[J. Weitere
Ereignisse in Europa 1938-1939]
[6.31. Letzte Verhandlungen über die
Koordinationsstiftung für den
Schacht-Rublee-Auswanderungsplan 02]
[Die britisch-jüdischen
Gelder für die Koordinationsstiftung sind beschränkt -
die Juden des Dampfers St. Louis brauchen Unterstützung]
Die Verhandlungen in London machten eine weitere Tatsache
klar: Es war unklar, ob überhaupt von den britischen Juden
Geld fliessen würden. Der Grund war, dass das britische
Judentum in Britannien und anderswo schon sehr grosse
Summen ausgeben musste; das amerikanische Judentum war
reicher und grösser, und insofern hatte das amerikanische
Judentum proportional weniger beigetragen als das
britische Judentum. Das Verteilungskomitee JDC dachte
zuerst, dass (S.281)
sein im Voraus zu leistender Beitrag an die
Koordinationsstiftung 500.000 $ betragen würde; dies war
eine vernünftige Summe, wenn man bedenkt, dass das totale
Einkommen für das Jahr 1939 8,1 Millionen $ betrug. Aber
zwei Wochen später wurde diese halbe Million Dollar den
Flüchtlingen der St. Louis zugesprochen, so dass ein
Achtel der Gelder des JDC damit nicht mehr zur Verfügung
stand. Der Druck von Präsident Roosevelt führte zu
weiteren Überlegungen im JDC, die Beiträge zu überdenken.
[Dabei ist es die Industrie des Präsidenten Roosevelt, die
die NS-Armee aufrüstet und das Hitler-Regime unterstützt:
gegen den Kommunismus. Und der Kommunismus ist auch
finanziert: durch "amerikanische" Banken. Der Weltkrieg
wird gut organisiert durch ... die "USA". Und die Juden
und die Friedfertigen dürfen schauen, wo sie bleiben].
[6. Juni 1939: Das JDC
gibt 1 Mio. $ für die Koordinationsstiftung]
Am 6. Juni entschied es [das JDC] sich für einen riskanten
Schritt: Es würde die Stiftung mit 1 Mio. $ versorgen, und
dies unabhängig von einer britischen Beteiligung - dies
war eine komplette Umkehr der JDC-Position vom März. Das
Fehlen von realistischem Denken in diesen Verhandlungen
kann vielleicht klarer dargestellt werden, wenn man
bedenkt, dass die Stiftung, mit der 1 Million $ Kapital,
als Gegenstück zur Treuhandstiftung in Deutschland gelten
sollte, deren Vermögen 600 Millionen $ ausmachte.
(Endnote 152: Executive Committee, 6/5/39 [5. Juni 1939],
6/16/39 [16. Juni 1939])
An einer Sitzung des Verwaltungskomitees (Administration
Committee) gab Rosenberg den Grund bekannt, wieso die
zusätzliche Belastung akzeptiert würde: Es sollte keine
Unsicherheit bestehen "dass wir bereit sind, eine
Verpflichtung zu übernehmen, die eigentlich von Herrn
Taylor und dem Präsidenten gewünscht worden ist."
(Endnote 153: AC [Administration Committee Akten], 6/26/39
[26. Juni 1939])
[17. Juni 1939: Einige
jüdische Führer sind gegen die Beteiligung an der
Koordinationsstiftung]
Nach der Entscheidung vom 6. Juni fand am 17. Juni ein
weiteres informelles Treffen jüdischer Führer statt. An
dieser Sitzung äusserte Wise seine Skepsis in Hinsicht auf
den vom JDC unternommenen Schritt; aber nur Joseph
Tennenbaum von der Amerikanischen Gesellschaft der
Polnischen Juden (American Federation of Polish Jews) und
der Jüdische Weltkongress, ein führender Verfechter der
Boykottbewegung und späterer Geschichtsschreiber des
Holocaust, stimmten gegen die JDC-Aktion. Die Basis der
Begründung war, dass die Koorndinationsstiftung deutsche
Exporte finanzieren würde, und den antideutschen Boykott
behindern würde.
