensnennung (S.118).

-- Erich Kästner (1899-1974), offiziell verfemt, von Goebbels aber geschätzt, darf unter dem Pseudonym Berthold Bürger das Drehbuch zum UFA-Jubiläum-Farbfilm "Münchhausen" schreiben (1943), danach erneutes Schreibverbot für Kästner (S.114).

-- Bernhard von Brentano: emigriert 1933, kippt aber nach und nach, kehrt ins 3.Reich zurück, erhält dort aber Schreibverbot, schreibt in der Schweiz, publiziert im 3.Reich (S.115)

-- insgesamt kippen ca. 30 emigrierte Schriftsteller und kehren ins 3.Reich zurück (S.115).

NS-Literatur im 3.Reich spielt kaum eine Rolle
-- die NS-Literatur spielt im 3.Reich beim Lesepublikum keine grosse Rolle
-- die am meisten gelesenen Werke sind solche von vor 1918 in national-konservativem Stil
-- auch "unerwünschte" deutsche Erfolgsautoren haben hohen Absatz trotz Konsumsteuerung
-- auch christliche Bücher sind erlaubt (S.116-118)
-- auch Nicht-NS-Literatur einer jungen Aussenseiter-Generation ist erlaubt mit beachtlichem Niveau, sind Literaten, die von der Weimarer Republik enttäuscht und gleichzeitig vom NS-Regime abgestossen sind
-- bis zu Kriegsbeginn bleibt diese Literatur fast ohne jede Überwachung (S.118).

19.10.1933
Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund
wegen verweigerter militärischer Gleichberechtigung (S.389)

12.11.1933
Appell Hitlers gegen den Völkerbund: "Kampf um Ehre und Gleichberechtigung"
(S.389). Die Volksstimmung befürwortet die "Selbstfindung" nach Versailles und wendet sich gegen die französische Bevölkerung (S.390).

18.11. 1933
Hindenburg lobt Hitler am Vorabend der Neuwahlen
Hindenburg über alle deutschen Sender:

"... Dank der mutigen, zielbewussten und kraftvollen Führung des am 30. Januar dieses Jahres von mir berufenen Reichskanzlers Hitler und seiner Mitarbeiter hat Deutschland sich selbst wieder gefunden und die Kraft gewonnen, den Weg zu beschreiten, den ihm seine nationale Ehre und seine Zukunft vorschreiben." (S.390)

[Hindenburgs Weg: Er wollte den "Endsieg" schon 1918 erringen; In: Hindenburg: Mein Leben]

Ein Wahlkampf existiert nicht. Es ist nur ein Kampf um die Wahlbeteiligung (S.390).

19.11.1933
Präsidentenwahl mit 95,2 % Wahlbeteiligung: 95,1 % Ja-Stimmen
entspricht 40,609 Mio., 4,9 % Nein-Stimmen bzw. 2,101 Mio., ungültige Stimmen 1,74 % bzw. 0,758 Mio., Nichtwähler: 1,65 Mio. Bürger. Details:
-- einige Grossstädte widerstreben dem NS-Trend, haben nur 75-80 % Ja-Stimmen: Leipzig, Bremen, Aachen, Bremerhaven, Hamburg, Berlin, Bielefeld, Altona, Herford, besonders die bürgerlichen Bezirke

-- "nur" 70 % Ja-Stimmen v.a. in Lübeck
-- zusammen mit den Wahlverweigerern macht der Widerstand gegen die NS-Herrschaft in den genannten Städten 25-30 % aus (S.390)

Reichstagswahl mit NSDAP-Einheitsliste
mit ehemals demokratischen Parteimitgliedern ausser den Kommunisten
-- Ja zur Einheitsliste: 92,2  % (39,646 Mio.)
-- ungültige Stimmen: 7,89  % (3,398 Mio.)
-- Nichtwähler: 2,125 Mio. (S.390).

Der Reichstag hat keine Funktion mehr
Der Reichstag hat ab dieser Wahl nur noch (S.390) "dekorative Bedeutung" für die Führerreden (S.391).

26.11.1933
DAF: Gründung des Amts für Reisen, Wandern und Urlaub (RWU)
Gründung eines Freizeitkonzerns, die NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude (KdF), wird die populärste NS-Organisation (S.309).

Vorbild: die von der Partei kontrollierte Freizeitorganisation in Italien: "Opera Nationale Dopolavoro" ["Nationales Amt für die Zeit nach der Arbeit"]. DAF-Führer Ley:

"Da die Arbeitszeit vom schaffenden Menschen Höchst- und Spitzenleistungen verlangt, muss man in der Freizeit als Nahrung der Seele, des Geistes und des Körpers das Beste vom Besten bieten." (S.310)

Ley fordert auch
-- Integration in die Gesellschaft
-- Erhöhung des Selbstbewusstseins des Menschen (S.310).

Ley weiter:
"Der beste Staatsmann kann mit einem Volk mit zerrütteten Neven keine Politik treiben. Der verlorene Weltkrieg sollte uns diese Erkenntnis für alle Ewigkeit eingehämmert haben." (S.310).

