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Yehuda Bauer: Der Hüter meines Bruders

Eine Geschichte des Amerikanischen Jüdischen Vereinigten Verteilungskomitees 1929-1939

[Holocaust-Vorbereitungen in Europa und Widerstand ohne Lösung der Situation]

aus: My Brother's Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929-1939; The Jewish Publication Society of America, Philadelphia 1974

Übersetzung mit Untertiteln von Michael Palomino (2007)

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Kapitel 6. Der Beginn vom Ende
[M. 6.34. Das JDC vor dem europäischen Weltkrieg 1939 - das JDC organisiert ein Polnisches Zentralkomitee 1939]

[Ende Aug 1939: Paris: Vereinigte Konferenz für jüdische Auswanderung - es wird Krieg erwartet]

Während der letzten Wochen im August 1939 beriefen das JDC und das HICEM in Paris eine vereinigte Konferenz ein. Parallel zum zionistischen Kongress, der gleichzeitig in der Schweiz tagte, wurde die vereinigte Konferenz von ungefähr 50 jüdischen Führers von sozialen Agenturen Europas besucht. Saly Mayer für die Schweiz, Max Gottschalk, Gertrude van Tijn, Isaac Giterman, und viele andere waren dabei. Die generelle Frage war der Krieg, den alle erwarteten. Das JDC hielt seine Bankbilanzen tief und verteilte an seine angeschlossenen Komitees die Gelder, so dass sie etwas in der Hand haben würden, wenn der Krieg käme. Im letzten Moment wurden die verschiedenen Komitees angewiesen, dass sie im Fall eines Krieges für sechs Monate in gleichen monatlichen Raten Geld ausgeben sollten, wie sie es in den ersten sechs Monaten des Jahres 1939 getan hatten. Dies wurde während des Krieges die JDC-Standardpraxis.

Aber die Themen Geld und Hilfe waren nicht die einzigen, die diskutiert wurden. Die Leute, die sich im August 1939 in Paris trafen, wussten, dass sie womöglich den Tod vor sich sahen. Also gingen sie zurück in ihre Büros, mit schwerem Herzen, aber mit dem klaren Gefühl, dass sie für andere verantwortlich waren und diese nicht verlassen konnten.

(Endnote 182:
-- R10, Memorandum vom 9/11/39 [11. September 1939];
-- 44-4, Troper an Baerwald, 8/29/39 [29. August 1939])

Das Ende in Polen

[Polen 1939 steht zuerst auf der Seite der Nazis - kommt ab 31. März 1939 an die britische Seite - das antisemitische Polen erwartet von der britischen Seite Hilfe für die Auswanderung der Juden]

Vielleicht war dies die schwierigste aller Aufgaben, die im Sommer 1939 dem JDC gegenüberstand: Man musste die Arbeit in Polen aufrechterhalten. Die dortige Lage hatte sich etwas zugunsten der Juden verändert, als Neville Chamberlain am 31. März 1939 die einseitige britische Garantie an Polen verkündete. Der antijüdische Druck durch die polnische Regierung war offensichtlich durch die polnische, aktive Konkurrenz zur Nazi-deutschen Aussenpolitik beeinflusst: Die polnische Aussenpolitik hatte sich am Raub an der CSSR 1938 beteiligt, und sie hatte der deutsch-antisowjetischen Politik zugestimmt. Sie wurde von einer Gruppe mittelmässiger Obersten geleitet, die unterdrückten, was in Polen von der grossen demokratischen Tradition noch übrig war. (S.292)

Im April 1939 wurde Polen sehr plötzlich ein Alliierter des demokratischen Britannien, weil die Nazi-Diktatur die Annexion von Danzig forderte und drohte, Polen zu zerstückeln.

[Ergänzung: Hitler forderte eine Autobahn durch Polen nach Danzig und Ostpreussen, und Polen verweigerte alles, und liess weiterhin die Züge versiegeln, und die Vorhänge an den Zugfenstern mussten für die Reise durch polnisches Gebiete zugezogen sein etc. Insofern verlor das NS-Regime die Geduld. Und England spielte das Schachspiel in Europa mit...]

Der Antisemitismus konnten nun [mit dem Alliierten England] nicht länger als eine aussenpolitische Angelegenheit betrachtet werden. Nichtsdestotrotz fragte Oberst Beck, der polnische Aussenminister, nun bei den britischen Stellen an, ob die Briten helfen würden, das jüdische Auswanderungsproblem in Polen und Rumänien zu lösen.

