aus: Israel Finkelstein / Neil
A. Silberman: Keine Posaunen vor Jericho. Die
archäologische Wahrheit über die Bibel; Deutscher
Taschenbuchverlag DTV GmbH & Co. KG, München 2004,
zweite Auflage 2005; englische Originalausgabe: "The
Bible Unearthed. Archaeology's New Vision of Ancient
Israel and the Origin of Its Sacred Texts; The Free
Press, a division of Simon & Schuster, Inc., 2001;
Deutsche Ausgabe: Verlag C.H.Beck oHG, München 2002
Die
ovale Dorfanlage, die von den Zeltlagern der
Beduinen abstammt
Beduinenzelte 1915 |
Beduinen: Rast in ovaler
Anordnung |
Die ersten Siedlung im Übergang zwischen Nahem und
Mittlerem Osten sind gemäss Archäologie ovalartig
ringartig. Die Häuser sind aneinandergebaut, der grosse
Hof wohl als Schutz vor Räubern für Tierherden in der
Nacht (S.127). Die Archäologen finden nur wenige Silos,
wenige Sichelklingen und wenige Mahlsteine zur
Getreideverarbeitung (S.127-128).
Ovale Dorfanlagen gibt es auch im westjordanischen
Bergland und im Süden in den Negev-Bergen. Solche Dörfer
waren also kein Einzelfall (S.128), sondern die ovale
Dorfanlage hat im ganzen Nahen Osten Tradition und ist in
allen Zeitepochen vertreten:
-- im Sinai
-- in Jordanien
-- in anderen Gegenden des Nahen Ostens (S.128).
Diese ovalen Dorfanlagen sind typisch für Ortschaften im
Bergland in Landstrichen, die an die Wüste grenzen. Der
Aufbau im Oval ähnelt den Zeltlagern der Beduinen, die bis
heute ihre Zelte im Oval aufstellen, mit einem offenen
Hof. Auch die Grösse und die Anzahl Einheiten zwischen
ovaler Dorfanlage und den Zeltlagern der Beduinen sind
ähnlich (S.128).
Finkelstein / Silbermann folgern, dass die ovalen Dörfer
höchstwahrscheinlich von Hirten gebaut wurden, die eine
Sesshaftigkeit benötigten, wo die Herde in der Nacht in
einem grossen Innenhof die erste Priorität besass (S.129).
Der Wandel vom ovalen
Zeltlager zum ovalen Steindorf
-- die Hirtennomaden mussten am Ostrand der Region ihr
Nomadenleben aufgeben, nicht weit weg vom Wüstenrand
-- die Hirtennomaden mussten ihre Tiere zum grossen Teil
aufgeben und Ackerbau treiben
-- der Wandel ist heute noch bei Beduinen im Gang, und die
erste dauerhafte Siedlung ist immer ein Oval
-- die Randlage zur Wüste hin lässt jeweils Tierherden und
Ackerbau gleichzeitig zu (S.120).
Die Archäologie stellt in
Kanaan den wiederkehrenden Zyklus fest
Die Ausgrabungen vieler vergangener Dörfer fördern einen
Zyklus zwischen Sesshaftwerden und wiederkehrendem
Nomadentum zu Tage (S.130):
Die Zyklen zwischen
ovalem Dorfbau und Nomadentum in Kanaan am
Rand der Wüste |
Epoche |
Datum |
Hauptmerkmale |
Frühe
Bronzezeit |
3500-2200
v.Chr. ca. |
Erste
Besiedlungswelle; ca. 100 Orte nachgewiesen |
Zwischenzeit |
2200-2000
v.Chr. |
Krise;
die meisten Orte werden aufgegeben |
Mittlere
Bronzezeit |
2000-1550
v.Chr. ca. |
Zweite
Besiedlungswelle; ca. 220 Orte nachgewiesen |
Spätbronzezeit |
1550-1150
v.Chr. |
Krise;
nur ca. 25 Orte nachgewiesen |
Eisenzeit
I |
1150-900
v.Chr. ca. |
Dritte
Besiedlungswelle; ca. 250 Orte nachgewiesen |
Eisenzeit
II |
900-586
v.Chr. |
Besiedlung
wächst auf mehr als 500 Orte an (8. Jh. v.Chr.) |
|
|
(Finkelstein / Silberman: Posaunen
2001, Ausgabe 2004, S.130) |
Fakten der Archäologie über
die frühen ovalen Dörfer
-- die Kultur der
Dörfer der verschiedenen Zeitepochen ist nicht sehr
unterschiedlich (S.131)
-- die Dorfkultur besteht aus Ackerbau
mit Pflug und ein Rind davorgespannt gemäss den
Umweltbedingungen und den wirtschaftlichen Bedingungen,
ableitbar an Tierknochen (S.132)
-- es wird [gemäss konzentrierten
Samenfunden und Werkzeugfunden] auch immer Oliven- und
Weintraubenanbau betrieben
-- Wein wird gemäss Funden in Ägypten
z.T. sogar bis Ägypten exportiert: In Ägypten werden
Tongefässe aus Ton aus den Bergen Kanaans gefunden,
einmal sogar noch mit Traubensamen drin (S.131).
