[5.2.
Diskriminierung und mörderische Pogrome im
antisemitischen Polen 1935-1939]
[Die Diskriminierung
der Juden in Polen ist schlimmer als im Dritten Reich]
Die wirtschaftlichen Probleme, die in den folgenden
Abschnitten erläutert werden, waren durch das wachsende
Crescendo physischer Angriffe durch antisemitische
Elemente auf die jüdische Bevölkerung begleitet. Zu
gewissen Zeiten tendierten diese Angriffe die triste
Armut zu überschatten, in die die jüdischen Massen immer
mehr hinabsanken. die physischen Angriffe wurden durch
offene Diskriminierung begleitet, die den Massnahmen in
Nazi-Deutschland zu dieser Zeit gleichwertig waren, und
diese oft noch übertrafen.
[März 1935: Lodz:
Unterstützung für jüdische Organisationen wird
abgeschafft]
In den ersten Tagen des März 1935 schaffte die Endeks
[Nationale Demokraten], die in der Gemeinde Lodz
regierte (eine Stadt mit einer jüdischen Bevölkerung von
200.000) alle Unterstützungen für jüdische
Organisationen ab.
(Endnote 3:
Jewish
Chronicle, 3/22/35 [22. März 1935], S.22)
[Jahre 1935-1937:
Diskriminierung jüdischer Studenten an den
Universitäten in Kraft gesetzt]
Im Spätjahr 1935 verlangte die lang regierende Endek,
die jüdischen Universitätsstudenten von ihren
nichtjüdischen Kollegen zu trennen. Dies wurde in Lwów
umgesetzt, gefolgt vom Warschauer Polytechnikum im
Oktober 1937, und auch die Universitäten in Vilna,
Krakau und Posen setzten diese Massnahme um.
(Endnote 4: ebenda [
Jewish
Chronicle], 12/20/35 [20.12.1935], 1/17/36
[17.1.1936]. R61-Bericht über Polen, Februar 1939,
46-Bericht 1938; spezielles Bulletin des AJC [American
Jewish Committee], 2/1/38 [1. Feb 1938])
[Ab dem Frühjahr 1935:
Boykotte und Pogrome gegen Juden mit Steinen, Feuer
und vielen Morden]
Die Boykotte, die im Frühjahr 1935 begannen, breiteten
sich in Polen in allen ländlichen Regionen aus. Es
folgten dann Pogrome: Einwerfen von Fensterscheiben, das
Umkippen von jüdischen Marktständen, Schläge,
Brandstiftung, und schliesslich auch Morde. Die
Einzelheiten dieser schrecklichen Brutalitäten
wiederholten sich immer wieder.
Im Jahr 1935 fanden Pogrome statt: im April in Radomsko,
im Mai in Radosc (bei Warschau) und in Grochow sowie in
Grodno. Im Dezember [1935] begannen diese einzelnen
Ereignisse in Kampagnen schlimmer zu werden: Es kam zu
Unruhen in Klwow, In Lodz, Katowice, Kielce und
Hrubieszow, und im Januar 1936 folgten Angriffe auf
Juden u.a. in Krakau und Warschau.
Am 9. März 1936 fand in Przytyk ein schreckliches Pogrom
statt, wo zwei Juden getötet und viele Häuser
gebrandschatzt wurden: In denselben Monaten wurden in 13
weiteren Städten Bomben geworfen, miteingeschlossen
Minsk Mazowiecki; dort ereignete sich in den ersten
Juni-Tagen ein zweites Pogrom, und nachdem vier Juden
getötet worden waren, verliessen die meisten Juden die
Stadt und gingen nach Warschau.
Während des Jahres 1936 und im Frühjahr 1937 wurden die
Pogrome in Polen zum täglichen Ereignis, und alles wies
darauf hin, dass sie besser organisiert waren. In
Tschenstochau fingen die Ausschreitungen im Juni 1937 an
(S.183)
mit einem Kampf zwischen zwei Gepäckträgern; es folgte
eine gut organisierte Boykottbewegung gegen die jüdische
Bevölkerung, die die Unruhen über Monate hinweg
verlängerte.
