[J. Weitere
Ereignisse in Europa 1938-1939]
[6.29. Dampfer St. Louis mit 930 jüdischen
Flüchtlingen kommt zurück nach Europa]
[Mai-Juni 1939:
St.-Louis-Affaire: Zwei
"christlich"-katholisch-kubanische Rivalen kämpfen um
Geld von den jüdischen Organisationen, um 907 jüdische
Flüchtlinge aufzunehmen - Rückkehr des Schiffs St.
Luis nach Europa]
In diese krisengeschüttelte Atmosphäre platzte die
St.-Louis-Affaire hinein. Die Geschichte wurde anderswo
erzählt
(Endnote 145: Morse, op. cit. [Morse, Arthur D.: While Six
Million Died; New York 1968], S. 270 ff.)
und hier genügt eine kurze Skizzierung. Die St. Louis, ein
deutsches Schiff der Hamburger Amerika-Linie und unter
Leitung eines sehr aufmerksamen und liberalen Kapitäns.
Gustav Schröder, verliess Deutschland am 13. Mai 1939 mit
930 jüdischen Auswanderern. Sie gingen alle nach Havanna
mit legalen kubanisch ausgegebenen Visa durch (S.278)
die für die Einwanderung zuständige kubanische Regierung -
ausgenommen für 22 Personen, die entschieden hatten, nicht
allein den Visa zu vertrauen. Sie hatten die Visa in Kuba
beglaubigen lassen, was mit zusätzlichen Kosten verbunden
gewesen war. Als das Schiff in Kuba ankam, wurden die
ausgegebenen Visa für ungültig erklärt. Das JDC schaltete
sich in die Affaire ein, und das JDC kam zu der
Schlussfolgerung, dass die kubanische Regierung von
Präsident Bru nie die Absicht hatte, die Flüchtlinge an
Land zu lassen. Die Person, die die Visa ausgegeben hatte,
ein Oberst Benites, unterstützte die Fraktion des
kubanischen Stabschefs, Fulgencio Batista, ein Rivale von
Präsident Bru. Bru dachte offensichtlich, dass die
Ablehnung der Landeerlaubnis ein guter Weg wäre, Batista
zu bekämpfen, der durch Benites seinerseits erhofft hatte,
grosse Schmiergelder von den Flüchtlingen zu bekommen. Es
kann sein, dass Bru eigentlich die Flüchtlinge akzeptieren
wollte, wenn das JDC sehr grosse Summen nicht nur dem
Finanzministerium, sondern auch an seine eigenen
Hosentaschen bezahlt hätte - beide Fraktionen verlangten
zu den offiziellen Lösegeldern von 500.000 $ ungefähr noch
450.000 $ zusätzlich. Das JDC war vorbereitet, der
kubanischen Seite bis zu 500.000 $ zu bezahlen, aber
darüberhinaus gab es keinerlei Spielraum. Bru lehnte es
ab, die Flüchtlinge an Land zu lassen. Offensichtlich war
auch das US Aussenministerium keine grosse Hilfe, weil es
den Anwalt des JDC in Kuba, Lawrence Berenson,
informierte, dass die Kubaner lediglich blufften, und dass
das JDC ihnen nicht zu viel anbieten sollte.
(Endnote 146: CON-3, 6/27/39, Hyman an Baerwald)
Mit der St.-Louis-Affaire war das JDC auf dem falschen
Fuss erwischt und in einem wirklichen Dilemma. Das JDC war
sich schmerzlich bewusst, dass - wenn es für 907 Juden mit
den Benites-Visa eine hohe Lösegeldsumme bezahlen würde
(eine Person hatte bereits Selbstmord begangen), die dann
auf der St. Louis am 6. Juni zurück nach Europa fuhr, dann
würden andere lateinamerikanische Regierungen von der
Affaire lernen und ähnlich hohe Summen verlangen. Die
totalen Einnahmen des JDC waren für das Jahr 1939 8,1 Mio.
$, aber die Lösegeldforderung von 1 Mio. $ für 900
Flüchtlinge überstieg das Budget des JDC bei weitem. Dies
war natürlich die Lage neben der Tatsache, dass das JDC
nie einer Zahlung von Lösegeld an skrupellose Intriganten
für unschuldige Menschen übrig hatte.
Was das JDC dazu bewog, gegen die eigenen Beurteilungen zu
verstossen, war der enorme Druck der Geldgeber, die sahen,
vielleicht (S.279)
zurecht, dass dies ein Testfall und ein Symbol war, und
dass jegliche Anstrengung unternommen werden musste, um
Passagiere zu retten. Die Mitglieder des JDC-Personals und
der führenden Leute arbeiteten buchstäblich rund um die
Uhr, um Flüchtlingsplätze für das Schiff zu finden, das
langsam den Weg zurück über den Atlantik nach Deutschland
einschlug. Am Ende kontaktierte Troper in Paris Max
Gottschalk in Brüssel und Frau van Tijn in Holland, die
mit ihren einschlägigen Regierungen intervenierten; in
Frankreich ging Jules Braunschvig ins französische
Aussenministerium, um sie zu überzeugen, einige der
Flüchtlinge aufzunehmen. All dies ereignete sich am 10.
Juni.
In der Zwischenzeit war Paul Baerwald in London aktiv, wo
die britische Regierung auch zustimmte, einige der
Flüchtlinge zu akzeptieren.
Schlussendlich wurden die Passagiere der St. Louis
abgeladen: 181 in Holland, 288 in Britannien, und 224 in
Frankreich.
(Endnote 147: Agar, op. cit., S. 85, Fussnote 4)
In all diesen Länder unterstützte das JDC nun die
Flüchtlinge der St. Louis. Im Jahr 1939 wurden 500.000 $
diesen Zwecken zugewiesen. Dem JDC wurde diese Aufgabe für
eine lange Zeit übertragen, bis jene, die nicht in die
Todeslager der Nazis deportiert wurden, schliesslich einen
permanenten Hafen gefunden hatten. (S.280)
[St.-Louis-Affaire:
Schiffe Flandre und Orduna kehren auch nach Europa
zurück]
Während und nach der St.-Louis-Affaire ging die illegale
Einwanderung nach Lateinamerika weiter. Neben der St.
Louis waren in Havanna auch zwei kleine Schiffe gelegen:
die S.S. Flandre, ein französisches Schiff mit 96
Flüchtlingen, und die S.S. Orduna, ein britisches Schiff
mit ungefähr 40 Leuten. Wie die Passagiere der St. Louis
wurde ihnen die Aufnahme an Land verwehrt. Auch sie
kehrten nach Europa zurück und wurden von den vier
Ländern, die die anderen empfangen hatten, aufgenommen.
(S.289).