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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939


[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 3. Deutschland: 1933-1938

[3.3. Diskriminierung von Juden im Beruf und an Schulen im Dritten Reich ab 1933]

[1. April 1933: Boykotttag gegen jüdische Geschäfte]

In der Zwischenzeit nahm die ökonomische Katastrophe der Juden in Deutschland seinen Lauf. Am 1. April 1933, gerade zwei Monate nach Hitlers Machtübernahme, veranstalteten die Nazis einen Boykott aller jüdischen Geschäfte und jüdischen Fachkräfte. Eine offizielle Verlängerung des Boykotts über einen Tag hinaus wurde durch eine lautstarke Protestbewegung im Ausland verhindern.

[Alles in allem ist der Boykott ein Flop (siehe: Hans-Jürgen Eitner: Hitlers Deutsche. Das Ende eines Tabus. Casimir Katz Verlag, Gemsbach 1991, S.378). Der Boykott sollte jüdische Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte treffen (S.260). Der Appell zum Boykott ist von Goebbels und Streicher mit Hitlers Zustimmung organisiert und von der SA durchgeführt. Der Boykotttag wird aber zum Flop. Später starten viele Deutsche Sympathiekäufe und bekämpfen die NS-Methoden (S.378). Die grosse Mehrheit der deutschen Bevölkerung verweigert die Verfolgung wie die Methoden gegen Juden (S.379).
In: Eitner: Hitlers Deutsche 1991].


[Die Arbeitsverbote und andere Einschränkungen, die von der deutschen Bevölkerung kaum bekämpft werden, sind viel effektiver, denn wenn die Deutschen den Juden helfen würden, dann würden die Deutschen im Gefängnis landen]:

[4. April 1933: Arbeitsverbot für jüdische Anwälte]
Gleichzeitig ging die Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft in schnellen Schritten voran. Am 4. April wurde ein Beschluss publiziert, der praktisch allen jüdischen Anwälten in Preussen die Arbeitsrecht nahm.

[7. April 1933: Arbeitsverbot für Juden bis zu 1/4-Juden als Beamte]
Am 7. April wurde ein Gesetz in Kraft gesetzt ("Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums"), mit dem alle Beamten entlassen werden konnten, bei denen ein oder mehr Grosselternteile jüdisch waren. Ausnahmen gab es nur wenige.

[22. April 1933: Jüdische Ärzte werden von den Krankenkassen ausgeschlossen]
Am 22. April wurden jüdische Ärzte von den Listen der Krankenkassen ausgeschlossen. Somit war ein Grossteil des Einkommens nicht mehr gedeckt.

[2. Juni 1933: Jüdische Zahnärzte werden von den Krankenkassen ausgeschlossen]
Ein ähnliches Gesetz wurde für die Zahnärzte am 2. Juni eingeführt.

[29. Sep und 4. Okt 1933: Künstler und Journalisten werden in Nazi-Organisationen gezwungen - Juden sind ausgeschlossen]

Nach dem 29. September mussten Autoren, Künstler und Musiker (und nach dem 4. Oktober auch Journalisten) Nazi-Organisationen angehören, wo natürlich Juden ausgeschlossen waren.

[30. Juni 1933: Verbannung der Juden von Regierungs- und Universitätsfunktionen]
Am 30. Juni wurden Offizielle und Professoren der "jüdischen Rasse" im Grossen und Ganzen von der Ausübung ihrer Funktionen in der Regierung und an den Universitäten ausgeschlossen.

[Ende Juni 1933: Kahns Einschätzung: 33.700 Juden haben ihre Arbeit verloren]
Bis Ende Juni [1933], so schätzte Kahn, dass 20 % oder ungefähr 33.700 der Juden in guten Stellungen ihre Arbeit verloren hatten.
 
(Endnote 15: Siehe Endnote 9 oben [Hilfsverein der deutschen Juden, Dr. Kahns Akten, 1931-1940, Memo vom 6/27/33 [27. Juni 1933])

[Sommer 1933: Die Gesetze gegen Juden zeigen Wirkung]

Das schlimmste dagegen war nicht die gesetzliche Situation, sondern die permanente Unsicherheit, die nun im deutsch-jüdischen Leben eingetreten war, und dies sollte bis zur endgültigen Zerstörung auch so bleiben. Die Nazi-Offiziellen verneinten gewöhnlich, dass ab dem 1. April 1933 noch irgendein Boykott gegen Juden existiere, aber in der Praxis wurde der Boykott nicht nur nicht gestoppt - sondern mit der Zeit wurde er immer weiter ausgebaut [wegen der Berufsverbote und wegen des Verbots an die deutsche Bevölkerung, den Juden zu helfen]. Das deutsche Judentum, mit seinen eigenen beschäftigungsmässigen Schichtung, war gegen diese wirtschaftliche Kriegsführung speziell verletzlich. Über 60 % der gut verdienenden (S.112)

Juden waren im Handel tätig.