Die sorgfältige britische Antwort wurde am 6. April 1939 gegeben.

(Endnote 183: JTA [Jewish Telegraphic Agency], 4/7/39 [7. April 1939])

Darin erklärte die Regierung Seiner Majestät ihre Bereitschaft, mit den betroffenen Regierungen eine Untersuchung einzuleiten, was "spezielle Probleme in Polen und Rumänien" genannt wurde, "die Teil eines grösseren Problems sind". Eine solche Untersuchung wurde aber vor dem Ausbruch des Krieges nicht begonnen. Als der Krieg begann, war es dann nicht mehr so wichtig.

[Arbeitende Juden von Zbaszyn (Bentschen) können nach Polen einreisen]

Der Wechsel der Atmosphäre war auch in Zbaszyn spürbar. Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für die dortigen Flüchtlinge wurden gelockert, und vor allem Gruppen junger Leute, die beweisen konnten, dass sie Arbeit hatten, die auf sie wartete, oder Personen, die eine Gelegenheit auf Auswanderung hatten, erhielten die Erlaubnis, ins Land einzureisen. Am Ende des Mai 1939 blieben noch 3500 Flüchtlinge in Zbaszyn.

[Sep 1939: Zbaszyn (Bentschen) wird von der Wehrmacht überrannt]
Bei Kriegsausbruch wurden die 2000 dortigen Juden von den Deutschen überrannt, die nach Polen einmarschierten.

[Anfang Juni 1939: Neue Deportationen von polnischen Juden in Deutschland an die polnische Grenze - und dann KZ]

Als Resultat der Feindlichkeiten zwischen Deutschland und Polen versuchten die Deutschen, die Aktion vom Oktober 1938 zu wiederholen. Anfang Juni 1939 versuchten sie, 2000 polnische Juden bei Zbaszyn über die Grenze zu jagen, aber die Polen hinderten sie daran. Die leidenden polnischen Juden, die Opfer dieses Aktes waren, können nicht beschrieben werden.

Am 23. Juni berichteten die Zeitungen, dass Hunderte dieser Unglücklichen bei der Grenze nahe der Stadt Rybnik hin- und herbefördert wurden. Am Schluss gelang es einigen, nach Polen zu gelangen. Aber die meisten von ihnen wurden Opfer der Nazi-Brutalität; jeder, der nicht ausgeschafft werden konnte, wurde in ein Konzentrationslager geschickt.

[Seit Frühling 1939: Polens Regierung verstärkt den Antisemitismus mit neuen Steuern]

Der polnische Druck zur Auswanderung war mit wachsenden, schamlosen und offenen Akten der Nötigung gegen Juden gekoppelt, in politischen und finanziellen Angelegenheiten. Im Frühling 1939 verlangte die polnische Regierung (S.293)

einen Polnischen Verteidigungskredit, der "freiwillig" vom ganzen Land eingezogen wurde. Die Juden wurden gezwungen, am Kredit teilzuhaben, aber in einer Art, die weit jenseits ihrer Möglichkeiten war. Durch rücksichtslose Methoden wurde die Kapitalsteuer erhöht. Die Juden wurden so gezwungen, 150 Mio. der 400 Mio. Zloty zu bezahlen, die vom ganzen Land eingezogen wurden. Dies passierte im Mai 1939. Als Resultat ergab sich ein scharfes Ansteigen der jüdischen Wirtschaftsbankrotte. Juden, die grosse Teile der Zahlungen verweigerten, wurden kurzerhand inhaftiert.

(Endnote 184: 44-24)

Im Sommer 1939 war das JDC mit dem wirtschaftlichen Notfall in Polen konfrontiert, der nun wirklich schlimm schien.

Eine Art, der Gefahr zu begegnen, die die polnischen Juden bedrohte, war, die Juden zu ermuntern, in Polen effektive jüdische Körperschaften einzurichten. Wie wir gesehen haben, gab es in diesem Land keine generell anerkannten jüdisch-repräsentativen Körperschaften. Das Ziel des JDC, den Juden zur Selbsthilfe zu helfen, konnte unter diesen Bedingungen aber nicht effektiv gefördert werden. Der Hauptgrund für diese Situation lag in der politischen Konkurrenz zwischen den vielen verschiedenen ideologischen Trends und Bewegungen, und in scheinbar unüberwindbaren Unterschieden, so dass keine Annäherung möglich war.