Hauptziel gemäss Ley:
-- die Nerven des Volkes sollen gesund und stark bleiben
-- Erfinden des Wortes "Freizeitgestaltung"
-- die DAF-Leistungen werden auch Nicht-DAF-Mitgliedern angeboten (S.310).

-- Urlaub und Urlaubsreisen sind nun nicht mehr Privileg der höheren Gesellschaftsschichten
-- Schrittmacher für KdF-Reisen ist die Firma Siemens, führt bezahlte Urlaubstage ein (S.311).



Dezember 1933

1.12.1933
Festlegen der NSDAP-Gerichtsbarkeit für NSDAP-Mitglieder
(S.180)

Gesetz über die NSDAP als "Trägerin des Staatsgedankens"
-- die NSDAP ist nicht Trägerin des Staates
-- die NSDAP ist "Trägerin des deutschen Staatsgedankens": eine vage, ideelle Vorrangigkeit gegenüber dem Staat, eine unklare Verschmelzung von Partei und Staat, und doch fordert Hitler die Unterordnung der Partei unter die Staatsführung (S.169).

Ziel Hitlers: Die Partei soll ihre Eigendynamik verlieren und Hitler-hörig werden, um die Staatsmacht propagandistisch und organisatorisch zu ergänzen und zu verstärken (S.169).

Ende 1933
Verteilung des Firmenkapitals
7,4 % aller Aktiengesellschaften besitzen 73,8 % des gesamten Aktienkapitals
(S.258).

Rückgang der Kriminalitätsraten gegenüber 1932
-- Kriminalitätsrate: 13,1 %
-- Jugendkriminalität: 25,9 % (S.176).

Die HJ hat 2,3 Mio. Mitglieder
jedoch sind anfangs nur die Hälfte Beitragszahler (S.345).

1933-1938
Universitäts-Aderlass
-- 20 % aller Hochschul-Naturwissenschaftler verlassen Deutschland
-- 25 % der Physiker müssen Deutschland verlassen oder gehen freiwillig, darunter 11 Nobelpreisträger, u.a. Hans Bethe, Max Born, Albert Einstein
-- die Spitzenstellung der Physikforschung in der Welt geht Deutschland verloren (S.102).

1933-1938/1939
Hitler hat verschiedene Kanzleien und Adjutanten
(S.174) [darunter Martin Bormann].

1933-1945
Wohnungsbau reicht nicht aus
-- Häusertypen: Mietskaserne und Flachdach gilt als undeutsch und als Symbol der Entwurzelung der Massen (S.228)

-- Hauptpropagierung für die Kleinsiedlung, es werden aber nur wenige Siedlungen fertig gestellt (S.228)

-- die Wohnungsnot wird im Dritten Reich nicht beseitigt (S.226), sogar Anwachsen bis zum Höchststand der Weimarer Republik im Jahr 1936, dann nimmt die Wohnungsnot wieder ab

-- prozentualer Anteil an den gesamten öffentlichen Institutionen: 1933: 5,8 %, 1937: 1,3 %, 1938: 1,2 % (S.227)
-- Festlegung des Standard "Volkswohnung": 1 Ehepaar 26m2, Familie mit 4 Kindern 35m2 (S.227)

-- Umfunktionierung der Erwerbslosen-Siedlungen der Weimarer Republik in NS-Kleinsiedlungen, Bezeichnung als "Heimstätte", neue Errichtungen auch für Facharbeiter rüstungswichtiger Betriebe zum Ausgleich harter Arbeitsbedingungen (S.228)

-- die Deutsche Arbeiterfront DAF hat bis 1939 das Ziel, optimale Wohnbedingungen für grosse Familien zu schaffen

-- Hitler sieht den Wohnungs- und Siedlungsbau als eine entscheidende "volkspolitische" Aufgabe der Nachkriegszeit (S.229).

ab 1933
Der "Aufstiegs-Sozialismus" verführt in die Euphorie
-- Beispiel Friedrich Hildebrandt (1898-1948), Familienvater: Tagelöhner, Büttner, Schmiede, Aufstieg 1925 zum Gauleiter, 1933 Reichsstatthalter für Mecklenburg und Lübeck, dann Reichstagsabgeordneter
-- Bemerkung Hindenburgs, ob dieser Landarbeiter nicht endlich Ruhe geben könne; Hindenburg versteht dies nicht mehr, aber diese Art von "Aufstiegs-Sozialismus" wiegt für viele Deutsche den Verlust politischer und gewerkschaftlicher Rechte auf
-- Aufstiegschancen sind für den Arbeiter wichtiger als die abstrakten, gewerkschaftlichen Rechte (S.301).

Industrieinvestitionen
-- rasche Entwicklung mit öffentlichen Aufträgen
-- steuerpolitische und gesetzliche Massnahmen
-- Investitionsniveau 1934 schon wie 1928 bei 2,61 Mrd. RM
-- 1938: 3,69 Mrd. RM (+ 41 %)
-- 1939: 4,43 Mrd. RM (+ 70 %), mehr als das Zehnfache von 1928 (S.233).

