Kapitel 1. Krisenzeit: 1929-1932
[1.6. Gründe
für die erfolglosen Wirtschaftssysteme in Osteuropa ab
1919]
[Ab 1919: Osteuropa:
Nationalismus blockiert die Märkte]
Aber noch schlimmer war der Grund, dass nach dem Ersten
Weltkrieg in Osteuropa die Nationalstaaten eingerichtet
worden waren. Die Baltenstaaten, Bessarabien, und der
Grossteil Polens waren vor dem Ersten Weltkrieg Teil des
russischen Marktes gewesen, mit seinen immensen
Expansionsmöglichkeiten. Galizien, die Tschechoslowakei,
Ungarn, Transilvanien, und die Bukowina waren Teil einer
weiteren grossen politischen und ökonomischen Einheit, das
Reich der Habsburger. Jetzt war der grosse Markt
zersplittert, und die Nachfolgestaaten praktizierten
ökonomischen Nationalismus und einen tödlichen Wettbewerb.
[Ab 1919: Osteuropa: Dumpingpreise durch die
Sowjetunion und die Tschechen]
Diese Situation wurde noch verschlimmert durch sowjetische
Dumpingpreise (Verkauf von Gütern auf ausländischen
Märkten unter dem Produktionspreis, so dass die unbedingt
benötigten Devisen hereinkommen). Und so handelten auch
andere Staaten (zum Beispiel die Dumpingpreise bei
tschechischen Schuhen in den Baltenstaaten).
[Ab 1919: Osteuropa: Jüdische Firmen sind durch
die neuen Grenzen blockiert]
Juden, die kleine und mittelgrosse Handelsfirmen
betrieben, litten nun unter diesen Entwicklungen schwer.
Die Textilindustrie in Lodz, die eingerichtet war, den
(S.28)
russischen Markt zu versorgen, musste sich nun auf dem
kleinen, polnischen Markt neu zurechtfinden, und im
unterteilten Europa herrschten die Zollschranken. Dasselbe
passierte der Holzindustrie.
[Ab 1919: Osteuropa: Nationale
Wirtschaftsmassnahmen und Monopole zerstören die
jüdischen Firmen]
Der wirtschaftliche Nationalismus entwickelte sich unter
einigen Regierungen in einen Versuch, ihre eigenen
Industrien zu betreiben - ein System von Staatswirtschaft
oder Staatskapitalismus, das kaum Erfolg versprach. Aber
in der Zeit dieser Experimente wurden nun für den Handel
Regierungsmonopole eingerichtet, wo früher viele Juden als
Unternehmer oder Angestellte gearbeitet hatten. Die neuen
Monopole - egal, was sie taten - entliessen die jüdischen
Angestellten so schnell wie möglich. Dies passierte
speziell in Polen.
[Ab 1919: Osteuropa:
Desorganisation - keine stabile Währung - Verschleiss]
Und ausserdem herrschte eine totale Desorganisation, und
es fehlte eine stabile Währung, oder es war, wie in
Rumänien, eine korrupte und unwirtschaftliche
Regierungsbürokratie am Werk. So tendierte der
Lebensstandard für die Juden nach unten, und die
Beschäftigungsrate nahm bei den Juden ab.