[Juni 1937]:
Im Juni 1937 wurde die provisorische Vertretung der polnischen Juden eingerichtet, zusammengesetzt aus Zionisten und Agudisten. Die Körperschaft war auf dem Niveau des polnischen Sejm, aber sie war nur kurze Zeit am Leben. Der Jüdische Weltkongress richtete im Februar 1938 einen polnischen Zweig ein. Aber dieser bestand nur aus zionistischen Körperschaften und war somit als ein umfassender, einigender Faktor ineffektiv. Auf jeden Fall würde das JDC den WJC-Zweig in Polen abgelehnt haben, in einer Linie mit seiner eigenen Philosophie.

Das JDC seinerseits war in seinen eigenen Schemen tätig und konnte so etwas wie eine gemeinsame Front der jüdischen Interessen aufstellen. Das erste Problem war, wie man die Hauptfunktionen des JDC in Polen an lokale Gruppen weitergeben könnte, die so eine grössere örtliche Unabhängigkeit bekommen hätten. Das Thema scheint im Detail erstmals im Juli 1938 diskutiert worden zu sein, während einer dortigen Sitzung zwischen Kahn und den Köpfen des Warschauer Büros.

In einem eher scharfen und formalen Brief vom 11. August erklärte Kahn, dass nun entschieden werden müsste, ob die Freien Kreditkassen ihre Tätigkeit unter dem JDC-Management fortführen sollen (S.294)

oder in unabhängige Organisationen gemäss den Richtlinien des CENTOS und der TOZ [Tovarzystwo Ochrony Zdrowia, dt.: Gesellschaft für den Gesundheitsschutz der jüdischen Bevölkerung in Polen] umgestaltet werden sollten. Mit dem Grossteil der konstruktiven Arbeit in den Freien Kreditkassen würde eine solche Umwandlung de facto den Grossteil des JDC-Programms den polnischen, lokalen Körperschaften übergeben.

Der zweite Vorschlag, der ebenso in Kahns Brief angeschnitten wurde,

(Endnote 185: R55. Die Gründung eines Polnischen Zentralkomitees wurde offensichtlich im Spätjahr 1937 mit Sachs in Gesprächen mit Kahn in Warschau diskutiert (Sachs' Brief an Kahn, 44-3, 9/15/38 [15t. September 1938])

war für die Bildung eines wirtschaftlichen Kontrollkomitees "zusammengesetzt aus führenden jüdischen Persönlichkeiten in Handel, Banken, Industrie und Handwerk". Dieses Komitee würde Fördermittel sprechen und dem JDC gegenüber bewilligungspflichtig sein. Kahn wollte, dass dieses Komitee bis Ende 1938 aufgestellt würde.

Im Oktober 1938 übernahm Morris C. Troper Kahns Funktionen in Europa. Der neue europäische Vorsitzende des JDC besuchte Polen im November und fand sich in vollem Einverständnis mit seinem Vorgänger. Das JDC, so dachte er, kontrollierte die polnischen Juden noch "in einer Art und in einem Mass weit jenseits von dem, was von einer ausländischen Organisation erwartet werden sollte." Er fand eine "Unterwürfigkeit in den Beziehungen" zwischen den örtlichen Organisationen und dem JDC-Büro vor, die er als schädlich beurteilte.

(Endnote 186: CON-2, Troper Bericht, 11/30/38 [30. November 1938])

Der Fortschritt war ziemlich schnell, was das erste der zwei Probleme angeht, die in Kahns Brief vom August 1938 behandelt wurden. In Polen wurde der CEKABE nun die alleinige Verantwortung für die Angelegenheiten übergeben, die diesen wichtigsten Aspekt der JDC-Arbeit ausmachten: die Arbeit mit den Freien Kreditkassen.

Troper konnte an Hyman im frühen März 1939 berichten, dass die Kassen übergeben worden waren, und dass das JDC für sich selbst eine rein kontrollmässige Funktion beibehielt, gerechtfertigt durch die Tatsache, dass es für die notwendigen Kredite, um die Ausweitung der Arbeit am Laufen zu halten.

Die Mitgliedschaft beim Gremium der CEKABE schloss die Assimilationisten und Zionisten, und natürlich Giterman als der Vertreter des JDC, mit ein.

