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Teil 1 - Teil 2 - Teil 3 - Teil 4 - Teil 5
Interviews über die Zeit des Zweiten Weltkriegs und über die Entstehung der Hitler-Psychose

Schilderungen von Zeitzeugen im Bekanntenkreis (1994/1995, redigiert im Jahr 2000)

Oral History

gesammelt von Michael Palomino (1994 / 1995 / 2000)

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Teil 4

1. Flucht aus Schlesien "in den Westen" 1945 - zerstreute und zerrissene Familien - die Vertriebenen verloren Heimat und Verwandtschaft - französische Manipulationen mit Schlesien schon 1918 / 1919 - Rückkehr und Besichtigung ab 1972 - der Kommunismus liess die Häuser verfallen oder hat Häuser auf dem Land abgerissen, um mit den Backsteinen Warschau wieder aufzubauen

2. Massenmörder Stalin - Engels war ein Jude

3. Der "polnische Korridor" mit verplompten Türen und zugehängten Fenstern - Stalin und Mao

4. Frankreich quetschte 1918 Deutschland aus - Inflationszeit und 6 Mio. arbeitslose Männer 1930 - Hitler wurde gegen die Kommunisten gewählt

5. KZs für Deutsche in Schlesien 1945 - Massenmord an Deutschen, die bleiben wollten - die 1941 aus Osteuropa angesiedelten Deutschen wollten 1945 nicht ein zweites Mal umsiedeln

6. Das von der Roten Armee belagerte Allenstein mit Ruhr und Typhus, Quartiere ohne Strom und ohne Wasser - tote Pferde schwimmen im Fluss Aller - Pferdefleisch - Vertreibung im August 1945, Polen schlagen mit Knüppeln - der Zug der Deutschen in Viehwaggons wird nach Sibirien ausgerufen, fährt aber nach Westen - Polen werfen 1918 schon Deutsche aus Gebieten raus, Beispiel Dirschau - Allenstein ist im alten Stil wieder aufgebaut

7. Die russische Besatzung im Sudetenland beschlagnahmt fast den kompletten deutschen Besitz - wochenland im Versteck wegen Gefahr der Vergewaltigung - Zwangsarbeit für deutsche Frauen unter russischer Besatzung - und dann Vertreibung 1946 ohne Aufnahmeland - Tschechen schlagen den Deutschen auf die Finger, damit sie das Gepäck nicht mitnehmen - das Sudetenland bleibt ab 1946 entvölkert, viele Häuser bleiben leer und werden dann abgerissen

8. Die "Vergasung" kommt in deutschen Sprichwörtern vor - geistig will man unbesiegt bleiben


9. Soldat überlebt den Krieg dank einer Verwundung - Hitler wollte Juden nach England schicken und Churchill verweigerte

10. Hitler wurde in Österreich mit offenen Armen empfangen - Judenverfolgung - Flucht in die Schweiz - Hitler wollte mit Churchill Juden gegen Lastwagen tauschen



1. Eckhard Fiebig, gebürtiger Schlesier aus Lauban, jetzt in Ebmatingen bei Zürich, Solo-Pauker der Zürcher Oper, ca. 55.

Flucht aus Schlesien "in den Westen" 1945 - zerstreute und zerrissene Familien - die Vertriebenen verloren Heimat und Verwandtschaft - französische Manipulationen mit Schlesien schon 1918 / 1919 - Rückkehr und Besichtigung ab 1972 - der Kommunismus liess die Häuser verfallen oder hat Häuser auf dem Land abgerissen, um mit den Backsteinen Warschau wieder aufzubauen

März 1995

Eckhard über die Flucht: Da war ich erst vier, und da hiess es einfach: Es geht ein Treck gen Westen. Da waren wir dann drei Tage im Wagen verdeckt, und als wir wieder aussteigen durften, waren wir im Westen. Wir wussten aber nicht, wohin wir gefahren waren, und da waren wir dann eben in Dortmund gelandet. -

