[K. 6.32.]
Illegale Migration [mit dem Schiff]
[Juli 1934: Illegale
Auswanderung nach Palästina: Das Schiff "Velos" versucht
es vergeblich]
Die Tragödie der jüdischen Auswanderung verursachte ein
Jahrzehnt lang durch seine Erscheinungen das Phänomen, das
man (S.285)
die Not der Juden wurde: illegale Migration. Seit Juli
1934 fuhren die ersten illegalen Auswandererschiffe nach
Palästina. Das Schiff
Velos
machte von Polen aus mit 330 Ausgebildeten der Hechalutz
eine erfolgreiche Fahrt. Im September dieses Jahres
versuchte die
Velos
dasselbe ein zweites Mal, aber die Briten verhinderten die
Landung; die 310 Passagiere
(Endnote 165: Yehuda Slutsky: Sefer Toldot Hahaganah; Tel
Aviv 1963, 2:528-29. Es waren 360 Passagiere, wobei es 50
gelang, von den Briten unbeobachtet an Land zu gelangen).
versuchten, einen Hafen "bei mehreren Häfen" zu finden,
aber sie wurden nirgendwo an Land gelassen. Schliesslich
fuhr das Schiff nach Polen zurück und die Passagiere
erhielten legale Einreisepapiere nach Palästina. Das HICEM
verlangte, dass das JDC die Passagiere unterstützen würde,
aber Kahn lehnte ab: "Wir konnten diese Fälle nicht
unterstützen, weil es sich um illegalen Schmuggel von
Einwanderern nach Palästina handelte."
(Endnote 166: R16, Monatsbulletin ("monthly bulletin"),
Nrn. 1 and 2, 3/6/35 [6. März 1935])
[Jan 1938: Histadruth mit
illegaler Einwanderung - die Zionisten sind dagegen, um
England nicht zu verärgern]
Im Januar 1938 begannen erneut Anstrengungen für den
Beginn der illegalen Einwanderung nach Palästina.
(Endnote 167: Slutsky, op. cit. [Yehuda Slutsky: Sefer
Toldot Hahaganah; Tel Aviv 1963], 2:1036 ff.)
Dies wurde z.T. durch die Histadruth organisiert (der
Allgemeine Palästinensisch-Jüdische Arbeiterverband, engl.
"Palestine General Jewish Federation of Labor"), zum Teil
durch Revisionisten, die Gegner der offiziellen
zionistischen Bewegung, und zum Teil durch Privatpersonen
und verschiedene politische Gruppen. Die offiziellen
zionistischen Körperschaften waren in dieser Frage
gespalten; einige der amerikanischen und der britischen
Zionisten lehnten die illegalen Anstrengungen ab,
zumindest, so lange die kleinste Hoffnung eines
Entgegenkommens von Britannien bestand.
[Frühjahr 1939:
Auswanderungsverhandlungen über die Auswanderung nach
Palästina - Hilfe für die gestrandeten, illegalen
Einwanderer]
Im Frühjahr 1939 wurde das JDC durch die verschiedenen
Gruppen angesprochen, die die Bewegung der
Einwanderungsbewegung nach Palästina organisierten. "Das
JDC war bereit, bis zu 5000 Pfund beizutragen, wenn der
Rat (für das deutsche Judentum) und die Gruppe um Simon
Marks je einen ähnlichen Betrag geben würden, und wenn der
Rat die Verantwortung mittragen würde."
(Endnote 168: Kahns Aktenmaterial, Ordner 1939/40, 6/15/39
[15. Juni 1939])
Dies hiess, dass das JDC nur teilhaben, wenn die ganze
Sache offen und öffentlich geführt wurde, ipso facto,
legal. Natürlich geschah das nicht, und die JDC-Hilfe
wurde nicht verbindlich. Troper sagte, dass "wir mit der
Haltung weiterfahren müssen, dass das JDC mit dieser
Auswanderung nichts zu tun hat." Die örtlichen Komitees
(die nicht Teil des JDC waren), solche wie die Gruppe von
Frau van Tijn in Holland oder die Gruppe um Frau Schmolka
in Prag, "können dies tun, wenn sie es wünschen."