(Endnote 187: 44-4, 3/4/39 [4. März 1939])

Das Problem, die meisten der JDC-Funktionen an das Polnische Zentralkomitee zu übergeben, war sehr kompliziert. Das JDC führte diese Verhandlungen mit einer Gruppe von Industriellen, die von Karol Sachs angeführt wurden. Es scheint aber, dass Giterman und seine Warschauer Kollegen nicht sehr glücklich über diese Entwicklung waren. Troper war geneigt, im Gegensatz zu Gitermans Wunsch, (S.295)

seine prädominante Position als JDC-Vertreter zu behalten. Er deutete auch an, dass es innerhalb des JDC-Büros über Gitermans Position Eifersüchteleien gab.

(Endnote 188: 44-4, Troper an das Komitee über Polen, 4/11/39 [11. April 1939]: "Einige der Männer (im Warschauer Büro) meinen, dass Gitermans Situation - aus dem Blickwinkel des JDC betrachtet - nicht befriedigend ist.")

Aber die Hinweise legten klar nahe, dass Giterman nicht mit der Idee in Einklang stand, die Grenze der Aufstellung politischer Körperschaften und hauptsächlich auf die Gruppe der reichen Männer angewiesen zu sein, zu überschreiten - deren praktische Aktivitäten bis zu dieser Zeit nicht sehr hervorragend waren, und deren Fähigkeit, das polnische Judentum hinter ihrer Führung zu einigen, sehr zweifelhaft war.

[Einrichtung des Zentralkomitees: Nur ein Hauptführer darunter]


Die erste Liste der voraussichtlichen Zentralkomiteemitglieder, die von Sachs im September 1938 vorgelegt wurde, war in der Tat ein Hinweis auf einen Trend: Kein einziger Führer der Hauptgruppen war darunter ausser Rabbi Lewin, der Präsident der Agudah.

Das JDC konnte einem solch einseitigen Vorschlag nicht zustimmen. Aber die Verhandlungen dauerten an, und im Frühjahr 1939 war klar, dass die Führer der der Zentralen Finanzinstitution der Aufbaustiftung Kreditkassen, die mit der Gruppe der reichen Männer um Sachs identisch waren, "durch uns belastet" worden waren (wie David J. Schweitzer es fast grossspurig ausdrückte), ein Komitee zu formen, "das praktisch die Funktionen des jetzigen JDC-Büros in Warschau übernimmt."

(Endnote 189: 44-4, Memo von Schweitzer, Januar 1939)

[Feb 1939: Neue Liste ohne Agudah und ohne Bund-Vertreter]

Im Februar [1939] legte Sachs dem JDC-Büro in Paris eine neue Liste vor. Dieses Mal war die Liste viel ausgewogener, doch auch da war die Hälfte des Komitees mit der Sachs-Gruppe besetzt. Die Zionisten und sogar der Jüdische Weltkongress waren dabei, aber die Agudah und der Bund fehlten.

(Endnote 190: 44-3, Sachs an JDC, Paris, 2/28/39 [28 Februar 1939])

Zusätzlich musste das Komitee Vertreter der Organisationen CENTOS, TOZ, CEKABE und so weiter beinhalten, diejenigen Organisationen in Polen, die vom JDC hauptsächlich Unterstützung erhielten.

[Feb 1939: Die polnische Regierung setzt ein jüdisches Auswanderungskomitee ein - die Juden trauen ihm nicht]

In der Zwischenzeit setzte die polnische Regierung - wie wir gesehen haben - ein jüdisches Auswanderungskomitee ein; dabei waren einige der Leute, die vom Zentralkomitee vorgeschlagen worden waren.

Der Grossteil des polnischen Judentums aber, speziell die Bundisten und die Zionisten, lehnten das Auswanderungskomitee ab, weil es von der Regierung den Juden aufgezwungen worden sei.

Da einige von denen auch Kandidaten für die Mitgliedschaft im Zentralkomitee waren, bewirkte dies bei den Verhandlungen zusätzliche Schwierigkeiten. (S.296)

[1938-1939: Der Bund gewinnt im antisemitischen Polen an Boden gegen die Zionisten]

Ein anderes sehr schlimmes Problem war jenes mit der Beteiligung des Bund. Der Bund, wie wir schon gesehen haben, gewann in Polen 1938 / 1939 an Kraft. Alexander Kahn drückte es so aus: "Es gab eine Zeit, als die zionistische Gruppe Geld für die Auswanderung nach Palästina geben konnte. Sie waren dann die Engel." Jetzt aber gab wegen den britischen Einschränkungen keine Möglichkeit, [offiziell] nach Palästina auszuwandern. Dies erklärte gemäss Kahns Sichtweise das Ansteigen des Bund, "der politisch der stärkste Ausdruck der Unzufriedenheit der Bevölkerung ist."

