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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939


[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 3. Deutschland: 1933-1938

[3.2. Neue jüdische Organisationen in NS-Deutschland ab April 1933]

[13. April 1933: Gründung des Zentral-Ausschuss für Hilfe und Aufbau (ZA) - Gründung der Reichsvertretung (RV) Jüdischer Landesverbände unter Judge Wolff und Rabbi Leo Baeck]

Vor allem durch die Arbeit von Max Warburg und Ludwig Tietz war es am 13. April 1933 so weit, dass der so genannte  Zentral-Ausschuss für Hilfe und Aufbau [ZA] gegründet werden konnte. In diesem Verein spielte Jonah B. Wise eine bedeutende Rolle. Der ZA war eine Dachorganisation mit Organisationen für Fürsorge, Erziehung, Auswanderung und Berufsausbildung, die schon vor 1933 existiert hatten. Offiziell wurde der ZA durch die Landesverbände gegründet, die ihrerseits die Reichsvertretung [RV] Jüdischer Landesverbände gegründet hatten, angeführt von Judge Wolff und Rabbi Leo Baeck. Diese erste Reichsvertretung (RV) existierte nicht sehr lange. Und ausserdem wurde das deutsche Judentum mehr durch die Hauptspaltung in liberale und zionistische Flügel beeinflusst, als durch die Organisation der jüdischen Gemeinden.

[Die Berliner jüdische Gemeinde unter Heinrich Stahl]

In Berlin war der Führer der Gemeinde eine sehr kräftige Einzelperson mit Namen Heinrich Stahl. Stahl wollte die Reichsvertretung (RV) unter seinem eigenen Einfluss haben. Dies stellte sich aber als unmöglich heraus, weil die politische Hauptorganisation eine solche Lösung bekämpfte. Tietz und Warburg, die den Zentral-Ausschuss (ZA) gegründet hatten, waren selber apolitisch. Da beide Flügel, die Liberalen wie die Zionisten, ihnen sympathisch erschienen, so sahen sie sich als die natürlichen Mediatoren zwischen den beiden. Tietz ging (S.109)

nach London, um Dr. Weizman zu treffen, und Warburgs Verbindungen zum JDC über seinen Bruder hatten geholfen, eine Verbindung mit der amerikanisch-jüdischen Organisation zu schmieden. Der ZA wurde ein Erfolg, mit Karl Melchor und Tietz an der Spitze.

Im Gegensatz dazu waren die ersten Versuche, eine Reichsvertretung einzurichten, bald zum Scheitern verurteilt.

[Sommer 1933-17. Sep 1933: Endgültige Gründung der jüdischen alldeutschen Vereinigung (Reichsvertretung (RV) in Essen]

Während des Sommers 1933 wurden neue Versuche unternommen, eine allumfassende, politische Organisation des deutschen Judentums zu schaffen. Dieser Versuche hatten ihr Zentrum in der Gemeinde von Essen in Westdeutschland. Die Initiatoren waren örtliche Führer wie Dr. Georg Hirschland und Rabbi Dr. Hugo Hahn. Sie organisierten eine Sitzung mit den führenden Nicht-Zionisten Deutschlands und überzeugten sie, eine landesweite Organisation zu schaffen, die Reichsvertretung heissen sollte. Es war Max Warburg, der Dr. Baeck überzeugte, die Führung in der vorgeschlagenen Organisation zu übernehmen. Er war es auch, der Direktor Stahl überzeugte, von seinen Versuchen abzulassen, eine getrennte von der Berliner Gemeinde geführte Organisation zu gründen, und der Stahl überzeugte, beim RV eine führende Position einzunehmen. Am 17. September 1933 schliesslich kam die neue Reichsvertretung zustande, mit Dr. Baeck als Präsident, Dr. Hirsch als Vizevorsitzenden, und mit liberalen und zionistischen Repräsentanten, die sich an der Arbeit des Exekutivkomitees (Präsidialausschuss) beteiligten.

Eine unmittelbare Verbindung wurde zwischen der RV und dem ZA etabliert. Baeck war bei beiden zuoberst, bei der Reichsvertretung der Präsident, und beim Zentral-Ausschuss der Vorsitzende. Der intelligente und beliebte Dr. Hirsch, dessen Erfahrung als hoher Regierungsvertreter im südlichen Bundesland Württemberg half, die schwierige Arbeit des ZA zu meistern, war administrativer Vorsitzender der RV. Andere Leute mit zentralen Positionen in der RV hatten auch parallele Positionen im ZA. Auf diese Weise konnte die Reichsvertretung den jüdischen Gemeinden gegenüber als Verteiler ausländischer Gelder auftreten und als Organisation, an die man sich als Einzelperson und als Gemeinde in praktischen Belangen wenden.

