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Josef Nowak: Das Rheinwiesenlager Rheinberg

Kapitel 18: Schwarzer Bruder Gentleman

Deutsche Armbanduhren werden eine neue Währung -- weisse Rassisten-Amis betrügen oft - schwarze Amis bezahlen oft den ausgemachten Preis -- weisse Rassisten-Amis zerstören Lebensmittelpakete - schwarze Amis verteilen sie

aus: Josef Nowak: Mensch auf den Acker gesät. Kriegsgefangen in der Heimat

präsentiert von Michael Palomino (2013)
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[Deutsche Armbanduhren werden eine neue Währung]

Zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Gefangenen gab es im Lager Rheinberg keine Beziehung ausser der von Schlägern und Geschlagenen, die aber verhältnismässig früh wieder abgebrochen wurde. Im übrigen verhielten sich die Amerikaner zu uns wie etwa britische Grosskaufleute in Hongkong zu ihren chinesischen Kulis. Nein, das stimmt nicht. Wir rangierten weit unter dem Kuli. Wir wurden nicht einmal bemerkt, keines Blicks, keiner Anrede gewürdigt. Solange wir allerdings Armbanduhren besassen, bestand Handelsverkehr. Auch Ritterkreuze, Deutsche Kreuze in Gold, Narvik-, Kreta- und Krim-Schilde waren günstige Tauschartikel.

Die Sache mit den Armbanduhren gab uns wieder eines der unlösbaren Rätsel auf. Unser Aberglaube, dass die Amerikaner eine reiche, mit allen technischen Errungenschaften und Konsumgütern bis zum Exzess überfütterte Nation seien, brach in diesen Tagen zusammen. Die Amerikaner waren hinter den Armbanduhren her wie die Iltisse hinter den Hühnern. Gibt es hinter dem Ozean, gibt es zwischen Point Borrow [Küste von Texas] und Cap Horn [Cape Horn?] keine Uhrmacher, keine Uhrenfabriken? Und wenn es Uhrenfabriken nicht gibt, wenn man unfähig ist, Uhren herzustellen, wohin sind denn die nationalen [S.166] und internationalen Handelskammern gekommen? Lassen sich Armbanduhren auch nicht in grösserer Stückzahl importieren? Dass die Russen nach unseren Chronometern begehrten, das begriffen wir noch. Dass aber das Land der sogenannten unbegrenzten Möglichkeiten nicht in der Lage war, seine waffentragenden Söhne mit Uhren auszurüsten, das hat uns überrascht. Siehe da, der alte Kontinent und sogar das verfluchte Land der Deutschen waren doch noch etwas wert. Hier schien die Heimat der Uhren zu sein. Was waren Babitt, Roosevelt, Eisenhower ohne uns? Sie, die grossmächtigen Herren der Welt, wussten nicht einmal, wie spät es war, wenn wir ihnen keine Uhren schickten. Von diesem Schlag gegen unsere Illusionen haben wir uns lange nicht erholt.

[Armbanduhr am Zaun = 100 Zigaretten - viel Betrug durch weisse Rassisten-Amis - schwarze Amis bezahlen oft den ausgemachten Preis]

Alle Uhren, die den Deutschen bei der Gefangennahme nicht geraubt worden waren, gingen in Rheinberg über den Draht. Eine gute, dekorative Armbanduhr kostete 100 Zigaretten. Das war nach amerikanischem Geld sechs bis zehn Mark, nach der damals gültigen, deutschen Währung etwa 10.000 Mark. Auf den Geldwert des Dollars bezogen, war die Uhr 80 oder 100, ja 150 Mark wert. Selbst bei halbem Preis wären noch 400, 600, 1000 Zigaretten fällig gewesen. Es war also ein gemeiner Betrug schamloser Ausnutzung menschlicher Notlage und Leidenschaft. Wie kam der Handel zustande? Der Amerikaner zeigte die Zigaretten, der Deutsche die Uhr. Zwischen ihnen lag der mindestens [S.167] vier Meter hohe Draht. Nachdem die Tauschartikel sichtbar gemacht waren, mussten Treu und Glauben in Kraft treten. Der Amerikaner warf 20 oder 40 Zigaretten herüber, der Deutsche liess seine Uhr durch die Luft wirbeln. Dann schleuderte der Amerikaner die restlichen Zigaretten herüber - oder auch nicht. Ich habe es mehr als einmal als Augenzeuge erlebt, dass die Gefangenen nur die Hälfte, nur ein Drittel des vereinbarten Preises erhielten. Dann zog der Beschissene ab. Er tat es meistens wortlos, warf allenfalls noch einen Blick durch den Draht, auf den der schmutzige Sieger draussen stolz sein konnte. Aber der hatte in der Regel ein dickes Fell. Man muss den Amerikanern auch zugutehalten, dass sie uns presse-, rundfunk- und befehlsgemäss als den Abschaum der Menschheit ansahen. An Denk-. und Urteilsfähigkeit standen sie Hitlers Gefolge nicht wesentlich nach.