(Endnote 191: 44-21, Kahn an das Komitee über Polen, 7/7/39 [7. Juli 1939])

Der Bund lehnte prinzipiell die Zusammenarbeit mit einer Gruppe jüdischer Kapitalistenführer und Zionistenführer ab. Ausserdem waren einige der grössten wirtschaftlichen und kulturellen Erfolge des polnischen Judentums mit dem Bund verknüpft, und dies konnte durch das JDC nicht einfach ignoriert werden. "Welche Arbeit auch immer durch diese (Arbeiterklasse-) Gruppen getan wird, speziell durch den Bund, die grösste Partei, seien es ihre umfassenden Schulen, ihre Sanatorien, ihre anderen sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten, es ist immer gut und effizient durchgeführt."

(Endnote 192: 44-4, Bericht Schweitzer, 3/23/39 [23. März 1939])

Diese Meinung wurde durch Bernhard und Alexander Kahn in New York wiederholt unterstützt.

[Polnische Regierung will das JDC vom Bund abspalten - der Bund soll kommunistisch sein - der Bund ist sozialistisch]

Auf der anderen Hand versuchte die polnische Regierung, die sich der Verhandlungen wegen des Zentralkomitees bewusst war, auf das JDC Einfluss zu nehmen und die Verbindungen mit dem Bund abzuschneiden. Einer der JDC-Führer, Edwin Goldwasser, hatte über dieses Thema im Juli 1939 ein Gespräch mit dem polnischen Generalkonsul in New York. Alexander Kahn sagte: "Der Konsul sagte aus, dass in polnischen Kreisen ein starkes Gefühl sei, dass die Position des JDC in Polen nahe beim Bund eingeschätzt würde, die als kommunistische Organisation eingestuft wird, dominiert von der russischen, kommunistischen Partei. Es ist deswegen natürlich anzunehmen, dass jeglicher Spezialbericht, der vom JDC an den Bund weitergegeben wird, von den polnischen Behörden nicht als wohlwollend beurteilt werden wird. Natürlich", so fügte Kahn hinzu, "wissen wir hier, dass der Bund eine sozialistische Gruppe ist, die den Kommunismus ablehnt."

(Endnote 193: 44-4, A. Kahn an Troper, 7/11/39 [11. Juli 1939])

[Die polnische Regierung mit behinderndem Einfluss auf JDC-Vertreter]


Neben seiner Intervention in New York versuchte die polnische Regierung auch, Einfluss auszuüben und arbeitete gegen JDC-Vertreter in Polen auch mit dem Mittel der Einschüchterung. Polizeichefs und die Presse versuchten, Druck auf (S.297)

Personen auszuüben, die in Polen mit dem JDC in Verbindung standen, um die weitere Unterstützung des Bund zu verhindern.

Am 17. Juli 1939 wurde von Giterman selbst verlangt, vor dem politischen Departement des Regierungskommissars in Warschau zu erscheinen. Es wurde nichts gesagt, was den guten Geschmack verletzt hätte, aber die Anspielungen wurden im Grossen und Ganzen klar verstanden.

(Endnote 194: 44-4, Memo von Giterman, 7/17/39 [17. Juli 1939])

Das JDC unterlag diesem Druck nicht. Aber der Bund war auch keine Gruppe, mit der man so leicht umgehen konnte. Anfang Juni besuchte einer der Führer, Mauricy Orzech, Troper in Paris und führte mit ihm Verhandlungen durch. Der Bund hatte gerade in den Gemeindewahlen in Polen einen Sieg errungen, und Orzech dachte, so berichtete Troper, "dass die anderen jüdischen Körperschaften nun praktisch keinen politischen Einfluss oder repräsentative Kraft mehr hätten und entweder immer mehr dahinschwinden oder komplett aussterben würden."

Der Bund lehnte im Zentralkomitee nicht nur die Kooperation mit den Kapitalisten und Zionisten ab, sondern es war auch klar, dass, da alle anderen Organisationen sowieso aussterben würden, es keinen offensichtlichen Grund mehr gab, wieso der Bund überhaupt Konzessionen machen sollte. Troper musste Orzech seine ausserordentlich und komplett unrealistische Position mit Argumenten ausreden.