(Endnote 12: Siehe
-- K.Y. Ball-Kaduri: The National Representation of Jews in Germany; In: Yad Vashem Studies; Jerusalem 1958, 2:159 ff.;
-- Max Grunewald: The Beginning of the Reichsvertretung; In: Leo Baeck Yearbook; London 1956, 1:57 ff.
-- siehe auch Leo Baecks Erinnerungen im selben Band).

[Dr. Werner Senator kehrt von Palästina nach Nazi-Deutschland zurück, um an der Arbeit des ZA teilzunehmen - Auswanderung der jüdischen Jugend]

Eine der zentralen Figuren des deutschen Judentums war Dr. Werner Senator, ein Vertreter der nicht-zionistischen Gruppe der Jewish Agency, der nach Palästina ausgewandert war. Er kehrte nach Deutschland zurück, um an der Arbeit des Zentral-Ausschusses mitzuwirken. In einem Memorandum, das er (S.110)

dem JDC im August vorlegte, verlangte Senator, dass das deutsche Judentum versuchen würde, einen Dialog mit der Nazi-Führung aufzubauen. Dies sollte in eine Art Konkordat führen, wie die Abkommen zwischen der römischen Kurie und den europäischen Staaten, eine Idee, die im deutschen Judentum ohne Zweifel neu war, und die vor der Machtübernahme Hitlers fast verwirklicht worden wäre. Ein solches Konkordat sollte für ein Auswanderungsrecht der Juden aus Deutschland sorgen, und auch für eine Bleiberecht. Ein solcher Dialog, so dachte Senator, sei immer noch möglich, auch wenn die Resultate für die Juden schmerzhaft sein würden.

Generell aber stimmte Senator der Politik zu, die mit den ausländischen Organisationen in Bezug auf das deutsch-jüdische Problem abgestimmt wurde. Er betonte die zentrale Position von Palästina, die Begründung einer neuen jüdischen Gesellschaft, wo die durch und durch konstruktiven Kräfte der deutsch-jüdischen Jugend ihren Platz fänden, betonte aber auch die Notwendigkeit, Häfen in anderen Ländern für solche Jugendliche zu suchen. Zur selben Zeit verlangte er die Verteidigung der deutsch-jüdischen Positionen in der Wirtschaft und im sozialen Leben im neu zu gründenden Staat bis aufs äusserste. Die Verhandlungen, die er mit den deutschen Behörden vorschlug, sollten auf einer ehrenhaften Basis stattfinden. Die Auswirkung war, dass die Juden sich als eine nationale Gruppe erkennen sollten, und dass man nur auf dieser Basis mit den Nazis verhandeln sollte.

Während die Vorschläge von Senator nur teilweise akzeptiert wurden, so war seine Denkweise ohne Zweifel einmalig, für die deutsche wie für die jüdische Seite und ihre Unterstützer aus dem Ausland.  

(Endnote 13: Werner Senator, 8/15/33 [15. August 1933]: Bemerkungen zu einem wirtschaftlichen Verhandlungsprogramm der deutschen Juden, 14-47)

[Der Joint muss akzeptieren, dass die jüdische Jugend auswandern soll]

Das JDC war geneigt, ein solches Vorhaben zu unterstützen. Rosen, der Deutschland im Juni 1933 besucht hatte, schrieb an Kahn, dass die Ziellosigkeit der Bemühungen des deutschen Judentums ihn erschreckt habe. Er sagte, dass Druck von aussen einige Resultate hervorbringen werde, aber es gab keine Möglichkeit einer wirklichen Verbesserung "ausser wenn in einem bestimmten Mass ein Übereinkommen mit der Regierung des Landes zustandekommt."

(Endnote 14: Dr. Joseph A. Rosen an Kahn, Juni 1933, Executive Committee meetings)

[Die Aufgabe für den Joint: Die jungen Juden für die Auswanderung vorbereiten - Schulung diskriminierter, jüdischer Kinder - Unterstützung kultureller und religiöser Institutionen]

In dieser Atmosphäre der Hoffnung und Illusion begann das Verteilungskomitee JDC seine grosse Rettungsarbeit für das deutsche Judentum. Das Ziel nach den ersten Monaten des Durcheinanders schien ziemlich klar: Das JDC musste bei der Auswanderung helfen, und es musste für Ausbildungsstätten für die deutsch-jüdischen Jugendlichen sorgen, die Deutschland verlassen sollten, und auch für jene, die im Land bleiben sollten und sich an die neuen antisemitischen Gesetze anpassen mussten (S.111)

die die Nazis gerade in Kraft setzten. Neben all dem zeichnete sich das Problem ab, jüdische Kinder zu unterrichten, wenn sie aus der allgemeinen Schule ausgeschlossen worden waren. Es war auch absolut notwendig, kulturelle und religiöse Institutionen zu unterstützen, dies in der Hoffnung, dass diese die sinkende Moral des deutschen Judentums stärken könnten.







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