Einschränkungen und Verbote bei Investitionen
-- bei Branchen der Verbrauchsgüterindustrie
-- Verhinderung der Zunahme von Konsumprodukten in der Vorkriegszeit (S.233).

Tabelle: Investitionen im Dritten Reich

Jahr

rüstungswichtigen Industrie

Verbrauchsgüterindustrie

1928/29 69 % 31 %
1934/1935 75 % 25 %
1937/1938 83 % 17 %


(S.234)

Nur in der Sowjetunion ist das Verhältnis noch krasser auf Rüstung fixiert. Die privaten Investitionen werden bedeutungslos (S.234).

Textilindustrie
-- immer eine sehr angespannte Situation
-- bis 1936 weitgehendes Investitionsverbot
-- die Kapazität ist 1936 nur zu 62,6 % ausgelastet, die Kapazität der Bekleidungsindustrie nur zu 53 %
-- Investitionen erfolgen viel in Zellwolle (1932: 1300 Tonnen; 1937: 99.400 Tonnen)

-- Deutschland steht mit der Zellwollproduktion an erster Stelle der Welt, mit der Kunstseideproduktion an 3. Platz der Welt

-- Kommentierung: Bei einem Bevölkerungswachstum von 7 % verbessert sich die Güterversorgung pro Kopf eigentlich kaum (S.235).

Wirtschaftsziel "Ersatzstoffe"
-- Erdöl soll ersetzt werden durch synthetische Treibstoffe aus Kohle
-- Rohgummi soll ersetzt werden durch synthetischen (S.236) Kautschuk "Buna" (S.237).

"Ersatznahrungsmittel"
-- die Einschränkungen bei Nahrungsmitteln werden von der Bevölkerung ohne grösseren Protest hingenommen
-- statt Fleisch, Weissbrot, Zucker und Eier: Kohl, Roggenbrot, Kartoffeln und Margarine (S.237).

ab 1933
Das Überleben der Bankenwelt im 3.Reich
-- die Banken müssen mit Verkäufen ihr Überleben sichern: Verkauf von Hypotheken und Grundstücken
-- Umschwung für die Banken kommt erst 1938 mit der Expansion nach Österreich, ins Sudetenland, die Tschechei, ab 1940 in Westeuropa, ab 1941 auf dem Balkan
-- beteiligte Banken: Deutsche Bank, Dresdner Bank (Beiname "SS-Bank"), Commerzbank (S.243).

Hitler und die Industrie und Banken haben langfristig dieselben Ziele [den "Lebensraum"] - die Diktatur wird in Kauf genommen
-- schwarze Zahlen überwiegen
-- die negativen "Begleiterscheinungen" des Hitler-Regimes werden in Kauf genommen
-- in der Rüstungsindustrie sind ökonomische Konzessionen an die industrielle Führungsschicht nötig
-- Verharmlosung der z.T. kriminellen Umstände auf der Basis von Opportunismus (S.241).

ab 1933
Das Hitler-Regime baut die Auslandschulden ab
-- dauernder Exportüberschuss, um mit Deviseneinnahmen die Schulden zu bezahlen
-- die Belebung der Wirtschaft verlangt nach mehr Rohstoffen, die nur aus dem Ausland zu haben sind
-- das 3.Reich ist gezwungen, Ersatzstoffe für Ausland-Rohstoffe zu erfinden und in anderen Bereichen zu sparen (S.239).

Tabelle: Stand der Auslandschulden des Dritten Reichs
Juli 1931 23,8 Mrd. RM
Feb 1933 19,0 Mrd. RM
Feb 1938 9,9 Mrd. RM

(S.239)

Dieser Abbau der Auslandschulden möglich durch Einschränkungen beim öffentlichen und privaten Kapitalverkehr (S.239).

ab 1933
Frauen in der NSDAP: seltene Idealistinnen
-- der "Dienst an der Partei" bedeutet dann meist sozialer Aufstieg und Kompensation
-- der Glaube an den "Führer" ist wie der Glaube an einen Heiland
-- die Frauen erleben keine materiellen Vorteile, sondern als Höhepunkt vielleicht einen Blumenstrauss von Hitler überreicht
-- Helfersyndrom, Aufgehen in der Arbeit für die Partei, Opfern jeder freien Minute für irgendeine "Aufgabe" (S.325).