(Endnote 169: R55, Troper Brief, 3/2/39 [2. März 1939])
Dies war im Grunde genommen die JDC-Politik bis zum
Ausbruch des [europäischen] Krieges.
Mit dieser prinzipiellen Position kam nun eine Frage auf,
die nicht leicht beantwortet werden konnte. Man konnte ja
die Augen vor dem Elend und dem Leid der Leute nicht
verschliessen, die nicht nach Palästina gelangen konnten.
Das JDC (S.286)
war ohne Rücksicht auf die Politik zur Hilfe an die Leute
verpflichtet. Ausserdem erlaubte sogar das ICR [das
Übernationale Flüchtlingskomitee, das in Evian 1938
eingerichtet worden war] durch seinen britischen Direktor,
Emerson, ausdrücklich "die Hilfe aus humanitären Gründen
an jene, die due die Abweisung der Transporte gestrandet
waren", während die "verantwortlichen Organisationen"
gewarnt wurden, "solchen Transporten keine direkte Hilfe
zuteil werden zu lassen."
(Endnote 170: 9-27, Sitzung der ICR Direktoren
[Intergovernmental Committee on Refugees (ICR) (1938 in
Evian eingesetzt)] mit JDC und HICEM, 7/25/39 [25. Juli
1939])
[Hilfe für die
gestrandeten Juden auf defekten oder geschnappten
Schiffen in Griechenland]
Einige Situationen waren tatsächlich tragisch.
in den ersten Juli-Tagen des Jahres 1939 fing das Schiff
S.S.
Rim Feuer,
und seine 772 Passagiere wurden auf einer griechischen
Insel an Land gebracht. Anderen Schiffen, die von ihren
Organisatoren schlecht betrieben waren, ging der
Treibstoff aus, oder sie wurden von den Briten geschnappt
und mussten ohne Proviant in griechischen Gewässern
bleiben.
Bis Juli 1939 hatte das JDC durch die Hilfe, solche Leute
auf Schiffen zu versorgen, 9000 $ ausgegeben, zum grossen
Teil durch das Büro der Athener jüdischen Gemeinde, die
die Hilfe verwaltete.
Das JDC beobachtete sorgfältig die Situation. Es erhielt
Berichte und detaillierte Informationen über Boote, die
mit Leuten gefüllt waren und die versuchten, sich nach
Palästina zu retten; wenn diese Versuche fehlschlugen, so
sollte das JDC mit Nahrung, Kleidern und Decken zur Stelle
sein, während jede Einmischung in die politischen Aspekte
der Situation vermieden wurde.
(Endnote 171:
-- R10, 5/29/39 [29. Mai 1939], Kahns Notiz an Baerwald;
-- R55, 5/11/39 [11. Mai 1939], Bericht;
-- 42-Palästina, Auswanderung nach Palestine, 1937-39)
Palästina war ohne Zweifel das einzige Ziel der Boote, die
illegale Einwanderer transportierten.
[Illegale Einwanderung
nach Lateinamerika: Cuba mit bestochenen Beamten -
weitere Länder]
Um ungefähr dieselbe Zeit, als Versuche gemacht wurden,
Palästina zu erreichen, versuchten auch Flüchtlinge ohne
Visas, in die lateinamerikanischen Länder zu gelangen.
Diese Bewegung scheint im September 1938 begonnen zu
haben, als 43 Passagiere auf der SS.
Iberia vergeblich
versuchten, in Mexiko anzulegen. Schliesslich wurde ihnen
erlaubt, in Kuba an Land zu gehen.
Eine ähnliche Reise machte die S.S.
Orinoco im Oktober
mit 300 Passagieren, und am Ende landete sie am selben
Ort. All dies kostete natürlich Geld. Die kubanischen
Beamten mussten bestochen werden. Kuba blieb einer der
Haupthäfen der ganzen Zeit, vor allem wegen der
Käuflichkeit der Beamten.
[Einwanderungszahlen und Zahlen über die eventuelle
Weiterreise fehlen].
