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Interviews über die Zeit des Zweiten Weltkriegs und über die Entstehung der Hitler-Psychose
Schilderungen von Zeitzeugen im Bekanntenkreis (1994/1995, redigiert im Jahr 2000)
Oral History
gesammelt von Michael Palomino (1994 / 1995 / 2000)
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Teil 1
1. Flugzeugabschüsse über Hamburg - alliierte Piloten am Fallschirm - Verwertung der Fallschirme - Bespitzelung - Alarme - Al - zerbombte Kühlhäuser, Cholera nach dem Krieg - geschmierte Post - Wiederaufbau und traumatisierte zurückkommende Männer
2. Russlandfeldzug - Leningrad - russische Gefangenschaft
3. Die Blockade von Leningrad
4. Grossvater Werner fiel im Russlandfeldzug im Donezbecken - die "Wolfsschanze"
5. Die polnischen und russischen Gefangenen wollten nach 1945 nicht zurück
6. Eine Notlandung im Ersten Weltkrieg in Amsterdam in einer Gracht - Pilotenleben im Ersten Weltkrieg
7. Altena 1945 (NRW): Granatenschiessen über das Tal hinweg - Besatzung - der Vater kam nicht mehr aus Russland zurück
8. Russische Gefangenschaft im Süden am Schwarzen Meer in der Wärme - Rückkehr 1953
9. Deutsche Frauen schenken "dem Führer" ihre Babys - Jugendlager der HJ mit viel Sex - Teenie-Schwangerschaften - Mutterkreuze - Hitler wird geliebt, weil er Autobahnen baut und die Kfz-Steuer abschafft
10. Die "Pflicht", in den Krieg zu ziehen - eine Verwundung in Jugoslawien rettet dem Bruder das Überleben - Rückkehr aus Russland zu Fuss - Albträume der Soldaten nach dem Krieg - Hitlers "Taten für das Volk" war alles nur Blendwerk zur Manipulation der Bevölkerung in den Krieg - ein Bruder kommt aus Russland nicht zurück - die Schweizer haben die Sensibilität für das wirklich Tragische nicht
1. Mona Mikzicek aus Hamburg, wohnhaft in Zürich an der Grenze zu Zollikon, ca.65
Flugzeugabschüsse über Hamburg - alliierte Piloten am Fallschirm - Verwertung der Fallschirme - Bespitzelung - Alarme - Al - zerbombte Kühlhäuser, Cholera nach dem Krieg - geschmierte Post - Wiederaufbau und traumatisierte zurückkommende Männer
Samstag, 17.Dezember 1994
Mona erzählt vom Weltkrieg, sie erlebte ihn als Mädchen in Hamburg: Flack-Geschütze: aus Eisensplittern bestehend, wurden am nächsten Morgen von den Kindern gesammelt.
Bomben: zuerst Explosionsbomben, dann hinterher mit dem nächsten Geschwader Brandbomben. Aus diesen Brandbomben, die die Engländer abwarfen, trat brennend eine schnell sich verbreitende Flüssigkeit heraus.
Es gab ja Bunker, da ging eine lange Treppe nach unten, mit Eisentür verriegelt. Das waren grosse Sammelbunker in Hamburg, so um die 300 Leute drin. Wenn die Brandbombe dann nicht genau gezielt war, und das war in Hamburg etwa drei- bis viermal der Fall, so traf die Brandbombe eine Bunkertreppe, die brennende Flüssigkeit floss dann zur Eisentür und dann schmolz alles bei der Hitze, und alles war tot.
Die Engländer waren ja noch so freundlich und liessen am Nachmittag vor der jeweiligen Bombennacht Flugblätter abwerfen, wo drauf stand, welches Quartier von Hamburg nun bombardiert würde.