Neue SS-Mitglieder
-- Idealisten und Verbrecher
-- Ehrgeizlinge und Romantiker
-- Zuzug von Mitgliedern aus den Schichten der "feinen Leute"
-- der Ruf der SS ist der einer "Elite", gilt als Auslese, als echt, als elegant, mit verschiedenen Abteilungen  wie Reiter-SS, Motor-SS etc. (S.364)

ab 1933
Hitlers Spitzelgesellschaft: der Sicherheitsdienst SD

Mitglieder des SD
-- v.a. Jung-Intellektuelle
-- Charakter: nüchterne Zweckmässigkeit und eiserne Logik
-- Ideal: ein reibungslos funktionierender, totalitärer Staat
-- Funktion: Durchleuchten der Volksstimmung auf hinterhältige Art mit 3000 hauptamtlichen Angehörigen, etwa 100.000 Spitzeln (S.366).

ab 1933
Total verdeckter Terror im 3.Reich
-- der Terror bleibt auch in Deutschland z.T. verborgen und für die allgemeine Bevölkerung nicht wahrnehmbar (S.137)
-- kritikfreie Räume existieren mit Massenkonsum, Unterhaltungsfilmen, Swingmusik, Musicals, Dietrich-Filme etc. (S.139)

Das Doppelgesicht des 3.Reichs
-- einerseits Leistungs- und Konsumgesellschaft (S.137-138) mit Kleinfamilie, Eigenheim, Aufstiegsorientierung, Massenmedien, Freizeitkultur, Wohlfahrt bei Not (S.138)

-- Jazz, der als "verjudet" und "verniggert" beschimpft wird, wird trotzdem konsumiert und bis 1939 sogar in hohen Auflagen im 3.Reich produziert (S.139)

-- dem Volk wird ein schöner Schein geboten, der allen Terror verdrängen hilft und die grosse Mehrheit des deutschen Volkes fühlt sich nicht unfrei, für  ca. 90 % der Deutschen ist das 3.Reich die Rückkehr zu normalen Zeiten , zur geregelten Arbeit, zur Sicherheit der Lebensplanung, mit Massenkonsum (S.140)

-- das 3.Reich bleibt bis 1939 weltoffen mit internationalen Kongressen, mit Schülerreisen in Berlin, mit Schülerreisen v.a. nach Frankreich und England, auch "USA" (S.140)

-- der Staat lässt die "unpolitische" Lebensgestaltung zu, solange er sie duldet (S.140).

-- andererseits: terroristische Herrschaftsordnung für all jene, die sich nicht integrieren lassen, Aussonderung und Vernichtung (S.138)

-- ideologischer Zwang, durchgesetzt durch Gestapo-Terror, KZ)
-- die hohen NS-Funktionäre haben entsprechend auch oft "zwei Gesichter" (S.138).
-- die Bevölkerung informiert sich nicht über Terror
-- gute Informationen sind durch Auslandssender verfügbar
-- grossen Teilen der Bevölkerung fehlt die Information über KZ-Standorte, z.B.: Rechtsanwalt Gerd Bucerius aus Hamburg, der erst nach Kriegsende von Neuengamme und Bergen-Belsen erfährt (S.137).

[Bei der deutschen Bevölkerung ist scheinbar eine allgemeine grosse Naivität vorhanden].

ab 1933
Literatur: kaum Einschränkungen bis 1944
-- unerwünschte Autoren sind bis 1944 auf dem Markt, Verlage: Fischer, Zonay-Bischoff, Rowohlt, Insel, auch Übersetzungsliteratur (S.141), auch "amerikanische" Bestseller, v.a. von der jungen Generation gelesen
-- in Bibliotheken kann sich die belehrende NS-Literatur nicht durchsetzen (S.142)

-- Zeitungsromane sind beliebt: Der Anteil der Liebes-Gesellschafts- und Familienromane steigt 1934-1940 von 29 % auf 49 % (S.142)
-- Erwachsenenbildung: fast alles ist möglich (S.142)

-- Zeitungen: bis September 1939 sind in Berlin die wichtigsten englischen, französischen, "amerikanischen" und schweizer Zeitungen erhältlich, ausgenommen kommunistische und sozialistische Blätter (S.143).

ab 1933
Die "Freiheit" im Dritten Reich zu leben: Die Psychose des deutschen Volkes unter Hitler
-- die Bindung ans Reich wird "Freiheit" genannt und oft auch als Freiheit empfunden
-- Freiheitsbewusstsein und Freiheit decken sich aber nicht
-- "Freiheit", wie der NS-Staat sie versteht, ist im Lied der HJ für das Jungvolk umschrieben:

"Freiheit ist das Feuer
ist der helle Schein
solang' sie noch lodert
ist die Welt nicht klein." (S.144)

-- die "Freiheit" der Weltbeherrschung, wie der NS-Staat sie anstrebt, im HJ-Lied "Es zittern die morschen Knochen" 3. Strophe:

"Du Fahne der Freiheit, flieg!
Wir werden weiter marschieren,
wenn alles in Scherben fällt;
Die Freiheit stand auf in Deutschland
und morgen gehört ihr die ganze Welt." (S.145)

-- die Mehrheit der deutschen Bevölkerung spürt keinen NS-Druck oder hält ihn für selbstverständlich (S.145) [bzw. die Umstände sind auf alle Fälle besser als in der Weimarer Republik]

-- die Masse des deutschen Volkes erwartet von Hitler die "Erlösung" und ist bereit zu Leistungs- und Leidensfähigkeit bis auf ein Höchstmass

-- Druck und Entbehrungen werden als Reiz, als Anlass zum Stolz und als Gemeinschaftserlebnis empfunden
-- das Leiden ist bis zum Krieg steigerbar (S.145).