Ja, und deine Verwandten, sind die denn auch nach Dortmund gekommen, damit ihr alle zusammenbleiben konntet? -

Ne, ne, was denkst du hin. Das waren einfach Trecks. Da gab es keine Auswahl oder so. Man hatte eine ganze Zeit lang überhaupt keine Ahnung mehr, wo wer war! So langsam hat man es dann über das Deutsche Rote Kreuz herausgefunden, aber das dauerte so vier, fünf Jahre. -

Und wo waren denn deine Verwandten gelandet? -

Ja, die waren nicht einfach so an einem Ort. Die waren zum Schluss von Hamburg bis an den Bodensee auf ganz Deutschland verteilt. -

Echt? -

Ja. -

Aber das ist ja schlimm. Dann seht ihr euch ja nur ganz selten mal. - 

So ist das auch. Das ist ja das spezielle Schicksal der Vertriebenen: Wir haben unsere Heimat verloren und den Kontakt zu unseren Verwandten haben wir auch verloren. Das ist schon schlimm. Und deswegen gibt es den Bund der Vertriebenen in Deutschland, der da aber auch nicht mehr viel machen kann. Also, wenn es nach mir ginge, dann müsste Breslau wieder deutsch sein, denn Breslau war immer deutsch gewesen. -

Da wird man wohl nicht mehr viel ändern können. -

Ja, bis 1970 war das noch in der Schwebe. Aber dann hat auch Westdeutschland mit dem Thema Schluss gemacht. Da sind die nach Polen gefahren, der Egon Bahr und Brandt und die, und haben den Polen gesagt: Nein, da diskutieren wir nicht mehr drüber. -

Da haben die in der Sachen einen Schlussstrich gezogen? -

Ja, das haben die. -

Und deine Verwandten hast du nicht mehr gesehen? -

Doch, so ab und zu, bei einer Beerdigung haben sich dann zum ersten Mal wieder alle gesehen. -

Und Breslau müsste wieder deutsch sein? -

Ja, das wäre schön. -

Und Beuthen, Oppeln, Hindenburg? -

Gehört doch alles dazu. Ne, ne, das haben die uns alles weggenommen. Aber dann muss man eben so leben. -

Die Polen wollten Schlesien ja schon nach dem ersten Weltkrieg. Da war ein Expertenteam in Breslau und stellt fest, dass in Breslau polnisch gesprochen wird, und sagte dementsprechend, Breslau wäre polnisch. -

Ja, solch krumme Dinge sind da massenweise gelaufen, weisst du. -

Hast du denn dein Haus, wo du gewohnt hast, wiedersehen dürfen? -

Ja, also zuerst durfte man dort ja gar nicht hinfahren. Die waren einfach gegen alles, was deutsch war. -

Die Polen haben ihre Ansichten gegen Deutschland ja sogar in ihrer Nationalhymne. -

Ja, vielleicht sogar das. Dann war die Grenze wieder offen, und wir sind dann hin mit einem alten Foto. So konnten wir diesen Leuten, die dort jetzt wohnten, beweisen, dass es sich um dieses Haus handelte, und die haben uns sogar reingelassen. -

Du durftest dein Kinderzimmer sehen? -

Ja, das durfte ich. -

Ist doch schön. -

Ja. -

Und wie waren die Häuser, waren sie noch gut in Stand gehalten? -

Nein. Also, da hat doch niemand was dran gemacht. Da hingen die Fensterläden, das war doch alles der Kommunismus. Ne, gepflegt war da nicht viel. Trauben hatten sie gepflanzt am Haus, das war aber auch das einzige. -

Und hast du auch noch andere Häuser deiner Familie gesehen? -

Ja, eins wollten wir uns noch anschauen, und das war einfach nicht mehr da. -

Was? -

Ja, das war verschwunden. Und da erfuhren wir: Dieses Haus wurde abgerissen wegen den Backsteinen, und die Backsteine haben die Polen für Warschau verwendet. -

Wie? -

Ja, die haben die Backsteine dazu verwendet, Warschau wieder aufzubauen. -

Nicht möglich! -

So war's. Da siehst du nur. -

Breslau... -

Ja, Breslau. Also, wenn du mir Breslau sagst, da schlägt bei mir das Herz gleich dreimal höher, weil es meine Heimat ist.