(Endnote 154: Executive Committee, 7/17/39 [17. Juli
1939]; 9-30, 6/17/39 [17. Juni 1939] Sitzung)
In der Zwischenzeit verhandelten Baerwald und später
Linder mit den britischen Juden und Nichtjuden in London,
und mit Emerson vom ICR [Intergovernmental Committee
on Refugees (ICR) (1938 in Evian eingerichtet)]. Bald
wurde ihnen klar, dass sie in Tat und Wahrheit mit der
britischen Regierung verhandelten. Zwischen dem 5. und 7.
Juni traf Baerwald Wohlthat, der anscheinend nach London
gekommen war, um einer Konferenz über Walfang beizuwohnen.
(Endnote 155: 9-30, 6/7/39 [7. Juni 1939] Memo (von J.C.
Hyman)
Wohlthat, der über die Verhandlungen in London informiert
wurde, drückte die Willigkeit der deutschen Regierung aus,
die Verhandlungen mit sogar einer rein amerikanischen
Gründung weiterzuführen, wenn die Verhandlungen zwischen
den amerikanischen und britischen Juden scheitern sollten
(S.282).
In einem solchen Fall, so sagte Wohlthat, "könnten
wahrscheinlich 5 bis 10 % der jüdischen Vermögen in
Deutschland an die Treuhandstiftung übergeben werden."
(Endnote 156: ebenda [9-30, 6/7/39 [7. Juni 1939] Memo
(von J.C. Hyman)])
Obwohl der dokumentarische Beweis, der diesen Sachverhalt
untermauern würde, fehlt, so scheint es doch, dass die
Gespräche mit Wohlthat das JDC überzeugt haben, dass dies
ein Projekt sei, das mit grösster Energie weiterverfolgt
werden sollte. Das JDC war davon vollends überzeugt.
Die grundlegende Differenz zur Meinung der britischen
Juden lag in der Tatsache, dass das JDC nicht gewillt war,
Geld für Siedlungspläne zu geben, deren Umsetzung ohne
Regierungshilfe zu teuer waren. Am 13. Juli traf sich
ferner in New York eine Delegation des
Amerikanisch-jüdischen Kongresses und des Jüdischen
Arbeitskomitees mit den JDC-Führern. Die ersteren beiden
verlangten, dass in der
Koordinationsstiftungs-Gründungsurkunde klar erklärt
würde, dass der deutschen Seite keine ausländische Währung
zufliessen würde, und dass aus den Operationen der
Stiftung keine zusätzlichen Exporte resultieren würden.
(Endnote 157:
-- 9-30, 7/15/39 [15. Juli 1939] Telegramm von Jaretzki
und Hyman an Linder. Siehe auch:
-- Brief von Adolph Held an JDC, 7/12/39 [12. Juli 1939],
in 9-30.
Held dachte, dass "bevor wir unsere Zusage an den
Rublee-Plan geben, der nur eine modifizierte Version des
bekannten Schacht-Plans ist, wir mindestens versuchen
sollten, eine Antwort auf die brennendste Frage des Tages
zu finden: Wohin werden die Auswanderer, angenommen, sie
werden durch den Rublee-Plan unterstützt, gehen?")
[19. Juli 1939:
Britannien verkündet seine Beteiligung an
Siedlungsprojekten, wenn andere sich auch beteiligen -
die publizierte Charta über die Koordinationsstiftung
(Schacht-Rublee-Plan) am 20. Juli 1939]
Die britische Regierung machte - wahrscheinlich auf
Hinweis von Sir Herbert Emerson - einen Schritt vorwärts.
Am 19. Juli erklärte das Aussenministerium in einer
Pressemitteilung, dass - im Gegensatz zu der bisherigen
Politik - die britische Regierung sich an
Siedlungsprojekten beteiligen würde, vorausgesetzt andere
Regierung wären bereit, dasselbe zu tun.
(Endnote 158: 9-30, Text der Pressemitteilung von Lord
Winterton nach einer Sitzung des ICR, 7/19/39 [19. Juli
1939])
Die Gründungserklärung der Koordinationsstiftung machte
klar, dass die neue Organisation ziemlich unabhängig von
allem war, was in Deutschland passierte, dass sie die
Auswanderung und Siedlungstätigkeit fördern würde, dass
sie "für Land sorgen würde" - was immer das auch hiess -
und die Ausrüstung der Auswanderer. Es war aber nicht
ausdrücklich gesagt, dass sich die Organisation mit
Kolonisation beschäftigen würde. Diesbezüglich existierte
nur die Anspielung im Hintergrund. Am 19. Juli
unterschrieb ein zögerliches JDC die Charta. Der Text
wurde am 20. Juli publiziert.