Aus vielen verschiedenen Gründen akzeptierten zeitweise
auch Venezuela, Kolumbien, Chile, Costa Rica und Bolivien
Flüchtlinge ohne Visa.
[Wieder fehlen Einwanderungszahlen und Zahlen über die
eventuelle Weiterreise].
[Die Bilanz im März 1939:
23 Boote mit 1740 Passagieren]
Eine im März 1939 im JDC-Büro vorbereitete Liste zählte 23
Boote mit 1740 Passagieren, die irgendwie Lateinamerika
ohne saubere Dokumente erreicht hatten.
[Die zurückkehrenden
Auswandererschiffe]
Nicht allen diesen Schiffen gelang es, ihre menschliche
Fracht an Land zu bringen. Die S.S.
General (S.287)
Martin zum
Beispiel, die in den ersten Februar-Tagen [1939] mit 25
Passagieren ohne Visa in Boulogne ablegte, musste mit den
Flüchtlingen an Bord zurückkehren. Dasselbe passierte den
40 Passagieren der S.S.
Caparcona
Ende März.
(Endnote 172: Wer eine Liste über die Schiffe haben will,
kann hier die Dokumente sehen:
-- 29-Germany: Panische Auswanderung ("Panic Emigration"),
1938-39, 3/30/39 [30. März 1939];
-- Executive Committee, Sitzung zwischen Dezember 1938 und
Juli 1939
-- R9, Hilfe an Juden in Übersee ("Aid to Jews Overseas",
Flugblatt); auch
-- R56, und
-- AC [Administration Committee Ordner], Sitzungen während
dieser Zeit).
[Das JDC finanziert die Schmiergelder - das Spiel mit
den Visas während der Reise]
Das JDC musste einen grossen Teil der Schmiergelder
bezahlen, das als Landungsgeld oder Lebenshaltungskosten
der Flüchtlinge etwas versteckt deklariert wurde. Oft
hatten die Passagiere auch gefälschte Visa erhalten, oder
die Visa waren echt, aber das Aufnahmeland erklärte sie
plötzlich für ungültig - so wie es mit der
St. Louis passierte.
Um Vorgänge organisieren zu können, musste das Geld von
Hand zu Hand gehen, und das JDC konnte all die hohen
Summen schlichtweg nicht bezahlen.
Am 15. März sandte Baerwald ein Telegramm nach Europa und
bat um eine Sitzung der Hauptauswanderungsagenturen, um zu
überlegen, was getan werden konnte. Es war, so sagte er,
"ziemlich klar (dass die) Ressourcen (der) privaten,
philanthropischen Körperschaften (bis aufs äusserste)
angespannt (waren) ... sogar (bei der) eher normalen (und)
ordentlichen Auswanderung unter (der) Kontrolle (der)
verantwortlichen Büros."
(Endnote 173: Telegramm vom 3/15/39 [15. März 1939], Zitat
in Hymans Bericht an das Executive Committee, 3/23/39 [23.
März 1939])
[Kriminelle Umstände um
die illegale jüdische Auswanderung - und Hilfe vom JDC]
Die Entsorgung ("dumping") von Flüchtlingen kam nun in
eine panische Migration, und die Flüchtlinge wurden durch
skrupellose Schifffahrtsgesellschaften, Anwälte und
korrupte Beamte ausgenützt. Es kam zu alarmierenden
Problemen: Unklare Unterbringung der Flüchtlinge, hohe
Garantien, die ziemlich jenseits der finanziellen
Möglichkeiten der privaten Körperschaften lagen, z.B. beim
JDC, und der Geist einer mehr oder weniger permanenten
Bedrohung durch Erpressung, die die Operationen der
verschiedenen Agenturen in Gefahr brachten. Beide, die
Schifffahrtsgesellschaften und die Deutschen wussten, dass
die jüdischen Organisationen protestieren könnten aber am
Ende doch bezahlen mussten.
[Es fehlen leider jegliche Zahlenangaben, die sehr
interessant wären].
Die anderen Agenturen - das HICEM, ICA, der Rat für das
deutsche Judentum, waren im selben Dilemma. Es gab keine
wirkliche Lösung, so lange die Einwanderungsländer
geschlossen waren.