2. Ilja Pevzner, Jude aus Russland, wohnhaft in Bnei Brak bei Tel Aviv, ca. 30, mein Schwager

Massenmörder Stalin - Engels war ein Jude

Stalin? Der hat 50 Millionen Menschen umgebracht. -

In einem anderen Buch steht 45. -

Das spielt ja auch keine Rolle mehr. Stalin und Hitler waren eben gleich zwei Verbrecher, aber Verbrecher gibt es immer wieder, die an die Macht kommen. -

Gibt es einen, der mehr Leute umgebracht hat als Stalin? -

Vielleicht Mao. Das ist das Wesen des Kommunismus, Leute umzubringen, die nicht so denken, wie die Regierung es will. -

Wieso hat denn Hitler einen Zusammenhang zwischen Juden und dem Kommunismus gesehen? - Ja, Hitler sagte, die Juden seien am Kommunismus Schuld, weil Engels ein Jude war.

3. Mona, s.o.

Der "polnische Korridor" mit verplompten Türen und zugehängten Fenstern - Stalin und Mao

3.März 1995

Frage zum polnischen Korridor:

Bist du auch einmal durch den Korridor gefahren? -

Ja, als Kleinkind. Da fuhren wir nach Königsberg, mein Vater war da her (von dort), und man musste die Vorhänge zumachen und die Türen wurden verblombt. -

Sag mal, mein Schwager sagte, Stalin habe 50 Millionen Leute umgebracht, und Mao noch viel mehr. -

Bei Mao kannst du wohl noch eine Null dranhängen. -

Was? 500 Millionen? -

Das war so grausam, was Mao gemacht hat.

4. Herr Zintl aus dem Sudetenland, Langenthal, s.o.

Frankreich quetschte 1918 Deutschland aus - Inflationszeit und 6 Mio. arbeitslose Männer 1930 - Hitler wurde gegen die Kommunisten gewählt

25.März 1995

Frage: Sagen Sie, dieser Vertrag von Versailles hat Hitlers Handlungen schon sehr bestimmt, oder? Und die Franzosen haben nicht genug kriegen können vor Rache bzw. Clémenceau? -

Frankreich hat mit seinen Verbündeten Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg ausgequetscht bis aufs Letzte. Die Not [1930] war [dann] so gross, die Inflation, die Arbeitslosigkeit... Ich habe es erlebt, es waren damals sechs Millionen arbeitslos, und das waren nur die Männer. Die Frauen hat man ja damals gar nicht mitgezählt. Das gab's damals noch gar nicht. Heute, wenn eine Frau zwei Stunden schafft und nicht mehr kann, gilt sie ja auch als arbeitslos. Das war damals nicht so. Wir waren sechs Kinder. Mein Vater war arbeitslos. Mein Vater bekam 5 Mark die Woche, und ein kg Brot kostete 38 Pfennig. Und die Parteien haben ja laufend gewechselt. Da sagten alle, sie würden etwas tun, und keine tat was. Da war das Motto, klaue es vom andern. Nur, wie etwas nehmen, wenn der andere gar keine Taschen hat. -

Und die Franzosen haben zugeschaut. -

Ja, nach dem zweiten Weltkrieg, dann haben sie es anders gemacht. Das war so extrem damals. Da kamen die Kommunisten und haben Brot verteilt. -

Die wollten dann "absahnen". -

Ja. -

1920? -

Nein, 1930. Da kam der Thälmann und hat den Leuten Brot verteilt. Ich war selber dort. Jeder bekam ein Brot und so ein Stück Speck (Herr Zintl zeit etwa 25 cm an). -