Früher im Jahr 1939 war ein Kompromiss gefunden worden mit der Folge, dass der Bund die Aktionen des Zentralkomitee, das vom JDC aufgestellt worden war, nicht sabotieren würde.

Ein Jahr danach kam die Frage auf, ob die Zusammenarbeit des Bunds mit dem Komitee verhandelt werden sollte. Jetzt, im Juni 1939, schien dieses Arrangement aber nicht mehr aktuell. Deshalb wurde von Troper ein neuer Kompromiss vorgeschlagen, demzufolge der Bund eine dauerhafte Körperschaft einrichten würde, deren Aufgabe es sei, mit dem neuen Zentralkomitee Verhandlungen zu führen. Aber es sollten nur solche Aktivitäten des neuen Komitees diskutiert werden, die den Bund oder eine seiner Unterorganisationen direkt betrafen. Der Bund würde nicht Teil des Komitees sein oder sich mit dessen Politik befassen.

Orzech akzeptierte dies und kehrte nach Polen zurück, um die Bewilligung seiner Organisation einzuholen.

(Endnote 195: 44-4, Troper an Hyman, 6/10/39 [10. Juni 1939])

Es gab während des Sommers 1939 Hinweise, dass der Kompromiss durch die Führung des Bund akzeptiert werden würde.

Hinter den Verhandlungen mit dem Bund standen auch Verhandlungen innerhalb des JDC. Im Warschauer Büro unterstützte Leib Neustadt die Anträge des Bunds. Er dachte, dass dessen Einrichtungen und Organisationen (S.298)

Modelle der Effizienz seien, und dass sie, eher als die kapitalistischen Gegenstücke, Unterstützung des JDC erhalten sollten. In New York waren die Arbeitervertreter natürlich geneigt, eine solche Position zu unterstützen.

[Bund: Geldfragen]

In der Tat gelang es den Organisationen des Bund, mit wenig Geld viel zustandezubringen. Im Zuge des Vergleichs musste Troper selbst über den TER schreiben (das Export-Subkomitee des Wirtschaftsrats, der durch das JDC unterstützt wurde), dass es "unter der Schwierigkeit, dass es Befehle gab, die man nicht erfüllen konnte, Sie müssen alles tun, was sie können, um Leute aus dem Ausland abzuhalten, so dass sie nicht desillusioniert sein sollten. Ich dachte, es seit das Beste, ihnen etwas Geld zu geben, so hätten sie etwas vorzuweisen."

(Endnote 196: R55, Troper Bericht, 3/5/39 [5. März 1939])

Giterman war über den Bund nicht so enthusiastisch wie sein Kollege. Aber auch er dachte, dass es höchst unfair wäre, die Unterstützung der Einrichtungen des Bunds zu stoppen, wenn das Zentralkomitee eingerichtet würde, und deshalb unterstützte er den von Troper vorgeschlagenen Kompromiss.

[Weitere Verhandlungen zur Einrichtung des Zentralkomitees - die kleinen Komitees wollen ihre Funktionen nicht verlieren]


Die Verhandlungen hinsichtlich des Zentralkomitees gingen mit grosser Intensität während des Sommers 1939 weiter. Trober realisierte, dass das Problem schnell gelöst werden musste, und er benutzte das gesamte Prestige des JDC, um einen befriedigenden Abschluss zu erreichen. Die Gruppen in Polen, beide, die politischen wie die grossen sozialen Organisationen wie CENTOS, TOZ, CEKABE und andere, fürchteten, dass ihre Angelegenheiten einem Komitee übergeben würden, das zu sehr auf der einen oder anderen Seite stand, und das weniger unparteiisch als das JDC-Büro in Warschau sein würde. Das JDC musste auf die Gruppen grossen Druck aufsetzen, um ihre Angelegenheiten endlich selber zu managen, als immer unter der Schutzherrschaft des JDC weiterzufahren.

Im Juli wurde vom JDC ein abschliessender Vorschlag ausgearbeitet. Das Zentralkomitee sollte die jüdischen Gemeindeaktivitäten "in ihrer Ganzheit" vertreten.