Und wenn dann eines der Flugzeuge von der Flak abgeschossen wurde, dann kam der Pilot ja am Fallschirm runter und landete irgendwo in der Stadt oder auf einem Dach, dann wurde er von der Bevölkerung schnell versteckt, das hat man immer so gemacht. Der Fallschirm aber, der war aus weisser Seide, die hat man dann zu Kleidern verarbeitet und gefärbt, weil, man durfte ja nicht sehen, dass das Kleidungsstück aus einem feindlichen Fallschirm genäht war, aber so hat man sich dann doch im Krieg zum Beispiel ein eigenes Hochzeitskleid nähen können, als es schon keinen so schönen Stoff mehr gab.
Die Bespitzelung war ja fast 100-prozentig. In der Schule war die Spannung auch immer so gross: an Handlungen musste man herausfinden, wer wohl auf welcher Seite steht, sogar Kinder konnten mit Verleumdungen Leute ins KZ bringen.
Und bei den Zugfahrten kontrollierte ein SS-Hauptmann jeden, wohin er fuhr, und die Fahrt musste immer begründet sein, ja ja, da musste man sich schon etwas ausdenken manchmal.
Als es dann Alarm in der Schule gab, da bildete jede Klasse eine Reihe, jedes Kind wusste, welchem Kind es die Hand zu geben hatte, alles eingeübt, also, organisieren, das konnten die Deutschen, und die Disziplin dazu hatten sie ja auch, so war es möglich, dass auf der Treppe zum Bunker gleich vier Reihen nebeneinander die Treppe hinunter liefen, somit war in einer Minute die ganze Schule im Bunker. Not macht eben erfinderisch, regte die Phantasie an.
Es war auch nie jemand krank, die Widerstandskräfte waren dermassen mobilisiert, es war nie jemand krank. Wenn es ein Haus zu löschen gab, das muss man sich mal vorstellen, also, Feuerwehren gab es schon lange nicht mehr, denn alle Männer waren ja an der Front. So hat man in den Quartieren sogenannte Heimwehren gegründet, und die löschten mit Leitern und Wassereimern, die reihenweise von Hand zu Hand gereicht wurden, eine Reihe aufwärts - eine Reihe abwärts, jeder wusste genau, wo er zu stehen hatte und auch, wo er das Wasser zu holen hatte.
Essen, ja, unser Vater war ja, also, wir hatten dieses Glück - er war Reder von ein paar kleinen Schiffen im Hafen von Hamburg, da wurde immer wieder etwas "für den Chef" reingeschmuggelt, das musste ich dann immer als das grösste Kind holen gehen, durch den Zoll und so weiter, und das war weit! Über eine Stunde bis zum Hafen, aber es war die einzige Möglichkeit für uns, dass ich das mache mit meinen damals langen Haaren, da haben die Zöllner so manches Auge zugedrückt. Es gab dann meist Aal, der war sehr fett, und wurde nur in Mengen zu 25 Stück geliefert, da musste man die Reste unter die Leute verschenken, und das haben wir auch getan.
Ja, da gab es Häuser, denke nur, alle die Häuser, die am Hafen standen, die hatten keine Keller, und die Leute wussten nicht, wo sie sich vor den Bomben schützen sollten, die sind alle umgekommen oder sind schon vorher woanders hingezogen natürlich.
Am Ende des Krieges war dann das Bombardement 3 Tage lang Tag und Nacht, und der Bürgermeister sah schon, dass es keinen Sinn mehr hatte, da gab er - und das war ein beträchtliches Risiko für ihn - eigenmächtig noch vor Ende des Krieges die Kapitulation der Stadt bekannt, er riskierte Kopf und Kragen dabei, aber die Engländer waren dann sofort da und schützten ihn.
Ich wurde dann von meinem Vater in die Schweiz geschickt, das Ende des Krieges habe ich dann nicht mehr miterlebt. Meine Geschwister beneiden mich um meine so bewusst erlebten Kriegserlebnisse.
Unser Haus? Das blieb unversehrt. Aber man muss sich denken, man hatte also absolut gar nichts mehr, kein Wasser, kein Strom, nichts. Die Leute tranken das Wasser aus der Alster, das war doch voller Ratten.