Und da war Hitler die einzige Lösung. -

Klar, der hat den Leuten Brot gebraucht, und Arbeit! -

Ja, ich kann mich noch erinnern, damals [an die Inflationszeit von 1930]: Jeder hat Geld rausgegeben. Jeder Laden hat Geld rausgegeben. Lohn gab's dreimal am Tag: morgens, mittags und abends um vier, je nach Börsenkurs, und ich weiss noch, als kleiner Junge habe ich dann mit den Geldscheinen mein Zimmer tapeziert. -

Das musste ein unheimliches psychisches Chaos gewesen sein im Dritten Reich, das war eine richtige Psychopatenclique. -

Ja. -

Nur: Eine andere Lösung gab es nicht zu der Zeit, sonst hätten die Kommunisten die Macht übernommen. -

Das war immer die Gefahr. Aber eben: Ohne sich den Überblick zu verschaffen über das, was vorher war, kann man es nicht verstehen. Das geht mindestens bis in die Zeit von 1918, Versailler Vertrag und so weiter.

[Dabei haben "amerikanische" Banken den Kommunismus finanziert...]

5. Eckhard Fiebig aus Schlesien, s.o.

KZs für Deutsche in Schlesien 1945 - Massenmord an Deutschen, die bleiben wollten - die 1941 aus Osteuropa angesiedelten Deutschen wollten 1945 nicht ein zweites Mal umsiedeln

März 1995

Frage an Eckhard: Weisst du, was ich heute gefunden habe? -

Ne. -

Deinen Namen in der Zeitung. -

Ja, wo denn? Wieso soll denn mein Name in der Zeitung stehen? -

Der steht da in einem Artikel der Basler Zeitung. -

Ja? -

Ja. Da ist ein Artikel über Schlesien drin. -

Das gibt's nicht! -

Doch, das ist wahr. In der Ausgabe vom 25.Februar 1995: "Schlesien, Ende 1945: Was hier passiert ist, will keiner wissen." Die berichten, dass es da KZs für Deutsche gegeben hat. -

Das berichten die? Da siehst du. Das hat es alles gegeben, und die grosse Welt weiss nichts davon. -

Nein. Das steht in keinem DTV-Atlas. -

Sicher nicht. -

Da wird berichtet, die Deutschen, die nicht mit den Trecks die für polnisch erklärten Gebiete verlassen hatten, also diejenigen, die bleiben wollten, die wurden in KZs gesteckt und von den Polen umgebracht. -

Das war so. -

Dabei waren viele von Hitler erst gerade umgesiedelt worden. Da war Hitler ja ganz stolz drauf, steht beschrieben in einem alten Buch von 1941: "Reichsaufbau im Osten." Natürlich ist da viel Propaganda drin, aber das mit den Umsiedlungen dürfte wohl stimmen. -

Ja, das hiess damals: "Heim ins Reich" war die Parole. Da wird sicher viel drin stehen, was da passiert ist. -

Also, da wird berichtet, wie Hitler viele Deutsche aus Russland, aus Wolhynien, den Baltenstaaten und der Ukraine in die polnisch besetzten Gebiete umgesiedelt hat. -

Das war damals eben üblich, ganze Völker zu "verschieben". -

Nur, diese haben es als Heimkehr betrachtet und dachten, jetzt kann ich am neuen Ort bleiben, und dann mussten sie 1945 schon wieder in einen Treck. Da wollten die doch nicht mehr! -

Vielleicht war das so. Also, die Polen sind damals mit den Deutschen auch nicht gerade freundlich umgegangen. Aber wo ist denn nun mein Name? -

Also, ich lese dir vor: Da wird berichtet, dass die Lager, in denen die Deutschen waren, mindestens so schlimm wie Auschwitz waren, und es gab viele Gräber und Massengräber. Da steht über ein Lager in Myslowice:

