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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 6. Der Beginn vom Ende
[J. Weitere Ereignisse in Europa 1938-1939]

[6.29. Dampfer St. Louis mit 930 jüdischen Flüchtlingen kommt zurück nach Europa]

[Mai-Juni 1939: St.-Louis-Affaire: Zwei "christlich"-katholisch-kubanische Rivalen kämpfen um Geld von den jüdischen Organisationen, um 907 jüdische Flüchtlinge aufzunehmen  - Rückkehr des Schiffs St. Luis nach Europa]

In diese krisengeschüttelte Atmosphäre platzte die St.-Louis-Affaire hinein. Die Geschichte wurde anderswo erzählt

(Endnote 145: Morse, op. cit. [Morse, Arthur D.: While Six Million Died; New York 1968], S. 270 ff.)

und hier genügt eine kurze Skizzierung. Die St. Louis, ein deutsches Schiff der Hamburger Amerika-Linie und unter Leitung eines sehr aufmerksamen und liberalen Kapitäns. Gustav Schröder, verliess Deutschland am 13. Mai 1939 mit 930 jüdischen Auswanderern. Sie gingen alle nach Havanna mit legalen kubanisch ausgegebenen Visa durch (S.278)

die für die Einwanderung zuständige kubanische Regierung - ausgenommen für 22 Personen, die entschieden hatten, nicht allein den Visa zu vertrauen. Sie hatten die Visa in Kuba beglaubigen lassen, was mit zusätzlichen Kosten verbunden gewesen war. Als das Schiff in Kuba ankam, wurden die ausgegebenen Visa für ungültig erklärt. Das JDC schaltete sich in die Affaire ein, und das JDC kam zu der Schlussfolgerung, dass die kubanische Regierung von Präsident Bru nie die Absicht hatte, die Flüchtlinge an Land zu lassen. Die Person, die die Visa ausgegeben hatte, ein Oberst Benites, unterstützte die Fraktion des kubanischen Stabschefs, Fulgencio Batista, ein Rivale von Präsident Bru. Bru dachte offensichtlich, dass die Ablehnung der Landeerlaubnis ein guter Weg wäre, Batista zu bekämpfen, der durch Benites seinerseits erhofft hatte, grosse Schmiergelder von den Flüchtlingen zu bekommen. Es kann sein, dass Bru eigentlich die Flüchtlinge akzeptieren wollte, wenn das JDC sehr grosse Summen nicht nur dem Finanzministerium, sondern auch an seine eigenen Hosentaschen bezahlt hätte - beide Fraktionen verlangten zu den offiziellen Lösegeldern von 500.000 $ ungefähr noch 450.000 $ zusätzlich. Das JDC war vorbereitet, der kubanischen Seite bis zu 500.000 $ zu bezahlen, aber darüberhinaus gab es keinerlei Spielraum. Bru lehnte es ab, die Flüchtlinge an Land zu lassen. Offensichtlich war auch das US Aussenministerium keine grosse Hilfe, weil es den Anwalt des JDC in Kuba, Lawrence Berenson, informierte, dass die Kubaner lediglich blufften, und dass das JDC ihnen nicht zu viel anbieten sollte.

(Endnote 146: CON-3, 6/27/39, Hyman an Baerwald)

Mit der St.-Louis-Affaire war das JDC auf dem falschen Fuss erwischt und in einem wirklichen Dilemma. Das JDC war sich schmerzlich bewusst, dass - wenn es für 907 Juden mit den Benites-Visa eine hohe Lösegeldsumme bezahlen würde (eine Person hatte bereits Selbstmord begangen), die dann auf der St. Louis am 6. Juni zurück nach Europa fuhr, dann würden andere lateinamerikanische Regierungen von der Affaire lernen und ähnlich hohe Summen verlangen. Die totalen Einnahmen des JDC waren für das Jahr 1939 8,1 Mio. $, aber die Lösegeldforderung von 1 Mio. $ für 900 Flüchtlinge überstieg das Budget des JDC bei weitem. Dies war natürlich die Lage neben der Tatsache, dass das JDC nie einer Zahlung von Lösegeld an skrupellose Intriganten für unschuldige Menschen übrig hatte.

Was das JDC dazu bewog, gegen die eigenen Beurteilungen zu verstossen, war der enorme Druck der Geldgeber, die sahen, vielleicht (S.279)

zurecht, dass dies ein Testfall und ein Symbol war, und dass jegliche Anstrengung unternommen werden musste, um Passagiere zu retten. Die Mitglieder des JDC-Personals und der führenden Leute arbeiteten buchstäblich rund um die Uhr, um Flüchtlingsplätze für das Schiff zu finden, das langsam den Weg zurück über den Atlantik nach Deutschland einschlug. Am Ende kontaktierte Troper in Paris Max Gottschalk in Brüssel und Frau van Tijn in Holland, die mit ihren einschlägigen Regierungen intervenierten; in Frankreich ging Jules Braunschvig ins französische Aussenministerium, um sie zu überzeugen, einige der Flüchtlinge aufzunehmen. All dies ereignete sich am 10. Juni.

In der Zwischenzeit war Paul Baerwald in London aktiv, wo die britische Regierung auch zustimmte, einige der Flüchtlinge zu akzeptieren.

Schlussendlich wurden die Passagiere der St. Louis abgeladen: 181 in Holland, 288 in Britannien, und 224 in Frankreich.

(Endnote 147: Agar, op. cit., S. 85, Fussnote 4)

In all diesen Länder unterstützte das JDC nun die Flüchtlinge der St. Louis. Im Jahr 1939 wurden 500.000 $ diesen Zwecken zugewiesen. Dem JDC wurde diese Aufgabe für eine lange Zeit übertragen, bis jene, die nicht in die Todeslager der Nazis deportiert wurden, schliesslich einen permanenten Hafen gefunden hatten. (S.280)

[St.-Louis-Affaire: Schiffe Flandre und Orduna kehren auch nach Europa zurück]

Während und nach der St.-Louis-Affaire ging die illegale Einwanderung nach Lateinamerika weiter. Neben der St. Louis waren in Havanna auch zwei kleine Schiffe gelegen: die S.S. Flandre, ein französisches Schiff mit 96 Flüchtlingen, und die S.S. Orduna, ein britisches Schiff mit ungefähr 40 Leuten. Wie die Passagiere der St. Louis wurde ihnen die Aufnahme an Land verwehrt. Auch sie kehrten nach Europa zurück und wurden von den vier Ländern, die die anderen empfangen hatten, aufgenommen. (S.289).






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