(Endnote 16: Aus 29 - ZA, statistischer Teil, Bericht 1933. Eine Gesamtzahl von 61,33 % der deutschen Juden waren im Handel beschäftigt, und 24,4 % in der Industrie und im Handwerk. Weitere 5,6 % waren Fachleute. Von den 160.000 Leuten, die im Handel tätig waren, waren mehr als die Hälfte, 89.368, Ladenbesitzer, 52.869 waren Angestellte, und nur 2913 waren Arbeiter; 14.956 waren Familienmitglieder der Besitzer).

Zu Beginn machten die Nazis, so sah es wenigstens aus, bei ihren anti-jüdischen Massnahmen einige Ausnahmen. Diese Praxis ergab sich anfangs wegen der Hochachtung vor dem Druck von Präsident Hindenburg. Sie erklärten, dass 1 % der Personen in offiziellen Positionen Juden bleiben dürften; Beamte von vor 1914 und Leute, die im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft hatten, durften auch bleiben. Aber in der Praxis waren diese Ausnahmen eher unbedeutend. Unter den Leuten, die als Juden angesehen wurden, schlossen die Nazis Personen mit einem jüdischen Grossvater mit ein. Es konnten auch nur diejenigen bleiben, die politisch loyal zum Regime standen.

[April-Okt 1933: Zahlen der entlassenen Juden]

Von den 6000 Juden im öffentlichen Dienst in Deutschland verloren während der ersten Monate des Nazi-Regimes mindestens 5000 ihre Arbeitsstelle. Von 2800 jüdischen Anwälten verloren im April 1933 mindestens 1500 ihre Arbeitsstelle. Von 7000 jüdischen Ärzten mussten in diesen Frühlingsmonaten 4000 bis 5000 ihren Lebensunterhalt aufgeben; ein ähnliches Schicksal betraf die Zahnärzte, die Apotheker und die Drogisten, die städtischen Angestellten, und die Angestellten in der öffentlichen Wohlfahrt, die zusammen noch einmal 2500 gut verdienende Angestellte ausmachten. Die Künstler, Musiker, Journalisten und andere machten zusammen ungefähr 13-15.000 Juden aus, die nun arbeitslos waren. Obwohl ihre Anzahl nicht sehr bedeutend war, so wurden nach dem Antritt der Nazi-Herrschaft über Deutschland auch jüdische Arbeiter von ihrer Arbeitsstelle entbunden.

[Diskriminierung von Juden von der Arbeitsfront mit Versicherung, Krankenleistungen und anderen lebenswichtigen Einrichtungen]

Es wurde ein Gesetz verabschiedet, das Juden die Mitgliedschaft in der Nazi-Arbeiterorganisation verbot, der Arbeitsfront. Alle Arbeiter, die von den Leistungen von Versicherung, Krankenleistungen oder anderen lebenswichtigen Einrichtungen profitieren wollten, mussten bei der Arbeitsfront Mitglied sein. Bald gab es keinen deutschen Arbeiter, der nicht bei der Arbeitsfront Mitglied war - aber Juden waren nicht darunter.

Die Wichtigkeit all dieser Faktoren für die Organisation des JDC, der dem deutschen Judentum helfen wollte, war nur all zu klar. "All dies, was während der letzten 50 Jahre durch das Weltjudentum für ihre unterdrückten und hilfsbedürftigen Brüder in der Welt getan wurde, wird sich nun innerhalb von drei bis fünf Jahren beim deutschen Judentum wiederholen."

(Endnote 17: Die Position der Juden in Deutschland ("The Position of the Jews in Germany"), 4/28/33 [28. April 1933], 14-47)

[Numerus clausus für Juden an deutschen NS-Schulen und Universitäten]

An der Front der Erziehung sah das Bild nicht besser aus. Keine deutsche Schule konnte mehr als 5 % jüdische Studenten unterrichten (S.113)

gemäss der Einschreibung. Bis zu diesem Zeitpunkt lag der Prozentanteil an deutschen Hochschulen über 10 %. Nur 1,5 % der neuen Schüler an Universitäten konnten Juden sein, und unter den alten Studenten durften nur 5 % jüdisch sein. Kein osteuropäischer Jude, der in Deutschland nach 1914 angekommen war, durfte an deutschen Universitäten Student sein. All diese Faktoren ergaben, dass das Verteilungskomitee JDC es mit einer Notsituation zu tun hatte. (S.114)





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