<[…] Maximilian Piecowski, der heute in Rybnilk lebt. Damals, 1945, war er ein kleiner Junge, doch an seinen Vater, der im Lager Myslowice für immer verschwand, kann er sich noch erinnern. Myslowice war eines der über zwei Dutzend Lager, die nach Kriegsende in Oberschlesien eingerichtet wurden. Heute ist Myslowice eine Kleinstadt an der Bahnstrecke von Kattowitz nach Auschwitz. Vom Bahnhof aus sind es nur wenige hundert Meter bis zum evangelischen Friedhof des Städtchens. Im hinteren Teil des Friedhofs liegt ein Areal, auf dem die Gräber nicht abgeteilt sind. "Das ist das Massengrab", erklärt Piecowski. Er deutet auf einen Kranz mit schwarzrotgoldener Bilde: "Das hat die örtliche deutsche Minderheit hier niedergelegt."

Auf den schwarzen verwitterten Eisen- und Holzkreuzen stehen fast nur schlesische Namen. Nur eine Aufschrift verkündet: "Maria Fiebich, 2.2.1894 bis 10.10.1945, tragisch gestorben im Lager Myslowice." Auf den anderen Gräbern verraten nur die Todesdaten, was sich hier abgespielt hat: Offenbar alle hier Bestatteten starben im Oktober 1945, Monate nach dem Kriegsende.> -

Ja, da siehst du mal, da hast du etwas gelesen, was sonst kaum jemand zur Kenntnis nimmt auf der Welt. -

Aber weisst du, was noch schlimmer ist? Diese Lager verfallen, das pflegt niemand, so dass alles verloren geht. Schau mal, was da steht:

<Die "Strasse der Aufständischen" in Myslowice endet mit dem Haus Nr.23, einem mehrstöckigen Backsteinbau, in dem sich eine private Handelsfirma niedergelassen hat. Piecowski deutet auf das Tor: "Hier war der Eingang. Hierher hat meine Mutter Brot für den Vater gebracht und bei einem Wachtposten abgegeben." "Strasse der Aufständischen 23" steht auf dem Totenschein, den Maximilian vor einigen Jahren vom evangelischen Pfarrer von Myslowice ausgestellt bekommen hat. Hinter dem Gebäude bricht die Strasse in einer Treppe nach unten ab. Dort beginnt der Stadtpark. "Da unten stehen noch die alten Gebäude des Lagers", erklärt Piecowski. "Heute ist da ein Feuerwehrmuseum".

Er deutet nach unten und bleibt abrupt stehen. Unten am Bahndamm, wo er das Museum vermutete, ragen nur die Ruinen einiger gesprengter Baracken in die Landschaft, überflutet von Wasser liegen sie wie auf einer Insel. "Baufällig", sagt am nächsten Tag ein Angestellter der Stadtverwaltung Myslowice, das Wasser des nahen Flusses habe die Bausubstanz unterspült. "Wir mussten die Gebäude abreissen und das Museum auslagern." Ein Gebäude sei stehengeblieben, "da war im Krieg ein Lager", meint er vieldeutig. Maximilian Piecowski steht auf der Parktreppe im Regen, die Arme vor dem Bauch verschränkt. "Weg", sagt er. "Jetzt ist es, als habe es das nie gegeben.> -

So ist das doch immer, Mischa. Die Deutschen haben alles getan, und die anderen haben nichts getan. Und wenn du dich eingehend mit der Sache beschäftigst, dann wirst du noch viele solche Fälle finden. -

Und das steht in keinem DTV -

Nein, das steht in keinem DTV, auch in keinem Geschichtsbuch.

6. Frau Rams, meine Grosstante aus Ostpreussen aus Allenstein, ca.70, gebürtig aus Ostpreussen, heute in Witzenhausen

Das von der Roten Armee belagerte Allenstein mit Ruhr und Typhus, Quartiere ohne Strom und ohne Wasser - tote Pferde schwimmen im Fluss Aller - Pferdefleisch - Vertreibung im August 1945, Polen schlagen mit Knüppeln - der Zug der Deutschen in Viehwaggons wird nach Sibirien ausgerufen, fährt aber nach Westen - Polen werfen 1918 schon Deutsche aus Gebieten raus, Beispiel Dirschau - Allenstein ist im alten Stil wieder aufgebaut