Die
Zeiten der verlassenen Dörfer
Wenn die Dörfer wieder
verlassen sind, sind die Dorfbewohner wieder Beduinen
geworden. Ackerbau mit Rind und Pflug gibt es dann kaum,
sondern v.a. Schafherden und Ziegenherden. Rinderherden
gibt es keine, weil diese in Krisenjahren zu wenig
beweglich sind (S.133).
Die
Gründe für die Zyklen
Der Wechsel zwischen
Nomadentum und Sesshaftigkeit mit den ovalen Dörfern
erfolgt je nach politischen, wirtschaftlichen oder
klimatischen Bedingungen. Je nach Notwendigkeit oder
Möglichkeit verwandeln sich Beduinen in Dorfbewohner,
oder die Dorfbewohner flüchten vor neuen Steuern in die
Wüste ins Nomadentum (S.133). Bei sicherer politischer
Lage wagen die Beduinen jeweils die Verdorfung, bei
bedrohlicher Lage werden die Dorfbewohner wieder
Beduinen, so dass man sie in der Wüste in Ruhe lässt
(S.133-134).
Die letzte Periode der Besiedelung und
Verdorfung ist verbunden mit einer Identitätsbildung,
die man in einer gewissen Region "Israel" nennt (S.131).
[Von diesen Zyklen berichtet die Bibel aber nichts...]
Die Struktur der
Dorfbevölkerung
Die Dorfbevölkerungen sind zweigeteilt:
-- ein Teil ist auf Landwirtschaft spezialisiert
-- ein anderer Teil hält weiterhin grosse Herden [als
Halbnomaden] (S.134).
Dabei besteht eine
gegenseitige Abhängigkeit von Bauern und Hirtennomaden:
-- die Nomaden sind auf
landwirtschaftliche Produkte aus den Dörfern angewiesen:
Die Ergänzung der Nahrung mit Getreide ist
lebenswichtig, ansonsten müssen die Beduinen die
Nahrungsergänzung mit Getreide selber anbauen
-- die Dorfbevölkerung ihrerseits
bezieht von den Nomaden Fleisch, Milchprodukte und
Häute, die aber nicht überlebenswichtig sind (S.134).
Die
natürliche Trennung in nördliche und südliche Gebiete
als Vorläufer für ein Nordreich Israel und ein
Südreich Juda
Jede Besiedlungswelle bringt im
Bergland des Nahen Ostens zwei verschiedene
Gesellschaften bzw. zwei getrennte Siedlungsräume im
Norden und im Süden hervor, abhängig von den
topographischen Gegebenheiten. Die Grenzen dieser beiden
Typen von Siedlungsräumen entsprechen ungefähr den
Gebieten der später im AT erfundenen Königreiche des
Nordens (Israel) und des Südens (Juda) (S.171).