[1. September 1939: Die
Koordinationsstiftungs-Charta wird durch den Krieg
wertlos]
Sechs Wochen später, am 1. September, wurde die die Charta
durch die ersten Schüsse des [europäischen] Zweiten
Weltkriegs wertlos.
[Frage: Warum war
Roosevelt in der jüdischen Versetzung nach Guayana
engagiert?]
Eine der verblüffendsten Fragen, die in den komplizierten
Verhandlungen im Frühling und Sommer 1939 aufkamen, ist:
Warum sollte der Präsident der USA so darauf bestehen,
dass amerikanische Juden so grosse Geldsummen für die
jüdische Umsiedlung in ein solch unklares und abgelegenes
Projekt ausgeben sollten? Warum sollte er so besorgt
darüber sein, dass ein Abkommen zwischen den
amerikanischen (S.284)
und britischen Juden abgeschlossen wurde? Die menschliche
Einstellung des Präsidenten, während er selbst nicht
zweifelte, war immer von politischem Scharfsinn geprägt.
Die Koordinationsstiftung musste von Roosevelts Standpunkt
aus auch einen politischen Zweck verfolgt haben,
wahrscheinlich den, durch die Lösung des
Flüchtlingsproblems international an Prestige zu gewinnen
- ausserhalb der USA natürlich.
[Frage: Konnte die
deutsche Seite nach der Koordinationsstiftung ernst
genommen werden?]
Das zweite Problem ist nicht weniger verzwickt, aber
relativ einfacher zu beantworten: Wollten die Deutschen
wirklich ein solches Schema wie im [Schacht-]Rublee-Plan
einführen?
Es scheint ziemlich klar, dass Hitler im Detail über die
Verhandlungen mit Rublee informiert war. Schachts
Entlassung im Januar scheint mit dem Rublee-Plan nicht im
Geringsten etwas zu tun zu haben. Klar gab es da eine
Rivalität zwischen Ribbentrop einerseits und Schacht und
Göring andererseits. Im Januar erklärte ein Rundbrief von
Ribbentrop, dass das jüdische Auswanderungsproblem bei
allen praktischen Zwecken unlösbar war, und es wurde eine
radikalere Lösung angedeutet.
(Endnote 159: Dokumente zur deutschen Aussenpolitik, Serie
D, 5:927)
Aber trotz Ribbentrops Einwänden gingen die Verhandlungen
weiter.
(Endnote 160: Hilberg, loc. cit. [The Destruction of
European Jews; Chicago 1961])
In seinen bekannten Instruktionen an Frick, den
Nazi-Innenminister, bezog Göring ausdrücklich Helmut
Wohlthat unter die Mitglieder des geplanten Zentralbüros
für jüdische Auswanderung mit ein, den er als den
Verantwortlichen für die Verhandlungen über den
Rubblee-Plan bestimmte.
Es scheint, dass der Plan zwischen Göring und der SS zu
einem Zankapfel wurde. Heydrich, Himmlers Stellvertreter,
erklärte am 11. Februar, dass die Umsetzung des
Rublee-Plans auf keinen Fall sicher war, so dass die
zwangsweise Auswanderung in der Zwischenzeit weiterlaufen
sollte. Hitler selbst - der seinen Anhängern widersprach -
kann schon in den Begriffen der Judenvernichtung gedacht
haben, wie es in der berühmten Rede vor dem Reichstag am
30. Januar 1939 zum Ausdruck kam, und noch klarer in den
Gesprächen mit dem tschechischen Aussenminister
Chvalkovsky am 21. Januar, wo er mit der Vernichtung des
europäischen Judentums drohte. In der Zwischenzeit war die
Vernichtung aber nicht praktisch, und jede Methode der
Vertreibung, die in einem Resultat endete, war gut.