Montag, den 17.April 1995

Ja, ich lebte in Allenstein, und am Ende des Krieges, da war Allenstein belagert, und es herrschte schon Ruhr und Typhus und alles Schreckliche, und da mussten wir entscheiden, ob wir gehen oder nicht. Und wir beschlossen zu bleiben, aber wir hatten keinen Strom, keinen Tropfen Wasser, kein gar nichts mehr. Und trotzdem entschied ich zu bleiben mit Mutter, Vater und vier Jahre altem Sohn, dem Siegfried eben, der Mann deiner Tante. Als die Belagerung dann beendet war - natürlich mussten wir kapitulieren - da durften wir dann in die Villenviertel der Reichen einziehen. Die lagen an der Aller, damit man wenigstens Wasser hatte. Aber: Die Aller, das war nicht reines Wasser, denn da schwammen lauter Pferdekadaver drin. Von daher haben wir viel Pferdefleisch gegessen. Das war natürlich zum Teil verseucht, aber es gab nichts sonst. Eine Tante war dann ausgezeichnete Köchin und hat das Pferdefleisch tagelang eingelegt, und so haben wir uns über unseren Hunger gerettet.

Ein halbes Jahr später, im August 1945, war dann die Vertreibung aus Allenstein. Es wurde uns gesagt, der Zug fährt nach Sibirien. Uns war es egal. Es musste uns egal sein, Hauptsache, das Kind war dabei. So wurden wir alle in Viehwaggons zusammengepfercht. Die Polen standen daneben und schlugen auf uns mit Knüppeln ein. Ich kam als letzte und konnte schon fast nicht mehr, hing ich da an der Tür und brach fast zusammen vor Schwäche. Ich krallte mich fest, die Polen schlugen weiter auf mich ein mit ihren Peitschen und Knüppeln. Da konnte ich nicht mehr, liess lose und landete auf den Geleisen, und sie schlugen weiter. Ich solle doch endlich einsteigen. Da fuhr der Zug schon los, da riefen die Polen doch noch: Stop, Stop! Der Zug hielt nach einigen 100 Metern nochmals an und ich - ich weiss auch nicht, wie ich das dann noch geschafft habe - ich krabbelte so schnell wie möglich auf allen Vieren zum Waggon und dann zogen sie mich alle hinein.

Auf der Zugfahrt dann gab es immer wieder Halte, Aufnahme neuer Leute, alles Deutsche, in die Viehwaggons, zum Schluss mehr als gestopft voll. Zum Teil starben die Leute in den Waggons und wurden dann natürlich rausgeschmissen, so ging das eine Zeit. Und dann waren wir wieder einmal an einer Trinkstelle. Da plötzlich war das Kommando: "Es geht weiter!" Und es war kalt und es regnete. Da konnte mein Vater nicht mehr und blieb entkräftet im Regen liegen. Ich musste ihn zurücklassen und so musste er dort im Regen sterben. Dann, nach einiger Zeit - wir dachten immer noch, es geht nach Sibirien! - da machten wir die Feststellung, dass wir immer noch in deutschsprachigem Gebiet Waren. Und da wussten wir: Es geht gen Westen. -

Wusstet ihr, wo die Grenze der russischen Zone verlaufen würde? -

Nein. -

Es war aber bekannt, zumindest bei den Offizieren. -

Also, wir wussten nichts davon. Die Pollen haben doch auch schon 1920 Deutsche aus Polen rausgeworfen. -

Ja, zuvor wohnten wir in Dirschau. -

An der Memel? -

Nein, an der Weichsel. Da mussten wir alle raus. Da kamen die Polen: Entweder ihr geht oder wir schneiden euch allen die Zunge ab. Und da sind wir nach Allenstein gezogen. -

Hast du Allenstein wiedergesehen nach dem Krieg? -

Ja, zusammen mit Siegfried. Wir fuhren, bis wir die Türme von Allenstein sahen. Erst da machten wir Pause, und am nächsten Morgen fuhren wir hinein. Und die haben das schön wieder aufgebaut, die Polen.