Und etwas ist passiert, an das hatte auch niemand gedacht: Da haben sie die städtischen Kühlhäuser zerbombt, und später gingen die Leute hin, raubten die einstmals gekühlte Ware und vergifteten sich dabei. Und das Alsterwasser verursachte Aussatz, Cholera und alles, das kann man sich gar nicht vorstellen, da liefen die Leute zum Teil ein halbes Jahr mit einem Ausschlag rum, der das Gesicht total verunstaltete, ja, und Medizin gab's ja nicht, all das steht nirgendwo über den Krieg.
Eine wichtige Funktion hatte dann der Pöstler, der musste nämlich immer "geschmiert" werden, damit die Pakete auch ankamen, ja, es hat jeder auf seine Art etwas profitieren wollen, wenn es schon fast nichts mehr gab. Die Postämter wurden von Invaliden geleitet, und die, die gerade eben noch gehen konnten, trugen die Post aus, man musste denen immer etwas geben. Beziehungen zu Bauern, die einem etwas schickten, waren natürlich Gold wert, zu Weihnachten gab es dann immer eine Weihnachtsgans, also, bei uns war das dann noch so. Einmal war das Paket ja verdächtig gross, da wollte uns der Bauer gleich zwei Gänse schicken, und es war bei weitem Platz für zwei Gänse da. Da war aber nur noch eine Weihnachtsgans drin, und daneben war der Platz ausgefüllt mit Zeitungen mit einem Zettel: "Eine tut's auch."
Ja, man fragte sich natürlich, wer das Ganze denn nun wieder aufbauen sollte, und die Frauen hofften ja - also die, die wussten, dass ihr Mann noch nicht tot war - dass diese dann auch noch heil aus dem Krieg wieder zurückkämen und dann beim Wiederaufbau helfen würden, aber die Männer, die dann zurückkamen, waren von dem Erlebten dann so verstört, dass sie kaum oder überhaupt nicht mit anpacken konnten, das Erlebte war dermassen schrecklich gewesen für sie, dass sie es gar nicht verarbeiten konnten.
2. Herr Zintl, Langenthal, Hausabwart, Jg. 1920
Russlandfeldzug - Leningrad - russische Gefangenschaft
Sonntag, 1.Januar 1995, Mittag
Ich war in Jugoslawien und habe dort für Hitler gekämpft, dann in Russland. Als wir in Jugoslawien die Nachricht vom Angriff gegen Russland erfuhren, da habe ich zu meinem Vorgesetzten gesagt:
"Das ist der grösste Scheiss, den der Hitler hat machen können."
Da hat mir mein Vorgesetzter gesagt:
"Zintl, wenn ich sie nicht schon vier Jahre kennen würde, würde ich Sie glatt erschiessen."
Und so bin ich dann eben nicht nach "Oben" gekommen, gell, sondern ich kam dann für 13 Tage in die Kiste, habe aber nur drei abgesessen und dann ab an die russische Front.
Ja, stellen Sie sich vor, ich bin ja Jahrgang 1920, und da habe ich mich als 18-Jähriger arbeitslos gemeldet, und das war mein Fehler, da wurde ich sofort eingezogen und musste zuerst am Westwall bauen, und dann ging's nach Jugoslawien, so denk bloss, meine schönste Jugendzeit... dahin. -
Meine Grossväter waren auch in Russland, der eine am Don als Funker, der andere half mit, Leningrad auszuhungern -
Ja! Hitler hat Truppen aus dem südlichen Teil der Russlandfront nach Leningrad fliegen lassen, um den Belagerungsring zu verstärken. Die konnten das nicht mehr halten. -
Also, damit die Stadt weiter ausgehungert werden konnte, liess Hitler Truppen nach Leningrad einfliegen... so pervers -
Er hätte das bleiben lassen sollen, auch die Geschichte mit den Juden, immer noch 100 Jahre später wird in derselben Suppe gerührt, immer und immer wieder -
Irgendetwas musste Hitler ja hassen, bei der Kindheit, die er hatte -
Aber man hätte ihn abmurksen sollen. -
Sie meinen, die eigenen Leute hätte Hitler entfernen sollen? -
Ja, das meine ich. Dann war ich ja noch im Gefangenenlager. -
Wo? -
In Sewastopol und in Tscheljabinsk, da hatten wir nichts zu essen, absolut nichts. Wir hätten ja arbeiten können, aber die haben uns ja nichts zu essen gegeben. So haben wir dort nur gehungert, dort sind die Leute gestorben, ja schon vorher auf dem Marsch dahin. Ich war ja noch jung, aber die anderen, das war ein Elend, sag ich Ihnen... Ich bin ja der Jüngste von sechs Brüdern, und drei davon sind in Russland umgekommen.