Das nördliche Siedlungsgebiet
Nordgebiet: Sanft hügelig mit Jesreelebene
|
Das
südliche Siedlungsgebiet
Südgebiet: Totes Meer mit Steilküste
|
Frühbronzezeit im
Norden
-- eine Ortschaft ist Regierungszentrum mit
religiösem Zentrum Tell el-Far'a, mit grosser
Süsswasserquelle, später in der Bibel als Thirza
bekannt, das erste Hauptstadt des Nordreichs
gewesen sein soll (S.172) |
Frühbronzezeit im
Süden
-- das Gebiet ist hauptsächlich von
Schafhirten und Bauern dünn besiedelt
(S.12)
-- bis 8. Jh. ist Juda recht isoliert und dünn
besiedelt, Lesen und Schreiben sind kaum
verbreitet (S.56)
-- es bleibt dünn besiedelt, nur kleine Orte,
z.T. Plätze nur mit Tonscherben ohne Gebäude,
die auf Hirtenplätze hinweisen, insgesamt
umfasst das Siedlungsgebiet dieser frühen Zeit
ca. 50 ha (S.172) |
Mittlere
Bronzezeit im Norden (2000-1550 v.Chr.)
-- dicht bevölkert mit vielen sesshaften
Bauern (S.172) |
Mittlere
Bronzezeit im Süden (2000-1550 v.Chr.)
-- sehr wenige dauerhaft bewohnte Orte
-- grosse Anzahl von Hirtengruppen mit
Friedhöfen abseits von bewohnten Orten (S.172) |
Eisenzeit I im
Norden (1150-900 v.Chr. ca.)
-- schwelgt im Wohlstand, hat militärische Macht
-- Lesen und Schreiben sind verbreitet (S.56)
-- dichte Besiedlung, grosse, mittelgrosse und
kleine Ortschaften (S.172) |
Eisenzeit I im
Süden (1150-900 v.Chr. ca.)
[langsame Entwicklung] |
Eisenzeit II im
Norden
-- Lesen und Schreiben ist verbreitet,
bürokratische Verwaltung, Berufsheer, Wohlstand
und Luxus, spezialisierte Industrien (S.233)
-- nun folgen aber auch Provokationen gegen
Assyrien und am Ende der Untergang durch die
assyrische Besetzung 720 v.Chr.
|
Eisenzeit II im
Süden
-- der Arabienhandel mit den Kamelkarawanen aus
Südarabien mit Gewürzhandel und Handel mit
Weihrauch ist für das Königreich Juda ab dem
8./7. Jh. v.Chr. ein bedeutender
Wirtschaftsfaktor (S.53)
-- nach dem Untergang des Nordreichs entwickelt
Juda eindrucksvolle Befestigungen und
monumentale Tempel und Regierungsformen (S.172). |
|
Finkelstein / Silberman: Posaunen
2001, Ausgabe 2004
|
Die
Aktenlage vom Ausland her über die Mittlere Bronzezeit
(2000-1550 v.Chr. ca.) in Israel-Palästina
19. Jh. v.Chr.
Die Inschrift über den
ägyptischen Feldzug unter Khu-Sebek - Erwähnung eines
Zentrums Sichem
Eine Inschrift, die auf
den ägyptischen Pharao Sesostris III. datiert wird
(1878-1843 v.Chr.), schildert einen ägyptischen Feldzug
unter Khu-Sebek bis ins Bergland von Kanaan, ägyptischer
Name "Retenu". Dabei wird das Land Sichem erwähnt, das
gleichwertig neben "Retenu" genannt wird. Sichem muss also
damals schon ein bedeutendes jüdische Zentrum gewesen sein
(S.173).
Ansonsten geben die ägyptischen Pharaonen-Schriften keine
Informationen über Kanaan (S.173).
16. Jh. v.Chr.
Fakten der Archäologie: Der
Landwirtschaftliche Sektor verarmt
Neueste Untersuchungen
besagen, dass der landwirtschaftliche Sektor schon ab dem
16. Jh. v.Chr. verarmte (S.120).
Die Datenlage vom Ausland her in der Spätbronzezeit
(1550-1150 v.Chr.)
Die Aktenlage beschreibt eine
geographische Spaltung in zwei Stadtstaaten N und S
Kanaan wird in den ägyptischen Schriften dieser Zeit oft
erwähnt, z.B. in den Tell-El-Amarna-Briefen (14. Jh.
v.Chr.) (S.173). Schon in diesen Briefen wird die
Aufteilung des westjordanischen Berglandes in zwei
Stadtstaaten bzw. in zwei getrennte Territorialbereiche
Sichem und Jerusalem mit je ca. 2590 km2
geschildert,
-- mit König Abdi-Hepa in Jerusalem (biblisch immer
"Südreich Juda")
-- mit König Labaja in Sichem (biblisch immer "Nordreich
Israel" (S.173).