(Endnote 161: Broszat et alia, op. cit. [Broszat, Martin
et alia: Die Anatomie des SS-Staates; Olten und Freiburg
1965], S. 340-45)
Im Ganzen gesehen scheint es, dass die Nazis den Plan
ernst nahmen, und dass sie gewillt waren, ihn als eine
mögliche Lösung der jüdischen Frage anzusehen. Unterdessen
hielt sie dies aber nicht davon ab, so lange (S.284)
wie kein Auswanderungsabkommen existierte, die Verfolgung
zu verstärken und die Leute, die kein Geld oder Visum
hatten hinauszujagen. Aber es wäre falsch, von diesem
Verhalten abzuleiten, dass sie den Rublee nur für ein
Stück Papier gehalten hätten.
Ein Autor äussert sein Bedauern über die Tatsache, dass
die Koordinationsstiftung so spät eingerichtet wurde, dass
wertvolle Zeit verlorenging, und "dass in den Jahren vor
Kriegsausbruch so wenig vollbracht worden war."
(Endnote 162: Wyman, op. cit. [Wyman, David S.: Paper
Walls; Amherst, Mass., 1968], S. 56)
Die Belege scheinen diese Schlussfolgerung nicht zu
belegen. Die freiwilligen, jüdischen Quellen waren
schlicht und einfach nicht in der Lage, die nötigen,
grossen Geldsummen für erfolgreiche Operationen der
Stiftung aufzubringen; Siedlungsgebiete gab es in Tat und
Wahrheit keine, und im Siedlungsplätze in den USA, in
Australien, in Südamerika oder sogar in Palästina zu
finden, hätte Zeit erfordert.
Die Zeit zwischen Januar und September 1939 stand
sicherlich nicht zur Verfügung. Wenn die Stiftung im
Januar eingerichtet worden wäre, so hätte vor dem
[europäischen] Kriegsausbruch nicht mehr getan werden
können.
[Ende Sep 1939: Polen:
"Fast 2 Millionen polnische Juden in den Händen der
Nazis"]
[Polen wurde geteilt, und grosse Teile des polnischen
Judentums flüchteten in den russischen Teil, der erst 2
Wochen danach russische besetzt wurde. Somit stehen ca.
1,8 Mio. polnische Juden unter NS-Recht].
Ende September fallen fast 2 Millionen polnische Juden in
die Hände der Nazis, und nun dachten Hitler und die SS
über andere Lösungen der Judenfrage nach. Die Stiftung
wurde zu einem historischen Moment.
[Die antisemitisch-katholische polnische Bevölkerung
unterstützte alle Massnahmen gegen die Juden und war
gewillt zu helfen, und es fanden sogar
Massenerschiessungen statt, ohne dass dafür ein
Nazi-Befehl existierte. Gleichzeitig konnten sich aber
auch Juden bei Christen versteckt halten etc.].
Das deutsche Judentum - so muss hinzugefügt werden - war
über die Verhandlungen sehr verbittert, denn sie waren vom
kalten Heydrich-Terror direkt selbst betroffen. Die
"Verhandlungen des Evian-Komitees", schrieb der
Hilfsverein an Lord Samuel am 10. Februar, "haben
definitiv mehr Schaden als Nutzen gebracht."
(Endnote 163: 31-Germany, Flüchtlinge 1939-42, Brief an
Lord Samuel, 2/10/39 [10. Februar 1939])
[Mai 1939:
Deutsch-jüdische Vertreter in London ohne Resultat]
Im Mai wurde einigen Vertretern des deutschen Judentums
erlaubt, nach London zu reisen; es wurde von ihnen
erwartet, dass sie mit positiven Antworten hinsichtlich
der Siedlungsräume und hinsichtlich der Einrichtung der
Koordinationsstiftung zurückkommen würden. Sie kamen mit
leeren Händen zurück, und sie waren herzlos von den Chefs
der ICR [Intergovernmental Committee on Refugees]
abgewiesen worden. Emerson, der Direktor der ICR,
verweigerte ihnen sogar eine kleine Bestätigung, dass jede
Anstrengung unternommen werde, dem deutschen Judentum zu
helfen."
(Endnote 164: Morse, op. cit. [Morse, Arthur D.: While Six
Million Died; New York 1968], S. 248-49)