3. Lothar Bilinski, Freiburg i.Br., Deutscher, aufgewachsen in Holland, Jg. 1949, telefonisches Gespräch
Blockade von Leningrad
derselbe Tag, am Abend
Lothar, da erzählte mir Herr Zintl, Hitler hat aus der Südfront in Russland Soldaten nach Leningrad einfliegen lassen, um es noch besser auszuhungern. -
Ja, das war so. Hitler hat wegen Leningrad sogar Truppen aus Afrika nach Leningrad fliegen lassen. Die waren dann aber alle tot -
Erfroren? -
Ja. -
Ja hat er die in Frachtflugzeugen transportieren lassen? -
Na klar, und die waren alle in ihrer leichten Tropenkleidung und dann sind die alle erfroren bis auf ein paar wenige, vielleicht zwei oder drei. -
Ist ja auch völlig falsch, Menschen im Frachtflugzeug zu transportieren. -
Ja, wenn du da keine Decken hast, da waren die verloren. -
Wer hat dir das erzählt? -
Einer aus Deutschland, wo ich früher gearbeitet habe -
So brutal -
Damals hat ein Menschenleben nix gezählt, weisst du, das war wie Kanonenfutter damals. -
Zintl erzählte mir weiter, dass sie im Gefangenenlager ganz ohne Essen waren, obwohl sie gerne gearbeitet hätten. -
Ja, die Russen hatten doch selber nichts zu Essen, die haben doch auch nur von ihren eigenen Schuhsolen gelebt, haben die Deutschen sicher gar nicht erst gekriegt. Also, die waren eingekesselt, und normalerweise kann man so einen Kessel an irgendeiner Stelle sprengen, aber wenn man vorher schon nichts zu essen hat, geht das nicht mehr, und nachher mussten die noch marschieren, da sind di da schon umgekippt...
4. Hildegard Rams, Deutsche, Witzenhausen, Deutschland (Hessen), meine Tante, um die 50
Grossvater Werner fiel im Russlandfeldzug im Donezbecken - die "Wolfsschanze"
Dienstag, den 3.Januar 1995
Hildegard: Ja, der Werner (ihr Vater), der musste auch nach Russland, und gefallen ist er im Donezbecken, also, das war der abschlissende Bericht des Deutschen Roten Kreuzes, den habe ich glaub ich noch.
Werner war gezwungen, um eine Lehrerstelle antreten zu können, der SA beizutreten, also er konnte wählen zwischen SA und SS oder einer anderen politischen Aktivität, und er wählte die SA, weil man dort am wenigsten Verpflichtungen hatte. Da musste er, glaube ich, alle zwei Wochen einmal hingehen.
Ja, wäre er dort nicht beigetreten, so hätte er seine Stelle nicht gekriegt.
Ja, der Hitler, der hatte sein Hauptquartier in Rastenburg, das war die sogenannte "Wolfsschanze", die hatte er als chemische Fabrik getarnt und weiträumig abgesperrt, und nicht einmal die Bevölkerung hatte auch nur die leiseste Ahnung, dass es etwas anderes sein sollte, denn da kam man nur mit drei bis vier Spezialausweisen rein, und es waren schon weit vorher Warnschilder aufgestellt, da stand dann etwas von Lebensgefahr drauf. Also, ich war auch einmal dort in Rastenburg, das liegt in Ostpreussen, und fragte die Leute:
"Guten Tag, habt ihr gewusst, dass der Hitler hier sein Hauptquartier hatte?" -
"Ne, wir hatten keinen blassen Schimmer!"