Innerhalb der zersplitterten Stadtstaaten Kanaans sind
Jerusalem und Sichem in der Spätbronzezeit die grössten
staatlichen Gebilde, bevölkerungsmässig aber weniger
bevölkert als die dicht bevölkerten kleinen Stadtstaaten
in der Küstenebene (S.173).
Die Umstände für die
Entwicklung der Stadtstaaten Jerusalem und Sichem
Die geographischen Bedingungen sind für die Stadtstaaten
Sichem im Norden und Jerusalem im Süden total verschieden.
Die Bibel behauptet im AT später eine politische
"Spaltung", die aber auf natürlichem Weg schon immer
existierte, und die politisch gar nie stattgefunden hat
(S.175).
Entwicklung des Stadtstaats
Sichem (in der Bibel "Israel") |
Entwicklung des Stadtstaats
Jerusalem (in der Bibel "Juda") |
- keine grossen Höhenunterschiede
auf dem Weg nach Osten, Transporte und
Kommunikation nach Osten sind leicht möglich
- das Gebiet Sichem besteht z.T. aus fruchtbarem
Ackerland, das zur Eigenversorgung ausreicht
- in den Niederungen ist Getreideanbau möglich,
in den Berggebieten der Anbau von Oliven und
Wein möglich
- durch die günstigen Transportwege und die
Eigenversorgung ergibt sich für das Nordreich
ein grosses wirtschaftliches Potential (S.175) |
- auf dem Weg nach Osten sind
grosse Höhenunterschiede und das Tote Meer zu
überwinden, was Transporte und die Kommunikation
nach Osten sehr erschwert bzw. praktisch
verunmöglicht
- das Gebiet des Stadtstaats Jerusalem besteht
aus sehr trockenen und zerklüfteten
Wüstensteppen, so dass eine Eigenversorgung mit
Landwirtschaft kaum möglich ist
- durch die nachteiligen Bedingungen ist das
wirtschaftliche Potential des Stadtstaates
Jerusalem sehr klein (S.175) |
- Sichem hat grosse Ressourcen
- die Westhänge sind nicht so steil und nicht so
steinig, so dass Terrassenwirtschaft mit
Olivenbäumen und Weinreben gut möglich ist
(S.176) |
- Jerusalem hat kaum Ressourcen
- die Westhänge sind sehr steil und steinig, so
dass Terrassenanbau mit Oliven oder Weinreben
kaum möglich ist (S.176) |
-> mit den
Transportmöglichkeiten zwischen dem Stadtstaat
Sichem und seinen Nachbarn entstehen Märkte,
Produkteaustausch, Handel z.B. mit Getreide,
Tierprodukten, Exporte bis nach Ägypten und zu
den Küstenmärkten
-> der Stadtstaat Sichem kann eine
spezialisierte Wirtschaft entwickeln (S.176)
-> das nördliche Bergland wird von Westen her
früher besiedelt (S.177). |
-> der Stadtstaat Jerusalem
bleibt ohne Transportmöglichkeiten und
Landwirtschaft
-> im Stadtstaat Jerusalem entwickeln sich
keine Märkte und kein Produkteaustausch
-> die Gesellschaft im Stadtstaat Jerusalem
bleibt monoton, arm und hat nur wenig
Bevölkerungswachstum (S.176)
-> das südliche Bergland wird von Westen her
erst später besiedelt (S.177). |
|
Finkelstein / Silberman: Posaunen
2001, Ausgabe 2004 |
Die Unterscheidung in einen Nordstaat und
einen Südstaat geschieht also schon aus rein äusserlichen
Gründen. Für eine Trennung aus politischen Gründen fehlt
jeglicher aktenmässige und archäologische Beweis. Der Süden
ist überdies gegenüber dem Nordreich nie eine führende
Macht, wie es das AT später mit den erfundenen Königen David
und Salomo für Jerusalem behauptet (S.176).
[Das Südreich Juda mit Jerusalem entwickelt erst dann eine
Macht, als das Nordreich Israel von aussen her zerstört
wird].