7. Frau Zintl aus dem Sudetenland, wohnhaft in Langenthal, Frau von Herrn Zintl, im selben Alter, s.o.

Die russische Besatzung im Sudetenland beschlagnahmt fast den kompletten deutschen Besitz - wochenland im Versteck wegen Gefahr der Vergewaltigung - Zwangsarbeit für deutsche Frauen unter russischer Besatzung - und dann Vertreibung 1946 ohne Aufnahmeland - Tschechen schlagen den Deutschen auf die Finger, damit sie das Gepäck nicht mitnehmen - das Sudetenland bleibt ab 1946 entvölkert, viele Häuser bleiben leer und werden dann abgerissen

Freitag, den 28.April 1995

Ich komme aus dem Sudetenland. Wir haben nichts gespürt vom Krieg auf dem Hof. Wir hatten genug zu essen, keine Bomben, nichts. Am Schluss dann sind viele gegangen. Aber wir haben beschlossen: Wir bleiben hier. Wir hatten 40 Stück Vieh. Dann kamen die Russen. Da haben die uns alles genommen bis auf eine Kuh. Zwei haben wir dann wieder geklaut, die haben wir durch die Hintertür wieder reingeholt, so wie wir damals waren, nicht?

Also, die haben ja alles gemacht. Damals war ich 15. Die haben doch alles vergewaltigt. Da musste man sich verstecken, wochenlang! -

Ja, durften die das? -

Ja, die durften das. Die hatten Anweisung von oben: Ihr dürft alles machen, was ihr wollt.

Dann kam noch etwas anderes, und das erzähle ich normalerweise nie: Ich musste dann ein Jahr in Zwangsarbeit. Da war der einzige Vorteil: Ich habe dort tschechisch gelernt. Und nach diesem Jahr dann wurden wir vertreiben. Da mussten wir also gehen, und als wir nach Deutschland kamen, da wollte uns doch keiner. Also, man blieb Aussenseiter, und da habe ich gedacht, wenn schon Aussenseiter, dann richtig, und bin in die Schweiz. Mein Mann wollte aber zuerst nach Südafrika, hatte schon Papiere und alles, aber dann habe ich gesagt: Ne, da gehe ich nicht mit, und dann ist er auch nicht gegangen.

Da sind wir nach La Chaux-de-Fonds. Nur, dort war ich mir nie sicher. Französisch konnte ich wohl sprechen, nur: Ich konnte es ja nicht schreiben. -

In einem Buch wird berichtet, dass die Tschechen mit Stöcken den Deutschen auf die Finger geschlagen haben, damit sie ihr Gepäck fallen lassen mussten, als sie gehen mussten. -

Ja, es war so. Also, man sollte nicht davon reden. Man hatte doch nur das Allernötigste im Bündel und das sollte man auch noch weggeben. Meine Mutter, als wir in Chaux-de-Fonds waren, sie hat ewig nur von dem gesprochen -

vom Sudetenland -

Ja, von dort, und dann haben wir beschlossen, wir fahren wieder hin, weil, ich war ja Rentnerin schon und so durfte ich auch rüber. Da haben wir es wieder gesehen, und seither redete meine Mutter nichts mehr. -

Warum? War es so schlimm für sie? -

Ja, also ein Haus zum Beispiel war abgerissen. -

Wieso? -

Ja, es wurde nicht gepflegt. Da wohnte niemand drin. -

Wieso wohnte da niemand drin? -

Die haben doch viel zu wenig Leute! -

Also, die Tschechen haben die Sudetendeutschen vertreiben, haben aber selbst zu wenig Leute, um die freien Häuser zu bewohnen? -

Genau! Dort werden laufend immer wieder Häuser abgerissen, weil niemand mehr drin wohnt! Weil die zu wenig Leute haben! -

Das ist eine verrückte Welt. -

Manchmal schon!