Also, das waren Deutsche, die dort geblieben waren.
5. Mona Mikzicek, s.o., Samstag, 21. Januar 1995
Die polnischen und russischen Gefangenen wollten nach 1945 nicht zurück
Mona: Diejenigen Polen und Russen, die in Deutschland gefangen waren, getrauten sich nicht, nach dem Krieg nach Hause zurückzukehren, denn dort galten sie als Landesverräter -
Und wären umgebracht worden -
Na klar. Diese heirateten dann nach dem Krieg meist eine deutsche Frau.
6. Mona Mikzicek, s.o., Samstag, 28.Januar 1995
Notlandung im Ersten Weltkrieg in Amsterdam in einer Gracht - Pilotenleben im Ersten Weltkrieg
Mona: Nein, mein Vater musste nicht mehr in den 2.Weltkrieg, denn der hatte sich im 1.Weltkrieg schon so viel gebrochen, dass er nicht mehr gehen musste. Wie das kam? Ja, er musste einmal im 1.Weltkrieg in einer Gracht in Amsterdam notlanden. Er war also mit beiden Flügeln auf den Trottoirs und mit der Kabine halb im Wasser, kann man sich ja vorstellen, wie das war [mit zig Knochenbrüchen]. Ja, er musste natürlich erst zur Infanterie, das passte ihm natürlich nicht als wohlerzogenes Söhnchen, in den Gräben und im Schlamm, da war er dann vielleicht sogar absichtlich unvorsichtig. Er legte sich auf den Boden, da wurde er getroffen. So schickte er ein Telegramm nach Hause:"Durchschuss durch beide Backen, sonst nichts passiert."
Na, und so kam er dann zu den Fliegern. Dort wurde er dann Offizier.
Das war dann so: Da gab es dann immer diese Offiziersbälle und da warteten dann immer die hübschen Mädchen auf die Offiziere. Die Männer kamen aber dann nicht im Wagen oder mit der Bahn, nein, die flogen mit ihrer Maschine da hin, also, das waren doch so erst die ersten Flugzeuge damals, die es überhaupt gab. Da konnte man noch auf einer Wiese landen oder auf einem Feld. Und die haben natürlich auch für die Frauen ihre Kunststücke in der Luft gemacht. Das hat die gereizt! Das ging so weit, da ist mein Vater einmal in Köln unter der Rheinbrücke hindurchgeflogen, und das war lebensgefährlich natürlich, aber so waren die damals.
7. Otto Schulz (mein Vater), Deutscher, Zollikon, Schweiz (Kanton Zürich) Jg. 1938
Altena 1945 (NRW): Granatenschiessen über das Tal hinweg - Besatzung - der Vater kam nicht mehr aus Russland zurück
Januar 1994
Wie ich den Krieg erlebt habe? Eigentlich gar nicht so viel, ausser dass wir viel im Keller sein mussten. Wir wohnten in Altena im Sauerland, da gab es nur ganz wenig Treffer. Nur einmal mussten wir eine ganze Woche im Keller verbringen, denn im Sauerland - also, das war gegen Schluss des Krieges - da war eine deutsche Garnison, die von den Alliierten zersplittert wurde. Da beschossen sich die Armeen mit ihren Granaten über das Tal hinweg, also über Altena hinweg, das in einem Tal liegt. Auf der einen Seite auf dem Berg waren die einen und auf der anderen Seite die andern, und die Geschosse flogen über das ganze Städtchen hinweg -
Und da kam nie ein Geschoss ins Tal? -
Nein, fast keine -
Und im Bunker warst du nie? -
In Siegen, ja, in Altena selbst gab es keine Bunker. Die waren dafür in den Berg gehauen. Das ist dort Schiefergebirge mit Eichen- und Birkenwäldern. -
Wie waren denn die Lehrer? Du kamst nach dem Krieg in die zweite Klasse, und es waren viele im Krieg umgekommen. Waren denn das vorwiegend alte? -
Ja, aber das merkte man erst mit 15 so, dass die alt waren. -