Kahn stellte "eine sorgfältige Planung der Aktivitäten
der antisemitischen Elemente fest, bei denen hohe
Regierungsvertreter teilhatten." Im Verlauf des Pogroms
in Tschenstochau, gab die Endek-Zeitung
Ganiec Czestochowski
eine Liste von Strassen heraus, wo Juden noch nicht
beraubt worden waren.
(Endnote 5: Grosse Mengen über diese Pogrome sind in den
JDC-Archiven erhältlich. Es sind die Ordner R13, R52,
R60, 8-21, 14-5, 46-Berichte 1936, 1937, 1938; siehe
auch: WAC, Schachteln 345 und 366. Das Zitat ist aus
Kahns Bericht entnommen, 6/7/37, in R52; siehe auch:
Jewish Chronicle 4/19, 5/3, 5/10, 6/14, 9/6, 11/2, 12/6,
12/13/35; 3/13, 3/27/36; et seq. [und die folgenden])
75 Jews wurden bei diesem speziellen Ausbruch verwundet.
Im Mai 1937 ereignete sich in Brest Litowsk ein anderer
Ausbruch, wo eine Anzahl Juden getötet und ungefähr 200
verwundet wurden.
(Endnote 6: R13-Hymans Bericht an das Budget- und
Bereichsleitungskomitee ("Budget and Scope Committee"),
6/27/37; siehe auch WAC, Schachtel 366 (a)
Zwischen Mai 1935 und Januar 1937 wurden 118 Juden
getötet und 1350 verwundet; 137 jüdische Läden wurden
zerstört. Während dieser Zeit wurden total 348 einzelne
gewaltsame Massenangriffe auf Juden gezählt, und die
Aufstellung war als "inoffiziell" und "unvollständig"
deklariert. Eine andere Aufstellung zeigte, dass
zwischen Ende 1935 und März 1939 350 Juden getötet und
500 verwundet worden waren.
(Endnote 7:
--
New York Times,
2/7/37 [7. Feb 1937];
-- R10-American Jewish Committee, Übersicht über die
europäische Situation, 3/30/39 [30. März 1939] (von
Moses Moskowitz)
Die Pogromwelle flaute in den Jahren 1937 und 1938 nicht
ab. Im August 1937 ereigneten sich in Zentral-Polen
sieben schwere Ausbrüche, und in sieben Städten gab es
antijüdische Demonstrationen, miteingeschlossen die
Hauptstadt.
(Endnote 8: WAC, Schachtel 366 (f)
Ein Resultat dieser Ereignisse war ein verstärkter Drang
von Juden von kleinen Plätzen, wo sie sich exponiert
fühlten, in grössere Städte, wo sie sich sicherer
fühlten.
Aber im Frühjahr 1938 griffen die Ausschreitungen auch
auf Warschau über, und von da an wurden Angriffe auf
Juden in den grösseren Städten ein normales Ereignis.
[Juden im Streik und in
Selbstverteidigungseinheiten gegen die Ausschreitungen
- die Polizei unterstützt die Pogrome]
Mehrmals reagierten die Juden mit Demonstrationen und
Generalstreiks (März 1936, Mai und Juni 1937). In
Warschau und Lodz versuchte der Bund, jüdische
Selbstverteidigungseinheiten aufzubauen. Diese wurden
durch die PPS auch unterstützt, aber die Intervention
der Polizei zugunsten der Pogromisten
(Endnote 9: "Juden haben in Massen viele Dörfer
verlassen und gehen in die Städte. Ihr Besitz ist
abgebrannt und ihre Leben sind in Gefahr" - JDC
Executive Committee (ECO), 9/23/37 [23. September 1937])
neutralisierte die jüdische Opposition.
(Endnote 10: 44-3, Telegramm 3/20/38 [20. März 1938];
ebenda, 8-21
[1938-1939: Polen:
Bokottbewegungen im antisemitischen Polen ruiniert die
jüdischen Gemeinden]
In den Jahren 1938 und 1939 wurde die antijüdische
Boykottbewegung immer effektiver. Nochmals wurden vor
allem die kleinen jüdischen Gemeinden getroffen, und in
diesem Verhalten kann klar eine Parallele zu den
Erfahrungen in Deutschland gezogen werden. Diese
Boykottaktionen waren normalerweise von der Endeks
organisiert, aber bis 1939 wurden sie auch von der
Regierungsgruppe OZN unterstützt.
