[H.
Reaktionen
im Ausland auf die Reichskristallnacht und die
Spaltung der CSSR]
[6.23. Die Politik der Schweiz 1938-1939 -
"J"-Stempel gegen jüdische Flüchtlinge ab 1. November
1938]
[29. Sep 1938:
"J"-Stempel-Abkommen mit dem Dritten Reich]
Die Schweiz nimmt innerhalb der Ereignisse, die hier
dargestellt werden, einen speziellen Platz ein. Dem
November-Pogrom ging am 29. September 1938 ein
deutsch-schweizerisches Abkommen voraus. Demnach wurde der
Pass der deutschen Juden mit einem grossen, roten "J"
gestempelt.
Die Beschuldigungen wurden später gegen den Chef der
Schweizerischen Fremdenpolizei erhoben, Dr. Heinrich
Rothmund, dass es seine Initiative gewesen sei, die Idee
der Markierung der Juden durch dieses (S.267)
spezielle Pass-Symbol den Nazis vorzuschlagen. Sei es, wie
es sei. Es ist ziemlich klar, dass der schweizer
Polizeichef - und was noch wichtiger ist, die schweizer
Regierung - die Regelung zur Diskriminierung der Juden von
den Nichtjuden bereitwillig akzeptierten, da ja deutsche
Juden für den Eintritt in die Schweiz kein Visum
benötigten; "reine" Deutsche konnten natürlich weiterhin
ohne Formalitäten in die Schweiz einreisen. Die einzige
deutsche Forderung, die die Schweizer ablehnten - nicht zu
scharf, muss gesagt werden, aber mit mit genügend
Durchschlagskraft, so dass die Deutschen von der Idee
abliessen - war, dass schweizer Juden, die Deutschland
besuchen wollten, ein Visum benötigen sollten, und dass
ihr Pass in irgendeiner Weise markiert werden sollte.
(Endnote 118: Ludwig, op. cit. [Ludwig, Carl: Die
Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur
Gegenwart. Bericht an den Bundesrat; Zürich, ohne Datum
[1957], S. 94-151)
[1. Nov 1938: Die
"J"-Stempel-Praxis - 10.000 jüdische Flüchtlinge in der
Schweiz - 3062 mit VSIA-Hilfe]
Die neue Gesetzgebung, die im November in Kraft trat,
hatte den Effekt, dass der Flüchtlingsstrom in die Schweiz
abnahm. Im Frühjahr waren ungefähr 10.000 jüdische
Flüchtlinge im Land, von denen 3062 durch den VSIA [Verein
Schweizerischer Israelitischer Armenpflegen] unterstützt
wurden.
(Endnote 119: SIG [Schweizerischer Israelitischer
Gemeindebund (SIG)], op. cit., S.35)
Die schweizer Polizei, die von der Regierung gedeckt
wurde, war mit der Verhinderung eines Flüchtlingsstroms
mit deutschen Juden aber nicht zufrieden; sie meinten, sie
müssten die Einwanderung verfolgter Juden aus allen
europäischen Ländern Europas verhindern.
[20. Jan 1939: Schweiz:
Visaregelungen für alle Einwanderer]
Nach dem 20. Januar 1939 wurde deshalb von allen
zukünftigen Einwanderern in die Schweiz ein Visum
verlangt;
[15. März 1939: Schweiz:
Visaregelungen für tschechische Pässe]
eine ähnliche Gesetzgebung wurde am 15 März für die
Inhaber tschechischer Pässe eingeführt.
[Sep 1939: 5000 jüdische
Flüchtlinge in der Schweiz]
Als Resultat dieser restrektiven Massnahmen ging die
Anzahl jüdischer Flüchtlinge zurück, und bis zum Ausbruch
des Krieges befanden sich ungefähr 5000 jüdische
Flüchtlinge in der Schweiz.
(Endnote 120: Ludwig, op. cit. [Ludwig, Carl: Die
Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur
Gegenwart. Bericht an den Bundesrat; Zürich, ohne Datum
[1957], S.164)
Als eine spezielle Geste wurden aber 300 Kinder
aufgenommen.
[Die illegale Einreise ging aber weiter, z.T. mit
glücklichem Ausgang, z.T. aber auch mit katastrophalem
Ausgang, wenn die Schlepper von den Juden viel Geld
verlangten und sie auch noch an die schweizer Grenzpolizei
verrieten. So kassierten die Schlepper doppelt ab, und die
Grenzpolizei lieferte die Juden an die Gestapo aus (und
kassierte wohl von der Gestapo ab).
In:
Film
"Nazigold und Judengold"; Schweizer Fernsehen SF DRS,
3.Juli 1997].
[Hilfe vom VSIA]
Trotz der anscheinend leichter aussehenden Lage war das
Problem, für diese Flüchtlinge zu sorgen, für die
schweizerische jüdische Gemeinde sehr schwierig, denn sie
umfasste nicht mehr als 18.000 Leute. Total waren 810
Personen in 16 kleinen Lagern untergebracht, wo sie
komplett von der Hilfe des VSIA abhängig waren.
(Endnote 121: VSIA Akten [Verein Schweizerischer
Israelitischer Armenpflegen, SM Akten [Saly Mayer Akten])
Die Schweizer waren sehr strikt und verweigerten jegliche
Arbeitsbewilligung an die Flüchtlinge. Fall die
Flüchtlinge kein Geld hatten, so mussten sie sich an den
VSIA wenden, der vom JDC unterstützt wurde.
[Organisation der
Auswanderung durch den VSIA und das HICEM]
Der VSIA musste auch so vielen Juden wie möglich helfen
auszuwandern, in Zusammenarbeit mit dem HICEM. Auch diese
Arbeit kostete Geld. Die totalen Ausgaben des VSIA (S.268)
beliefen sich im Jahr 1939 auf 3.688.185 Franken, von
denen das JDC über 50 % übernahm (über 470.000 $). Bis
September 1939 hatte das JDC dem VSIA 315.000 $
überwiesen, in monatlichen Raten zu 35.000 $.
(Endnote 122: 51-Switzerland, 1944; in einem Gespräch mit
dem Autor am 5. Februar 1970 gab das Büro des JDC die
ausgegebene Summe in der Schweiz für das Jahr 1939 mit
477.000 $ an. Der Unterschied von 7000 $ dürfte
wahrscheinlich nicht an den VSIA, sondern an andere
Organisationen in der Schweiz gelaufen sein).