Hast du Trümmer gesehen? -
Eigentlich kaum. Am Ende des Krieges haben sie nur alle Brücken gesprengt, völlig sinnlos. Das war so alles, da wurden dann Notstege geschaffen, zuerst die zentrale Brücke wieder aufgebaut, dann die andern. -
Wie verhielten sich die Besatzungstruppen? Was waren das für welche? -
Wir hatten Engländer. Die nahmen natürlich die grössten Häuser. -
Die Bewohner mussten verschwinden? -
Ja, aber dann kamen Belgier, und die waren nicht ganz so toll. Also, bei einem Fest flogen da schon mal Möbel aus dem Fenster aus einer Villa. -
Das war alles? -
Ja, mehr war da nicht. -
Das ist ja gar nicht viel! -
Nein, wenn man die Relationen sieht, ist es eigentlich gar nichts. -
Deine Tante wohnte in Templin und du warst dort in den Ferien? -
Ja! Ihr Mann war Gymnasiallehrer in Templin, so dass sie dort hin ziehen musste. So konnten wir dort jeweils in die Ferien fahren. Templin: Das war bei Berlin. Ich erinnere mich eigentlich nur noch an das Bild von einer Bucht mit einem See. Später nach dem Krieg kamen dann die Kommunisten, die ganze Familie meiner Tante waren Flüchtlinge, denn Templin wurde sowjetische Zone und musste aufgegeben werden. Da war die Familie mit drei Kindern zuerst in Lübeck im Flüchtlingslager, dann waren sie bei uns in der Wohnung in Altena, das war schon ziemlich eng. Aber das musste mehrere Jahre so gehen. Meine Grossmutter kam dann auch noch hinzu, denn die war in Siegen ausgebombt, das Haus total zerstört. -
Hast du lange auf deinen Vater gewartet? -
Wir haben gewartet. Er wurde Anfang 1943 als vermisst gemeldet. Und als dann der Mann meiner Tante 1953 wieder kam und mein Vater nicht, da wusste man es dann. Das war schlimm, vor allem für meine Mutter, weil die waren ein Herz und eine Seele gewesen, die zwei.
8. Telefonat mit Gertrud, Deutsche, eine Grosstante, Lüdenscheid, Deutschland, ca. 80
Russische Gefangenschaft im Süden am Schwarzen Meer in der Wärme - Rückkehr 1953
über den Mann, der aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt ist: Frage, ob denn da Briefe vorhanden sind. -
Ja, da waren schon Briefe, auch aus der Gefangenschaft. Aber mit der Zeit hat man das dann auch weggeworfen. -
Hat er denn erzählt, wie das war in der Gefangenschaft? Wie hat er das überlebt? -
Der war am Asowschen Meer ganz im Süden. Da hat er das überlebt, dort hat er viel gelernt: Gartenbau, Häuser gebaut und so. Das konnte er dann auch zu Hause alles gut gebrauchen. -
Und 1953 kam er wieder zurück? -
Ja, da stand er plötzlich in der Tür, ohne jede Ankündigung. Der war den ganzen Weg zurückgelaufen. -
Was? -
Ja, diese Rückreise, das war nicht einfach mit dem Zug oder so. Gelaufen sind die, und er hat dann immer wieder mal erzählt, nur, heute denkt man nicht mehr so dran, und er ist ja auch schon 82 jetzt
9. Mona, s.o.
Deutsche Frauen schenken "dem Führer" ihre Babys - Jugendlager der HJ mit viel Sex - Teenie-Schwangerschaften - Mutterkreuze - Hitler wird geliebt, weil er Autobahnen baut und die Kfz-Steuer abschafft
3. Februar 1995
(Ich hatte weiter im Buch "Hitlers Deutsche" gelesen. Nach diesem Buch bekam jedes Ehepaar auf Antrag ein "Ehedarlehen": Beim 1. Kind wurden 25% erlassen, beim 2. Kind 50%, beim 3. Kind 75%, beim 4.Kind wurde das ganze Darlehen geschenkt. Ansonsten waren die Rückzahlungsbedingungen: Rückzahlung von 1% des Darlehens pro Monat zinslos).