Im Februar 1939 fand ein OZN- (p.184)
inspirierter Boykott in der Gegend von Lublin statt, der
der das jüdische Wirtschaftsleben "praktisch ruinierte".
(Endnote 11: R61, Februar 1939)
Die Anzahl der jüdischen Läden nahm von Stadt zu Stadt
ab, währen die Anzahl polnischer Läden zunahm, trotz der
immerwährenden Wirtschaftskrise.
(Endnote 12:
-- JDC, 45-publicity, Warszawski Dziennik Narodowy,
4/14/38;
-- R28-
Fortnightly
Digest, Nr. 14 (5/1/38 [1. Mai 1938], et seq.
[und folgende])
[Frühjahr 1939: Polen:
Deportationen von Juden von den Grenzstädten weg]
Im Frühjahr 1939 wurden die Juden gezwungen, gewisse
Grenzstädte zu verlassen, weil sie als unzuverlässige
Elemente betrachtet wurden - denn Juden waren weniger
interessiert, gegen die Deutschen Widerstand zu leisten
als die Polen. IN diesem Zusammenhang wurde "fast ein
Viertel der jüdischen Bevölkerung von Gdynia
deportiert". In Kattowitz ging die "Angst um, dass die
Hälfte der ansässigen jüdischen Bevölkerung zur
Auswanderung in andere Orte gezwungen werden könnte."
(Endnote 13: Siehe Endnote 11 [R61, Februar 1939])
[1939: Antisemitismus
auch in West- und Nordwest-Polen]
Ausschreitungen, Pogrome und Boykotte breiteten sich nun
auch in Gegenden in West- und Nordwest-Polen aus, wo die
Anzahl Juden sehr klein war; Bis zu diesem Zeitpunkt
waren diese Gegenden von Exzessen verschont geblieben.
(Endnote 14: 45-publicity, Bulletin, 3/10/30 [10. März
1930]; nun fand in Dobrzyn ein blutiges Pogrom statt, wo
"viele Juden verwundet wurden", etc.; zur gleichen Zeit
flauten die Pogrome an anderen Orten nicht ab).
[April 1936: Polen:
Gesetz gegen das rituelle Schlachten]
Juden, speziell die praktizierenden Juden, die im
polnischen Judentum die Mehrheit stellten, wurden durch
polnische Gesetze gegen das rituelle Schlachten
(shehita), die im April 1936 in Kraft gesetzt wurden,
schwer getroffen. Die endgültigen und drastischen
Verbote traten dann im März 1939 in Kraft. Die religiöse
Freiheit wurde stark eingeschränkt. Zudem wurde eine
grosse Anzahl jüdischer Metzger und Überwacher der
rituellen Schlachtung mit dem wirtschaftlichen Ruin
bedroht.
[März 1939: Nach der
deutschen Besetzung von Tschechien ist Polen bedroht -
Gesetze gegen Juden im antisemitischen Polen]
Die allgemeine und extreme antijüdische Bewegung, die in
beiden Bereichen, in Politik und ökonomisch aktiv war,
ging bis in den Frühling 1939 weiter. Erst mit der
Hitlerschen Besetzung der Tschechoslowakei im März mit
dem Ansteigen der deutsch-polnischen Spannungen zeigte
der polnische Antisemitismus Zeichen des Abschwächens,
denn die Aufmerksamkeit der polnischen Nationalisten
wurde nun nach aussen gelenkt.
Und doch war die lange antijüdische Kampagne auch dann
keineswegs vorbei; im Gegenteil gab es die klare Absicht
der Mittelklasse-Parteien, einen offenen Antisemitismus
rechtlich abzusichern. Es wurden Gesetze analog der
Nazi-Gesetzgebung vorbereitet, miteingeschlossen "die
Neubewertung der Staatsbürgerschaft und die Beseitigung
der Juden aus dem polnischen Wirtschaftsleben und
kulturellen Leben."
(Endnote 15: 44-4, Memo, 5/1/39 [1. Mai 1939])