[Frühjahr 1939: Die
meisten lateinamerikanischen Länder schliessen die
Grenzen für jüdische Auswanderung]
Zum Teil als Resultat dieser panischen Auswanderung
schlossen dann die meisten lateinamerikanischen Länder
Anfang 1939 ihre Grenzen. Die Meinungen im JDC waren
geteilt.
[JDC: Diskussionen, ob
man helfen sollte oder nicht]
Alexander Kahn war einer derjenigen, der erklärte, dass
das JDC "ihnen" einfach "helfen musste, so weit die Mittel
reichten, weil ich nicht denke, dass uns vergeben wird,
wenn wir die schroffe (Linie der) Politik einschlagen,
dass wir nicht helfen. Wenn die nächste Ladung mit 100
kommt, werden wir es sowieso tun müssen." Die andere
Sichtweise wurde durch Rosenberg ausgedrückt, der gegen
ein Einverständnis einer Vertreibung der Juden aus Europa
argumentierte. Wenn (S.288)
man den Deutschen erlauben würde, ihre Juden zu
"vernichten", dann könnten die Polen und Rumänen auch bald
folgen, dies zu tun. In den Köpfen der deutschen Vertreter
"ist" auch "die Idee, dass das amerikanische Judentum alle
Arten von Notfällen begegnen kann." Man musste Nein zu den
Flüchtlingen sagen. "Alles in allem sind wir in einer Welt
des Krieges, und es gibt Zeiten, da muss man einige der
Truppen opfern. Und diese Unglücklichen sind einige
unserer Truppen."
(Endnote 174: AC [Administration Committee files], 3/15/39
[15. März 1939])
Das JDC folgte Rosenbergs Ratschlag nicht. Es akzeptierte
die Politik von Alexander Kahn, versuchte aber, so wenig
wie möglich an Schmiergeldern zu bezahlen; und ausser im
Fall der
St. Louis
lehnte es die Bezahlung von Lösegeld ab.
[Die Affäre um die St.
Louis: Die Boote Flandre und Orduna kehren auch nach
Europa zurück]
Während und nach der Affaire um die
St. Louis ging die
illegale Einwanderung nach Lateinamerika weiter. Neben der
St. Louis kamen auch zwei kleine Schiffe in Havanna an:
die S.S.
Flandre,
ein französisches Schiff mit 96 Flüchtlingen, und die S.S.
Orduna, ein
britisches Schiff mit ungefähr 40 Leuten. Wie die
Passagiere der St. Louis wurde ihnen die Erlaubnis, an
Land zu gehen, verweigert. Sie kehrten ebenfalls nach
Europa zurück und wurden in den vier Ländern aufgenommen,
die schon andere aufgenommen hatten.
[u.a. England, wo die Flüchtlinge sicher waren].
[Die
amerikanisch-jüdischen, diplomatischen Bemühungen für
die europäisch-jüdische Auswanderung]
Das JDC musste die lateinamerikanischen
amerikanisch-jüdischen Gemeinden unterstützen, die
versuchten, sich um die Flüchtlinge aus Europa zu kümmern.
Im Dezember 1938 sandte es einen ehemaligen
deutsch-jüdischen Sozialarbeiter nach Lateinamerika, um
einen Kontakt mit den dortigen Gemeinden einzurichten.
Diese Kontakte kamen im Frühjahr 1939 ins Laufen. Das
Havanna-Flüchtlingskomitee wurde unter den Einfluss des
New Yorker National Coordinating Committee gebracht,
später der National Refugee Service. Andere Komitees
erhielten vom JDC direkte Hilfe und gaben es entsprechend
den Regeln an jene weiter, die Hilfe brauchten. Im Jahr
1939 wurden 600.000 $ für diese Arbeit ausgegeben, das an
68.000 betroffene jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Europa
verteilt wurde.
(Endnote 175: Eine Liste mit Einzelheiten der Länder und
die Anzahl Flüchtlinge von jedem Land wurde an der Sitzung
des Executive Committee unterbreitet, am 7/20/39 [20. Juli
1939]).
[Leider fehlt diese Liste im Text].