Ich spreche Mona auf das "Ehedarlehen" an, da erzählt sie:
Es gab viele Frauen, die haben Hitler ein Kind geschenkt. Manchmal waren das sehr junge Frauen, sogar unter 20 Jahre.
Wir hatten auch Jugendlager, für Mädchen und Jungen, ein Lager neben dem andern, und es gab keine Probleme, um "es zu tun". Auch ich wäre fast in so ein Lager gekommen, aber meine Eltern hatten vorgesorgt und schickten mich nach Süddeutschland Kinder hüten. Das hat mich gerettet.
Ich kann mich noch erinnern: Eine Schulfreundin war in einem solchen Lager, und das waren nicht Lager für eine oder zwei Wochen. Nein, das ging über Monate. So kam die Tochter im 7. Monat Schwanger heim, und sie hatte doch nicht den Mut, das ihrer Mutter zu sagen, aber verstecken konnte sie es ja auch nicht mehr. Da entschied ihre Mutter: "Das hängen wir einfach hinten dran"
die hatten bereits so viele Kinder!
Dank dieser Schwangerschaft musste sie dann nie mehr in diese Lager gehen, und von den Nachbarn merkte auch niemand, dass da plötzlich noch ein Kind mehr war, das hat wirklich niemand gemerkt, dass das Kind gar nicht von der Mutter, sondern von der Tochter stammte!
Für Mütter mit vielen Kindern gab es dann das "Mutterkreuz": für 4./5. Kind in Bronze, für das 6./7.Kind in Silber, und ab dem 8.Kind in Gold. Dabei kannte ich eine Mutter, die hatte 12 Söhne, aber sie hat alle im Krieg verloren. Also, dass viele von denen fielen, das ertrug sie noch, es war eben alles die Liebe zum Führer, die sie das alles ertragen liess. Und so war das bei vielen Frauen. Aber als sie die Nachricht bekam, dass der letzte auch noch gefallen war, da ist sie dann durchgedreht. -
Ja, Hitler hat ja die Autobahnen gebaut, und von ihm kommt auch die Bezeichnung Volks-Wagen. Es sollte also ein Auto sein für das ganze Volk, damit jeder fahren kann, so viel er Lust hat. Und die KFZ-Steuer hat er abgeschafft. Das muss man sich mal vorstellen, was der gemacht hat: Er hat die Strassen bauen lassen und den Leuten gleich noch das Auto zu einem vernünftigen Preis dazugeliefert! -
Das muss ja eine riesige Liebe Hitlers zu seinem Volk gewesen sein. -
War es auch, und er wollte, dass jeder in seinem Volk die Freiheiten hatte, die er auch besass, und Hitler fuhr leidenschaftlich gern Auto.