Artikel 3 des vorgeschlagenen Reglements besagte, dass das Komitee die Aktivitäten der verschiedenen Organisationen koordinieren und "ihre Interessen vertreten" würde, die Spendensammlungen in Polen organisieren und durchführen würde, im Ausland finanzielle Unterstützung suchen würde, und generell "neue Vorschläge überlegen oder initiieren würde, um soziale und wirtschaftliche Wohlfahrtsnotwendigkeiten im nationalen Rahmen" zu managen. In anderen Worten: Was hier (S.299)

vorgeschlagen wurde, war eine Dachorganisation des polnischen Judentums, das unzweifelhaft immer mehr in wirtschaftliche und soziale Probleme geriet. Die Mitgliedschaft im Komitee sollte aus 20 Personen bestehen, wie es das JDC vorsichtig vorschlug; eine Erweiterung könne später stattfinden. Diese 20 Personen sollten bekannte zionistische und orthodoxe Führer sein, wie auch die Gruppe der Industriellen um Sachs, der als Vorsitzender des Komitees fungieren würde. Zionisten des linken Flügels würden auch vertreten, und der Bund würde durch den Troper-Orzech-Kompromiss berücksichtigt.

(Endnote 197: 44-4, Zwischenbericht ("interim report"), Juli 1939)

Diese Anstrengung, ein Polnisches Zentralkomitee einzurichten, waren typisch für das Denken des JDC. Tatsächlich gelang es dem JDC dabei, das polnische Judentum zu einer vereinten Front zu zwingen, wenigstens in den wirtschaftlichen und sozialen Sphären, obwohl es klar war, dass eine solche Front politische Obertöne haben würde. Das JDC versuchte, sein Bestes zu geben, um seine eigene Rolle in Polen zu reduzieren und seine Arbeit den anderen zu übergeben.

In dieser Haltung gab es einen interessanten Widerspruch. Einerseits setzte es die detaillierte Kontrolle der wirtschaftlichen und sozialen Organisationen in Polen fort; die eher gönnerhafte Haltung änderte in materieller Hinsicht nicht. Zur gleichen Zeit versuchte es fast verzweifelt, sich selbst von der täglichen Kontrollarbeit zurückzuziehen und den polnischen Juden ein Gefühl der Verantwortlichkeit und Führungskraft zu geben, so dass sie sofort dessen Arbeit übernehmen könnten.

[Die andere Ansicht aus den "USA"]

Da war aber ein noch grösseres und noch bedeutenderes Paradoxon. In New York war die JDC-Führung im Jahr 1939 noch in derselben Gruppe konzentriert, die seit Anfang der 1930er Jahre bestand. Die vorherrschende Ansicht war hier immer noch, dass die polnischen Juden "Glaubensgenossen" waren. Die Idee einer jüdisch-nationalen Gruppe wurde im besten Fall mit Skepsis betrachtet. Und dann war da noch das JDC, das nun das polnische Judentum zum ersten Mal seit Jahrhunderten in einer einzigen Körperschaft organisierte, als eine nationale Gruppe der polnischen Juden. Das JDC wurde eine apolitische, philanthropische amerikanisch-jüdische Agentur, die allgemein mit jüdischen und humanitären Prinzipien arbeitete, um die Vereinheitlichung des polnischen Judentums zu erreichen. Wenn dies gelang, so wäre dies das Mindeste für die Vorbereitung auf den Horror, der noch vor ihm stand. (S.300)

[2. September 1939: Einrichtung des Zentralkomitees - es ist zu spät]

Das Schicksal wollte es, dass das Zentralkomitee der polnischen Juden generell ein Symbol der Situation des polnischen Judentums war. Das JDC in New York empfing ein Telegramm, unterschrieben von Raphael Szereszewski, ein früherer Senator, ein Bankier, und einer der oben erwähnten Industriellengruppe, dass das Zentralkomitee eingerichtet worden war. Das Datum war der 2. September 1939.

(Endnote 198: 44-4, Telegramm vom 9/2/39 [2. September 1939])

24 Stunden früher hatten deutsche Truppen die Grenze zu Polen überschritten. Der [europäische] Zweite Weltkrieg hatte begonnen. Es war zu spät. (S.301)

[Die polnische Regierung hatte 6 Monate die Wahl, um mit Hitler gegen Russland, oder mit Russland gegen Hitler zu ziehen. Es gab nie eine Entscheidung, aber da war die Hoffnung, dass Frankreich und England Deutschland angreifen würden, wenn Hitler Polen angreift. Die polnische Propaganda sprach von einem Marsch auf Berlin...
In: Valentin Falin: Zweite Front]







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