Begeisterte Händler waren die Neger. Sie fletschten vor Wonne die Zähne, wenn sie ein besonders schönes Armbandührchen sahen. Sie zahlten die höchsten Preise, manchmal doppelt so viel wie ihre weissen Kameraden. Einmal sah ich, wie so ein Kaffeebrauner, dessen Vorfahren vielleicht in Ostafrika gewohnt hatten, ein Uhrengeschäft mit 150 Zigaretten abschloss. Vierzig Zigaretten kamen herüber. Die Uhr landete drüben. Dann stellte der Neger seine leichtathletische Tätigkeit ein. Er hatte keine Zigaretten mehr, machte ein halb unglückliches, halb tröstendes Gesicht, deutete an, er käme [S.168] morgen zur selben Zeit wieder, um den Rest zu bringen.

Und weiss der Kuckuck, er kam! Warf noch zehn Zigaretten mehr als Verzugszinsen herüber. Mit einer beschenkte mich sofort der frohe Empfänger, der mich gar nicht kannte.

Schwarzer Bruder - verdammt noch einmal! Du Gentleman hast uns etwas aufgerichtet, Mann mit der schwarzen Haut und dem weissen Gewissen! Dunkler Ehrenmann du! Ich sah niemals einen weissen Schuldner zurückkommen. Aber Deinesgleichen habe ich viele erlebt. Und darum, schwarze Brüder, habe ich mich viele Jahre später in Hannover auf der Messe zu euch gesetzt, als die Kaufherren aller Länder im Hauptrestaurant mit euch nichts zu tun haben wollten. Wenn ihr immer so ehrlich wie in Rheinberg handelt, dann muss der ehrbare, schwarze Kaufmann gerühmt werden. Schwarze Bruder, ihr habt uns nicht geprügelt, nicht beschimpft, nicht betrogen, nicht bestohlen. Ich habe euch später in Frankfurt, in Kassel, in Eichenberg gesehen, zu einer Zeit, als es noch keinen Marshall-Plan gab, da habt ihr alten, deutschen Mütterchen ihre Koffer in den Zug geschleppt, ihr habt ihnen sogar eure Sitzplätze abgetreten, während die weissen Soldaten ihre Beine über drei und vier Sitzplätze flegelten. Schwarze Männer, in Rheinberg habt ihr uns sogar zu essen gegeben, wenn ihr euch auch einen kleinen, aber verzeihlichen Spass dabei machtet [S.169].

[Das Päckchenspiel - kriminelle "Amerikaner" platzieren eine Latrine gegen Päckchen - weisse, kriminelle "Amerikaner" zerstören Pakete - Schwarz-Amerikaner verteilen die Pakete]

Dicht am Camp E führte eine Strasse vorbei, die von den Frauen und Töchtern Rheinbergs dazu benutzt wurde, um Pakete mit Brot, Wurst, Früchten, Kartoffeln heranzuschleppen und über den Zaun zu werfen. Die Amerikaner versuchten vergeblich, dieses Treiben abzustellen. Da sie aber zu faul waren, um unablässig bei Tag und Nacht in grosser Zahl Wache zu schieben, kamen jeden Tag Päckchen über den Zaun geflogen. Allerdings mochte man wie der Apostel bei der Speisung der Fünftausend mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen sagen: Herr, was ist das für so viele?

Um den Postverkehr endlich lahmzulegen, verfiel ein amerikanischer Kulturträger auf einen genialen Gedanken. Er liess eine lange Reihe von Aborten am Zaun so aufstellen, dass wir die Frauen und Mädchen mit nacktem Hintern begrüssten, wenn sie uns etwas Gutes tun wollte. Aber auch diese schmutzige Teufelei führte nicht zum Erfolg. Der Mensch hat ja doch die Kraft, das nicht zu sehen, was er nicht sehen will. Und so war jener erfinderische Kopf nicht zum Ziel gelangt.

Der Zaun war doppelt gelegt. Zwischen den beiden Stacheldrahtwänden befand sich der Laufgang für die Wachtruppe. Wenn nun die Frauen mit ihren schwachen Kräften nicht beide Hindernisse überwanden, dann lagen die Päckchen im Laufgang. Die weissen Amerikaner traten in der Regel die Liebesgaben in den Dreck, stellten den Absatz darauf und machten eine doppelte Kehrtwendung [S.170]. Kam aber ein schwarzer Mann, dann sammelte er die Pakete ein, warf sie uns zu oder trug sei fort zu seinem Maschinengewehrturm, um von dort droben die Fütterung der Raubtiere zu organisieren. Mitten in das Gewühl der Hungrigen schleuderten die schwarzen Postboten die Butterbrote. Vielleicht wurden sie an die Fressgier der Krokodile erinnert, wenn sie sahen, wie Männer im Hechtsprung emporschossen, die Brote förmlich in der Luft zerrissen und sie verschlungen hatten, bevor sie wieder auf dem Boden ankamen.

[Der kriminelle, weisse "Amerikaner" ist ein zerstörerisches Tier]

Falls es noch irgendeinem weissen Kulturträger nicht ganz klar geworden sein sollte, warum der Respekt vor dem weissen Mann bei den farbigen Völkern so jäh dahingeschwunden ist, dann mag er seinen Forschungen solche Rheinberger Szenen zugrundelegen. Auch hier auf deutschem Boden am Niederrhein stürzte die Herrschaft der Grossmächte über ihre Kolonialvölker wie ein Kartenhaus zusammen. Und wenn die schwarzen Soldaten Amerikas, wie ich ihnen von Herzen gönne, das sowieso unbegründete Gefühl ihrer rassischen Minderwertigkeit zusehends verlieren, dann haben sie in Rheinberg die denkbar beste Schule genossen [S.171].


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Quellen


Fotoquellen


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