10. Ältere Frau im Zug, Strecke Zürich - Bern, eine Deutsche, wohnhaft in Österreich, Jg. 1909
Die "Pflicht", in den Krieg zu ziehen - eine Verwundung in Jugoslawien rettet dem Bruder das Überleben - Rückkehr aus Russland zu Fuss - Albträume der Soldaten nach dem Krieg - Hitlers "Taten für das Volk" war alles nur Blendwerk zur Manipulation der Bevölkerung in den Krieg - ein Bruder kommt aus Russland nicht zurück - die Schweizer haben die Sensibilität für das wirklich Tragische nicht
13.2.1995
Sie fragt mich: Ihre Grossväter waren für Hitler in Russland und Sie haben Briefe davon in alter Deutscher Schrift? Ich habe ein Tagebuch meines Urgrossvaters von 1800! Der kämpfte damals für Heinrich den Zweiten, das war der Bruder von Napoleon, diese Schrift sollten Sie einmal lesen. Ich und mein Mann, wir gingen an diese Schrift heran, da las ich ein Wort, dann er ein Wort, diese Schrift damals, die ist wirklich schwierig. Wir haben dann unseren Kindern dieses Tagebuch kopiert, dem ein und dem eins, so dass die das auch haben. -
Also Ihr Urgrossvater ist für Heinrich den Zweiten in den Krieg gezogen, wie war denn das bei Hitler, dass dort alle für ihn in den Krieg gezogen sind? -
Das war eben die Pflicht, das anerzogene Pflichtgefühl, das hat alle mit Hitler in den Krieg reingezogen. Mein Bruder war auch im Krieg, der kam dann wieder zurück. Er war in Griechenland, dann in Russland, dann aber in Jugoslawien -
Und er ist zurückgekommen? -
Ja, er hat unheimliches Glück gehabt. Er wurde dann in Jugoslawien verwundet, und da haben sie ihn zurückgeschickt nach Deutschland. Von seiner Garnison aber ist nichts mehr übriggeblieben. -
Die, die aus Russland zurückkamen, die mussten den ganzen Weg zurücklaufen? -
Ja, das habe ich auch gesehen. Da kam zum Beispiel einer mit einer Kuh. Also: die Kuh zog ihn, am Schwanz. Die waren total kaputt, die Leute. -
Kann ihr Bruder denn darüber sprechen? -
Nein. Heute noch nicht. -
Immer noch nicht? -
Nein, das war alles viel zu schrecklich, was die da erlebt haben. Also, er hat zuerst manchmal sogar im Schlaf geschrien, fürchterlich. -
Hitler hat aber auch gute Sachen gemacht. -
Ha, nein, das waren alles nur Bonbons. Nein, nein, das war alles nur, um die Kriegsabsichten zu vertuschen. -
Alles? -
Ja, alles. -
Aber, also, Hitler hat den VW in Auftrag gegeben und hatte als Vorbild immer Amerika. -
Das schon, aber er hatte nur den Krieg im Sinn, hat uns total geblendet. Die Franzosen sagten schon lange vor dem Krieg: "Hitler, c'est la guerre". Ja, so war das, die Autobahnen und so. -
Das war alles nur Blendwerk? -
Alles. -
Vieles wurde aber dann nach dem Krieg übernommen, oder? -
Ja, vieles, aber man durfte ja nicht darüber sprechen, und eines war schade: Dass man die Jugendverbände nicht wieder ins Leben gerufen hat. -
Wieso? -
Das hätte alle wieder an die HJ erinnert, und das wollte man nicht mehr. Die Jugend von nach dem Krieg hatte nichts zu tun! -
Weil man keine Jugendverbände mehr wollte. -
Ja. -
Die, die zurückkamen, also, einer meiner Grossväter war vermisst gemeldet und kam 10 Jahre lang nicht, und da kam ihr Schwager zurück, da wusste sie, ihr Mann kommt nicht mehr. -
Ja, das war noch schlimmer als eine Todesnachricht. -
Und dann, wenn er so lange nicht zurückkam, da nahm sich die junge Frau einen anderen Mann, dann kam der erste aus dem Krieg zurück und sah seine Frau mit dem anderen. -
Ja, es war furchtbar schrecklich, das war so. -
Diese Sensibilität haben die Leute in der Schweiz nicht. Das ist das Unglaubliche. -
Ja, das ist so, sie haben sie nicht, können sie gar nicht haben. Also, sie haben es nicht leicht gehabt in der Schweiz. -
Aber das wirklich Tragische haben sie nie erlebt. -
Nein, sie waren ja nicht dabei. -
Mein anderer Grossvater hat geholfen, Leningrad auszuhungern. -
Und sich selbst ja wohl auch...