April 1995:

8. Zitate aus "Ostpreussisches Tagebuch eines Arztes in Ostpreussen 1945-1947"

Die "Vergasung" kommt in deutschen Sprichwörtern vor - geistig will man unbesiegt bleiben


von Hans Graf von Lehndorff:

Die Einstellung deutsch-dressierter Bevölkerung vor der Flucht aus Ostpreussen:

<"Wohin wollen Sie denn?" frage ich. Das weiss sie [eine Frau aus der deutsch-dressierten Bevölkerung] nicht, nur, dass sie ins Reich kommen sollen. Und dann fügt sie noch überraschend hinzu: "Unterm Russ' lässt uns der Führer nicht fallen, da vergast er uns lieber."> (S.18).

[Solche Sprichwörter über Vergasung waren im Zweiten Weltkrieg üblich, auch unter der polnischen Bevölkerung, siehe Frankel].

<Als gerade wieder ein Granathagel unmittelbar in unserer Nähe heruntergekommen ist, höre ich es laut und vernehmlich in waschechtem ostpreussisch: "Na, nu werden sie uns ja wohl besiegen, aber jeistig nie!> (S.61).

9. Laszlò aus Ungarn, ca. 20, wohnhaft in Langenthal

Soldat überlebt den Krieg dank einer Verwundung - Hitler wollte Juden nach England schicken und Churchill verweigerte


August 1995

Mein Grossvater war ja auch Ungare und er war auch in der Hitler-Armee. Aber er wurde schwer verwundet, so hat er überlebt, das war sein Glück. Am Radio hörte er, dass Hitler einen Zug mit Juden nach England schicken wollte und Churchill wollte die Juden nicht. -

Nicht? -

Nein!

10. Ein alter Herr im Restaurant Mandarin, Zürich-Stadelhofen

Hitler wurde in Österreich mit offenen Armen empfangen - Judenverfolgung - Flucht in die Schweiz - Hitler wollte mit Churchill Juden gegen Lastwagen tauschen

September 1995

Als er bestellt, merke ich, dass er vielleicht Österreicher ist und spreche ihn darauf an, dass ich ein Problem mit Österreich habe: Hat Hitler Österreich überfallen wie es in den Geschichtsbüchern geschrieben steht oder haben sie ihn mit Freuden und aufgezogenen Fahnen empfangen, wie es in einem Buch von 1940 zu lesen ist ("Reichsaufbau im Osten")? Machten die Österreicher Hitler den Weg frei, dass er kommt? -

Sie haben ihn mit offenen Armen empfangen, haben ihm alle Türen und Fenster aufgemacht. Das gefällt den Österreichern, dass sie überfallen worden sind. Man lässt sich in der Geschichtsschreibung gerne überfallen, wenn es einen Vorteil bringt. -

Gab es dort auch Judenhetze? -

Ja, die Österreicher waren die grössten Antisemiten. Ich höre es heute noch, das "Jude verrecke!" Alle Geschäfte wurden geplündert. Ich wollte dort bleiben, bin dann aber doch aus Wien in die Schweiz geflüchtet. Da war ich 17. -

Haben Sie Wien je wiedergesehen? -

Ja, nach dem Krieg war ich nochmals in Wien in der Wohnung, war natürlich alles geplündert... -

Da war noch was, wo Sie mir Auskunft geben könnten. Da erzählte mir ein Ungare, sein Grossvater habe im Radio gehört, Hitler wollte einen Zug mit Juden nach England schicken und Churchill wollte die Juden nicht haben. -

Ja, das war aber noch anders: Hitler wollte Lastwagen für die Juden haben, also Kriegsmaterial. Und das wollte Churchill nicht. -

Also, Hitler wollte Churchill die Juden quasi als Arbeitskraft vermachen und dafür Lastwagen haben? -

Ja, so, und Churchill war dagegen. Das weiss ich genau, denn dort war ich selbst dabei.

Aber jetzt muss ich gehen, denn ich gehe mit Freunden ins Kino.

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