ab 1933
Hitler-Parole: "Gemeinnutz kommt vor Eigennutz"
(S.341-342): Diese Parole erfährt keine reelle Verwirklichung:
-- es existiert weiterhin ein verdeckter ausgeprägter Interessen-Lobbyismus
-- die Parole ist eine Schein-Realität

-- Nationalökonom Albert Hesse:
"Die Parole besagt, dass der Eigennutz immer seine Grenze am gemeinen Nutzen findet, dann aber, dass die Bestrebungen des Einzelnen ihr letztes Ziel in der Richtung des Gesamtwohls zu suchen haben ... dort, wo der Einzelne nicht sehen und entscheiden kann, wo das Gemeinwohl liegt, muss der Staat dies angeben." (S.342)

-- in Wirklichkeit ist nur in der Öffentlichkeit ein Erfolg der Parole vorzeigbar, sonst bleibt alles beim alten
-- das Volk hält die Parole für gesellschaftliche Wirklichkeit (S.342).

ab 1933
Hitlers Grundsatz: "Recht ist, was dem Volke nützt"
[wobei aber Hitler festlegt, was dem Volke nützen soll]:
-- das Recht des Staates zur "Ausmerzung" erbkranken Nachwuchses
-- Forderung nach Bindung des Privateigentums an das Gemeinwohl
-- Aufheben der Sonderrechte einzelner Klassen (S.177)

-- Hitler hat keine Vorbehalte, keine Rücksichten oder Hemmungen in Hinsicht auf Brechen von Traditionen, Moral, Ethik, Gesellschaft, Religion etc.

-- keine Anerkennung des Bestehenden, wenn es mit Hitlers Grundüberzeugungen kollidiert
-- Umerziehung von "Volks- und Reichsfeinden" (S.177).

Strafrechtsreformen, die dem "Volke nützen"
-- Säubern der Verbrecherviertel
-- polizeiliche Überwachung nach der Haftentlassung
-- Vorbeugehaft bei Fernbleiben von der Arbeit oder bei Kontakt mit aktiven Kriminellen
-- Ableisten der Vorbeugehaft in KZs:
oo  Moorkultivierung, Strassenbau, Ödland-Drainage usw.
oo  harte Arbeitsnormen, somit: Rückgang der Rückfallkriminalität (S.177).

ab 1933
Konzentrationslager KZs, die dem "Volke nützen"
KZ-Insassen sind Juden, NS-GegnerInnen und "Störer der Ordnung":
-- "Arbeitsscheue"
-- Homosexuelle
-- "Landstreicher"
-- Zigeuner
-- Gelegenheitskriminelle (S.178).

-- die KZs sind ein rechtloser Raum
-- KZ-Häftlinge können keinen Anwalt zur Persönlichkeitsverteidigung haben
-- KZ-Häftlinge haben keine Beschwerdemöglichkeit
-- KZ-Häftlinge haben keine Möglichkeit der Nachprüfung, Korrektur
-- KZ-Häftlinge erleben kein Verfahren und kein Urteil
-- für KZ-Häftlinge ist keine Zeitspanne der Haft festgelegt (S.178).

ab 1933
Das Vorgehen gegen Gewalt verbündet das Volk mit dem Hitler-Regime
-- die Presse dokumentiert die NS-Gewalt

-- die Presse anerkennt die Ordnung durch Gewalt ohne viel Widerspruch, denn die Sehnsucht nach einem starken Staat ist gross

-- die grosse Mehrheit der Bevölkerung hat eine Sympathie für die verschärfte Kriminalpolitik gegen die "Störer" im Staat

-- die Bevölkerung missbilligt die KZ-Haft für Juden und NS-Gegner, zeigt aber eine verhaltene Zustimmung der KZ-Haft für die "Störer der Ordnung" (S.178) und für Homosexuelle (S.179)

-- die verschärfte Kriminalpolitik verbündet das Volk mit dem NS-Regime, auch wenn die Bevölkerung mehrheitlich nicht den NS-Staat gewählt hat, z.B. im Emsland mit 69 % Zentrumspartei, aber Errichtung und Billigung der KZs  Bürgermoor, Esterwegen, Neusustrum

-- besonders befürwortet wird die Aussonderung Homosexueller, die in den KZs überdurchschnittlich schikaniert werden und unterschiedliche Überlebenschancen haben (S.179).

Der permanente Ausnahmezustand im Hitler-Staat
-- die Kriminaltätigkeit und Verfolgung stellt einen permanenten Ausnahmezustand dar
-- immerwährende politische Terrorisierung
-- die Verdächtigung reicht aus zur Verurteilung (S.179).

ab 1933
Die GESTAPO
-- die Angehörigen sind meist kleinbürgerliche Spiesser-Typen
-- nach der "Arbeit" als Totschläger werden sie versorgt und sind wieder vorbildliche Familienväter
-- die kriminellen Taten werden mit den Akten weggeschlossen (S.178)

-- z.B. Gestapo-Kommissar Berger: 1915 Offiziersbursche, 1919 Aushilfskellner, Erntearbeiter, Nachtwächter, 1921 Beamtenwärter des unteren Polizeidienstes in Krefeld, Anrechnen der Kriegsdienstzeit als doppelte Dienstzeit, deswegen ist 1925 die Beförderung zum Hauptwachmeister und zum Beamten auf Lebenszeit möglich, dann Polizeilaufbahn: 1929 zur Kripo, 1931 Kriminalassistent im Betrugsdezernat, erst 1933 NSDAP-Mitglied,

1934 zur Gestapo versetzt ins Dezernat "Illegale KP-Wühlarbeit", 1935 SS-Mitglied, Entwicklung zum brutalen, von allen Verhafteten gefürchteten Prügel-Peiniger, keine weiteren Beförderungen wegen mangelnder Schulbildung, 1940 Zuteilung zum Judendezernat, 1942: Beförderung zum Kommissar, 1944/1945 Einberufung zum Volkssturm, Befehligen einer Feldpolizei-Einheit im Ruhrgebiet, dann 11 Monate britische Gefangenschaft, Hunger und Kälte im Lager, auch Misshandlungen (S.186).

Berger wird nach 1945 Hauptkommissar beim Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfahlen NRW und behauptet, er habe sich für die Kriegszeit nichts vorzuwerfen ausser den Austritt aus der Kirche, den er nach dem Krieg gleich wieder rückgängig gemacht habe (S.186).

1933-1939
Wirtschaftsdaten der Hitler-Regierung 1933-1939

Lohnquote
-- Def.: ist der Anteil des Einkommens aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen
-- die Lohnquote bleibt geht leicht zurück von 1929 56,6 %, 1932 57,0 %, auf 1939 51,8 %
-- alleiniges Ziel Hitlers ist die Verschleierung der Vorbereitung zum Krieg (S.261)
-- durchschnittlicher Anstieg des Volkseinkommens pro Jahr: 10,6 %
-- durchschnittlicher Rückgang der Lohnquote pro Jahr: 0,7 %
-- Hitlers Ziel heisst, Volk und Wirtschaft rasch kriegsbereit zu machen [damit Hitler selbst den "Endsieg" noch erleben kann]
-- die grossen Profiteure sind der Staat und die Unternehmen der Rüstung (S.261).

Tabelle: Entwicklung der Unternehmensgewinne im Dritten Reich
(die offen ausgewiesenen, unverteilten Gewinne)

Gewinn Anteil am Volkseinkommen
Jahr 1928 1,31 Mrd. RM 1,7 %
Jahr 1932 450 Mio. RM
Jahr 1933 175 Mio. RM 0,4 %
Jahr 1939 4,75 Mrd. RM 5 %
nicht eingerechnet: neue Investitionen etc. (S.261)

Entwicklung der Tariflöhne
-- 1933 liegen die Tariflöhne 20 % unter denen von 1929
-- erst 1937 ist das Niveau von 1928 wieder erreicht, langsames, stetiges Ansteigen
-- gleichzeitig: steigende Wochenarbeitszeit (S.261).
ggg

Tabelle: Wochenarbeitszeit in der verarbeitenden Industrie im Dritten Reich
Jahr 1928 46,0 Stunden
Jahr 1932 41,5 Stunden
Jahr 1933 42,9 Stunden
Jahr 1935 44,4 Stunden
Jahr 1939 47,0 Stunden

(S.261)

 

Die Arbeiter des Maschinen- und Fahrzeugbaus arbeiten 1938 oft 58-65 Stunden pro Woche (S.263).

Je nach Branche können verschiedene Löhne ausgezahlt werden, am meisten verdient man bei der Eisen-Stahlwarenindustrie (+19 %) und v.a. Elektroindustrie (+27 %).

Sozialleistungen
in grösseren Betrieben: hohe freiwillige Beiträge des Betriebs (S.263).

Das Volkseinkommen als Ganzes

1932: 41,09 Mrd. RM
1939: 85,48 Mrd. RM, (+108 %)

Tabelle: Durchschnittliches Volkseinkommen pro Kopf im Dritten Reich
1928 1120 RM
1932 633 RM
1939 1234 RM
(im Vergleich zu 1932: +95 %)

(S.263)

 

Noch 1937 ist die Kaufkraft der ArbeitnehmerInnen geringer als 1928 und übertrifft erst 1939 den Stand von 1928 (S.263).

[Die deutsche Bevölkerung schuftet also jahrelang für einen "Führer" bei nur ganz langsamem Lohnanstieg].

Preisstabilität allgemein gewährleistet
-- bis 1939 im allgemeinen gewährleistet (S.263)
-- reale Steigerung der Lebenshaltungskosten 1933-1939: 17 %
-- Anstieg des Stundenlohnes in der Industrie 1933-1939: 22,5 % (S.264)
-- reale Zunahme der Lebenshaltungskosten: 5-6 % (S.264).

Hitler schafft es, die gewaltigen Kosten der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung aufzubringen, ohne dass es zu allzu grossen Disparitäten im Lohngefüge und zu instabilen Preisen kommt. Er lässt seine Bilanzen immer am Jahr 1932 messen und kann somit immer Erfolgsmeldungen vorzeigen (S.264).

Deutschland: Lebensstandard  mit Elektrogeräten, Autos und Wohnwagen
Hitler verachtet das kulturlose und kapitalistische System der "USA", bewundert aber deren Technisierung. Neuentwicklungen sind für Hitler der Schutz des Volkes vor Passivität und somit absolute Förderung der Technisierung (Kühlschrank, Wohnwagen, Rundfunk, Fernsehen usw.) (S.264).

-- Durchsetzen des Volksempfängers (VE) in Bakelitgehäuse für 76 RM (Bakelit = Kunstharzpressstoff) gegen den Willen der mittleren und kleinen Firmen der Rundfunkindustrie
-- Empfangsmöglichkeiten: der nächstgelegene Rundfunksender, der zentrale Deutschlandsender (S.301).

Versorgung mit geringerer Qualität
Bis 1939 erfolgen keine Engpässe bei Konsumgütern, die vorhanden sind, aber es erfolgen Qualitätsverschlechterungen (S.264).

ab 1933
Etablierung des Regimes: Dressur aller Jugendlichen in der HJ
-- Widerstand und Widerspruch gegen die HJ gilt jetzt als "Verrat an der nationalen Sache"
-- Übernahme der Bündischen Jugend: Die Mehrheit davon ist absolut ehrlichen Herzens gewillt, sich in den Dienst des 3.Reichs zu stellen (S.344)
-- es erfolgt ein überaus rascher Aufbau der HJ (S.345).

Struktur der HJ
-- Ausbau v.a. der musisch-kulturellen Aktivitäten, Übernahme der Vorarbeit der Jugendbewegung ab 1918
-- 70 % der HJ-Lieder stammen aus der Jugendbewegung von 1914 (S.345)
-- Baldur von Schirach wird 26-jährig "Jugendführer" des deutschen Reiches, schaltet alle anderen Jugendverbände innert eines Jahres aus, ausser die erst 1937/1938 aufgelösten katholischen Jugendverbände (S.345)

-- Kinder 10-14 Jahre sind das Jungvolk (JV) (S.345) und die Jungmädel (JM) (S.346)
-- Jugendliche 14-18 Jahre bilden die HJ im engeren Sinn und den Bund deutscher Mädel (BdM) (S.346)

-- Höhepunkt sind die wöchentlichen HJ-Heimabende, werden jedoch bald langweilig wegen der ideologischen Arbeit
-- hohe Effektivität der politischen Arbeit

-- Freisetzen von Begeisterungsfähigkeit und Aggressivität der Jugendlichen
-- Disziplinierung und Manipulierung der Begeisterung der Jugendlichen (S.345)
-- die HJ wird zum notdürftigen seelischen Ausgleich für den Terror und die scheinheilige Moral in der Schule (S.347)
-- Fahnenlied besingt den Sieg gegen den Rest der Welt:

"Auf hebt uns're Fahnen in den frischen Morgenwind
lasst sie weh'n und mahnen die, die müssig sind.
Wo Mauern fallen, bau'n sich and're vor uns auf,
doch sie wichen alle unserem Siegeslauf!" (S.347).

ab 1933
NS-Rassismus als Staatssystem
zur Neuordnung der Gesellschaft: rassistisch begründete Aussonderung aller aus der "Norm" herausfallenden Personen:
-- aufsässige Jugendliche
-- Arbeitsbummler
-- Asoziale
-- Prostituierte
-- Homosexuelle
-- beruflich Erfolglose und Leistungsuntüchtige
-- Behinderte (S.362).

Die Auslese
Der Vorgang:
-- Auslese nach dem "Wert des Erbguts"
-- "wertloses Leben" wird sterilisiert und der Euthanasie unterworfen [mit Bewilligung zur Abtreibung]
-- "wertvolles Leben": Nachwuchsförderung (S.362) [und Verbot der Abtreibung]
-- die NS-Volksgemeinschaft will alle "ausmerzen", die in ihr keinen Platz finden sollen
-- Vernichtung von Menschengruppen: Juden und Zigeuner, letztere schon vor 1933 diskriminiert und überwacht (S.363).

Zigeuner im NS-Staat: gelten als Fremde mit irritierender Kultur und als Asoziale
- wollen sich nicht festen Verhältnissen beugen
- können sich auch nicht einordnen (S.363).

"Wanderer" im NS-Staat: Abenteurer, Bettler und Vagabunden ins KZ
Jugendliche, Bettler, Vagabunden. Sozialpolitiker, Pädagogen, Fürsorger und Behörden fordern schon vor 1933 die Aussonderung und "Verwahrung" der "Unverbesserlichen". Im NS-Regime kommen diese dann in KZ und werden erschossen. In der Bevölkerung ist nur eine Minderheit für die Terrorisierung der "Wanderer" (S.363).

Homosexuelle im NS-Staat: ins KZ und verschärfte Hetze
Die Diskriminierung von Homosexuellen wird von einer Mehrheit der Bevölkerung gewollt. Im KZ stehen Homos in der Häftlingshierarchie auf unterster Stufe (S.363).

Durch Verschärfung des Homosexuellenstrafrechts §175 StGB wird schon die Andeutung sexuellen Interesses am gleichen Geschlecht strafbar, nicht nur der vollzogene Akt. Folge: Der Denunziation wird Tür und Tor geöffnet, Hetze gegen missliebige Priester, Ordensgeistliche und ehemals bündische Führer (S.363).

ab 1933
Die NAPOLA-Schulen (Nationalpolitische Erziehungsanstalten) werden nicht direkt der NSDAP unterstellt
Zum Teil werden die NAPOLA aber auf Themenbereiche und gewisse Fächer spezialisiert:
-- klassisch-humanistisch
-- naturwissenschaftlich
-- moderne Sprachen
-- kein Klassengeist, Bemühen um eine Jugendelite ohne Klassen-Unterschiede (S.300)

-- die NAPOLA-Leiter sind in den Augen der Lehrer "NS-Priester"
-- die NAPOLA-Leiter haben Freiheiten in der Wahl ihrer Mitarbeiter
-- ein Teil der Lehrerschaft versucht sich, der Leitung zu entziehen, so dass ein Stück deutscher Bildungstradition lebendig bleibt (S.300).

-- Lernziele allgemein:
-- Hingabe an den Nationalsozialismus: Pflichtbewusstsein, Mut, Sport, Härtungsübungen, Einfachheit, Gemeinschaftsgefühl
-- Eigenschaften des "Kolonialherren": kühle Überlegenheit, Zurückhaltung, tadelloses Benehmen, bestimmtes Auftreten
-- die Bestrebung des Reichsjugendführers, die NAPOLA in die HJ zu übernehmen, scheitert
-- z.T. schwere Korruption innerhalb des Schulsystems [um gewisse Schüler zu "fördern"] (S.300).

1933-1944
NS-Wissenschaftspolitik ist negativ
- das Niveau des akademischen Nachwuchses sinkt
- die Anzahl der Habilitationen sinkt um ein gutes Drittel: 1920-1933: 2333, 1933-1944: 1534 (S.102).

1933-1945
Friedrich Flick: prominentester Wehrwirtschaftsführer im Dritten Reich
(S.253)

ab 1933
Anstieg des Verbrauchs an Bohnenkaffee: durch Brasilien-Handel möglich
(S.440)

Hitler fordert Fernsehgeräte für alle Haushalte
zu Propagandazwecken (S.302).

Hitlers Kriegsplanung zur Ernährung im Dritten Reich: Vermeiden von Hunger
-- die Hungerperiode im 1.Weltkrieg ist der ganzen Bevölkerung noch in Erinnerung
-- Hitlers Machtclique rechnet mit einem mittleren täglichen bedarf von 2500-300 Kalorien pro Person: Eiweisse, Fette, Kohlenhydrate
-- bis 1938/1939 wird die Agrar-Selbstversorgung auf 83 % gesteigert (S.433).

1933-1939
Dauervergleich Drittes Reich-Stalin-Diktatur: Hitler kommt bis dahin gut weg
-- Hitler-Regime lässt mehr individuelle und politische Freiheit
-- lässt eine grössere Vielfalt von wissenschaftlichen und künstlerischen Veröffentlichungen zu
-- lässt mehr Bewegungsfreiheit für individuelles Arbeiten zu
-- relative Bewegungsfreiheit der Widerstandskreise (S.143).
[-- Hitler kommt im Vergleich zu Stalin immer gut weg und geniesst deswegen internationales Ansehen: Die Folter ist zwar sicher gleich, aber die KZs und die Schauprozesse unter dem Hitler-Regime sind etwas "weniger grausam" im Vergleich zu Stalins Gulag und Hetzmaschinerie und NKWD. Der junge Helmuth Schmidt klatscht im Saal mit, angestellt als "Klatscher"...].

1933-1939
Die Landflucht geht auch im Dritten Reich weiter
1933 auf dem Land: 11,21 Mio.
1939 auf dem Land: 8,84 Mio.
Verlust: 21,2 %, - 2,37 Mio. (S.287)

Der Anteil der Bauern an den Erwerbstätigen nimmt auch im 3.Reich ab
1933: 28,9 %
1939: 25,9 %
wie in anderen Industriestaaten auch (S.288).

Das 3.Reich versucht, die Landflucht aufzuhalten: mit Landhilfskräften der HJ, des BdM, mit Schülereinsätzen und Soldaten (S.287).

1933/1934
Saalrand: Zuzug von  ca. 37.000 deutschen Emigranten und Exilanten ins Saarland
(S.392). Die Emigranten erzählen im Saarland
-- von Kirchenkampf
-- von Judenverfolgung
-- von Gestapo-Terror
-- wirkt gegen die NSDAP (S.392).





Bildernachweis

-- Brandenburger Tor 1945: http://www.politik-fuer-die-freiheit.de/webcom/show_page.php/_c-8/_nr-1/_lkm-24/i.html

Inhalt / contenu / contenido / contents       nach oben / vers le haut / arriba / top